„All the women who are independent…“ – Chancen einer produktiven Auseinandersetzung mit Pop und Feminismus

Das TIME-Magazine wartete im vergangenen Jahr mit einer ungewöhnlich anmutenden Schlagzeile auf: „100 Music Stars Prove This Was the Year of Pop Feminism“. Laut den Redakteur*innen des US-amerikanischen Blattes sei 2014 nämlich jenes Jahr gewesen, in dem sich einige der  einflussreichsten Popkünstler*innen der letzten Jahre – unter anderem Beyoncé, Miley Cyrus, Lady Gaga und Pharrell Williams – öffentlichkeitswirksam als Feminist*innen zu erkennen gegeben haben. Wie spannungsreich diese feministischen Positionierungen im popkulturellen System sind, zeigt aber das Beispiel Pharrell Williams. Betonte er in Interviews einerseits den unhaltbaren Zustand, dass Frauen nach wie vor Benachteiligungen erfahren, so produzierte Williams andererseits den Song „Blurred Lines“, der die sexuelle Gewalt an Frauen trivialisiert. Auch der Fall „Beyoncé“, die bei der Performance des Songs „Flawless“ auf den MTV Video Music Awards vor dem überdimensionalen Schriftzug „Feminist“ stand, während die Worte der nigerianischen Feministin Chimamanda Ngozi Adichie zu hören waren, erregte mancherorts die Gemüter. So titelte beispielsweise die EMMA mit Blick auf Beyoncé „Emanze oder Schlampe?“.

Was sich hinter dieser provokativen Frage verbirgt, ist trotz allem ein zentraler Konflikt, der auch aus einer jungsozialistischen Perspektive einer Positionierung bedarf. Und zwar geht es um die Frage, ob Feminismus und Pop überhaupt zusammengehen. Während die Kritiker*innen des popkulturellen Komplexes Pop als Massenkultur und in Anlehnung an die Kulturindustriethese von Adorno und Horkheimer als standardisiertes Kommerzprodukt begreifen, das die Einübung in autoritätshöriges, gedanken- und freudloses Verhalten einübe, gibt es auch Bewegungen, die das emanzipatorische Potenzial von Pop herausstellen. Diese beziehen sich dabei oftmals auf Überlegungen der neomarxistischen Birmingham School, die einen zentralen Forschungsknotenpunkt der Cultural Studies darstellt. In Anlehnung an das Hegemonie-Konzept von Antonio Gramsci und einen von Michel Foucault entlehnten Machtbegriff machen Vertreter*innen dieser Denkschule deutlich, dass Popkultur nicht einfach konsumiert werde, sondern ein vieldeutiger Komplex sei. Das bedeutet, dass popkulturelle Zeichen und Texte im weitesten Sinne unterschiedliche Lesarten zulassen, die aber zugleich von der Beschaffenheit des Textes, den sozialen Positionierung der*s Rezipierenden und den unterschiedlichen Konsumzusammenhängen abhängig sind. Bedeutung bildet sich demnach innerhalb gesellschaftlicher Machtverhältnisse heraus, die der ständigen Verhandlung ausgesetzt sind.

Diese Einsicht hat für die feministische Bewertung der Popkultur entscheidende Folgen: Denn während die Kulturindustriethese davon ausgeht, dass die Pop-Konsumierenden passiv die vorgegebenen Bedeutungen internalisieren, stützen sich die Überlegungen der Cultural Studies auf differenziertere Modelle. Der Soziologe Stuart Hall entwickelt beispielsweise ein Modell (encoding/decoding), das gerade nicht davon ausgeht, dass alle Rezipient*innen (also die, die den Pop hören, sehen, lesen etc.) ein gegebenes popkulturelles Zeichen auf ein und dieselbe Weise entschlüsseln. In einer von Macht und Klassengegensätzen strukturierten Gesellschaft gibt es sowohl Hegemoniale als auch unterschiedliche Arten von antihegemonialen Deutungs- und Leseweisen. Grundsätzlich eröffnet Popkultur also einen Raum der Möglichkeiten, einen Raum für Überschreitungen, der im Sinne von Karl Marx die versteinerten gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen bringen kann.

POP UND GESCHLECHT? WIE HÄNGT DAS ZUSAMMEN?

Was hat das alles nun mit dem Geschlecht zu tun? Die Soziologin Paula-Irene Villa hebt heraus, dass in der Popkultur immer auch Geschlechtervorstellungen, -normen und -praxen verhandelt werden – sei es beim Tanzen, Serienschauen, Musikhören, Sprayen oder Skaten. Diese können im Rahmen der Popkultur gleichermaßen stabilisiert, herausgefordert oder gar umgeschrieben werden. Ein Beispiel sol l dies verdeutlichen. Als Reaktion auf den schon angesprochenen Song „Blurred Lines“ veröffentlichten die LawRevueGirls ihre Version des Liedes. In „Defined Lines“ wenden sie sich gegen die Trivialisierung sexueller Gewalt und gegen patriarchale Gesellschaftsstrukturen. Dort heißt es beispielhaft: „Listen mankind! If you wanna get nasty, just don’t harass me: You can’t just grab me. That’s a sex crime! Yeah we don’t want it – It’s chauvinistic. You’re such a bigot!” Hierbei handelt es sich nicht um die Ablehnung von Popkultur, sondern vielmehr um einen produktivkritischen Umgang mit ihr, der eine antihegemoniale Lesart zu installieren versucht. Damit soll keinesfalls ausgeblendet werden, dass Pop, wie das Popmagazin SPEX vor kurzem berichtete, nach wie vor ein Frauenproblem hat. Gerade auf der Ebene der Kulturschaffenden gibt es immer noch weniger Frauen als Männer. Dies gilt besonders, aber nicht nur im Bereich der elektronischen Musik, die auf einer abstrakten Ebene geschlechtslos gedacht, aber ausschließlich von männlichen Protagonisten umgesetzt wurde. Spiegelbild dessen ist die Geschlechterverteilung in elektronischen Labels: Während Männer rund 82 Prozent aller unter Vertrag stehender Musiker*innen darstellen, sind Frauen lediglich zu 9,3 Prozent vertreten. Darüber hinaus halten sich in allen Bereichen der Popkultur tradierte Rollenbilder ebenso hartnäckig wie die Selbstausbeutung von Frauen in der Kulturindustrie. Bestes Beispiel hierfür ist das Monatsgehalt der Chefredakteurin des popfeministischen Missy Magazins, das bei 900 Euro Brutto lag.

FEMINISMUS UND POP – EIN WIDERSPRUCH?

Ähnlich wie beim Pop, gibt bekanntermaßen auch der Begriff des Feminismus Raum für unterschiedliche Lesarten. Schon der Vergleich zwischen den Positionen von Alice Schwarzer und Laurie Penny zeigt grundlegende Unterschiede auf. Während erstere sich gegen alles vermeintlich weiblich konnotierte stellte, gegen alles, was Frauen nur täten oder trügen, um Männern zu gefallen, wollen sich viele Feministinnen, die sich heute mit Frausein beschäftigten, nicht zwischen Respekt und Rosa, zwischen Macht und Mädchen entscheiden müssen. Hierbei bedienen sie sich in ihrer Argumentation ganz ähnlicher Muster wie jene, die von einem weiten Pop-Begriff ausgehen. Kein Entweder-Oder. Ein Auch. Ein Und. „Gute Feministinnen“ können lila Latzhosen tragen und Mokassins. Sie müssen es aber nicht. Sie können auch in einem kurzen Kleid, Popsongs hörend und dem Anspruch nach gleicher und gerechter Teilhabe daher kommen. Das ist auch der Grund, weshalb Pop heute ein zentraler Gegenstand in feministischen Diskursen ist. Popfeminismus verbindet feministisches Engagement mit Spaß und Vergnügen und bietet einen Rahmen, um jene Dinge zurückzufordern, die bisher als Symbole des Patriarchats galten.

Es sollen damit keineswegs die Errungenschaften negiert werden, die die zweite-Welle- Feminist*innen erkämpft haben: Die Thematisierung von gesellschaftlichen Tabus, der Einsatz für einen selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Körper, die Legalisierung von Abtreibung, das Aufzeigen von Herrschaftsstrukturen im Öffentlichen wie Privaten. Popfeminist*innen oder Vertreter*innen des sogenannten Dritte-Welle-Feminismus machen aber heute deutlich, dass es nunmehr auf den Schultern unserer Mütter und unserer Großmütter stehend weitergeht. Diesem Beispiel müssen wir auch in unserer Arbeit als feministischer Richtungsverband folgen. Wir wollen zeigen, dass wir – nun ja – alles wollen. Denn wer sagt, dass wir nicht Sex-and-the-City-schauend für gleiche Bezahlung kämpfen? Dass wir nicht in Pumps zum Frauenkampftag gehen?

Dass wir es nicht müssen, ist die Errungenschaft der Feminist*innen der letzten Dekaden. Dass wir es dennoch tun können, ist unsere. Wir erobern sie uns zurück, die Deutungshoheit über bestimmte Kleidung, bestimmtes Aussehen, bestimmtes Tun. Die „Slutwalks“ haben gezeigt, welche  antipatriarchale Kraft hierin stecken kann. Frauen, die als Schlampen geschimpft wurden, weil sie dasselbe tun wie Männer zeigen hiermit, dass ein Wort nur so stark ist, wie seine Verwender*innen.

DESHALB

Wir Jusos lehnen die Popkultur nicht grundsätzlich ab, sondern versuchen, Deutungshoheiten auch in diesem Feld zu gewinnen. Wir nutzen die antipatriachiale Sprengkraft, die in ihm stecken kann, für und nicht gegen uns. Auch wenn die Popkultur niemals gesellschaftliche Umstände umwälzen kann, so kann sie doch die Begleitmusik liefern, zu der wir tanzen, während wir die Welt verändern. Dass der Feminismus mittlerweile auch in der Popkultur en vouge ist, sollte für uns als Segen, nicht als Fluch angesehen werden. Für viele als Vorbilder geltende PopkünstlerInnen , wie zum Beispiel Beyonce und Pharell Williams, aber auch zahlreiche Filmschaffende, SchriftstellerInnen etc. können dabei als wichtige MultiplikatorInnen der feministischen Idee wirkmächtig werden. Gleichzeitig können uns die Bühnen, Bücher und Bilder der Pop-Welt Ansporn sein, auch auf politischer und dann gesellschaftlicher Ebene die Gleichheit der Geschlechter endlich zu leben. Dennoch sehen wir, dass die Produktionsverhältnisse in diesem Bereich in großen Teilen den alten Mustern folgen. Frauen sind weniger sichtbar, verdienen weniger Geld, haben weniger Einfluss.