Awareness-Konzept

1. Einleitung

Lange galt das Mantra „Politik“ und vor allem Partei-Politik ist eben „hart“ und man(n) müsse das eben aushalten können. Man könne für Politik nicht zu sensibel und emotional sein. Diese Einstellung verkennt, ob bewusst oder unbewusst, dass Kultur des Politikmachens vor allem für privilegierte Weiße cis Männer funktioniert, die nur einen Teil unseres Verbands ausmachen. Denn „es“ aushalten müssen, betrifft meist diskriminierte Gruppen. Es wird verkannt, dass Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen und Mitteln sich in diesen Räumen bewegen. Eine politische Kultur, die dominantes, aggressives Verhalten privilegierter Gruppen toleriert, führt zu einem Raum, in dem sexuelle und emotionale Gewalt begünstigt wird.

Aufgrund unserer besonderen Strukturen als Teil einer Partei in Deutschland, muss uns bewusst sein, dass wir anders agieren müssen als andere Vereine oder Verbände. Das Awareness-Konzept hat somit nicht nur das Ziel, konkrete Fälle zu klären, sondern auch einen Prozess in Gang zu setzen, der das Bewusstsein für diskriminierende Strukturen erhöht, dass wir diese verändern und dass alle Herrschaftsverhältnisse kritisch in den Blick nehmen. Unser Ziel ist es, dass die Ansprechpersonen nicht mehr tätig werden müssen. Das geht nur, wenn wir eine Verbandskultur etablieren, die von allen gelebt wird und Diskriminierungen dadurch Einhalt gebietet. Wir alle müssen einen Blick dafür entwickeln, ob eine Person sich unwohl fühlt, ob man sich selbst gerade diskriminierend verhält und alle müssen wissen, wie man sich verhalten sollte, wenn man Diskriminierung mitbekommt. Unsere Sensibilität soll sich dabei nicht nur auf Veranstaltungen beziehen, sondern auch sensibel dafür sein, was außerhalb von unseren offiziellen Veranstaltungen passiert. Nur, wenn wir alle diese Kultur des safer spaces leben, können wir unsere Strukturen nachhaltig verändern und einen Raum schaffen, in dem alle gerne Politik machen und nicht abgeschreckt werden, weil sie sich durch Verhalten von anderen nicht bei uns nicht wohlfühlen.

Dabei beziehen wir uns nicht nur auf physische Gewalt und übergriffiges Verhalten. Vor allem marginalisierte Gruppen erleben auch immer wieder emotionale Gewalt und begegnen unangemessenem Verhalten: Ismen wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus,  Trans- und Homofeindlichkeit oder Ableismus werden reproduziert. Auch sexuelle Gewalt ist für uns nicht nur physisch möglich. Emotionale Gewalt ist für die Betroffenen retraumatisierend. Wir wollen deutlich machen, dass wir jegliche Form von Diskriminierung ablehnen und es bei Awareness nicht nur um sexuelle Gewalt gegen Frauen geht. Insbesondere queere Männer und BPoC müssen das Gefühl vermittelt bekommen, dass ihre Sorgen, Ängste und Probleme genauso berücksichtigt werden.

Unserem Awareness-Konzept sind dabei Grenzen gesetzt. Es kann keine strafrechtliche Verfolgung aufgenommen werden oder Menschen einfach aus der Partei ausgeschlossen werden. Das Parteiengesetz beschneidet uns dort als Verband nochmal in besonderer Weise. Zentral ist deswegen, Betroffene so zu begleiten, in welcher Form es gewünscht ist und ansprechbar zu sein.

2. Ansprechpersonen und Zusammensetzung

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es Verantwortliche für die Awarenessarbeit braucht, die klar nach außen kommuniziert werden und für alle im Verband eindeutig sind. Damit wollen wir deutlich machen, dass wir das Thema Awareness, Anti-Diskriminierung und Anti-Rassismus ernst nehmen und Verhalten, das dem zuwider ist, bei uns im Verband keineswegs tolerieren. Unsere artikulierten Standpunkte sollen sich auch in unserem Verbandsleben widerspiegeln. Daher braucht es einen sensiblen Umgang mit solchen Fällen der übergriffigen Handlungen. Daher sind klare Verantwortliche, die geschult sind und Erfahrungen haben, von großer Bedeutung.

Als ein politischer Verband stehen wir vor einer besonderen Herausforderung. Bei uns gibt es klare Hierarchien und Machtverhältnisse, die bei der Benennung von Verantwortlichen berücksichtigt werden müssen. Daher wollen wir sowohl zwei Verantwortliche innerhalb des Vorstandes benennen als auch zwei Personen, die nicht Teil des Landesvorstandes sind, nominieren lassen.  Alle drei Personen werden auf der Wahl-Landeskonferenz, nachdem sich der Landesvorstand konstituiert hat, für zwei Jahre nominiert. Benannt wird die Awarenesskommission formell vom Landesvorstand, wobei die Nominierungen dafür als Grundlage dienen. Bei der Notwendigkeit durch einen Rücktritt kann ein*e neue*r Beauftragte*r auch von einem Landesausschuss neu nominiert werden. Diese drei Personen bilden die Awareness-Kommission. Vor der Landeskonferenz evaluiert die Awareness-Kommission ihre Arbeit. Diese Evaluierung stellt die Awareness-Kommission, natürlich anonymisiert und nicht anhand konkreter Fälle, dem Landesvorstand auf seiner letzten Sitzung vor der Landeskonferenz vor.

Dabei sollten folgende Faktoren berücksichtigt werden. Zum einen sollte es sich bei den Personen außerhalb des Vorstands der Awareness-Kommission um Personen handeln, die möglichst wenig in andere Hierarchien eingebunden sind. Landesvorstandsmitglieder als auch Vorsitzende von Unterbezirken, Kreisverbänden oder Regionen halten sollten nicht diese Funktion übernehmen. Diese Abwesenheit aus formalen Hierarchien soll garantieren, dass Betroffene keine Sorge vor Konsequenzen oder Loyalitäten haben müssen, wenn sie sich mit ihrem Problem an die Person wenden.

Dennoch sehen wir, dass Awarenessarbeit mit viel Sensibilität behandelt werden muss, da sowohl die Informationen sensibel sind, als auch die Maßnahmen Konsequenzen für einzelne Mitglieder haben können und daher eine Kommission mit einer besonderen und machtvollen Stellung sind. Daher sollen weiterhin zwei Landesvorstandsmitglieder Teil der Kommission sein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass es sich um ein diverses Team handeln soll. Dabei müssen die Aspekte von Diskriminierung gegen Frauen als auch gegen Männer beachtet werden. Daher sind zwei FINT-Personen sowie ein Mann als Verantwortliche zu benennen. Außerdem sollte auch eine Person Rassismuserfahrungen teilen. Dies muss vor allem der Vorstand bei der Benennung der Verantwortlichen aus den eigenen Reihen berücksichtigen. Im Falle einer nicht zu verhindernden Abweichung der Diversität, wird der Landesvorstand eine Erklärung festhalten.

Weiterhin ist es verpflichtend, dass alle drei Verantwortlichen an einer Schulung teilzunehmen. Dafür eignen sich Schulungen beispielsweise vom Weißen Ring. In dieser Schulung sollten folgende Aspekte inbegriffen sein: der sensible Umgang mit Betroffenen, rechtliche Konsequenzen, Konfliktmanagement und Gesprächsführung. Die Kosten der Schulung übernimmt der Landesverband. Außerdem soll auch klar sein, welche Verfahren innerhalb der Partei möglich sind und für welche Fälle bspw. die Schiedskommission herangezogen werden kann.

Allerdings soll deutlich gemacht werden, dass Betroffene sich weiterhin an jede Person aus dem Verband und darüber hinaus wenden können, der sie vertrauen. Das Team aus Verantwortlichen stellt ein Angebot dar, keine Pflicht sich nur an diese wenden zu können. Zudem sollen die Betroffenen ausdrücklich die Möglichkeit haben, sich nur an eine Person der Kommission vertraulich zu wenden.

Die Awareness-Kommission bildet dabei eine erste Anlaufstelle. Die Awareness-Kommission soll dann eigenständig entscheiden, ob ein Vorfall in ihre Zuständigkeit fällt. Sollte ein Fall vorliegen, der dem Sinn und Zweck dieses Awarenesskonzepts nicht folgt und die Kommission taktisch genutzt werden sollte, kann die Kommission einer weiteren Bearbeitung widersprechen.

3. Umgang mit Betroffenen

Für uns ist der Umgang mit der betroffenen Person einer der relevantesten Aspekte. Dabei respektieren wir die Definitionsmacht der betroffenen Person. Das bedeutet ganz konkret, dass wir nicht in Frage stellen, ob die Wahrnehmung einer erlebten Situation die eigene Grenze überschritten hat. Gleichzeitig ist für uns aber auch klar, dass die Wahrnehmung über das Erleben der betroffenen Personen nicht von allen geteilt werden muss. Es gibt nicht immer ein*e Täter*in, aber immer eine betroffene Person. Unterm Strich sind diese Fälle immer noch ernstzunehmende Übergriffe, die dafür sorgen können, dass man sich in bestimmten Räumen nicht mehr aufhalten oder engagieren will.

Aus dem Grund ist für uns von großer Bedeutung, dass die Benennung einer grenzüberschreitenden Handlung an höchster Stelle ist. Daraus resultiert, dass wir prinzipiell auf der Seite der betroffenen Person stehen und in ihrem Interesse handeln. Wir glauben fest daran, dass eine betroffene Person am besten weiß, was sie braucht oder will und welche Unterstützung sie in Anspruch nehmen will. Wir wollen sie dabei unterstützen Hilfsangebote wahrzunehmen oder innerverbandlich bei den NRW Jusos ein Verfahren einzuleiten. Dazu kann gehören, die Schiedskommission der SPD heranzuziehen. Grundsätzlich werden wir aber nichts machen, ohne es mit der betroffenen Person abzuklären.Gleichzeitig wollen wir der beschuldigten Person die Möglichkeit überlassen, eine Stellungnahme abzugeben, damit die eigenen Rechte ausgeübt werden können und beiden Parteien die Möglichkeit gegeben ist, den Vorfall aus der eigenen Perspektive zu schildern.

Zuletzt muss auch bedacht werden, dass es betroffene Personen geben kann, aber nicht immer auch ein*e Täter*in, da eine betroffene Person auch durch Musik, sensible Themen oder Lieder an schlechte Erfahrungen erinnert werden kann. Daher definieren wir für uns Awarenessarbeit als eine Arbeit, die der betroffenen Person mit einer Hilfestellung durch das Einrichten einer ansprechbaren Stelle eine Möglichkeit der Verarbeitung der erlebten Situation bietet und mit Sensibilität den Bedürfnissen und den Perspektiven der betroffenen Person entgegnet und diese Gefühle auch ernst nimmt.

4. Genereller Ablauf des Umgangs eines Awarenessfalls

Für den Fall, dass die betroffene Person eine Klärung der Situation anstrebt, möchten wir als Institution ein vertrauliches Verfahren etablieren und verpflichten uns dem nachzugehen. Durch ein solches institutionalisiertes Verfahren, wollen wir nicht nur eine Möglichkeit der Verarbeitung bieten, sondern schon allein durch das Bestehen eines Awareness-Teams unsere Verbandskultur aktiv verändern. Das bedeutet für uns, dass wir es innerverbandlich ermöglichen wollen eine verhältnismäßige Konsequenz zu ziehen.

Das vereinbarte Verfahren soll bei Fällen übergriffiger Handlungen oder unangemessenem Verhalten folgendermaßen ablaufen: Wenn sich die betroffene Person an eine vermittelnde Person wendet und den Wunsch ausspricht, dass dieser Fall behandelt werden soll, so wird der Fall entweder durch die betroffene Person selbst oder durch eine vermittelnde Person an die Awareness-Kommission herangetragen. Die Awareness-Kommission allein wird über konkrete Details informiert, soweit die betroffene Person das will. Hierbei ist dringend der Umstand der Retraumatisierung durch ein erneutes Erzählen zu beachten und dem ist vehement entgegenzuwirken. Im Rahmen des Schutzes aller Parteien wird der Landesvorsitz über den Stand des Verfahrens unterrichtet.

Wenn der erste Kontakt stattgefunden hat und über den Vorfall berichtet wurde, soll der betroffenen Person sowohl innerverbandliche Möglichkeiten der Klärung als auch außerverbandliche Möglichkeiten, wie Beratungsstellen, an die Hand gegeben werden. Wenn die betroffene Person den Wunsch ausspricht ein innerverbandliches Verfahren einzuleiten, dann wird das hier beschriebene transparente Verfahren eingeleitet. Dieses transparente Verfahren ist nötig, um die Rechte der Parteien zu wahren und gleichzeitig durch die vorangegangene verbandsweite Vereinbarung über die Geltung des Verfahrens für eine effektive Handhabe bei übergriffigen Handlungen zu sorgen.

Das Verfahren beginnt mit der formellen Bekanntgabe gegenüber der beschuldigten Person über die Einleitung des Verfahrens. Im Anschluss wird die beschuldigte Person dazu aufgefordert eine Stellungnahme abzugeben. Wenn die betroffene Person zustimmt und der Vorfall es zulässt, ist der erste Schritt ein Mediationsverfahren einzuleiten, um den Vorfall zwischen den beiden Parteien beizulegen und aufzuarbeiten. Sollte ein Mediationsverfahren nicht möglich sein, sucht die Awareness-Kommission mit der beschuldigten Person das Gespräch, um den Vorfall, wenn möglich, aufzuarbeiten.

Im Falle einer festgestellten Gewalt oder (wiederholten) unangemessenen Verhaltens, das weiterer Konsequenzen bedarf, wird im Anschluss darauf in Absprache mit der betroffenen Person, eine verhältnismäßige Konsequenz gezogen. Diese Konsequenz wird sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit an den Wunsch der betroffenen Personen ausgerichtet, damit für diese Person eine möglichst unbeschwerte und geschützte Teilnahme an Juso-Veranstaltungen gesichert wird. Mögliche Konsequenzen werden von dem Fall abhängig gemacht und sind Alkoholverzicht, zu unterlassenende Kontaktaufnahmen und (vorübergehenden) Veranstaltungsverboten. Ziel ist es dabei, erst mal unterschiedliche Eskalationsstufen schrittweise zu gehen. Sollten sich andere Konsequenzen in einem spezifischen Vorfall ergeben, kann die die Awareness-Kommission diese ergreifen. Die Konsequenzen müssen in Absprache mit dem Landesbüro und dem Landesvorsitz gezogen werden. Sollte es sich um einen strafrechtlichen Vorfall handeln, wird die betroffene Person von der Awareness-Kommission darüber informiert, dass sie sich professionelle juristische Hilfe holen kann. Ist es letztendlich zu einer Verurteilung der beschuldigten Person gekommen, kann die Awareness-Kommission die betroffene Person darüber unterrichten, dass diese auch innerparteiliche Schritte einleiten kann und es werden die relevanten Informationen über die Schiedskommission mitgegeben.

Je nach Ausmaß der Situation muss bei der Ziehung der Konsequenz jedoch auch beachtet werden, wie ein Raum geschaffen wird, wo übergriffige Menschen trotz ihrer zu verurteilenden Handlung die Möglichkeit haben, durch einen Reflektionsprozess keinen sozialen Ausschluss zu unterliegen. Es ist aber klar, dass dieser Aspekt nur in den Fällen greift, wo die Härte des Falls nicht dagegenspricht. Besonders strafrechtlich relevante Tatsachen sprechen für uns schon per se gegen diese Möglichkeit aber auch schwerwiegende Umstände, die nicht von rechtlicher Relevanz sind, aber gegen unsere Grundverständnis verstoßen.

5. Awareness auf Veranstaltungen

Gerade auf Veranstaltungen bedarf es einer besonderen Awareness. Wir wollen bei unserer Sensibilität für dieses Thema, nicht vernachlässigen, dass wir ein Jugendverband sind, der zusammen feiert und auch enge Freundschaften, körperliche Nähe und partnerschaftliche Beziehungen bei uns Normalität sind. Wir wollen, dass Awareness und zwischenmenschliche Beziehungen jeglicher Art für uns Hand in Hand gehen und sich nicht ausschließen.

Damit dies möglich ist, wollen wir gerade bei Veranstaltungen einen Raum schaffen, der für alle einen Wohlfühlraum bedeutet. Dies beinhaltet für uns, dass bei jeder Veranstaltung auf unsere Verbandskultur sowie auf Sensibilität für Diskriminierung aufmerksam gemacht wird, sowohl mündlich als auch schriftlich durch Aushänge. Außerdem sollen bei jeder Veranstaltung ein Awareness-Team benannt werden, welche in Vorbereitung einer Veranstaltung vom Landesvorstand kontaktiert werden. Die Verantwortlichen werden am Anfang jeder Veranstaltung sichtbar für alle vorgestellt werden. Außerdem wird eine Telefonnummer bereitgestellt, die einen direkten Kontakt zum Awareness-Team ermöglicht. Das Team umfasst vier Personen, wovon mindestens zwei nicht im Landesvorstand sind und mindestens zwei FINT-Personen, ebenfalls sollte eine diverse Aufstellung angestrebt werden. Die Personen sind von den Kosten für die Veranstaltung befreit. Die Verantwortlichen erhalten vorher einen Leitfaden, der erläutert, wie in konkreten Situationen reagiert und wie mit Betroffenen umgangen werden sollte. Dieser Leitfaden wird von der Awareness-Kommission erstellt. Ebenfalls soll dafür sensibilisiert werden, ab welchen Punkt Personen von Veranstaltungen ausgeschlossen werden und ab wann Grenzen derartig überschritten sind, dass die Polizei einbezogen werden muss. Dies muss stets in Rücksprache mit dem Landesbüro und dem Landesvorsitz geschehen. Die endgültige Entscheidung eines Ausschlusses von einer Veranstaltung liegt dabei beim Landesbüro, welcher bereits jetzt durch unsere AGBs möglich ist. Das Awareness-Team ist nur für Veranstaltungen zuständig, sollte eine weitere Betreuung einer Person beziehungsweise eines Falls notwendig und gewünscht sein, übernimmt dies die Awareness-Kommission nachgelagert.