Anlaufstellen für Frauen* und Mädchen* mit Gewalterfahrungen barrierefrei gestalten!

Triggerwarnung: Im Folgenden geht es um Gewalterfahrungen und sexuelle Übergriffe an Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen.

In Nordrhein-Westfalen leben über eine Million Frauen* mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung.

Die repräsentative Studie „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“ hat erstmals belegt, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen in besonderem Maße gefährdet sind, Opfer von Gewalt im Geschlechterverhältnis zu werden, unter anderem weil ihr Leben in hohem Maße fremdbestimmt ist.

In der Studie berichten zwischen 58 und 75 Prozent der befragten Frauen* mit Beeinträchtigungen davon, dass sie als Erwachsene mindestens eine Situation körperlicher Gewalt durchlebt haben. Dies sind fast doppelt so hohe Anteile wie bei Frauen* in der Mehrheitsgesellschaft. Zugleich erleben Frauen* mit Beeinträchtigungen auch häufiger und schwerer körperliche Angriffe. Wie bei der Gesamtheit der Frauen* gehen die Übergriffe vorrangig vom nahen sozialen Umfeld, also vom Partner oder von Familienmitgliedern aus. Frauen*, die in Einrichtungen leben, berichten zudem von körperlicher Gewalt durch andere Bewohner*innen sowie – seltener – durch das dort arbeitende Personal.

Frauen* mit Behinderungen erfahren zudem zwei- bis dreimal häufiger als Frauen* in der deutschen Mehrheitsgesellschaft sexuelle Übergriffe in Kindheit und/oder Erwachsenenalter. Bis zu 43 Prozent der Befragten berichten zudem von erzwungenen sexuellen Handlungen.

Leider gibt es für Mädchen* und Frauen* mit Behinderungen besondere Hürden beim Schutz vor akuter Gewalt und beim Verarbeiten von Gewalterfahrungen. Dies wird auch im „Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, der Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kindern“ (2013) festgestellt. Neben einem erhöhten Betreuungsbedarf besteht die Schwierigkeit schon darin, dass sich die Behinderungen in viele unterschiedliche Formen ausdifferenziert. Zum Beispiel stoßen Frauen*/ Mädchen* mit körperlichen Behinderungen auf andere Barrieren, um Angebote in Anspruch zu nehmen (z.B. Treppenstufen oder enge Gänge/Räume) als Frauen*/Mädchen* mit Lernschwierigkeiten (z.B. Informationsmaterial).

Das Problem ist also bekannt und findet in einigen Landes- und Bundesplänen und geförderten Projekten, wie zum Beispiel im „Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung von Wirtschaft und Menschenrechten“ oder dem „Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen“, Beachtung. Dennoch gibt es in ganz Deutschland nur eine komplett barrierefreie Anlaufstelle für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen. Die barrierefreie Fachstelle „Mädchen sICHer inklusiv“ befindet sich in Bielefeld und kann als Vorbild für einen weiteren Ausbau des Hilfsangebots dienen. Vielerorts ist die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten für Frauen*/ Mädchen* mit Beeinträchtigung, die Gewalt erfahren haben, voller Barrieren. Sei es der bauliche Zugang, das Vorhandensein von Dolmetscher*innen z.B. für Gebärdensprache oder die Transparenz über Angebote.

Netzwerkstellen, die politische Interessen von Frauen* mit Behinderung vertreten wie, z.B. „Weibernetz e.V.“ sind durch Projekte vom Bund zeitlich begrenzt finanziert und können nur durch zusätzliche Spenden angemessene Angebote schaffen.

Das Frauen*/ Mädchen*, die einem besonderem Risiko für Gewalterfahrungen ausgesetzt sind, weil sie zusätzlich zu ihrem weiblichen Geschlecht auch eine Behinderung haben, weniger Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Hilfsangeboten vor Ort haben, ist nicht gerecht. Intersektionale Diskriminierung ist hier strukturell vorhanden.

Es sollen alle Frauen* und Mädchen* Hilfe und Unterstützung bekommen, die diese benötigen.

Deshalb fordern wir:

  • Mehr barrierefreie Anlaufstellen (Mädchen*-/ Frauen*häuser und unabhängige Beratungsstellen) für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen
  • Ausbau von Peer-to-Peer- Beratungsstellen von und für Frauen*/Mädchen* mit Behinderungen
  • Dauerhafte staatliche Finanzierung von Netzwerkstellen wie „Weibernetz e.V. politische Interessensvertretung behinderter Frauen“
  • Kostenfreie Bildungsangebote für Menschen, die mit Mädchen*/ Frauen* mit Behinderungen zusammenarbeiten, um die besonderen Bedarfe und Bedürfnisse zu erkennen und an professionelle Hilfsangebote vermitteln zu können
  • Erhebung und Veröffentlichung von systematischen Daten über die Situation von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen (mit Indikatoren zur Bemessung intersektionaler Diskriminierung)
  • wir fordern eine verpflichtende Fortbildung zur sexuellen Gewalt und Trauma, für alle, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten.