Arbeiter*innen haben nichts zu verlieren – außer ihre Lieferketten

Die EU-Lieferkettenrichtlinie wurde über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren ausgehandelt. Ursprünglich sollte Deutschland dem Gesetz zustimmen, das unter anderem darauf abzielte, Unternehmen ab einer Größe von 500 Mitarbeitenden dazu zu verpflichten, Menschenrechte und Umweltschutz in ihrer Lieferkette zu berücksichtigen. Dies wäre zumindest in Teilen eine Verschärfung im Vergleich zum bestehenden deutschen Gesetz gewesen, das für Betriebe ab 1.000 Beschäftigten gilt.

Jedoch intervenierte die FDP und verhinderte in der entscheidenden Abstimmung in Brüssel, dass Deutschland dem Gesetz zustimmte. Dabei überzeugte FDP-Chef Christian Lindner auch andere EU-Staaten, der Richtlinie nicht zuzustimmen. Er versprach beispielsweise der Regierung in Rom, dass Deutschland gegen eine Verpackungsrichtlinie der EU stimmen würde, die Italien ablehnte.

Als Reaktion darauf verschob die EU-Ratspräsidentschaft die finale Entscheidung über die Lieferkettenrichtlinie und versuchte, mit Deutschland nachzuverhandeln. Es wurden Kompromissangebote gemacht, um Deutschland entgegenzukommen, darunter die Anhebung der Mindestgröße für betroffene Unternehmen auf 1.000 Beschäftigte, wie es im deutschen Gesetz vorgesehen ist, und die Streichung bestimmter Klauseln.

Trotz dieser Zugeständnisse blieb die FDP stur und verhinderte eine Einigung. Die FDP und auch einige deutsche Unternehmensverbände hätten damit beinahe erfolgreich verhindert, dass die Lieferkettenrichtlinie in Europa umgesetzt wird. Eine Schande für die Rechte von Arbeitnehmer*innen und einen tatsächlichen Wettbewerb europaweit.

Doch nicht nur auf europäischer Ebene hat diese Blockade weitreichende Folgen. Solange die EU-Staaten ihrer historischen globalen Verantwortung als Zentren des globalen Kapitalismus nicht nachkommen, stattdessen die Ausbeutung von Mensch und Natur vor allem im globalen Süden fortsetzen, untergraben sie nicht nur die Chancen auf ein weltweit würdevolles Leben, sondern genauso die Basis des europäischen Wohlstandes; zum Vorteil der Profite einiger Weniger.

Mit ihrer Blockade stellt sich die FDP außerdem gegen den Schutz von FINTA, BIPoC, Kindern und anderen marginalisierten Gruppen. So leiden vor allem FINTA gesundheitlich besonders unter schlechtem Arbeitsschutz und es ist vor allem der sogenannte globale Süden, der unter den Folgen des Klimawandels und der modernen Sklaverei sowie Kinderarbeit in unserem Wirtschaftssystem leidet. Es ist ein intersektional feministischer Auftrag, solche Realitäten anzuerkennen und zu bekämpfen, wie es das Lieferkettengesetz fördern könnte. Die versuchte Torpedierung dieses Gesetzes ist somit auch eine Torpedierung des Kampfes gegen Diskriminierung sowie Ausbeutung und des Schutzes von marginalisierten Gruppen.

Die Entscheidung reiht sich ein in die Verhinderung oder Torpedierung von effektiven Maßnahmen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen, Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und Stärkung des Sozialstaats auf nationaler Ebene. Es zeigt sich: Nur mit progressiven Mehrheiten können wir die dringend notwendigen Investitionen in eine zukunftsfähige Gesellschaft anstoßen. Gerade deshalb ist es so wichtig, auch bei der anstehenden Europawahl die Sozialdemokratie so gut wie möglich zu stärken. Diese Chance einer grundlegenden Reform für die Arbeitsbedingungen auf dem europäischen Markt ist glücklicherweise trotz der Blockadehaltung dennoch vorerst geglückt – aber die festgelegten Regeln noch lange nicht weitgehend genug.

 

Arbeitsmarktreform – Wofür?

Urlaubsanspruch, Tarifautonomie, das Recht zur gewerkschaftlichen Organisation, Arbeitszeitbegrenzung, Mindestlohn, Krankengeld, Beteiligung des Arbeitgebers an Krankenversicherung und Sozialbeiträgen, gesetzliche Rentenversicherung, Mindestausbildungsvergütung, Arbeitslosengeld und viele mehr…

Was bringen eigentlich die hart erkämpften arbeitspolitischen Errungenschaften, wenn sie nicht mehr gelten, sobald die Produktion verlagert und Ausbeutung an einem anderem Ort betrieben wird.

Die Bedeutung europaweiter gemeinsamer Vorschriften für bessere Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist enorm. Gerade deshalb brauchen wir auch nach dem Scheitern dieser so grundlegenden Reform eine Vision europäischer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, für die es sich zu kämpfen lohnt und mit der wir die Menschen überzeugen können.

 

Für ein Europa ohne Jugendarbeitslosigkeit

Besonders besorgniserregend ist die Jugendarbeitslosigkeit, die in einigen Ländern, insbesondere in den südlichen Mitgliedsstaaten, sehr hoch ist. Obwohl es seit 2013 einen Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit gibt, bleibt sie eine ernste Herausforderung. Diese muss angegangen werden, um jungen Menschen in Europa eine Perspektive zu bieten.

Deshalb fordern wir:

  • Europäische Projekte zur Bekämpfung von Kinderarmut – Insbesondere ein existenz- und teilhabesicherndes Sozialleistungsnetz
  • Eine Ausweitung der EU-Jugendgarantie

 

Für ein Europa, das Arbeit fair gestaltet

Wir wollen Europa zur Sozialunion machen – Nicht nur für die Wirtschaft! Wir wollen kein Europa, in dem die Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit über eine Abwärtsspirale bei Löhnen, Arbeitnehmer*innenrechten und Sozialstandards hergestellt wird. Wir unterscheiden uns nicht nur von den Europa-Feind*innen, sondern auch von den pro-europäischen Technokrat*innen mit ihren Sparkursen und den Marktradikalen mit ihrer Deregulierung. Wir kämpfen für unsere eigene Vorstellung eines besseren Europas.

Zu einem gerechten Europa gehört für uns unweigerlich, dass wir die Rechte von Arbeitnehmer*innen sichern und stärken. Wir nehmen uns vor, einen starken europäischen Sozialstaat aufzubauen, umfassende Sozialstandards durchzusetzen und entschlossen den Kampf gegen den Abbau sozialer Sicherungssysteme aufzunehmen. Ein wesentlicher Schritt, der in den kommenden Jahren gegangen werden muss, ist dabei die Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohnkorridors sowie eines europäischen, vernetzten Sozialversicherungssystems. Gleichzeitig wollen wir ein Europa der starken Gewerkschaften und der Tarifpartnerschaft. Wir stehen für ein europäisches Streikrecht und betriebliche Mitbestimmung in allen Mitgliedstaaten ein. Die gleichberechtigte Beteiligung europäischer Betriebsrät*innen am politischen Prozess zu ermöglichen, ist eine wesentliche Zielsetzung. Deshalb sind Gewerkschaften als eine der maßgeblichen gesellschaftlichen Akteur*innen mindestens gleichberechtigt mit anderen PartnerInnen am europäischen Verhandlungstisch zu beteiligen.

Deshalb fordern wir:

  • Einen Neuanlauf für eine europäische Lieferkettenrichtlinie, die gerechte Arbeitsmarktpolitik europaweit durchsetzt
  • Schaffung und Vereinfachung von Verbandsklagemöglichkeiten im europäischen Rahmen im Fall von Arbeitsrechtsverstößen
  • Gleichstellung aller Arbeitnehmer*innen in Betrieben
    • Anstellung beim Betrieb (s. Abschaffung Werksverträge)
    • Mitbestimmungsmöglichkeiten: Betriebsräte, Mitarbeiter*innen-befragungen, etc.
  • Europäische Schutzmechanismen gegen Unionbusting, um gewerkschaftliche Mitbestimmung als wichtigen Teil der Demokratie vor Angriffen zu schützen.

 

Für ein Europa, in dem Carearbeit keine Ausbeutung ist

Der Fachkräftemangel und die prekäre Lage in den Careberufen erfordern dringende Veränderungen. Etwa die Ausbeutung zumeist weiblicher ausländischer Pflegekräfte durch dubiose Vermittlungsagenturen, bei der die Bundesagentur für Arbeit zugibt, dass sie aufgrund fehlender Kompetenzen und politischen Willens nichts gegen diese Ausbeutung unternehmen kann. Die Liberalisierung des Arbeitsvermittlungsgeschäfts hat die Situation verschärft und private Unternehmen agieren oft schneller, aber nicht unbedingt qualitätsbewusster als staatliche Institutionen.

Unbezahlte Carearbeit ist zudem ein entscheidender Faktor patriarchaler Unterdrückung und eine strukturelle Grundlage kapitalistischer Ausbeutung. Frauen, die noch überdurchschnittlich Carearbeit übernehmen, werden dadurch systematisch von Erwerbsarbeit fern gehalten. Im Umkehrschluss ist auch eine Verdrängung von erwerbstätigen Frauen zu beobachten, sobald diese Carearbeit leisten müssen, etwa bei der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen Die Coronapandemie hat diese Ungleichheiten sogar noch verstärkt.

Deshalb fordern wir:

  • Schaffung eines gesetzlichen Rahmens auf europäischer Ebene, um die Ausbeutung ausländischer Pflegekräfte zu bekämpfen und die Qualität der Arbeitsvermittlung zu gewährleisten.
  • Einführung verbindlicher strenger Qualitätsstandards und Zertifizierungsprozesse für private Arbeitsvermittlungsfirmen.
  • Stärkere Regulierung und Überwachung der Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche, um Knebelverträge und Ausbeutung – auch im privaten Bereich – zu verhindern
  • Bessere Arbeitsbedingungen und Unterstützungsprogramme für die Ausbildung und den Berufseinstieg in Care-Berufen, um den Bedarf an Fachkräften langfristig zu decken.
  • Unterstützung einer europäischen Initiative für armutsfeste Mindestlöhne, um die wirtschaftliche Sicherheit von Care-Arbeiter*innen zu gewährleisten.
  • Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten finanziert durch ein Solidarmodell auf europäischer Ebene, um dem Phänomen der Global Care Chains entgegenzuwirken.
  • Rechtliche Einschränkung von Minijobs, um Frauen den Zugang zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu erleichtern und das geschlechtsspezifische Armutsrisiko zu verringern.