BELEBET DEN LEERSTAND!

In beinahe allen Stadtzentren des Landes bietet sich in den vergangenen Jahren ein ähnliches Bild:In den ehemals lebendigen und erfolgreichen Innenstädte finden sich zunehmend leere Schaufen­ ster und unvermietete Ladenlokale. Dieser Leerstand der Innenstädte kann als Problem gesehen werden – oder als Chance auf Veränderung! Politik und Verwaltung sind aufgefordert die Ansied­ lung von jungen, kreativen Projekten, Start-Ups und kulturellen Angeboten durch die Schaffung eines Leerstandsmanagement zu fördern. Die bürokratischen und finanziellen Hürden bei der (Zwischen-)Nutzung – insbesondere bezogen auf städtische Liegenschaften – sind so niedrig wie möglich zu halten.

WIE ENTSTEHT LEERSTAND?

Der demographische Wandel geht Hand in Hand mit einem wirtschaftlichen Wandel: Nicht nur junge, sondern Menschen aller Altersklassen kaufen mit immer noch steigender Tendenz im Inter­ net, statt klassisch im lokalen Einzelhandel der Stadtzentren. Diese wiederum werden in den letzten Jahren eher vom Bau großer Einkaufszentren geprägt, die ein großes Angebot auf vergleichsweise kleiner Fläche bieten. Die außerhalb dieser Shopping-Malls gelegenen Einzelhändler können oft mit den Preisen und der Angebotsvielfalt dieser Zentren nicht mithalten; zudem fehlt die Lauf­ kundschaft. Es folgt ein „Trading down“-Prozess: Leerstand führt zu sinkender Kundenfrequenz,was zu noch mehr Leerstand führt. Teils findet sich auch ein „induzierter Leerstand“ durch das Wegbrechen großer Ankermieter. In großen Städten findet sich hingegen teils ein von finanziellen Einzelinteressen geprägter Leerstand: Lokalitäten, die nicht zu einem erwarteten Mietniveau auf den Markt gebracht werden können, werden lieber leer stehen gelassen, als sie „unter Wert“ zu vermieten. Die Folge: Deprimierende Ansichten blanker Schaufenster, der Wegfall sozialer Kontrolle durch Publikumsverkehr (mit der der Entwicklung von „Angsträumen“ als Folge), Zerfall von ungenutz­ ter und nicht renovierter Bausubstanz. Diese Prozesse können als „gegebene Umstände“ bejammert werden. Oder: Politik Verwaltung und BürgerInnen sehen und nutzen die sich bietenden Chancen zur Stadtgestaltung.Abgesehen vom beschriebenen Leerstand in Ladenlokalen zeigt sich auch ein gewollter Leerstand von Wohnflächen. Hier ist politisch einzuschreiten, wenn ein hohes öffentliches Interesse an der Umsetzung der angedachten Nutzung als Wohnraum besteht. Denn die Bekämpfung vom Leer­ stand ist nicht nur ein gesellschaftliches Anliegen, Immobilien verkommen zu lassen oder Grund­ stücke brachliegen zu lassen verstößt gegen das Grundgesetz. § 14 Absatz 2 des Grundgesetzes:‘ (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.‘. Hier darf Politik nicht einfach nur zuschauen. Eigentum verpflichtet, egal wo!

WAS IST LEERSTANDSMANAGEMENT UND WER IST DAFワR VERANTWORTLICH?

Leerstandsmanagement beschreibt in unseren Augen den bewussten und zielgerichteten Umgang mit leerstehenden Immobilien mit dem Ziel der sinnvollen und sozialverträglichen Nutzung dieser.Hauptaufgaben des Leerstandsmanagements sind Analyse und Katalogisierung des vorhandenen Leerstands, sowie die Erforschung der Ursachen und Folgen der Leerstandsproblematik. Aufbau­ end auf die ständig zu aktualisierende Bestandsaufnahme folgt eine auf einzelne Objekte oder Quartiere zugeschnittene Ermittlung des Handlungsbedarfs zur Verbesserung der Situation.Gemeinsam mit Akteuren vor Ort sollen neue Nutzungsmöglichkeiten erarbeitete und partner­ schaftlich umgesetzt werden.Je nach Organisation der Stadtverwaltung sowie den genauen Zielen des lokalen Leerstandsma­ nagements kann die Aufgabe beispielsweise im Stadtmarketing, in der kommunalen Wirtschafts­ förderung oder den Stadtentwicklungsorganen angesiedelt sein.

WELCHE VORTEILE HAT EINE ZWISCHENNUTZUNG?

Zwischennutzung bewirkt eine Belebung und soziale Kontrolle; Vandalismusschäden, Müllabla­ gerungen und „Angsträume“ werden reduziert. Zwischennutzung wirkt dem bei Leerstand entste­ henden Verfall der Bausubstanz (wie dem von Wasserver- und entsorgungsleitungen) entgegen; die Infrastruktur kann durch temporäre Weiternutzung gesichert und für eine Nachnutzung erhalten werden. Doch auch auf anderen Ebenen weist die Zwischennutzung leerstehender Gebäude Vorteile auf:Durch den Wegfall finanzieller Barrieren können junge, kreative Projekte Ideen umsetzen, die sich sonst nicht in Innenstädten wiederfinden – und gestalten dabei die Stadt sichtbar mit. Diese Art der Kulturarbeit ist bürgerschaftliches Engagement in Reinform: Bürger*Innen nehmenden Stab des Handelns selbst in die Hand und erschaffen, was ihnen fehlt. Politik und Verwaltung müssen diese Entwicklung als wirkliche Chance auf Veränderung begreifen, wertschätzen und unterstützen.Die Wandlung der Stadtzentren von reinen Einkaufs- und Dienstleistungszentren hin zu lebendi­ gen, kulturell aufgewerteten Gegenden geht mit einer veränderten Wahrnehmung der Innenstadt als öffentlichen Lebensraum einher. Sie induziert ein Mehr an sozialer Kontrolle, eine Erhöhung des Sicherheitsgefühls und potentiell auch einen Rückgang von Vandalismus und öffentlichem Zerfall.Ein gut geplantes und umgesetztes Leerstandsmanagement kann frühere Versäumnisse in Stadtpla­ nung aufarbeiten sowie Trostlosigkeit und Lücken in der Stadtgestaltung bekämpfen

WAS FÜR NUTZUNGSMÖGLICHKEITEN GIBT ES?

Wir legen unseren Fokus zwar auf die Belebung von Leerstand in Stadtzentren, aber sowohl dort als auch in peripheren Stadtgebieten sind nicht alle Lokalitäten für jede Art der Nutzung geeignet.Ebenso ist nicht jeder Leerstand für die Nutzung als Wohnraum geeignet. Professionelles Leer­ standsmanagement differenziert daher sowohl zwischen kurz- und langfristiger Nutzung als auch zwischen kommerzieller, kultureller und sozialer Nutzung. Kommerzielle und (sozio-)kulturelle Nutzung können kurz- oder mittelfristig angelegte Interimslösungen sein; soziale Nutzung (also die Umwandlung in Wohnraum) ist nur bei langfristiger Perspektive sinnvoll – sie bedingt meist bauli­ che Veränderungen. Raum für kulturelle Projekte und Einrichtungen sowie Experimentierräume für Start-Ups, Popup-Stores oder gastronomische Angebote („ruin bars“) kommen meist ohne größe­ re bauliche Intervention aus; teils sind die Unvollkommenheit und der „Charme des Temporären“ geradezu Magnet für Nutzergruppen.

BESETZUNG LEGALISIEREN!

Immer wieder wird Leerstand so lange ungenutzt gelassen, bis es von Menschen besetzt wird. In der Regel folgen dann Räumungsklagen und die Immobilie bleibt weiterhin ungenutzt. Im besten Fall hat die Besetzung eine solche öffentliche Diskussion angeregt, dass der oder die Eigentümer*in unter Druck gesetzt wurde. Wir fordern daher die Legalisierung der Nutzung von länger bestehen­ dem Leerstand auch ohne explizite Einwilligung des Eigentümers bzw. der Eigentümerin. Dabei muss die Immobilie vorher einen längeren Zeitraum ungenutzt gewesen sein und dem Eigentümer / der Eigentümerin darf kein finanzieller Schaden entstehen, laufende Kosten und Reparaturen müssen also von den Nutzer*innen gezahlt werden. Wenn der Eigentümer oder die Eigentümerin eine beabsichtigte Weiternutzung nachweisen kann, kann den Bewohner*innen binnen einer Frist gekündigt werden. Dabei wollen wir uns an bestehende europäische Modelle anlehnen.

WAS MÜSSEN POLITIK UND VERWALTUNG TUN?

Die Konzeption der konkreten, auf die jeweiligen Umstände vor Ort zugeschnittenen Ziele und die folgende Einrichtung einer Stelle bzw. einer/s Beauftragten in Stadtmarketing, in der kommu­ nalen Wirtschaftsförderung oder den Stadtentwicklungsorganen steht am Beginn. Dafür und für die erfolgreiche Arbeit des Leerstandsmanagements ist eine unterstützende Kultur in Politik und Verwaltung sowie die Bereitschaft für nicht unmittelbar gewinnbringende Investitionen unabding­ bar. Bei der Katalogisierung des vorhandenen Leerstands sind Politik und Verwaltung in mehrfacher Hinsicht gefragt: Es müssen vorhandenen Kataster zur Verfügung gestellt und ausgeschöpft werden;die Stadt muss Bereitschaft dazu zeigen, städtische Liegenschaften zur Verfügung zu stellen. Zudem sollen bestehende Kooperationen im Immobilienmanagement ausgebaut werden, sodass Eigentü­ mer der Gebäude und Freiflächen (Privatpersonen, Firmen, Erbengemeinschaften, Banken, Immo­ biliengesellschaften) an einen Tisch gebracht werden können.Teils wird eine ordnungsrechtliche Handhabe für die Zwischennutzung entwickelt werden. Dazu muss unter anderem bedacht werden, wie mit dem Konflikt zwischen den legitimen finanziellen Interessen von Vermietern und dem öffentlichen Interesse an sozial verträglicher Zwischennutzung beispielsweise benachbarter Gebäude umgegangen werden kann. Wichtig ist: Ein „Zweiter Miet­ markt“, bei dem an dem bestehenden privaten und halböffentlichen Mietmarkt vorbei ein von vorn­ eherein bevorteilter Parallelmarkt mit nicht kompetitiver Preisgestaltung entsteht, muss verhindert werden. Eher ist es Verständnis des Leerstandsmanagement, Vermieter und Mietsuchende zusam­ menzubringen und gemeinsam den Leerstand zu bekämpfen.