Brain Drain und Fachkräftemangel: Deutschlands Wettlauf um Talente

Der Fachkräftemangel ist ein Thema von großer Bedeutung, das im politischen Diskurs und in der Gesellschaft immer wieder aufgegriffen wird. Insbesondere in Bereichen wie der Pflege, dem Handwerk, den Kindertagesstätten und vielen anderen Branchen sind die Auswirkungen des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften deutlich spürbar. Deutschland steht vor der Herausforderung, geeignete Fachkräfte zu finden, um den Bedarf an Arbeitskräften langfristig decken zu können.

Der demografische Wandel, der Rückgang der Geburtenrate und der steigende Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften durch die fortschreitende Digitalisierung, sowie die vorherrschenden schlechten Arbeitsbedingungen und den technologischen Fortschritt sind einige der Faktoren, die den Fachkräftemangel in Deutschland verstärken. Die steigende Nachfrage nach Fachkräften steht einer begrenzten Anzahl von verfügbaren Arbeitskräften gegenüber, was zu Engpässen in verschiedenen Branchen führt und somit die wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst.

In dieser Debatte wird von politischer Seite immer wieder die Möglichkeit betont, Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken und die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Das Wirtschaftswachstum wird als ein Ziel betrachtet, das durch die Anwerbung ausländischer Fachkräfte erreicht werden kann. Dabei ist es wichtig, den Blick auf die langfristigen Auswirkungen und mögliche Herausforderungen zu richten, die mit einer verstärkten Einwanderung von Fachkräften einhergehen könnten.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wurde im August 2019 das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ erlassen.

Dieses Gesetz soll dazu dienen, Fachkräften aus dem Ausland den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) kommen einige Veränderungen. Das neue Gesetz ermöglicht erstmals Menschen mit beruflicher Ausbildung oder in Ausbildungssuche über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nach Deutschland zu kommen und erleichtert die Anpassung ausländischer Qualifikationen an deutsche Standards. Dies war vorher nur für Fachkräfte mit Hochschulabschluss möglich. Gleichzeitig können Personen mit beruflicher Ausbildung in einer größeren Auswahl an Berufen tätig sein, nicht nur in den Berufen, in denen Fachkräftemangel herrscht. Über die Erfahrungssäule im Fachkräfteeinwanderungsgesetz können Drittstaatsangehörige einwandern, wenn sie mindestens zwei Jahre Joberfahrung sowie eine mindestens zweijährige Ausbildung mit Abschluss in ihrem Heimatland vorweisen können.

Laut dem Gesetz können Menschen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, mit der sie bis zu 6 Monate lang in Deutschland bleiben können. Währenddessen können sie eine Arbeit finden, sich einleben und bis zu 10 Stunden pro Woche in einem Probearbeitsverhältnis arbeiten. Durch einen sogenannten “Anerkennungsbescheid” kann man die Möglichkeit erhalten, seine “Defizite” in der Qualifikation an die deutschen Vorgaben anzupassen.

Zudem können nicht nur Menschen fürs Studium nach Deutschland kommen, sondern auch Menschen, die nach einer Ausbildung suche. Zudem soll die Aus- und Weiterbildung gestärkt werden, um genügend Fachkräfte in Deutschland zu haben.

Das Gesetz zur Erleichterung der Einwanderung kann zwar positive Auswirkungen auf die Menschen haben, jedoch vernachlässigt es oft die negativen Folgen für die betroffenen Individuen und ihre Herkunftsländer im politischen Diskurs.

Brain Drain

Der Begriff „Brain Drain“ beschreibt den bedauerlichen Verlust hochqualifizierter und gut ausgebildeter Fachkräfte aus einem bestimmten Land. Es geht um talentierte und fähige Menschen, die ihre Heimat verlassen, um in anderen Ländern ihr berufliches Glück zu finden. Diese Entwicklung, besonders unter jungen Menschen, hat spürbare Auswirkungen auf den demographischen Wandel in den betroffenen Ländern und stellt eine bedeutende Herausforderung dar.

Die Konsequenzen des Brain Drain sind vielfältig. Ein Mangel an qualifizierten Fachkräften entsteht, wenn sie das Land verlassen haben. Dadurch kann es zu einem Rückgang der Produktivität und Innovation kommen, da talentierte Köpfe fehlen, um neue Ideen zu entwickeln und die Wirtschaft voranzutreiben. Die Auswanderung hochqualifizierter Fachkräfte kann zudem zu einem Ungleichgewicht in der Gesellschaft führen, da bestimmte Berufsfelder und Branchen unterbesetzt sind. Dies kann die Qualität der Dienstleistungen, einschließlich Gesundheit, Bildung und Forschung, beeinträchtigen.

Auch die wirtschaftliche Entwicklung des Herkunftslandes kann durch den Brain Drain behindert werden. Wichtige Investitionen in Ausbildung und Fachkenntnisse gehen verloren, was das Land in seiner Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen kann und wirtschaftlichen Fortschritt erschwert.

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) der Bundesregierung privilegiert laut Aussage auch zukünftige EU-Mitgliedsstaaten wie die des Westbalkans. Jedoch sind es vor allem Staaten wie Albanien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina, die als die eigentlichen Verlierer dieses Gesetzes betrachtet werden können. Mit einem Durchschnittsalter von 36,7 Jahren auf dem Westbalkan könnten sich diese Länder eigentlich über eine junge Bevölkerung freuen. Doch genau hier setzt nun das Dilemma an: Deutschland rekrutiert Fachkräfte aus diesen Ländern, da es selbst mit einer schnell alternden Bevölkerung zu kämpfen hat und damit den Wohlstand aufrechterhalten möchte.

Dieses Phänomen ist auch in Albanien deutlich spürbar, und politische Vertreter*innen äußern regelmäßig ihre Besorgnis über diese Abwanderung. Der albanische Premierminister Edi Rama äußerte sich beispielsweise besorgt über den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften: “Ich bin auch besorgt, dass angesichts der gemeinsamen Realität des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften, zum Beispiel im Gesundheitswesen, weiterhin grausame Marktentscheidungen herrschen werde” so Edi Rama.

Ein weiteres Beispiel bietet der Kosovo, wo laut dem kosovarischen Amt für Statistik (ASK) vor zehn Jahren etwa 15.000 bis 20.000 Kosovar*innen jährlich das Land verließen. In den letzten fünf Jahren hat diese Zahl weiter zugenommen, und heute wird die Zahl der Auswanderungen auf 30.000 Menschen pro Jahr geschätzt.

Menschen statt Fachkräfte

Als sozialistischer Jugendverband liegt es uns am Herzen, dass Menschen eine Möglichkeit erhalten, unkompliziert nach Deutschland zu kommen. Obwohl das Fachkräfteeinwanderungsgesetz das Ziel verfolgt, den Fachkräftemangel in bestimmten Branchen zu mildern und die Wirtschaft zu stärken, betrachten wir es dennoch als problematisch, Menschen allein als Arbeitskräfte zu betrachten und sie aufgrund ihrer Fähigkeiten und Qualifikationen aus ihren Heimatländern abzuwerben.

Häufig wird politisch argumentiert, dass Deutschland diese Menschen aufgrund ihrer Bedeutung für die Wirtschaft gut gebrauchen könne. Jedoch lehnen wir dieses profitorientierte Denken entschieden ab, da es suggeriert, dass die Wertigkeit eines Menschen allein von seinem Nutzen für die Wirtschaft abhängt.

Wir sind fest davon überzeugt, dass Migration und Einwanderung nicht einzig und allein aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden sollten, sondern dass die individuellen Bedürfnisse und Rechte der Menschen eine ebenso wichtige Rolle spielen. Wir sind gegen eine Selektion von Menschen aufgrund ihrer Nützlichkeit für den Arbeitsmarkt, die dabei andere bedeutsame Aspekte wie soziale Integration, kulturellen Austausch und gesellschaftliche Vielfalt außer Acht lässt.

Statt Menschen als bloße Arbeitskräfte zu sehen, sollten wir ihre individuellen Potenziale, Talente und Fähigkeiten in den Fokus nehmen. Es ist uns ein Anliegen, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Lebensqualität zu verbessern und sich vollständig in unsere Gesellschaft einzubringen.

Menschen aus dem Ausland nur bzw. bevorzugt dann willkommen zu heißen, wenn sie in Deutschland arbeiten und der deutschen Wirtschaft nutzen, während man Geflüchtete kriminalisiert und ertrinken lässt, Abschiebungen sowie menschenrechtswidrigen Grenzschutz zur Minderung selbst definierter „irregulärer“ Migration vorantreibt, halten wir für grundlegend falsch und unmenschlich. Wir stellen uns gegen diese kapitalistische, neokoloniale und somit selektive Einwanderungspolitik.

Wir fordern daher:

  • eine grundlegende Überarbeitung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, die den Menschen und ihren Bedürfnissen gerecht wird
  • einen menschenzentrierter Ansatz, der die soziale Integration, den Schutz der Rechte der Einwandernden und die Förderung von kulturellem Austausch und gegenseitigem Verständnis berücksichtigt, ist von entscheidender Bedeutung
  • eine Neugestaltung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und ihre umfassende Teilhabe ermöglicht
  • eine dauerhafte Bleibeperspektive
  • dass bevor durch Abwerbung von Menschen aus anderen Staaten dort Nachfolgeprobleme durch den Brain Drain entstehen, Menschen, die in Deutschland bis jetzt nicht in Arbeit kommen konnten, besser zu fördern, Geflüchteten schneller einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen und Strukturen so anzupassen, dass FINTA die Möglichkeit haben, am Erwerbsleben teilzunehmen

Faire Arbeitsbedingungen

In einer gerechten Gesellschaft sollten gleiche Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten gewährleistet sein, unabhängig von ihrer Herkunft. Immer noch beobachten wir Fälle, in denen zugewanderte Menschen bei gleicher Arbeit weniger verdienen. Besonders FINTA-Personen befinden sich dabei oftmals in prekärer Lage. FINTAs werden auf dem Arbeitsmarkt strukturell diskriminiert und verdienen weniger als Männer in gleicher Position (Gender Pay Gap bei 18%). Zusätzlich kommt es nicht selten vor, dass Zugewanderte in Minijobs oder illegale Arbeit gelockt werden.

Um gegen diese Ungleichheiten anzukämpfen, setzen wir uns für die konsequente Umsetzung bestehender arbeitsrechtlicher Standards der im Deutschen Gewerkschaftsbund organisierten Mitgliedsgewerkschaften ein und fordern verstärkten Schutz vor Ausbeutung. Jeder Arbeitsvertrag sollte fair gestaltet sein, und alle Beschäftigten verdienen eine angemessene Entlohnung, ungeachtet ihrer Herkunft. Zusätzlich müssen die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gestärkt und geschützt werden, um jegliche Form von Missbrauch und Diskriminierung zu verhindern. Hier gilt es, auf der arbeitsrechtlichen Absicherung durch Gewerkschaften aufzubauen.

Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Arbeitsbedingungen sind weitere wichtige Anliegen. Der Zugang zu Informationen über Rechte, Pflichten und Entlohnung ist entscheidend, um sicherzustellen, dass niemand in die Falle von Ausbeutung und ungerechter Behandlung gerät.

Ebenso ist die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigungsverhältnissen von großer Bedeutung. Die Schaffung legaler Beschäftigungsmöglichkeiten ist dabei entscheidend, um Menschen aus der Schwarzarbeit herauszuholen und ihre Arbeitsrechte zu schützen.

Die prekäre Situation vieler Fachkräfte in ihren Heimatländern darf nicht missbraucht werden. Fachkräfteeinwanderung darf nicht in Lohndumping enden! Es bedarf also Sozialversicherungspflicht sowie Tarifbindung für alle eingewanderten Fachkräfte.

Integration

Integration ist ein zentraler Aspekt bei der Aufnahme und Eingliederung von Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen in die deutsche Gesellschaft. Es ist wichtig, dass wir uns als Gesellschaft für eine offene, inklusive und vielfältige Integrationspolitik einsetzen, die auf den Grundwerten der Gleichheit, Toleranz und Menschenwürde basiert. Leider müssen wir anerkennen, dass Deutschland trotz seiner Bemühungen zur Integration immer noch mit rassistischen Strukturen und Diskriminierung konfrontiert ist. Es ist daher unerlässlich, dass wir diese Probleme aktiv ansprechen und effektive Maßnahmen ergreifen, um eine Gesellschaft zu schaffen, die unabhängig von Herkunft, Religion und anderen Faktoren gleiche Chancen und Rechte für alle bietet.

Um eine erfolgreiche Integration zu gewährleisten, müssen wir verschiedene Ebenen berücksichtigen. Erstens müssen wir die strukturellen Hindernisse beseitigen, die den Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt und sozialer Absicherung für Einwandernde erschweren. Wir sollten sicherstellen, dass alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Fähigkeiten und Talente zu entfalten, unabhängig von ihrer Herkunft.

Zweitens ist die Förderung von interkulturellem Austausch und gegenseitigem Verständnis von großer Bedeutung. Wir sollten kulturelle Vielfalt als Bereicherung ansehen und uns aktiv für einen Dialog zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen einsetzen. Dies kann durch Bildungsprogramme, kulturelle Veranstaltungen und den Austausch von Erfahrungen und Wissen erreicht werden. Ein respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander sollte die Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens sein.

Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, rassistische Strukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erkennen und zu bekämpfen. Dazu gehört auch die Sensibilisierung für rassistisches Verhalten und die Förderung einer offenen Diskussionskultur, die Rassismus und Diskriminierung aktiv entgegentritt. Die Etablierung von unabhängigen Gremien und Beschwerdestellen kann dazu beitragen, rassistischen Vorfällen und Diskriminierungsfällen effektiv entgegenzuwirken.

Schließlich müssen wir uns für eine inklusive Gesellschaft einsetzen, in der alle Menschen gleiche Rechte und Chancen haben. Dies bedeutet auch, dass wir uns gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Diskriminierung stark machen, sei es am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen oder im öffentlichen Leben.

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollte einen stärkeren Fokus auf die Integration der zugewanderten Menschen legen. Ihre Integration in die Gesellschaft ist ein wichtiger Schritt zum besseren Einleben in einem fremden Land.

Wir fordern daher eine Stelle, die sich um die Planung eines Konzepts für die Integration der zugewanderten Menschen kümmert und für diese Umsetzung verantwortlich ist.