Dem Rückschritt entgegen – neue Wege zu einer jungsozialistischen Asyl- und Migrationspolitik in Bund, Ländern und Kommunen wagen

Die angestrebte Reformierung im Kontext des sogenannten „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) stellt nicht nur eine immense Aushöhlung des rechtlichen Flüchtlingsschutzes dar, sondern ist in seiner Auslegung auch ein Befähigungsmotor für das Leid und Sterben an den europäischen Außengrenzen. Die sogenannten Außengrenzen an der Festung Europa und die damit verbundene „Grenzsicherung“ sind bereits seit Beginn rechtlicher Verschärfungen Anhaltspunkt für systematische und institutionalisierte Menschenrechtsverletzungen. Weitere Verschärfungen – wie eben im Rahmen der Reformierungsaspekte ausgelegt -werden dazu führen, dass es eine weitere Zementierung dieses repressiven Status quos gibt.

Die faktische Abschaffung des Asylrechts hat eine lange Tradition! Immer wieder gab es sowohl im Kontext der EU als auch auf der nationalen Ebene Bestrebungen, das Asylrecht so auszuhöhlen, dass Schutzsuchende mit massiven rechtlichen Hürden konfrontiert sind. Beispielhaft ist hier vor allem der forcierte Asylkompromiss aus dem Jahr 1993 zu benennen, im Rahmen dessen das „deutsche Grundrecht auf Asyl“ einer Wirkungslosigkeit unterlag, die sich durch massive Einschränkungen – wie beispielsweise der Drittstaatenregelung – äußerte. Die Reformierung des GEAS stellt nun also einen erneuten „Asylkompromiss“ dar, der auf Kosten des Flüchtlingsschutzes erfolgt und der politisch mitgetragen wird. Dieses politische Mittragen kollidiert in Gänze mit unserer Vorstellung einer humanen und progressiven Asyl- und Migrationspolitik, die Schutzsuchende nicht klassifiziert, kriminalisiert und dehumanisiert.

Wir beobachten außerdem, dass geplante Asylverschärfungen immer mit dem Narrativ der Entlastung einhergehen. Dies wurde argumentativ – aus nationaler Perspektive – vor allem mit Blick auf die prekäre Lage in den Kommunen gemacht. Diese Narrativziehung dient dem Ausweichen einer echten Problemlösungsfindung und zementiert darüber hinaus rassistische und rechte Positionierungen, aus denen resultierend ein Klima der Ausgrenzung, Verachtung und Gewalt gegenüber Schutzsuchen entspringt. Als Jungsozialist*innen müssen wir dieser Narrativziehung konsequent entgegenstehen und einer dezidierten Auseinandersetzung mit vorhandenen Problemkontexten nachgehen, die darin münden soll, das Recht auf Asyl zu stärken und Schutzsuchenden echte Bleibe- und Teilhabeperspektiven zu bieten. Gerade mit Blick auf den Bund, die Länder und die Kommunen bilden folgende Aspekte einen enormen Handlungsbedarf.

Verteilungsmechanismen neu denken – solidarische Verteilung ermöglichen!

Gerade in der Frage nach existierenden Verteilungsmechanismen ist der Königsteiner Schlüssel ein zu erwähnendes Instrument. Durch ihn erfolgt anhand unterschiedlicher Faktoren, wie zum Beispiel der Bevölkerungszahl eines Bundeslandes, die Steuereinnahmen oder die Fläche des Bundeslandes, die Verteilung Schutzsuchender.

Allerdings ergeben sich durch seine Anwendung auch unterschiedliche Probleme, die ein Ungleichgewicht zwischen den Bundesländern – im Kontext der Aufnahmekapazitäten – hervorhebt und eine ausreichende solidarische Verteilung zwischen den Bundesländern verhindert. Ebenso bezieht der Verteilungsmechanismus über den Königsteiner Schlüssel keinen dezidierten Blick auf Unterbringungsaspekte mit ein und verfehlt mit dieser nicht inkludierten Sichtweise die Unterbringungskapazitäten in den jeweiligen Bundesländern und Kommunen. Eine Sicherstellung dieser Perspektive ist essenziell und wird vor allem immer dann deutlich, wenn es darum geht, aus Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten, inhumane Schnelllösungen in Form von „Containerlagern“ oder der langfristigen Unterbringung von Schutzsuchen in Turnhallen auszurichten. Auch individuelle Belange Schutzsuchender finden im Rahmen dieses Verteilungsschlüssels keine Berücksichtigung. Für diese fehlende individuelle Perspektive – die durchaus aus integrativer und teilhabspezifischer Sichtweise relevant wäre – fehlt beispielsweise der Blick auf personenbezogene soziale Bindungen Schutzsuchender oder aber auch Präferenzen der Standortmerkmale im Ankunftsort.

Der Königsteiner Schlüssel sollte aus diesen benannten Gründen eine kritische Auseinandersetzung im Kontext der Verteilung von Schutzsuchenden durchlaufen und neu justiert werden.

Wir fordern daher:

  • Eine kritische Auseinandersetzung mit der Verteilung Schutzsuchender anhand des Königsteiner Schlüssels
  • Eine maßgebliche solidarische und demokratische Verteilung Schutzsuchender in die jeweiligen Bundesländer und Kommunen, die die Bedürfnisse, Kapazitäten und Ressourcen von Ländern und Kommunen in den Blick nimmt
  • Eine verstärkte Auseinandersetzung mit Matching-Verfahren, die die individuellen Bedürfnisse Schutzsuchender im Rahmen der Verteilung mit einbezieht
  • Schulungen und Sensibilisierung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Aufnahmeeinrichtungen und Unterkünften, um den Schutz von besonders schutzbedürftigen Gruppen zu gewährleisten und Diskriminierung zu verhindern.

Finanzen neu aufstellen – für eine auskömmliche Finanzierung!

Gerade in der Frage um gerechte Verteilungsmechanismen hat eine auskömmliche Finanzierung durch den Bund enorme Relevanz. Während 2022 der Bund noch ca. 4,5 Milliarden Euro für die Entlastung von Kommunen und Ländern bereitstellte, sind im laufenden Jahr lediglich ca. 400 Mio. Euro vorgesehen gewesen. Zwar sind im Bundeshaushalt weiterhin Mittel für Sozialtransferleistungen, Integrationsleistungen, Aufnahme, Registrierung und Unterbringung von Menschen im Asylverfahren und für die sogenannte Fluchtursachenbekämpfung vorgesehen, doch stehen die Kommunen und Länder meist ohne ausreichende Mittel in ihren Zuständigkeitsbereichen da.

Unterbringung, Versorgung und Integration von Asylsuchenden sind Aufgaben der Länder. Die mangelnde Unterstützung des Bundes führt zur eingeschränkten Handlungsfähigkeit und treibt Kommunen und Länder an ihre Belastungsgrenze. Obwohl nach intensiven Verhandlungen die Länder erstreiten konnten, dass der Bund eine weitere Milliarde zur Verfügung stellt, reichen die Mittel nicht aus. Für die auskömmliche und flächendeckende Finanzierung des Systems braucht es die konstante Unterstützung des Bundes, welche nicht erst von den Ländern erstritten werden muss. Die Bundesregierung argumentiert auf Basis des Grundgesetzes, welches die Aufgabenteilung in Flucht- und Asylfragen zwischen Bund, Ländern und Kommunen definiert, und ignoriert dabei, dass es um Menschen geht, die derzeit unter prekären Bedingungen in Deutschland leben müssen. Daher fordern wir die Bundesregierung dazu auskömmliche Mittel zur Verfügung zu stellen, um flächendeckend bessere Bedingungen in Unterbringung, Integration und Verfahren in Behörden zu erreichen. Immer wieder wird die finanzielle Situation vor Ort benutzt, um rassistische Politik rechtfertigen zu wollen und Leistungen für Asylsuchende grundsätzlich in Frage zu stellen. Das muss ein Ende haben.

Daher lauten unsere Forderungen:

  • Der Bund muss seiner Verantwortung gerecht werden und Länder und Kommunen stärker bei der Finanzierung ihrer Maßnahmen unterstützen.
  • Nur eine auskömmliche und flächendeckende Finanzierung kann zu gerechten Verteilungsmechanismen und der Gewährleistung qualitativer Mindeststandards in der Unterbringung von Schutzsuchenden führen.
  • Die Kommunen brauchen einen Altschuldenschnitt, um in allen Bereichen der Daseinsvorsorge, so auch der Unterbringung, Versorgung und Integration, handlungsfähig zu sein.
  • Die Unterstützung und Stärkung von ehrenamtlichen Helfer*innen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für die Belange von Geflüchteten und Schutzsuchenden einsetzen. Durch die Bereitstellung von Ressourcen und die Förderung von Vernetzung und Zusammenarbeit kann die Geflüchtetenhilfe gestärkt werden.

Für menschenwürdige Unterbringung und flächendeckende Qualitätsstandards

Die letzte Aktualisierung der Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften erfolgte 2021, in der Unicef und das BMFSFJ mit weiteren Akteur*innen Maßnahmen entwickelten, um Maßgaben in der Unterbringung von Schutzsuchenden zu schaffen. Auch wenn dieser Leitfaden ein relevantes Mittel zur Etablierung verschiedenster Maßnahmen ist, wird deutlich, dass es an Verbindlichkeit und finanziellen Ressourcen mangelt.

Die 2023 veröffentlichte Evaluation dieser Mindeststandards zeigt, dass bisher keine flächendeckenden Maßnahmen gewährleistet wurden. In mindestens einem Fünftel der Unterkünfte sind bis heute keine Maßnahmen durchgeführt worden, um die Qualität und den Schutz vor Gewalt in Unterkünften zu erhöhen. Dieser Umstand ist auch Ergebnis dessen, dass bisher in vielen anderen Modellprojekten Maßnahmen umgesetzt, jedoch keine Verbindlichkeit geschaffen wurde. Zudem besteht die Gefahr, dass Bedingungen sich mangels der Qualitätssicherung in den Unterkünften und mangels eines grundsätzlichen Qualitätsmanagements weiter verschlechtern können. Daher fordern wir, dass es zu verbindlichen Mindeststandards in der Unterbringung von Schutzsuchenden kommt und eine flächendeckende auskömmliche Finanzierung die Basis dieser Maßnahme darstellt.

Weiterhin ist für uns Jusos klar, dass Ankerzentren menschenunwürdige Formen der Unterbringung sind. Daher gehören sie abgeschafft und es muss verhindert werden, dass dieses Modell, egal wo, möglich ist. Die aktuellen Entwicklungen in der Asyl- und Migrationspolitik sind besorgniserregend und wir Jusos stellen uns dem entschieden entgegen.

Wir fordern:

  • Keine menschenunwürdige Ankerzentren: Weder in Deutschland noch irgendwo anders!
  • Verbindliche Mindeststandards in der Unterbringung von Geflüchteten und Schutzsuchenden. Es sollten klare Standards festgelegt werden, die sicherstellen, dass die Unterbringung von Geflüchteten und Schutzsuchenden ihren grundlegenden Bedürfnissen gerecht wird, einschließlich ausreichender Privatsphäre, angemessener Hygienebedingungen, Zugang zu medizinischer Versorgung und psychosozialer Unterstützung sowie rechtlicher Beratung. Hierbei sind die Vorgaben der Istanbul Konvention umzusetzen. Weiter dürfen kurzfristig errichtete Containersiedlungen am Stadtrand nicht mehr als Lösung gelten. Permanente Behausungen und eine Anbindung an die öffentliche Infrastruktur sollten der Mindeststandard sein.
  • Ein effektives und kontinuierliches Qualitätsmanagement muss sowohl auf übergeordneter Ebene als auch in den einzelnen Unterkünften etabliert werden. Dies beinhaltet regelmäßige Inspektionen, transparente Berichterstattung über die Zustände in den Unterkünften, die Einbindung von unabhängigen Expert*innen und eine aktive Beteiligung der Bewohner*innen an der Gestaltung ihrer Lebensumgebung.
  • Auskömmliche Finanzierung zur Sicherstellung dieser Standards durch den Bund und die Länder.

Asylbewerber*innenleistungsgesetz abschaffen – für mehr Teilhabe statt Leben in Ausgrenzung und Armut

Für eine progressive und humane Asylpolitik müssen wir den Druck auf die Bundesebene verstärken, damit das sogenannte Asylberwerber*innenleistungsgesetz  (AsylbLG) abgeschafft wird. Das Asylbewerber*innenleistungsgesetz (AsylbLG) regelt den Leistungsbezug von Personen im Asylverfahren, geduldeten und ausreisepflichtigen Personen sowie weiteren Personengruppen (siehe § 1 Abs. 1 AsylbLG), sofern sie hilfsbedürftig sind. Anspruchsberechtigte nach dem Asylbewerber*innenleistungsgesetz sind von anderen Sozialleistungen wie der Sozialhilfe nach dem SGB XII oder dem Bürger*innengeld nach dem SGB II ausgeschlossen und erhalten im Vergleich nur deutlich geringere Leistungen. In der Praxis bedeutet das eine Kategorisierung und Hierarchisierung von Menschen, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Schutzsuchende müssen am Existenzminimum leben, willkürliche Leistungskürzungen, diskriminierende „Sonderbehandlungen“ und eine menschenverachtende Gesundheitsversorgung sind Teil ihres Alltags. Vor allem der Aspekt der Gesundheitsversorgung ist in allen Anwendungsbereichen deutlich zu kritisieren. Schutzsuchenden wird demnach nur eine medizinische Notversorgung gewährleistet – zu der sie nur über den Erhalt eines behördlichen Krankenscheins gelangen.

Das AsylbLG bedeutet eine massive Einschränkung der Grundrechte von Menschen auf der Flucht, die in der Bundesrepublik Schutz suchen. Mit dem Gesetz wurde das Sachleistungsprinzip, verpflichtende „gemeinnützige Arbeit“ für 80 Cent/h und eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung für Geflüchtete eingeführt. Weiterhin wurde über die Jahre ein umfassender Sanktionskatalog festgelegt, mit dem weitere Kürzungen der nur minimal gewährten Leistungen möglich sind. Das Gesetz dient auch der Durchsetzung von Sammellagern, in denen eine Wohnsitzauflage, ein Ausbildungs- und Arbeitsverbot sowie eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit existieren.

Wir fordern:

  • Auch in Deutschland sind Veränderungen im Umgang mit Geflüchteten erforderlich. Das Asylbewerber*innrnleistungsgesetz in seiner jetzigen Form muss abgeschafft werden und die Leistungen für Asylbewerber*innen und Geduldete verfassungskonform neu geregelt werden.
  • Kettenduldungen müssen in dauerhafte Aufenthaltsrechte überführt werden
  • Das Arbeitsverbot von Geflüchteten von derzeit 9 Monaten ist abzuschaffen und die Integrationsförderung in Arbeit und Gesellschaft zu verbessern, wobei sie besonders vor Ausbeutung aufgrund ihrer Vulnerabilität zu schützen sind. Ein wesentlicher Aspekt ist es, Flüchtlingen und Asylsuchenden den Zugang zu kontinuierlichen Integrationskursen zu eröffnen
  • Den gleichen Zugang zu menschenwürdiger Gesundheitsversorgung wie deutsche Staatsbürger*innen
  • Das Ende prekärer Wohnverhältnisse

Eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik kann nicht von einzelnen Bundesländern gewährleistet werden. Dazu bilden bundes- und europapolitische Regelungen den unverzichtbaren Rahmen. Es muss sichergestellt werden, dass diejenigen, die unseren Schutz benötigen, auf sicheren Wegen auch tatsächlich das Territorium der EU erreichen können. Der Schutz für einige – aber nicht alle – kollidiert allerdings mit unseren jungsozialistischen Vorstellungen und muss aus diesem Grund weiterhin kritisch betrachtet werden. Unser Ziel muss es sein, eine strukturelle und institutionelle Verbesserung der Lebenssituationen aller Schutzsuchenden zu erreichen. Vor 30 Jahren, am 26. Mai 1993, wurde im Rahmen des sogenannten „Asylkompromisses“ nicht nur das Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt. Das sind 30 Jahre zu viel.  Wir sind entsetzt über das Vorhaben der Europäischen Kommission und die Position der Bundesregierung zur Durchführung von verpflichtenden Asylverfahren an der EU-Außengrenzen. Die geplanten Reformen ziehen massive Menschenrechtsverletzungen mit sich. Verpflichtende Asylverfahren an den EU-Außengrenzen höhlen das Recht auf Asyl aus und beschneiden die Rechte von Geflüchteten. Sie forcieren systematische Pushbacks, menschenunwürdige Lager und nehmen massive humanitäre Krisen – wie im Mittelmeer – an den Grenzen Europas billigend in Kauf. Dieses Aushöhlen der Genfer Flüchtlingskonvention zu akzeptieren kann nicht im Sinne einer sozialdemokratischen Politik gesehen werden. Die Debatten um Altersgrenzen und die Dauer von Asylverfahren an den EU-Außengrenzen sollen von den unmenschlichen Konsequenzen der Reformpläne ablenken. Es darf keine Asylverfahren und weitere Lager an den Grenzen geben. Deutschland muss zusammen mit der Europäischen Union an flächendeckenden verbindlichen Standrads arbeiten, sowie die Verteilungsmechanismen neudenken. Nicht nur innerhalb Deutschlands. Eine Neuregelung der Finanzierung muss erarbeitet werden. Der Bund muss mehr Geld zur Verfügung stellen.

Im Endeffekt wird mit den Beschlüssen nur die menschenunwürdige Behandlung von Geflüchteten rechtlich in Stein gemeißelt. Das gesamte Vorhaben stellt in der Folge ein einziges Unrecht dar. Die Reformen bedeuten eine weitere Verschärfung des Asylrechts. Das Grundrecht auf Asyl wird für Schutzsuchende erschwert oder ihnen gar gänzlich entzogen. Sozialdemokratische Migrations- und Asylpolitik muss auf Solidarität fußen und nicht auf Abschottung und Menschenrechtsverletzungen! Das Menschensterben im Mittelmeer und an den EU-Außengrenzen muss jetzt gestoppt werden!