Dem Tarifvertrag entgegen!

Als Teil der sozialistischen Arbeiter*innen Bewegung verstehen wir uns als Akteur in einem langen Kampf für die Rechte von Arbeiter*innen gegenüber den Interessen des Kapitals.

Dabei ist der Tarifvertrag eines der stärksten Mittel, die in diesem Kampf entstanden sind. Tarifverträge regeln die Arbeitsrealität in Deutschland: Sie regeln unter anderem Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen und Entgelte. Branchen, die ihren Beschäftigten über Jahrzehnte hinweg gute Tarifverträge bieten konnten, haben strukturell weniger Probleme mit der Fachkräftegewinnung- und Sicherung, sie sind erfolgreicher und produktiver. Tarifverträge sorgen für Sicherheit auf Seiten der Arbeiter*innen, durch sie kamen unsere heutige 40h Woche, Arbeitssicherheitskonzepte und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erstmals in unsere Arbeitswelt. Tarifverträge setzen seit jeher die Maßstäbe, die später vom Gesetzgeber übernommen werden. Als Mittel des geordneten Arbeitskampfes haben sich Tarifverträge etabliert und stellen mit rund 80.000 einzelnen Verträgen eines der umfassendsten und wichtigsten Reglements des Arbeitsmarktes dar. Im kapitalistischen System sind sie das solidarische Gegengewicht zum Kapital.

Die Tarifbindung in Deutschland, und auch in NRW, ist seit vielen Jahren massiv rückläufig. Noch 1996 wurden in NRW 82% der Beschäftigten nach Tarif bezahlt- heute liegt dieser Wert bei circa 57%[1]. Die Erosion der Tarifbindung ist dabei nicht zufällig: Seit Jahrzehnten arbeiten Teile der Arbeitgeber*innen und die Verbände in denen sie sich organisieren systematisch daran, die Tarifbindung zu senken. Diese Bemühungen, flankiert mit geringen Beitritts Quoten in tarifgebundene Arbeitgeberverbände von neu gegründeten Unternehmen, sorgen dafür, dass die Tarifbindung in Deutschland nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.

Das darf nicht so bleiben: Weder aus jungsozialistischer noch aus juristischer Perspektive: Im Grundgesetz ist die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie als wichtiges Ziel benannt. Diese Tarifautonomie kann aber überhaupt nur mit starker Tarifbindung erreicht werden[2].

Gleichzeitig sind die Gewerkschaften in Branchen mit geringer Tarifbindung in einer Zwickmühle: Den Arbeiter*innen entfällt einer der wichtigsten Beitrittsgründe (der Tarifvertrag und die Möglichkeit ihn zu gestalten) und somit bleibt die Gewerkschaft strukturell geschwächt. Nur organisierte Belegschaften haben die Kraft sich im ständigen Konflikt um Fragen der Bezahlung und Arbeitsbedingungen gegen die Arbeitnehmer*innen zu behaupten. Umgekehrt können die Gewerkschaften in diesen Branchen nur dann an Stärke gewinnen und die Arbeitgeber*innen mit Streik unter Druck setzen, wenn ein ausreichend großer Teil der Arbeiter*innenschaft auch Gewerkschaftsmitglied geworden ist.

Vor diesem Hintergrund ist für uns Jungsozialist*innen klar, dass es politischer Maßnahmen bedarf, um die Tarifbindung und damit auch die Gewerkschaften, mit denen wir Seit’ an Seit’ für die Interessen der Arbeiter*innen streiten, zu stärken.

Hierfür bedarf es mehrerer Anpassungen:

  • Arbeitgeber*innen Verbände sind Institutionen, die insbesondere für die tariflichen Auseinandersetzungen geschaffen wurden. Daher fordern wir die Abschaffung der Möglichkeit, Mitglied eines Arbeitgeber*innenverbandes zu werden ohne in die Tarifbindung einzutreten (OT Mitgliedschaften).
  • Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften und Verbänden muss attraktiver werden. Hierfür sollten exklusive, ggf. auch steuerliche Vorteile geschaffen werden, die eine Gewerkschaftsmitgliedschaft attraktiver machen.
  • Wir fordern die Einführung von Verbandsklagen im Arbeitsrecht, denn die rechtliche Verteidigung von Tarifverträgen darf kein individueller Kampf sein, wenn es um kollektive Interessen der Arbeiter*innen, oder Probleme geht, die eine große Zahl der Arbeiter*innen betreffen.
  • Wir fordern Handwerksinnungen und andere vergleichbare Verbände zu echten Tarifverbänden zu machen. Insbesondere im Handwerk ist der kleinteilige Arbeitskampf eine große Erschwernis für die Gewerkschaften, obwohl gerade dort eine starke Organisation der Arbeiter*innen dringend geboten wäre.
  • Das Zugangsrecht zum Betrieb muss an die heutigen Bedingungen des Arbeitsmarktes angepasst werden. Längst ist es alltägliche Realität, dass Arbeiter*innen nicht mehr nur im Betrieb, sondern auch im Home Office oder anderen digitalen Arbeitsmodellen anzutreffen sind. Dadurch braucht es ein klar definiertes digitales Zugangsrecht für die Gewerkschaften.
  • Der Zugang von Gewerkschaften in Bildungskontexten soll erleichtert werden. Gerade dann, wenn Gewerkschaften durch die sinkende Tarifbindung eine immer kleinere Rolle im Familienleben und damit im Leben junger Menschen einnehmen, müssen Schüler*innen mit den Gewerkschaften in Kontakt kommen.
  • Die umfangreichen Juso Forderungen zu Tariftreuegesetzen in Land und Bund bleiben weiterhin notwendig. Da eine hohe Tarifbindung in unser aller Interesse liegt, muss der Staat mehr für die Stärkung der Tarifbindung tun. Tariftreuegesetze bilden einen sinnvollen Ansatz zu dieser Aufgabe und gehören in jedes sozialdemokratische Regierungsprogramm!

[1] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-nrw-muss-tarifflucht-stoppen-42251.htm

[2] „Das Verhältnis von Staat und Tarifautonomie- Ansätze zur Stabilisierung des Tarifvertragssystems“ (Martin Behrens, Thorsten Schulten) in „WSI Mitteilungen Der Staat und die Tarifautonomie“ (2023)