Die soziale Frage im Netz stellen – digitale Ungleichheit überwinden

Seit Beginn der 1990er Jahre sind das Internet, die Digitalisierung und die so genannten ‚neuen‘ Medien zum Motor einer neuen Aufklärung verklärt worden. Mit der Möglichkeit ohne großen Ressourcen-Aufwand zu MeinungsmacherInnen zu werden und über barrierefreie Kommunikationsmöglichkeiten sollte die Gesellschaft weiter demokratisiert und eine „fünfte“ Gewalt etabliert werden. Viele in die digitale Revolution gesteckte Erwartungen sind seitdem enttäuscht und das Ziel einer gerechteren Gesellschaft ist auch durch das Internet nicht erreicht worden. Demokratie kann erst durch digitale Prozesse und moderne Kommunikationsmittel erweitert werden, wenn auch ein hinreichender Teil der Gesellschaft einen Netzzugang und die notwendigen Kompetenzen zur Nutzung der Möglichkeiten hat. Bei der Gestaltung der digitalen Gesellschaft dürfen wir ihre sozialen Aspekte nicht aus den Augen verlieren. Im Internet spiegeln sich viele soziale Differenzen, die insgesamt in der Gesellschaft herrschen. Betrachtet man einschlägige Statistiken fällt auf, dass der typische Internetnutzer
männlich, weiß, hochgebildet und unter 35 Jahren ist und somit sämtliche Stereotype und Ungleichheiten in der Online-Welt genauso wirken, wie offline. Mit der Breitbandkluft kommt noch eine weitere Ungleichheit hinzu, die große Metropolen und Ballungsgebiete von kleineren und ländlicheren Gebieten trennt. In der digitalen Gesellschaft herrschen Ungleichheiten, die nachhaltige negative Konsequenzen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens haben werden, wenn wir ihnen nicht politisch begegnen und auch im Internet die soziale Frage stellen. Bildungs- und einkommensschwache Schichten und der ländliche Raum werden in der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt und erfahren gegenüber den Metropolregionen und sozioökonomisch gut ausgestatten Schichten massive Nachteile in der gesellschaftlichen Teilhabe.

Die digitale Kluft hat Konsequenzen

Wenn in der modernen Demokratie immer öfter Projekte angestoßen werden, um über das Internet Bürgerbeteiligung zu sichern (Bürgerhaushalte, Diskussionsforen oder Abstimmungen), dann ist nicht länger sicher gestellt, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Chancen haben an diesen Projekten zu partizipieren. Internetnutzung ist fast ein Luxusgut, denn sie kostet ökonomische Ressourcen, die nicht für die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts aufgebracht werden kann. Bürgerinnen und Bürger ohne entsprechende Ressourcen können an diesen Formen der politischen Beteiligung nicht teilhaben und werden immer weiter aus dem Fokus von Politik gerückt. Für die Suche nach Stellenangeboten wie für mögliche Bewerbungen sind Internetzugänge und
entsprechend Fähigkeiten in der Nutzung von digitaler Technik von immer größerer Bedeutung. Viele Stellen werden bereits heute nur noch online veröffentlicht und/oder Bewerbungen werden nur noch in digitaler Form akzeptiert. Der nächste Schritt ist erreicht, wenn weitere Stufen des Bewerbungsprozesses online durchgeführt werden, um die Ressourcen der Unternehmen zu schonen und gleichzeitig die technischen Kompetenzen der BewerberInnen zu testen. Ohne entsprechende technische Ausstattung und Sicherheit in der Nutzung dieser Technik werden damit bestimmte Gruppen systematisch von diesen Angeboten ausgeschlossen. Im Zuge der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung von Informationen droht diese Kluft sich immer weiter zu vergrößern. In Schulen und Hochschulen wird von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Mindestmaß an technischer Kompetenz und Infrastruktur voraus gesetzt. Hausaufgaben beinhalten die eigenständige Recherche im Internet, medial unterstützte Präsentationen gehören bei Referaten zu den Selbstverständlichkeiten und Seminarinhalte werde nur noch digital zur Verfügung gestellt. Wir begrüßen den Einsatz von digitalen Medien in der Bildung, aber ohne entsprechende Kompetenzen und/oder Infrastruktur werden SchülerInnen bereits früh von ihren besser ausgestatten KlassenkameradInnen abgehängt und Studierende mit Referaten ohne mediale Unterstützung erhalten möglicherweise Punktabzüge. Schulen und Hochschulen fordern dabei Dinge ein, die sie selbst aufgrund schlechter Infrastruktur nur in begrenztem Rahmen leisten und bieten. Bildungserfolg wird damit auch auf technischer Seite von der individuellen ökonomischen Ausstattung von Schülern und Studierenden abhängig. Auch innerparteilich wird die digitale Kluft zum Problem in Zeiten, in denen zunehmend Informationen und Ankündigungen über Mailinglisten und Webseites angeboten werden und traditionelle Angebote wie Briefe und Telefonanrufe als zusätzlicher Aufwand wahrgenommen werden. Für ehrenamtliche Arbeit in Politik und Gesellschaft können die Chancen, die in dieser verbesserten
technischen Infrastruktur stecken aber nur von denen genutzt werden, die über diese Ressourcen verfügen. Menschen ohne PC und Internetzugang müssen ihr Engagement weiterhin mit Stift und Papier organisieren und geraten so ins Hintertreffen gegenüber WettbewerberInnen, die digitale Angebote schaffen.
Informationen sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts – und um diesen Rohstoff ist ein Wettbewerb entbrannt, der die zentralen gesellschaftlichen Debatten prägt. Wenn wir weiterhin am Ziel einer solidarischen digitalen Gesellschaft arbeiten wollen, müssen wir jetzt Maßnahmen ergreifen, die digitale Kluft zu schließen. Wir Jusos fordern daher eine umfassende politische Strategie, die allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeiten und Chancen der Teilhabe an der modernen Gesellschaft bietet.

Die digitale Spaltung verhindern

Die Netzinfrastruktur in Deutschland muss flächendeckend so ausgebaut sein, dass allen Haushalten die Möglichkeit gegeben wird, einen leistungsfähigen Anschluss zu nutzen, der die Wiedergabe und Nutzung zeitgemäßer Netzinhalte ermöglicht und einen gleichen Zugang ermöglicht. Die in den vergangenen Jahren im Rahmen von LTE-Versteigerungen gesetzten Bedingungen für Provider sind zu überprüfen, so dass auch jenseits von Ballungsgebieten eine entsprechende Abdeckung und Versorgung erreicht wird. Der grundgesetzlich festgeschriebene Auftrag der Schaffung gleicher Lebensverhältnisse muss auch für Breitbandzugänge, Mobilfunkabdeckung und dazugehörige Infrastruktur gelten und darf nicht nur ökonomischen Kriterien und den Interessen der Provider
folgen. Breitbandversorgung muss in die Universaldienst-Regulierung aufgenommen und gesetzlich verankert werden. Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes liefert im Bereich Breitband geringe Gebühren in Ballungsgebieten auf Kosten der Infrastruktur im ländlichen Raum und lässt
die Kluft weiter wachsen – hier ist ein politisches Eingreifen dringend notwendig. Haushalte mit Kindern, die von staatlichen Unterstützungsleistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts abhängig sind, muss die Möglichkeit gegeben werden, eine technisch angemessene Infrastruktur zur Nutzung des Internet anzuschaffen, auf einem aktuellen Stand zu halten und im Bedarfsfall zu ersetzen. Die entsprechenden Pauschalen für die Nutzung von Telekommunikationsund
Informationsdiensten bedürfen einer Erhöhung, um zeitgemäße Anschlusskosten zu decken. Die Kosten für Ausstattung und ggf. notwendige technische Schulung müssen unabhängig von der Höhe der variablen Bezüge sichergestellt sein und als erstattungsfähige Kosten der Wohnungsausstattung gewährt werden, so dass keine zusätzliche Belastung für die Betroffenen entsteht. Nur so kann die gesellschaftliche Exklusion von EmpfängerInnen von staatlichen Unterstützungsleistungen gestoppt werden, die massiv vom Zugang zu Informationen abhängt. In öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen (z.B. Bibliotheken, Rathäuser und Volkshochschulen) müssen frei zugängliche Internetterminals zur Verfügung stehen, um interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit der barrierefreien Informationsbeschaffung zu geben. Wenn Bund, Länder und Kommunen Prozesse organisieren, die auf Online-Partizipation fußen, muss
parallel eine Möglichkeit eingerichtet werden, diese Angebote auch für Menschen zugänglich zu machen, die zu Hause über keine entsprechende technische Ausstattung oder die notwendigen Kompetenzen verfügen, um eine echte BürgerInnenbeteiligug zu ermöglichen. Über Schulungsangebote an Volkshochschulen muss ein Angebot bereit gestellt werden, dass eine eigenständige und kompetente Nutzung des Internet für alle Generationen und Schichten erlernbar macht. Um die Attraktivität kommunaler Angebote bei Kinder- und Jugendarbeit zu erhöhen, muss auch hier eine entsprechende technische Ausstattung bereit gestellt werden. In Schulen müssen Computer-Räume auf den aktuellen technischen Stand gebracht und gehalten werden, um dort mehr tun zu können als Tabellenkalkulation und Schreibmaschinen-Kurse. SchülerInnen muss die Nutzung dieser Räumlichkeiten auch außerhalb des regulären Schulunterrichts
(z.B. in AGs und in Freistunden) möglich sein, um ihnen auch Möglichkeiten zu bieten, das Internet und die digitale Welt eigenständig zu entdecken. In allen Schultypen und Altersstufen müssen der Umgang und die Nutzung von digitalen Medien zum Standard werden und dürfen nicht von den Möglichkeiten des Elternhauses abhängig sein. Maßnahmen in Infrastruktur und Netzzugang können ihre Wirkung nur entfalten, wenn gleichzeitig die Inhalte und Services diskriminierungsfrei angeboten und abgerufen werden können. Netzneutralität ohne Diensteklassen muss daher in Deutschland dringend gesetzlich verankert
werden. Die Aufgabe der Netzneutralität würde ein Zwei-Klassen-Internet zur Folge haben, in dem der Zugang zu Informationen und Wissen von ökonomischen Faktoren bestimmt und die gesellschaftliche Spaltung noch vertiefen würde. Neben der Umsetzung in der Bundesrepublik müssen hier auch endlich europäische Initiativen folgen, um ein nationalstaatliches Kleinklein zu verhindern. Die digitale Gesellschaft ist weiterhin eine stark monopolistisch geprägte Gesellschaft, insbesondere was die Standardisierung von Software betrifft. Eine politische Stärkung und ein deutliches Bekenntnis zu Open-Source-Software in der Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen und in öffentlichen Einrichtungen würde diesen Monopolen Einhalt gebieten und gleichzeitig Sicherheit
und Nutzerfreundlichkeit erhöhen. Durch die standardmäßige Nutzung von Open-Source- Software in öffentlichen Einrichtungen würde zudem eine weitere technische Barriere abgesenkt. Nur frei verfügbare Software kann gleiche Voraussetzungen im Privaten wie in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen schaffen, die das Wissen um die Bedingungen von Software weniger abhängig von ökonomischen Voraussetzungen und Ressourcen machen würde. Das Ziel einer solidarischen digitalen Gesellschaft scheitert aktuell noch an einer massiven Ungleichverteilung von Ressourcen und einer digitalen Spaltung der Gesellschaft. Diese Ungleichheit zu überwinden und auch im Internet soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen muss das Ziel jungsozialistischer und sozialdemokratischer Netzpolitik werden.