Entwicklungspolitik

Ausgangssituation und Analyse

Mit dem neuen Kabinett der schwarz-gelben Bundesregierung durfte Deutschland erleben, wie die Politik des „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ zunehmend ökonomisiert und verstärkt an nationalen deutschen Interessen ausgerichtet wurde. Der Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“, der zum modernen Selbstverständnis der Entwicklungszusammenarbeit gehört, wird hiermit um Aspekte ergänzt, die das Potential haben, den eigentlichen Auftrag des Ministeriums ins Gegenteil zu verkehren. Anstatt die Partnerländer zu unterstützen bei ihrem Streben nach gesellschaftlichem Wohlstand und dem Entkommen aus der Armutsfalle zu unterstützen, wird nun verstärkt das Interesse der deutschen Wirtschaft als wichtiges Entscheidungskriterium für finanzielle und materielle Hilfe herangezogen. Unter dem Motto „Was gut für uns ist, kann nicht schlecht für andere sein“ ist das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit in Teilen so zu einem Außenwirtschaftsministerium verkommen. Ebenso dramatisch erscheint zudem der vollständige Austausch der Führungsebene des Ministeriums bis zu den Referatsleitern und deren Ersetzung durch parteipolitische Freunde. Dass dadurch ein starker Abfluss von Expertenwissen einherging, wurde ebenso billigend in Kauf genommen wie die darauf folgende Neubesetzung mit größtenteils fachfremdem Personal. Der deutschen Entwicklungspolitik gehen durch diese exzessiven parteipolitischen Ränkespiele wichtige Kompetenzen, Kontakte und Erfahrungen verloren. Ein solches Vorgehen erschüttert das Vertrauen der Partnerstaaten in Deutschland, weil gerade in der Entwicklungszusammenarbeit ein verlässliches,
gegenseitiges Vertrauensverhältnis wichtig ist. Die Gefahr besteht, das ein gemeinsames Vorgehen gegen die weltweite Armut, Hunger, Seuchen,  Bildungslosigkeit und Kindersterblichkeit erheblich erschwert wird. Dem nicht genügend setzt der Minister zudem auf visuelle Symbolpolitik mit militärischer Attitüde. Die Wirkung eines Ministers der zivilen deutschen Regierung mit militärischer Kleidung muss in Staaten von Afrika für Irritationen sorgen und ist einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe nicht zuträglich. Zudem ist eine enge Verzahnung von militärischer Intervention und Wiederaufbauarbeit für die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit nicht zielführend und für zahlreiche zivile Angestellte gar lebensgefährlich, da sie so als Emissäre eine deutschen Interventionsarmee wahrgenommen werden können. Wir NRW Jusos verurteilen die schleichende Militarisierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die im Jahre 2000 beschlossenen Millenniumsziele der Vereinten Nationen zwischen den Staatschefs von 150 Ländern koordinieren ein gemeinsames Vorgehen zur Erreichung von acht gemeinsamen Zielen wie der Bekämpfung der extremen Armut/Hungers, der Diskriminierung von Frauen, der Verbreitung von Schulbildung, ökologischer Nachhaltigkeit und der Bekämpfung von Krankheiten wie HIV oder Malaria. Für einen führenden Industriestaat wie Deutschland bedeutet die Umsetzung der Ziele Verantwortung für die sozialen Ungleichheiten in der Welt zu übernehmen. Der finanzielle Beitrag zu den beschlossenen Zielen umfasst 0,7% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungspolitik aufzubringen. Deutschland erreicht dieses Ziel, auch nach Anwendung diverse Buchungstricks, weiterhin nicht. Stattdessen ist, je nach wirtschaftlicher Entwicklung, gar ein Rückgang der Quote festzustellen. Durch eine fortgehende Weigerung, das 0,7% Ziel zu erreichen, verleugnet die Bundesregierung ihre moralische Verpflichtung, sich gegenüber den Entwicklungsstaaten
solidarisch zu zeigen. Warmen Worten müssen auch entsprechende Taten folgen.

Forderungen der NRW Jusos

Daher fordern die NRW Jusos das gemeinschaftliche Ziel der 0,7% zu erreichen und die notwendigen Gelder im Haushalt für Entwicklungspolitik bereit zu stellen. Deutschland muss hier seiner weltweiten Verantwortung gerecht werden und neben seiner wirtschaftlichen Führungsposition Vorreiter in einer nachhaltigen Entwicklungspolitik werden. Zudem werden dadurch andere Staaten folgen, die sich momentan mit dem Verweis auf das fehlende deutsche Engagement zurückhalten. Durch das finanzielle Aufpumpen der Entwicklungspolitik ist jedoch noch keines der qualitativen Ziele der UN erreicht und keine nachhaltige Entwicklung sichergestellt. Die Jusos fordern daher, die Entwicklungspolitik in Deutschland neu aufzustellen. Unterstützung darf nicht mehr von
den wirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen abhängig gemacht werden, sondern muss eigenständigen Zielen entsprechen. Eine progressive Entwicklungspolitik setzt bei den betroffenen Menschen an und bietet ihnen lokale und nach ihren Bedürfnissen ausgerichtete Unterstützung an, um sich aus der Armutsfalle eigenständig zu befreien. Die Förderung demokratischer Strukturen in Entwicklungsländern ist für uns ein Aspekt, der nicht von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern zu trennen ist. Dazu gehören die Achtung der Menschenrechte genauso wie eine offene und transparente Regie-rungspolitik frei von Korruption. Oft entsteht dabei ein Dilemma, zwischen dem Drang den Ärmsten zu helfen, dabei aber wissentlich autoritäre Staatsund Gesellschaftsformen zu stützen. An dieser Stelle muss daher zunächst zwischen Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe unterschieden werden. Humanitäre Hilfe ist aus der Pflicht zur Linderung der schlimms-ten Not in Krisensituationen allen zu gewähren unabhängig der jeweiligen
Menschenrechtslage im jeweiligen Land. Entwicklungshilfe hingegen kann durchaus an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Wichtig ist dabei, dass die kulturellen Unterschiede in der Welt gewahrt bleiben. Entwicklungshilfe darf nicht an die Bedingung geknüpft sein, Demokratien nach westlichem Vorbild zu errichten und als aufoktroyierte Politik empfunden werden. Vielmehr soll sie an den vorhandenen Gegebenheiten der Partnerländer ansetzen, um eine erfolgreiche demokratische und wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Es gilt im Einzelfall abzuwägen, ob die Zahlung von Entwicklungshilfe gerechtfertigt ist oder nicht. Dabei ist zentral, dass durch unsere Entwicklungspolitik menschenrechtsfeindliche und undemokratische Regime nicht in der Durchführung ihrer Politik gefördert werden. Aus Sicht der NRW Jusos müssen Verhandlungen mit entwicklungspolitischer Partnerländern auf Augenhöhe stattfinden. Eine einseitige Diktatur der Bedingungen durch die WTO oder der Europäischen Union, wie es in zahlreichen Freihandelsabkommen zu beobachten ist, verhindert eine nachhaltige Entwicklung der Staaten und bietet keine Grundlage für gegenseitige vertrauensvolle Zusammenarbeit. Um Erfolge in der Entwicklungspolitik zu erreichen, dürfen die betroffenen Staaten nicht als reine Absatzmärkte für europäische oder deutsche Produkte betrachtet werden.
Stattdessen müssen die jeweiligen Bedürfnisse der armen Partnerländer ernst genommen werden und in den Fokus gerückt werden. Außenbeziehungen – sei es im wirtschaftlichen wie im friedens- und entwicklungspolitischen Bereich – dürfen nur unter dem Primat des gesellschaftlichen Wohlstands geführt werden. Zudem muss eine Entwicklungspolitik eine kohärente Umsetzung in allen Politikbereichen erfahren, um nicht Gefahr zu laufen, erreichte Erfolge durch die Umsetzung politischer Zielsetzungen in anderen Bereichen unterlaufen zu werden. So müssen beispielsweise Agrar- und Handelspolitik stets in Zusammenhang mit den Zielen und Leitlinien einer aktiven Entwicklungspolitik gesetzt werden.

Entwicklung durch Handel möglich machen! Die EU steht in der Verantwortung! Analyse der aktuellen Situation

Ein gerechter und fairer Handel kann viele verschiedene Menschen und Staaten weltweit miteinander verbinden und hat das Potential Armut zu verringern und den Wohlstand zu steigern. Doch im weltweiten Freihandelssystem begegnen sich keine gleichen Partner. Die Theorie, dass der Freihandel zu einer nachhaltigen Entwicklung führt, hat sich in der Realität nicht bewahrheitet! Gerade die Entwicklungsländer leiden unter dem derzeitigen System und kommen nicht aus ihrer Armutsfalle heraus. Die Orientierung rein an wirtschaftlichen Interessen führt dazu, dass es auf den Schultern der Armen, der Kleinbauern, der Schwachen und Schwächsten in den Entwicklungsländern ausgetragen wird. Die Kluft zwischen Arm und Reich steigt zwischen den Ländern stetig. Einer der wichtigsten Akteure der Handelspolitik, die Welthandelsorganisation, steht mit ihrer Politik den Interessen der Menschen in Entwicklungsländern diametral entgegen. Sie sichert sich mit ihrer Freihandelspolitik Eigentumsrechte und Interessen international agierender Konzerne. Die WTO-Verhandlungsrunden, die zurzeit durch Stillstand gekennzeichnet sind, sind durch ein Ungleichheitsgewicht zwischen Industrie- und Entwicklungsländer charakterisiert, obwohl in Doha 2001 noch in der Präambel festgeschrieben wurde, dass die Interessen und Bedürfnisse der Entwicklungsländer im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen sollen. Doch seit dem Jahr 2005 scheitern Verhandlungen innerhalb der WTO, da Entwicklungsländer nicht mehr bereit sind, die aufdiktierten Bedingungen – insbesondere im Agrarbereich – der Industrieländern hinzunehmen. Ähnliches gilt für Schwellenländer. Auch sie sind nicht mehr bereit die Dominanz der Industrieländer
hinzunehmen.

Die Handelspolitik der EU – Im Dienste der europäischen Unternehmen

Die EU geht einen Sonderweg, in dem sie außerhalb der WTO versucht mit einzelnen Staaten bilaterale Verträge zu schließen und dadurch ihren weltweiten Einfluss zu verfestigen und weiter auszubauen (wie z.B. im Fall Kolumbien). Die EU ist ein Schwergewicht in der Handelspolitik. Sie ist der größte Handelsblock weltweit, obwohl in ihr nur ca. ein Zwölftel der Weltbevölkerung lebt. Nachdem Scheitern der WTO Verhandlungsrunden hat die EU ihre Strategie verändert und
versuchte mit einer aggressiven Außenhandelspolitik Freihandelsabkommen mit verschiedenen Regionen zu verhandeln. Mit der neuen Außenhandelsstrategie „Globale Europe“ setzt die EU weiterhin auf die Durchsetzung und die Verteidigung ihrer eigenen Wirtschaftsinteressen. Das Streben nach Profit dominiert
die Handelsbeziehungen. Das Interesse der EU an „Entwicklungspartnerschaften“ entpuppt sich zunehmend als marktradikale Strategie um die eigenen Unternehmen in der Weltwirtschaft zu stärken. Wirtschaftsinteressen dominieren vor Entwicklungsinteressen. Jeder ordnungspolitische Eingriff wird als politischer Ballast gesehen, den es abzuschütteln gilt. Andere Länder, wie Kanada und Norwegen haben sich bislang auf Grund der katastrophalen Menschenrechtslage geweigert, wie im Falle Kolumbiens, bilaterale Freihandelsabkommen zu ratifizieren. Sie werden jedoch zunehmend unter Wettbewerbsdruck gesetzt, da die EU als aggressiver Handelspartner vorangeht. Dabei vertritt die EU keine gemeinwohlorientierten Interessen, sondern meist die der europäischen Industrie. Auch wenn die EU in ihren Handlungsabkommen ein Nachhaltigkeitskapitel eingeführt hat, welches soziale und ökologische Standards einschließt, gibt es keine Sanktionsmechanismen, um diese Standards verbindlich umzusetzen. Folglich ist dieses Kapitel eine Farce und hat keine
Konsequenzen für die Handelspartner. Neben der Global Europa Strategie verhandelt die EU mit den sogenannten AKP1-Staaten besondere Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAS) aus. Unter dem Deckmantel einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit tritt die EU ebenfalls als aggressiver Handelsakteur auf, der ähnlich wie in der Global Europe Strategie die eigenen Interessen durchdrückt. Diese Politik ist insbesondere aus entwicklungspolitischer Perspektive verheerend, da sie zu Lasten der Entwicklungsländer abgeschlossen werden!

Intransparenz ist nicht akzeptabel !

Die Handelspolitik der EU ist eines der undurchsichtigsten Politikfelder der europäischen Kommission. Über den sogenannten 133er Ausschuss der europäischen Kommission, der die Formalitäten von Handelsabkommen regelt, gibt es keine öffentlich zugänglichen Dokumente. Nichtregierungsorganisationen
beklagen schon lange, dass die Kommission sehr enge Kontakte zu den großen Unternehmensverbänden pflegt und diese sogar in die Formulierung der Außenhandelsstrategie mit einbezogen hat. Einbeziehungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen gab es hingegen nicht. 1 AKP steht für Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. Sie bilden 79 Staaten, mit denen die EU auf Grund von ehemaligen kolonialen Zusammenhängen enge Beziehungen pflegt.

Forderungen der NRW Jusos: die Handelspolitik der EU – im Dienste der Menschen!

Wir NRW Jusos sind davon überzeugt, dass nur ein gerechter Welthandel und faire Chancen auf dem Weltmarkt wesentliche Bedingungen für die Bekämpfung von Armut sind. Nur so kann eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden. Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer müssen sich auf Augenhöhe begegnen, nur so kann Wohlstand für alle möglich sein. Wir NRW Jusos lehnen die Global Europe Strategie ab, die eine einseitige Orientierung an den
Unternehmensinteresse der EU aufweist und jegliches Interesse an Menschenrechten oder Umweltschutz missen lässt. Wir NRW Jusos fordern die EU und ihre Mitgliedsländer dazu auf, anstelle eines free-trade einen fair-trade zu organisieren. Dabei geht es darum, dass Handelsabkommen an bestimmte Standards gebunden werden müssen, die als Voraussetzung für jede Handelsbeziehungen gelten. Handelsabkommen müssen eine Entwicklungsperspektive für alle Menschen bieten. Dazu gehört auch, dass wir den Entwicklungsländern die Möglichkeit einräumen wollen, dass sie ihren Handel so gestalten, dass es ihre Entwicklungschancen und die gesellschaftliche Wohlfahrt steigert. Steuern auf ihre Exporte kann dabei eine Lösung sein. Entwicklungs- und Schwellenländer können dadurch z.B. mit dem Handel von besonderen Rohstoffen, die sich oft in Entwicklungs- und Schwellenländern befinden zusätzliche Einnahmen generieren und somit ihre leeren Staatskasse auffüllen. Wir NRWJusos fordern, dass das Nachhaltigkeitskapitel nicht als notwendiges Übel betrachtet wird, um das europäische Gewissen zu beruhigen, sondern als Instrument genutzt wird, um soziale und ökologische Standards an Handelsbeziehungen zu knüpfen. Zudem müssen Sanktionsmöglichkeiten festgeschrieben werden, wenn Standards nicht erfüllt werden. Zusammenfassend heißt das, dass individuelle und soziale Menschenrechte und Umweltstandards Vorrang vor Kapitalinteressen haben müssen!

Transparenz und Partizipation ermöglichen!

Wir NRW Jusos fordern ein Ende der Geheimnistuerei der Europäischen Kommission in Hinblick auf die Aushandlung neuer Handelsabkommen mit anderen Ländern. Das europäische Parlament muss wesentlich an handelspolitischen Entscheidungen der EU beteiligt werden und muss über den Sachstand der laufenden Verhandlungen konsultiert werden. Zudem fordern wir NRW Jusos, dass ein Forum eingerichtet wird, bei dem Nichtregierungsorganisationen
und Interessenvertretungen wie Gewerkschaften gleichberechtigt neben Vertretern der Wirtschaft in den Prozess von Handelsabkommen beteiligt werden. Darüber hinaus sollen Bürgerinnen und Bürger, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftliche Organisationen Zugang zu allen relevanten Dokumenten haben. Ein Ungleichgewicht zwischen Wirtschaft und sozialen Bewegungen am außenpolitischen Handeln der EU ist nicht akzeptabel.
Die Demokratisierung von Handelsbeziehungen ist ein notwendiger Schritt damit die individuellen und sozialen Menschenrechte gewahrt bleiben und nicht den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden. Wir NRW Jusos fordern ein neues Handelsregime, das Menschenrechte und eine nachhaltige Entwicklung vor Kapitalinteressen setzt. Handelspolitik muss gesellschaftliche Wohlfahrt für alle Menschen fördern.

EU Agrarpolitik – global denken, lokal handeln!

Wie auch die Handelspolitik der EU wirkt sich ebenfalls die EU Agrarpolitik auf eine erfolgreiche Entwicklungshilfe aus. Die jetzige Form der Agrarpolitik sorgt auf dem Boden der EU und in den Entwicklungs- und Schwellenländern für Ungerechtigkeiten, die in den ärmeren Gebieten eine tödliche Gefahr darstellen. Durch falsch ausgerichtete Schwerpunkte werden statt Armut und Hunger zu bekämpfen diese verstärkt. Dabei gibt es gerade im Agrarbereich sehr viele Handlungsmöglichkeiten um eine bessere und gerechtere Welt zu gestalten. Der Agrarhaushalt beansprucht seit Jahren den Löwenanteil des Gesamthaushalts in der EU. Dieser betrug im Jahr 2010 122,9 Mrd Euro. Davon waren 57,1 Mrd für die Landwirtschaft bestimmt. Das sind knapp 50% des Haushaltes. Allerdings erhalten 1,5% der Agrarunternehmen knapp 50% der Subventionen. Bei dieser Minderheit handelt es sich um große Agrarunternehmen. Welche Unternehmen wie viel bekommen, ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 09.11.10, der die Veröffentlichung der Daten verbot, nicht mehr zu ermitteln. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass die Vergabe der Gelder nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist. Den größten Teil der Subventionen machen die Direktzahlungen an die Betriebe aus. Diese Leistungen erfolgen ohne Bindung an irgendwelche ökologischen oder sozialen Mindeststandards. Dabei kommt es auch zu verheerenden Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik. Durch die Produktion subventionierter landwirtschaftlicher Güter in der EU sinkt der Weltmarktpreis für diese Güter. Das bedeutet für die (Land)-Wirtschaft der Entwicklungsländer den finanziellen Ruin, da sie diesem Wettbewerb nicht gewachsen sind. Der Ansatz der Entwicklungspolitik eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in den Entwicklungsländern anzustoßen wird auf diese Weise
konterkariert. Die Vergabe der Subventionen muss in Verbindung mit ökologischen und sozialen Anforderung gesetzt werden. Des weiteren fordern wir die Einführung eines „Do no harm“ Prinzips in der Wirtschaftspolitik. Das bedeutet, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen auch auf ihre Auswirkungen auf die Ziele der Entwicklungspolitik hin überprüft werden, sodass keine Diskrepanz zwischen beiden Politikfeldern entsteht. Deshalb muss statt der bisherigen Konzentration auf die Produktionssteigerung mehr in die ländliche Entwicklung investiert werden. Aufgrund der angespannten Lage der Kleinbauern sollen sie der zentrale Punkt dieser Entwicklung sein. Mit diesen Maßnahmen werden die ländlichen Gebiete attraktiver und die starke Abwanderung vom Land in die Großstädte, wie in den letzten Jahren zu beobachten ist, wird abnehmen. Welche verheerenden Auswirkungen durch die derzeit betriebene EU-Agrarpolitik entstehen können, zeigen zum Beispiel die Exporte von subventionierten Geflügelteilen. Dabei werden die anfallenden Reste aus der Geflügelproduktion aus Europa tiefgefroren nach Afrika geliefert. Für europäische Unternehmen ist dabei ein florierendes Geschäft entstanden. Die Geflügelexporte sind, laut dem landwirtschaftlichen Verlag „Agrarheute“, im ersten Halbjahr 2010 um 21% angestiegen. Diese Exporte sind durch die EU dermaßen subventioniert, dass sie keine Konkurrenz der heimischen Produkte befürchten müssen. Aufgrund dieses Preiskampfes ist ein selbstständiger und vor allem selbsttragender heimischer Markt in den Entwicklungsländern nicht möglich. Ein Entkommen aus dieser Praxis gestaltet sich mehr als schwierig. Als Nigeria die Geflügelimporte aus
den USA und Europa verbot, wurde der Nachbarstaat Benin mit Geflügelimporten überzogen. Da Benin auf einmal mehr Geflügel hatte, als es verbrauchen konnte, entwickelte sich daraus ein reger Schmuggel an der Grenze zu Nigeria. Dadurch wurde die Eigenständigkeit Nigerias untergraben. Doch in den Regionen Nigerias, in denen die europäischen Fleischprodukte nicht angeboten werden, verzeichnet die Volkswirtschaft hohe Zuwächse. Das Freihandelsdogma darf keinen Vorrang vor der nachhaltigen Entwicklung einer lokalen Wirtschaft stehen. Es muss wirksame Mechanismen geben mit denen sich Entwicklungsländer vor ruinösem Wettbewerb durch Industriestaaten schützen können. Für die Politik der Industriestaaten muss ein „Do no Harm“ Prinzip gelten, dass einen
fairen Welthandel und eine zielgerichtete Entwicklungspolitik ermöglicht. Die Neuausrichtung der EU Agrarpolitik darf den entwicklungspolitischen Maßnahmen nicht entgegenlaufen sondern muss diese unterstützen. Innerhalb Europas ist die Reform der Subventionszahlungen dringend erforderlich. Statt die
Landwirtschaft auf starke Lebensmittelüberschüsse zu trimmen, muss die Zahlung an soziale und ökologische Gesichtspunkte gebunden werden. Nicht die Quantität des Ackerlandes, sondern die Qualität der Produkte muss als Maßstab gelten. Wir fordern eine Einführung des Mindestlohnes und die Stärkung der Ausbildungsbetriebe. Die EU darf nicht stark subventionierte Lebensmittel in die Regionen exportieren, die von Hunger und Armut bedroht sind. Denn vermeintlich „billige“ Lebensmittel aus Europa berauben die Landwirte vor Ort jeglicher Existenz. Die selbstständige Entwicklungspolitik vor Ort muss Vorrang haben. Für die Arbeit in den Entwicklungsländern fordern wir Wissenstransfer beim Anbau und den Zugang zu qualitativ besserem Saatgut, die Unterstützung der Kleinbauer/-innen vor Ort und ebenfalls nachhaltige Investitionen in die ländliche Entwicklung. Investitionen in die Bildung und der Ausbau der Infrastruktur (Straßen, Stromnetze, Wasserversorgung) sind wichtige Schritte im Aufbau eines starken heimischen Marktes. Wir müssen das angesammelte Wissen der NGO (Nichtregierungsorganisationen) bei der Entscheidungsfindung in der Entwicklungspolitik auf der EU-Ebene einfließen lassen. Die Politik der EU muss sich an die Milleniumsziele gebunden wissen. Eine positive Entwicklung der Agrar- und Entwicklungspolitik schafft eine Situation von der beide
Seiten profitieren. Die Staaten, die heute von Hungersnöten betroffen sind, würden sich zu starken Partnern entwickeln und ein Handel auf Augenhöhe würde entstehen.