FEMINISMUS INTERSEKTIONAL DENKEN

Das Konzept des “Intersektionalen Feminismus” wird zwar bereits seit Jahrzehnten diskutiert, ist aber erst in den letzten Jahren im Mainstream des linken Diskurses angekommen.Daher wollen auch wir Jusos uns mit dem Konzept des intersektionalen Feminismus auseinander­ setzen und ihn in unseren feministischen Diskurs miteinbeziehen. Dies ist ein erster Aufschlag.

DAS KONZEPT DER INTERSEKTIONALITÄT

Intersektionalität beschreibt eine Art der Analyse, bei der soziale Kategorien wie Geschlecht, Klasse,race oder Behinderung nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit betrachtet werden.Der Grundannahme folgend, dass es nicht möglich ist, verschiedene diskriminierende Faktoren voneinander zu trennen und die Analyse auf nur eine soziale Kategorie zu reduzieren, strebt der intersektionale Ansatz daher eine umfassende Betrachtung von Diskriminierung an.Nicht alle Frauen* machen die gleichen Diskriminierungserfahrungen. Unterschiedliche Hinter­ gründe oder Identitätsmerkmale führen zu unterschiedlichen Erfahrungen mit Diskriminierung.Beispielsweise ist die Gender Pay Gap bei Betrachtung der Einkommen von Women of Color* noch größer als die von weißen Frauen*. Eine Frau* mit Behinderung erlebt andere Diskriminierungen als eine Frau* ohne Behinderungen.Treffen in einer Person mehrere diskriminierende Faktoren zusammen, bestehen Mehr-fachdiskri­ minierungen. Der intersektionale Ansatz geht davon aus, dass Identitätskategorien in der Analy­ se nicht schlicht zu Doppel- oder Dreifachdiskriminierungen addiert werden können, sondern in komplexen Beziehungen zueinander stehen. Diese Wechselwirkungen von diskriminierenden bzw.benachteiligenden Kategorien und der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu untersuchen,ist Ziel des intersektionalen Feminismus. Begonnen als Analyse der Wechselwirkungen von den Kategorien race, Klasse und Geschlecht,die sich wie an einer Verkehrskreuzung (intersection) kreuzen, überlagern und überschneiden1, hat intersektionaler Feminismus das Potenzial auch viele weitere Kategorien wie Religion, Alter, Behin­ derung und sexuelle Orientierung und Identität mit einzubeziehen.

UNTERSCHIEDLICHE ERFAHRUNGEN BERÜCKSICHTIGEN

Frau*sein und Privilegierung schließen sich nicht gegenseitig aus. Eine Cis-Frau (Cis = Mensch,dessen Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt), die als solche Diskriminierung und Benachteiligung erfährt, mag beispielsweise durch ihre gute Ausbil­ dung und ihre weiße Hautfarbe gegenüber anderen Frauen* privilegiert sein. Und allzu häufig wird die feministische Diskussion von den Erfahrungen privilegierter Frauen* dominiert.Um den Blick für andere, weniger privilegierte Erfahrungen zu öffnen, ist es wichtig, kritisch zu hinterfragen, wer überhaupt an dem Diskurs teilnimmt und gehört wird.Wird eine feministische Diskussion von weißen, mittelständischen, gut ausgebildeten, gesunden Cis-Frauen geführt, sind auch die diskutierten Erfahrungen, die von weißen, mittelständischen, gut ausgebildeten, gesunden Cis-Frauen.Doch die Diskriminierungserfahrungen aufgrund des eigenen Geschlechts sind divers. Das muss sich auch in der feministischen Bewegung widerspiegeln. Zum einen in dem Frauen* mit anderen Erfahrungen eine Plattform geboten wird. Zum anderen in dem ihre Erfahrungen in der Diskussion gehört und ernst genommen werden und Eingang in die politische Arbeit finden.

Denn Feminismus in der politischen Arbeit will Misstände und strukturelle Diskriminierung von Frauen und nicht-männlichen Personen analysieren und beseitigen. Wenn dieser Feminismus nicht intersektional ist, blendet er Lebensrealitäten von vielen Frauen* aus und kann für diese keine ausrei­ chenden Lösungen anbieten.Intersektionaler Feminismus ist deshalb keine Schwächung der feministischen Bewegung oder möchte diese spalten – ganz im Gegenteil. In dem neben Geschlecht auch andere Sozialkategorien wie Behinderung, race und Klasse in die Diskussion miteinbezogen werden, umfasst intersektionaler Feminismus mehr Lebensrealitäten und kann daher für mehr Frauen* sprechen. Intersektionaler Feminismus ist inklusiv.

WAS BEDEUTET INTERSEKTIONALITÄT FÜR UNSERE POLITISCHE ARBEIT?

Intersektionaler Feminismus ist nicht nur Theorie, sondern auch ein praktischer Ansatz wie Femi­ nismus diskutiert und umgesetzt werden kann. Deshalb wollen wir die folgenden Punkte in unserer politischen Arbeit berücksichtigen:

  • Wir schließen Mehrfachdiskriminierungen in unsere feministische Analyse mit ein. Dabei untersuchen wir insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Diskriminierung aufgrund unterschiedlicher sozialer Kategorien und Geschlecht.
  • Wir nehmen Diskriminierungserfahrungen von Frauen* mit unterschiedlichen Hintergründen und Identitätsmerkmalen bewusst in unseren Diskurs mit auf. In unseren Diskussionsräumen wollen wir deshalb denjenigen zuhören, die von der Zusammenwirkung von unterschiedlichen Diskriminierungen betroffen sind.
  • Wir reflektieren unsere feministischen Forderungen stets dahingehend, inwieweit sie unter­ schiedliche Diskriminierungserfahrungen berücksichtigen.

1vgl. KimberlCrenshaw, „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory, and Antiracist Politics.“