Generation Praktikum – endlich Handeln!

Seit Jahren hat sich an der Praxis im Praktikum praktisch nichts verändert.

Die Empörung war groß als vor einigen Jahren die Diskussion um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von PraktikantInnen durch die Talkshows ging. Unter dem Begriff der „Generation Praktikum“ konnte sich die Öffentlichkeit ein Bild davon machen, wie die globalisierte Arbeitswelt für viele junge Menschen aussieht. Es zeigte sich, was der Trend zum fünften oder sechsten Praktikum den BerufseinsteigerInnen abverlangt: bedingungslose Flexibilität, maximale Belastbarkeit bei maximaler Zukunftsunsicherheit, vor allem aber Genügsamkeit in Sachen Vergütung. Groß war die Empörung über schlechten Chancen einer ganzen Generation, groß auch die Versprechen der Politik, diese Zustände in den Griff bekommen zu wollen. Inzwischen, da sich die Aufmerksamkeit anderen Themen zugewandt hat, ist die Bilanz der umgesetzten politischen Versprechen mehr als ernüchternd. Die Generation Praktikum geht in die nächste Generation.
Nach einer Studie des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Jahr 2008 gilt: Je jünger die Personen sind, desto häufiger stand – in der Regel am Anfang der Erwerbstätigkeit – ein Praktikum nach bereits erfolgreich absolvierter Ausbildung: JedeR vierte der heute 18 bis 24-Jährigen, jedeR fünfte der 25- bis 29-Jährigen und 17 Prozent der 30- bis 34-Jährigen haben Erfahrungen aus einem Praktikumsverhältnis nach der Schul- oder Studienzeit gesammelt. Praktika als Einstieg in das Arbeitsleben gehören für immer mehr junge Menschen zur Realität. Insbesondere HochschulabsolventInnen (24 Prozent aller AbsolventInnen) versprechen sich von einem Anschlusspraktikum an ihr Studium den Berufseinstieg in ein Normalarbeitsverhältnis zu schaffen. Uns ist bewusst, dass AkademikerInnen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen immer noch über überdurchschnittlich gute Arbeitsmarktchancen verfügen, doch steht fest, dass nicht alle Hochschul-absolventInnen in gleicher Weise profitieren: insbesondere BerufsanfängerInnen haben oft große Schwierigkeiten, den Berufseinstieg zu schaffen. Deutlich muss dabei ebenfalls zwischen den einzelnen Fachbereichen unterschieden werden: bspw. haben Wirtschaftsinformatiker kaum oder nur selten Probleme den Berufseinstieg zu meistern, während Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen vermehrt mit Problemen beim Berufseinstieg konfrontiert sind. Der Weg in Arbeit führt für viele BerufseinsteigerInnen nach wie vor über meist mehrere Praktika. Grund genug für uns Jusos, das Thema nicht ruhen zu lassen und unsere Forderungen nach einer Regulierung der Praktikusmsbedingungen zu erneuern. Unser Ziel ist, Praktika zu einem Teil der
Ausbildung zu machen, der junge Menschen in ihrer beruflichen Qualifikation weiterbringt ohne sie dabei systematisch als billige – meist sogar unbezahlte Arbeitskräfte auszubeuten oder sie gar finanziell zu belasten.

Das Praktikum ist ein Lehrverhältnis

Unter einem Praktikum versteht man allgemein eine vorübergehende oder befristete praktische Tätigkeit z.B. von Studierenden oder SchülerInnen bzw. SchulabgängerInnen in Betrieben, die zur Ausbildung oder Berufsfindung bzw. -orientierung gehört oder Voraussetzung für eine Ausbildung bzw. eines Studiums ist. Ein Praktikum ist also ein Teil der Ausbildung und hat mit regulärer Arbeit nichts zu tun. Die Realität in den Betrieben sieht anders aus: Nach ihrer Arbeitssituation befragt gab der größte Teil der PraktikantInnen (80%) an, während ihres Praktikums mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit als reguläre Arbeitskraft eingesetzt worden zu sein. Dies stellt einen eindeutigen Verstoß gegen die geltenden Regelungen für Praktika dar, nach denen PraktikantInnen, die wie die normalen ArbeitnehmerInnen eingesetzt werden, der übliche Lohn zusteht. Ob das Arbeitsverhältnis nun Praktikum heißt oder anders benannt wird, spielt dann keine Rolle mehr. Dort wo reguläre Arbeit verrichtet wird, muss auch regulär bezahlt werden! Für uns Jusos war immer klar, dass Praktika als Teil der Ausbildung grundsätzlich sinnvoll sind, denn sie können SchülerInnen und Studierenden ermöglichen, zu ihren theoretischen Qualifikationen erste Praxiserfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln, die nicht in der Schule oder im Hörsaal vermittelt werden können. Außerdem können berufliche Kontakte geknüpft werden oder auch verschiedene Berufsfelder kennengelernt werden, in denen man sich vorstellen könnte, später zu arbeiten. Jedoch darf bei einem Praktikum nicht in den Hintergrund treten, was sein Zweck ist. Das Lernen muss bei einem Praktikum immer klar im Vordergrund stehen, es muss eindeutig als
Lehrverhältnis von einem Arbeitsverhältnis abgegrenzt sein. Um Missbrauch zu verhindern brauchen Praktika bestimmte Standards, die es einzuhalten gilt! Da die bisher bestehenden Regelungen nicht greifen, Missbrauch weit verbreitet ist, brauchen wir neue Regeln für Praktika.

Generation ausgebeutet
Nach der Studie des BMAS gab mehr als die Hälfte der Befragten an, während des Praktikums nicht entlohnt worden zu sein. Zwölf Prozent sagten aus, unangemessenes Entgeld erhalten zu haben, nur 37 % teilten mit, angemessen vergütet worden zu sein. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den befragten PraktikantInnen ausnahmslos um Personen handelt, die bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, vermutete das BMAS, dass die entsprechenden Unternehmen eher Interesse an einer unbezahlten Arbeitskraft hatten. Außerdem sei es angesichts der hohen Anzahl unbezahlter Praktika nicht überraschend, dass häufig andere Quellen zur Finanzierung des Lebensunterhalts hinzugezogen werden. 49 % der Absolventen von freiwilligen Praktika gaben an, während
ihrer Praktikumszeit von anderen Personen finanziell unterstützt worden zu sein. Damit bedeuten Praktika nicht nur un- oder unterbezahlte Arbeit, sondern nicht selten auch erhebliche Mehrkosten, etwa für eine Wohnung und die Lebenshaltung am Praktikumsort.

Generation Unsicherheit
Besonders bei Praktika nach der Ausbildung wird oft argumentiert, dass diese den Berufseinstieg erleichtern können. Jungen Menschen werden Hoffnungen auf ein normales Beschäftigungsverhältnis gemacht, die jedoch nicht der Realität entsprechen: Von allen jungen, qualifizierten Beschäftigten, die im Verlauf ihres beruflichen Einstiegs ein Praktikum absolviert haben, sind lediglich 22 % vom selben ArbeitgeberIn übernommen worden und nur 13 % fanden eine Anschlusstätigkeit bei einem anderen ArbeitgeberIn. Dem Praktikum kann daher, entgegen der öffentlichen Diskussion, keine wichtige Brückenfunktion in ein stabiles Beschäftigungsverhältnis zugeschrieben werden. Stattdessen nutzten ArbeitgeberInnen die Lage der PraktikantInnen aus: Da die Aneinanderreihung
mehrerer Praktika inzwischen bei vielen Unternehmen als Einstellungsbedingung gilt, bleibt BerufsanfängerInnen meist gar nicht erst die Wahl, schlechtbezahlte Praktika oder als solche getarnte reguläre Arbeitsverhältnisse abzulehnen.

Unsere Forderungen
Um den Charakter der Praktikums als Teil der Ausbildung zu wahren, ist den PraktikantInnen während der gesamten Praktikumszeit einE BetreuerIn an die Seite zu stellen, der oder die für die Einhaltung des zuvor vereinbarten Praktikumsplanes verantwortlich ist. Für jedes Praktikum wird ein Praktikumsvertrag abgeschlossen, in dem insb. Dauer, Vergütung, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigungsfristen, ein Ausbildungsplan sowie Ausbildungsziele verbindlich festgeschrieben werden. Nach dem Praktikum muss ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ausgestellt werden. Mit einer Begrenzung der maximalen Praktikumsdauer auf drei Monate ist gewährleistet, dass PraktikantInnen ausreichend Gelegenheit haben, Beruf und Betrieb kennenzulernen, gleichzeitig aber auch Missbrauch unterbunden wird.

… für Pflicht-Praktika während der Ausbildung
Praktika vor, während und nach einer wissenschaftlichen Ausbildung, die in der Studienordnung vorgeschrieben sind, müssen der Studienzeit angerechnet werden und damit eine Förderung laut BAföG ermöglichen. Mit der Einführung eines elternunabhängigen BAföG wäre gewährleistet, dass während der ausbildungsrelevanten Praktika das Auskommen der PraktikantInnen gesichert ist. Die Höhe des elternunabhängigen BAföG berechnet sich aus der Sozialerhebung der Studentenwerke, die eine selbstständige Finanzierung der Auszubildenden als Ziel haben. Diese Sozialerhebung erfolgt im zweijährigen Turnus. So ist sichergestellt, dass auch sich verändernde Lebenshaltungskosten in der Höhe des BAföG-Satzes Widerhall finden.

… freiwillige Praktika während der Ausbildung
PraktikantInnen, die während ihrer Ausbildung ein nicht verpflichtendes Praktikum absolvieren erhalten eine Mindestvergütung, die an das elternunabhängige BAföG angelehnt ist. So wird gewährleistet, dass sie sich auch während des Praktikums ausreichend und selbstständig finanzieren können. Abweichungen bei der Vergütung können dann erfolgen, wenn ein vierwöchiges „Schnupperpraktikum“ absolviert wird. Jedoch darf dann die Grenze von 300 Euro monatlich nicht unterschritten werden. Zudem ist auch bei freiwilligen Praktika die Betreuung durch eineN AnsprechpartnerIn für die gesamte Dauer des Praktikums zu gewährleisten. Auch die vertragliche Regulierung entspricht der für die verpflichtenden Praktika. Dabei richten sich Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,
Arbeitszeit etc. nach den Regelungen für die im regulär im Betrieb beschäftigten ArbeitsnehmerInnen. Die Einrichtung von Praktikumsstellen muss vom Betriebsrat bzw. Personalrat genehmigt werden.

… für Praktika nach einer Berufsausbildung
Praktika nach einer Berufsausbildung müssen die Ausnahme sein, denn junge Menschen mit erfolgreichem Abschluss einer Ausbildung sind berufsqualifiziert und nicht praktikumsqualifiziert. Praktika nach einer Berufsausbildung müssen besonders geregelt werden, um Missbrauch zu verhindern. Auch für Praktika nach der Berufsausbildung muss vertraglich festgehalten werden, wie der Ausbildungsplan aussieht. PraktikantInnen, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, müssen für die Dauer ihres Praktikums so entlohnt werden, dass sie ihren Lebensunterhalt aus ihrer Tätigkeit bestreiten
können. Deshalb fordern wir für PraktikantInnen, die nach ihrer Berufsausbildung ein Praktikum absolvieren wollen, eine Mindestvergütung von 8,50 Euro pro Stunde.

…für sonstige Programme nach einer Berufsausbildung
Neben Praktika bestehen auch in anders benannten Arbeits- und Ausbildungsverhältnissen, die direkt an die Berufsausbildung anschließen, ähnliche Probleme. Auch Traineeships, Hospitanzen oder Volontariate entpuppen sich häufig als reguläre aber schlecht- oder gar unbezahlte Arbeit. Für diese Programme fordern wir ebenfalls eine Regulierung der Vergütung. Mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro auch für diese Berufseinstiegsprogramme wird nicht nur den jungen BerufseinsteigerInnen ein angemessenes Auskommen zugesichert. Auch verhindert dieser Mindestlohn eine bloße Umbenennung der strenger regulierten Praktikumsverhältnisse bei gleichbleibend schlechten Arbeitsbedingungen.

Wir erwarten, dass die SPD ihre Gliederungen, Fraktionen und Abgeordneten Praktikantinnen nur nach den oben genannten Regeln beschäftigt. Der Parteivorstand gibt hierfür einen verbindlichen Leitfaden heraus. Damit die Regulierung der Bedingungen, zu denen Praktika angeboten werden, nicht dazu führt, dass die Zahl der Praktikumsstellen drastisch sinkt, ist vom Parteivorstand eine Quote für die Zahl der PraktikantInnen in den Einrichtungen der SPD festzulegen. Die NRW Jusos fordern den Landtag und die Landesregierung in NRW auf, einen entsprechenden Gesetzesentwurf zusammen mit den NRW Jusos, den Gewerkschaftsjugenden und VertreterInnen der Studierendenschaft auszuarbeiten und im Bundesrat als Gesetzesinitiative einzubringen.