Unser Ziel der inklusiven Arbeit – Weil wir zusammen mehr schaffen

Im Artikel 27 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es, dass es Menschen mit Behinderung möglich sein soll, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Auf die Verletzung dieses Artikels wird in der letzten Zeit immer wieder hingewiesen und doch ändert sich nichts. Die jüngste Petition unter dem Hashtag „#IhrBeutetUnsAus“ macht erneut deutlich, dass sich das System der Werkstätten verändern muss.

Die Forderung nach einem Mindestlohn für Werkstattbeschäftigte steht hier im Vordergrund. Aber auch die Abschottung von der restlichen Gesellschaft und der fehlende Status als Arbeitnehmer:in wird besonders kritisiert. Weiterhin existieren diverse andere Punkte, die angegangen werden müssen, um eine nachhaltige Veränderung für alle Beteiligten zu erzielen. Wir verstehen das Recht auf gute und sinnstiftende Arbeit bedingungslos für alle Menschen. Dies gelingt am besten gemeinsam in der Solidargemeinschaft und Begegnung miteinander. Daher streben wir an, dass die Werkstätten auslaufen, durch alternative Konzepte ersetzt und die Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt erzielt wird.

Werkstätten für behinderte Menschen: Eine helfende Hand in den ersten Arbeitsmarkt?

Die Werkstätten für behinderte Menschen (kurz WfbM) wurden in den 1960er Jahren gegründet. Ihr Ziel ist es Menschen wieder in das allgemeine Arbeitsleben in Deutschland einzugliedern. Gleichzeitig sollen die Werkstätten angehalten sein betriebswirtschaftlich zu agieren und sind daher auf Umsatz angewiesen. Dieser Interessenskonflikt bedeutet, dass Beschäftigte, die die besten Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten, nicht raus vermittelt werden. Rechtlich werden die Beschäftigten nicht als Arbeitnehmer:innen behandelt und verfügen weder über Arbeits- noch Tarifvertrag noch können sie gewerkschaftlich vertreten werden. Deshalb gibt es auch keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld und kein Streikrecht. Das Analogon zu den Betriebsräten, sog. Werkstatträte, sind nur sehr eingeschränkt in den Befugnissen. Dazu beläuft sich der Lohn der Tätigkeit bei durchschnittlich 220 Euro im Monat bei 35 bis 40 Arbeitsstunden. Mittlerweile wird die Option der Werkstatt als alternativlos dargestellt und sogar für positiv befunden. Diese Vorfestlegung nimmt Menschen aber die Möglichkeit auf selbstbestimmte Arbeit. Außerdem ist es meistens so, dass die Träger der WfbMs auch Träger der Behindertenhilfe sind und daher Arbeitsstätte, Wohn- und Freizeitort vereint sind. Dadurch werden Menschen mit Behinderung vom allgemeinen gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Daher haben die Vereinten Nationen bereits 2015 Deutschland aufgefordert die Werkstätten auslaufen zu lassen. Hierfür ist es unabdingbar die Hürden für die Schritte dahin abzubauen. Dazu gehören sowohl die unübersichtliche Informationslage wie auch die finanziellen Fehlanreize, die derzeit noch existieren. Doch nicht nur die UN kritisiert das Werkstätten-System immer wieder, mittlerweile sind auch europarechtlich die Werkstätten mindestens als problematisch, wenn nicht gar als rechtswidrig zu betrachten: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kam bereits 2017 in einem französischen Fall zu der Entscheidung, dass der Arbeitnehmerbegriff einer EU-Richtlinie „jede echte weisungsgebundene und vergütete Tätigkeit umfasse und durch nationale Rechtsordnungen nicht unterschiedlich ausgelegt werden dürfe.“ (—> Siehe https://www.arbeitsrecht.org/schwerbehindertenvertretung-2/arbeitnehmer-in-behindertenwerkstaetten/) Folglich ist es also auch insbesondere Europapolitisch nicht zu rechtfertigen grundsätzliche Arbeitnehmer*innenrechte wie den Mindestlohn den Werkstattbeschäftigten vorzuenthalten.

Was es braucht: Eine klare Beratungs- und Begleitungsstruktur und rechtliche Sicherheit

Die derzeitigen Zuständigkeiten für Begleitmaßnahmen sind selten offensichtlich geregelt. Mehrere oder fehlende Zuständigkeiten erschweren ihren Zugang. Beispielsweise werden aktuell 320.000 Menschen in Werkstätten beschäftigt, dennoch wurde das Budget für Arbeit, welches als Alternative zur Werkstatt vor drei Jahren eingeführt wurde, erst 1000-mal in Deutschland genutzt. Seit Jahren liegt auch die Vermittlungsquote bei unter 1%. Das Bundesteilhabegesetz regelt hier nicht, wer Werkstattbeschäftigte bei der Ausführung der Budgets für Arbeit begleitet.

Um Klarheit für Betroffene zu schaffen, muss die Trägerlandschaft der Werkstätten stark vereinfacht werden. Hier können Trägerbudgets wie sie beispielsweise schon in Hamburg erprobt und bewährt sind, für Werkstätten stärker etabliert werden, um Planungs- und Finanzierungssicherheit zu geben und den Druck des Haltens der Werkstattbeschäftigen zu verringern.

Dazu muss der Übergang in einem Betrieb fließender und sicherer gestaltet werden. Als ersten Schritt dahin fordern wir die Möglichkeit einer Probebeschäftigung in möglicher Begleitung eine:r Werkstattmitarbeiter:in von bis zu 4 Wochen. Für die Übernahme in einem Betrieb muss daraufhin einfacher und klarer geregelt werden, dass Hilfsmaßnahmen wie technische Hilfen oder Arbeitsassistenzen angeschafft und durchfinanziert werden können.

Außerdem muss eine unabhängige Beratung für Werkstattbeschäftigte etabliert werden. Die unabhängigen Teilhabeberatungsstellen (EUTB), die nach der Peer-Counseling Methode arbeiten, bei der Betroffene von Betroffenen beraten werden, sollten auf die Beratung von Werkstattbeschäftigen ausgeweitet werden.

Was es braucht: Richtige Inklusion muss sich rechnen

Aktuell sind Arbeitgeber:innen ab einer bestimmten Unternehmensgröße verpflichtet Menschen mit Behinderung einzustellen. Wird die 5%- Quote nicht eingehalten muss eine Ausgleichsabgabe gezahlt werden. Diese Ausgleichsabgabe kann jedoch reduziert werden, wenn Firmen Aufträge an eine WfbM vergeben. Dies wird noch weiter dadurch begünstigt, dass Leistungen einer WfbM nur mit einer Mehrwertsteuer von 7% versteuert werden.

Folge ist, dass Firmen in vielfacher Weise für ihre mangelnde Inklusion belohnt werden und Mittel für den Ausgleichsfonds gehen verloren. Aus diesem Ausgleichsfonds werden u. a. der Bundesagentur für Arbeit Mittel zugewiesen, aus denen Leistungen an Arbeitgeber:innen zur besonderen Teilhabe für Menschen mit Schwerbehinderung am Arbeitsleben erbracht werden.

Daher fordern wir mittelfristig die Kopplung der Ausgleichsabgabe an den Umsatz der Unternehmen und langfristig die Abschaffung der Anrechnung von Aufträgen an eine WfbM für die Ausgleichsabgabe und die Abschaffung der steuerlichen Vorteile ihrer Leistungen. Zusätzlich steigt die Ausgleichsabgabe, sollten Stellen über einen längeren Zeitraum nicht besetzt sein. Darüber hinaus muss eine Begründungspflicht für Unternehmen eingeführt werden, die ihre Beschäftigungsquote nicht erfüllen, um Reflexionsprozesse innerhalb der Unternehmen zu fördern. Die Schwerbehindertenvertretung bekommt das Recht, diese Begründung zu kommentieren.

Außerdem verlangen wir, dass die arbeitsrechtlichen Ansprüche von Arbeitnehmer:innen wie bspw. der Mindestlohn auch für Beschäftigte einer WbfM mit Arbeitnehmer:innen gelten, wobei ihre aktuelle Lage nicht schlechter gestellt werden darf. Dies beinhaltet auch volles Streikrecht, das Schaffen einer gewerkschaftlichen Vertretung, Selbstorganisation der Beschäftigten und Tarifverträge auszuhandeln. Zusätzlich sollen Werkstatträte mit Betriebsräten ersetzt werden.

Generell muss der Auftrag einer WfbM ausschließlich der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt dienen, weshalb die gesetzlich vorgeschrieben Wirtschaftlichkeit gestrichen werden muss. Weiterhin ist zu konstatieren, dass die Ausgleichszahlungen selbst ohne eine Umgehung über WfbM-Aufträge, unerträglich gering und wirkungslos sind. Das kritisiert auch der Sozialverband Deutschland (SoVD). Umso enttäuschender ist es, dass die im Dezember 2020 groß durch Hubertus Heil angekündigte Erhöhung der Ausgleichszahlung im darauffolgenden April schon wieder vom Tisch war. Mit den neuen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag und der Regierungsbildung durch die Ampel-Koalition muss unser Arbeitsminister mit seinem Ministerium zurück zur Devise ‚Null Verständnis für Nullbeschäftiger‘ und mit einer fundamentalen Anhebung der Ausgleichszahlungen, sowie lückenloser Sanktionierung von Verstößen inklusionsfeindlicher Arbeitgeber für eine effektive Regelung sorgen!