Internationalistische Klimagerechtigkeit muss antikapitalistisch, antikolonial und feministisch sein!

“Die Klimakrise steht auf unserer Türschwelle.” Die Aussage stimmt definitiv, zumindest aus der Sicht der Verantwortlichen, Deutschlands und der EU. Im Globalen Süden dagegen tobt die Klimakrise in einem viel größeren Ausmaß. Scheinbar müssen aber die Auswirkungen auch in Europa drastischer werden, damit die Hauptverursacher das Problem als relevant genug ansehen. Die Notwendigkeit der internationalistischen, feministischen und antikapitalistischen Klimagerechtigkeit möchten wir mit diesem Antrag deutlich machen.

Um das Konzept der Klimagerechtigkeit verstehen zu können, ist es wichtig, sich mit den weiten Begriffen „Globaler Norden“ und „Globaler Süden“ auseinanderzusetzen.
Der Globale Norden besteht aus wohlhabend lebenden Industrieländern, die größtenteils auf der Nordhalbkugel liegen. Diese Staaten emittieren am meisten Treibhausgase, gerade im Vergleich zu Staaten im Globalen Süden, die aufgrund der geringeren Industrie und des geringeren Verbrauchs klimaschädlicher Produkte weniger Treibhausgasemissionen produzieren.

Mit „Klimagerechtigkeit“ sollen die Verantwortungsträger*innen im Globalen Norden dafür sorgen, dass alle Staaten fair die Verantwortung für CO2 Ausstoß tragen. Das bedeutet, dass die reichen Staaten mehr Verantwortung als ärmere Staaten, die meistens im globalen Süden liegen, tragen müssen. Der globale Norden ist für 92% der CO2-Emissionen, die seit 1850 entstanden sind, verantwortlich.
Diese Ungerechtigkeit hat große Auswirkungen auf Menschen im globalen Süden, die weltweit am meisten unter Dürren, Wasserknappheit, Temperaturextreme und anderen Folgen leiden. Die Auswirkungen führen zur Unbewohnbarkeit von Gebieten, starker Verarmung, Destabilisierung von Gesellschaften und Volkswirtschaften, sowie zur Verschlechterung von gesundheitlicher und ernährungstechnischer Versorgung. Damit drängt die Klimakatastrophe Menschen zur Flucht von ihrer Heimat und muss als Fluchtgrund anerkannt werden. Menschen müssen wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen.

Laut einer Oxfam-Studie aus dem Jahr 2020 emittierten die reichsten 10% der Weltbevölkerung (630 Millionen Menschen) zwischen 1990 und 2015 insgesamt 52% der globalen CO2-Emissionen. Im selben Zeitraum emittierten die ärmsten 50% der Weltbevölkerung (3,1 Milliarden Menschen) nur 7% der globalen CO2-Emissionen. Die Studie zeigt uns, wie dringend eine Klimagerechtigkeit ist.

Was hat Kolonialismus mit der Klimakrise zu tun?

Mit dem Kolonialismus, der 1492 begann, ging die Ausbeutung von Tieren, Pflanzen sowie gesamten Ökosystemen im Globalen Süden einher. Mit Betreten dortiger Staaten erklärten europäische Kolonialmächte diese zu ihrem Eigentum, entrechteten und versklavten Menschen und setzten diese zur Ausbeutung der gefundenen Bodenschätze ein.

Bald waren Produkte aus den Kolonien besonders gefragt in Europa. Für mehr Böden zum Anbau benötigter Pflanzenarten raubten die Kolonialmächte Land und rodeten Wälder. Um die Pflanzen zu ernten und weiterzuverarbeiten, wurden neben kolonialisierten auch verschleppte Menschen versklavt. Dies und die Enteignung von Land diente unteranderem der Errichtung von Plantagen.

So wie weiße Menschen sich kolonialisierten Menschen, wozu unteranderem auch weiß Gelesene fallen können, gegenüber als überlegen darstellten, stellten sie sich auch der Natur gegenüber als überlegen dar und werteten sie ab. Von ihr bzw. allen Lebensformen, die sie als nicht-menschlich ansahen, grenzten sie sich ab. Mit einem kolonialen Naturverständnis rechtfertigten europäische Kolonisator*innen die Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Darüber hinaus wurde „Natur“ kapitalistisch bewertet, weswegen heutzutage von Natur als „natürliche Ressource“ die Rede ist. In den Kolonien sahen die Kolonialmächte eine unversiegbare Quelle für Fortschritt, Wachstum und einem gewissen Lebensstil in Europa. Entsprechend stand Natur für unendliche Verfügbarkeit und Konsum. Dieses koloniale Naturverständnis wird heute noch weitergeführt und bleibt Grundlage für Raubbau bzw. Extraktivismus sowie Umweltzerstörung.

Da dieses Verständnis nur für weiße Menschen bestimmt war und Parallelen zur rassistischen Ideologie im Kolonialismus aufweist, soll Rassismus rechtfertigen, dass weiße Menschen die Lebensgrundlagen von BIPoC (Blac, Indigenous and People of Colour) zerstören. So veränderten sie die Klimabedingungen global so sehr, dass die Biosphäre eine existenzielle Bedrohung ausmacht – vor allem im Globalen Süden.

Der Klimawandel wurden nicht von allen Menschen gleichermaßen verursacht. Seine Ursache liegt im kolonialen Denken weißer Menschen in Europa. Als Ergebnis von 500 Jahren kolonialer Praktiken betrifft die Klimakrise weltweit besonders Nicht-männliche und BIPoC aus dem Prekariat.

Zusammenhang Kolonialismus, Kapitalismus, Patriarchat & Klimakrise

Die Kolonialmächte versuchten, bestehende Kulturen und Gesellschaftsstrukturen zu zerstören, definierten sich selbst als „höherwertig“ – daraus entstand die Rassifizierung, also die Abwertung all derer, die nicht weiß waren. Man selbst gab sich die Attribute modern, zivilisiert, entwickelt, und verteilte auf der anderen Seite Bezeichnungen wie unzivilisiert, wild, rückständig. Aber auch das Emotionale, das Weibliche, das Natürliche wurde negativ konnotiert. Man konstruierte das „Andere“ (auch „Othering“ genannt), um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Othering wurde gegenüber marginalisierten Gruppen, BIPoC, FINTA (Frauen, Intergeschlechtlich, Nichtbinäre, Trans und Agender), Queers, Nicht-Christ*innen und Menschen mit Behinderungen betrieben. Und dieses System besteht bis heute.

Die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Staaten und Gemeinschaften sind oft jene, die bereits unter den Folgen des Kolonialismus und des kapitalistischen Systems gelitten haben. Die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Klimakrise verstärken bestehende Ungerechtigkeiten und führen zu einer Verschärfung der globalen Ungleichheit.

Um dem entgegenzuwirken, ist es notwendig, die Zusammenhänge zwischen Kolonialismus, Kapitalismus, Patriarchat und der Klimakrise anzuerkennen und zu adressieren. Eine transformative Klimapolitik muss historische Kontexte berücksichtigen und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen.

Antikolonialer Widerstand

In der westlichen, weißen Geschichtsschreibung werden kolonialisierte Menschen praktisch durch die Bank als Opfer gezeichnet. Ausgespart wird, dass es von ihrer Seite auch immer Widerstand gab und gibt, so z.B. durch Yaa Asantewaa, die das Königreich der Ashanti auf dem heutigen Staatsgebiet Ghanas gegen britische Kolonialisierungsversuche mehrfach erfolgreich verteidigte. Ein weiteres Beispiel ist Manuela Beltrán, die sich im Jahr 1781 im heutigen Kolumbien gegen die spanische Kolonialmacht auflehnte, indem sie eine Revolte anzettelte, die in der „Revolución Comunera“ mündete.

Auch im Kampf gegen die Klimakrise werden Widerstandsstrukturen und -bewegungen von BIPoC kaum erzählt, dabei ist ihr Anteil essentiellen Charakters. Eine Gründungsszene der Umweltgerechtigkeit fand 1982 in North Carolina, USA statt, als der Bundesstaat sich das mehrheitlich durch BIPoC und armutsbetroffene Menschen geprägten Warren County aussuchte, um eine Giftmülldeponie für mit PCB verseuchter Erde zu schaffen. PCB (auch Chlordiphenyl) ist eine giftige und krebserregende Chlorverbindung. Es folgten Protestmärsche, wochenlange Blockaden und hunderte Festnahmen. Ebenso kämpfen indigene Völker in verschiedensten Teilen der Erde gegen die Ausbeutung und Zerstörung ihrer Heimatgebiete.

Die oft missachteten Kämpfe und heftigsten Folgen für BIPoC müssen maßgebend für die intersektionale Bekämpfung der Klimakatastrophe sein. Sie zeigen auch, dass (Neo-)Kolonialismus, Rassismus, Kapitalismus und Patriarchat keine voneinander getrennte, sondern sich gegenseitig bedingende und stützende Systeme sind.

Menschen sind von der Klimakrise unterschiedlich stark betroffen: Dieses Bewusstsein ist essentiell, wenn es darum geht, auf die Klimakrise und ihre Folgen zu reagieren. Im globalen Norden haben die Menschen noch ganz andere Chancen der Klimakrise zu entgehen, als im globalen Süden. Eine FINTA ist anders betroffen als ein cis Mann. Hier dürfen patriarchale Strukturen nicht dafür sorgen, dass diese Perspektive verloren geht. Ebenso sind armutsbetroffene Menschen schneller durch die Klimakrise gefährdet als wohlhabendere Menschen.

Koloniale Kontinuitäten:

Unter dem Einfluss der historischen Kontinuitäten sind bestimmte Praktiken und Projekte entstanden, die den Klimawandel und seine Auswirkungen verstärken und zugleich lokale Gemeinschaften im Globalen Süden benachteiligen. Diese kolonialen Kontinuitäten erfordern dringend unsere Aufmerksamkeit und eine kritische Bewertung. Die Kontinuität kolonialer Strukturen, Denkmuster und wirtschaftlicher Zusammenhänge wird anhand einiger Beispiele deutlich.

Auswirkungen von Aufforstungsprojekten:

Einige Aufforstungsprojekte haben bedauerlicherweise zur Folge, dass lokale Gemeinschaften den Zugang zu den Wäldern verlieren. Im Extremfall werden Gemeinden sogar zwangsumgesiedelt, um Platz für solche Projekte zu schaffen. Dies ist eine besorgniserregende Entwicklung, die nicht nur die traditionelle Lebensgrundlage der betroffenen Menschen bedroht, sondern auch ihre Stimmen und Rechte marginalisiert.

Co2-Kompensationsprojekte und deren Effektivität:

Es ist anzumerken, dass CO2-Kompensationsprojekte in Staaten des Globalen Südens mit erhöhter Effizienz und zu geringeren Kosten durchgeführt werden können. In solchen Projekten erwerben Institutionen, Unternehmen oder Privatpersonen sogenannte Emissionsminderungsgutschriften oder Zertifikate, um ihren eigenen Treibhausgasausstoß auszugleichen – und um Konzerninteressen zu sichern. Die dabei generierten Einnahmen werden für Klimaschutzprojekte verwendet. Jedoch muss beachtet werden, dass diese Projekte manchmal nicht ausreichend überprüft werden und zu weiteren Ungerechtigkeiten führen können.

CO2-Kompensationsprojekte im Globalen Süden, die häufig mit dem Zweck des Greenwashings großer Global Player des globalen Nordens durchgeführt werden, zeigen nicht nur die Gefahr kolonialer Kontinuitäten in unserer Wirtschaftsweise, sondern verstärken diese zusätzlich. Der Globale Norden versucht so, seine Verantwortung für Klimaschutz und die Aufarbeitung seiner Kolonialverbrechen für sich selbst nutzenmaximierend zu missbrauchen.

Ein erheblicher Teil des weltweit abgebauten Kobalts stammt aus dem Kongo, wo im Profitinteresse vieler global Player des Globalen Nordens die Achtung der Menschen- und Arbeitsrechte oft vernachlässigt wird. Die ungesicherten Minen und der Einsatz von unsicheren Arbeitsbedingungen stellen eine Gefahr für die Arbeiter*innen dar. Darüber hinaus ist der Gewinnungsprozess von Kobalt giftig und birgt große Risiken für die lokale Bevölkerung und die Umwelt, allen voran für die Kinder, die in Kobaltminen unter unwürdigen Bedingungen und Verhältnissen moderner Sklaverei ausgebeutet werden.

Nickel als Rohstoff aus Russland:

Ein beträchtlicher Anteil des weltweit verwendeten Nickels stammt aus Russland. Es ist wichtig zu bedenken, dass die Beschaffung von Rohstoffen in Abhängigkeit von bestimmten Ländern zu Ungleichheiten führen kann. Eine Diversifizierung der Nickelquellen und eine Überprüfung der Arbeitsbedingungen sind erforderlich, um sicherzustellen, dass keine Ausbeutung oder weitere Ungerechtigkeiten entstehen.

Der Wohlstand des Globalen Nordens geht wieder einmal zu lasten des Globalen Südens; und ist historisch gewachsen. Der Globale Norden versucht mittlerweile händeringend, sein Gewissen zu reinigen: Während die Länder des Globalen Nordens weiterhin an einem Wachstumszwang festhalten und die Begrenztheit der Ressourcen auf unserem Planeten nur vorgeben, anzuerkennen, betreiben sie Greenwashing auf Kosten des Globalen Südens.

Wenn von „unserem Wohlstand“ gesprochen wird, ist der europäische bzw. der deutsche Wohlstand gemeint. Dieser Wohlstand und die ungebrochene Wachstumssucht ist mit ein Grund für Kolonialismus, Klimakrise und die globale Ungerechtigkeit und untrennbar damit verbunden. Internationalistische Klimagerechtigkeit bedeutet auch, dass wir innerhalb Deutschlands die Voraussetzungen für dessen Umsetzung schaffen und die Verantwortung für ökonomische und ökologische Gerechtigkeit tragen und Reichtum, der Hauptverursacher der Klimakrise ist, endlich wirksam begegnen. Wir können uns ökonomischen Reichtum schlicht nicht mehr leisten, umso mehr sind wir auf ökologischen Reichtum angewiesen.

Deshalb fordern wir:

  • Klimagerechtigkeit muss antikolonialistisch, feministisch, antikapitalistisch sein! Die historische Verantwortung der Industriestaaten für einen Großteil der Treibhausgas-Emissionen muss solidarisch und von kolonialen Kontinuitäten befreit in kooperative und nachhaltige Partnerschaften umgesetzt werden, in denen Entwicklungs-, Schwellen-, und Industriestaaten Anstrengungen vereinen, den Herausforderungen des Klimawandels mit Berücksichtigung sozialer Verpflichtungen zu begegnen.
  • Förderung Förderung und Implementation von Alternativen zum kapitalistischen
    Wachstumszwang auf regionaler und lokaler Ebene!
  • Stärkere Kontrolle und Verpflichtung globaloperierender Unternehmen und Konzernstrukturen hinsichtlich sozialer und ökologischer Standards durch Sanktionsmechanismen und finanzpolitischer Steuerungsinstrumente (Strafabgaben für Verstöße gegen Sozial- und Umweltvorgaben)!
  • Verpflichtung von privaten Hauptemittenten (Unternehmen) zu klimagerechter Transformation und Einführung globaler Mindeststandards an Arbeitsbedingungen. Ferner muss eine Demokratisierung des Wirtschaftslebens
    vorangetrieben werden, durch stärkere Einbeziehung der Belegschaften in Entscheidungsprozesse und sukzessive Vergesellschaftung von Großunternehmen mit Monopol- bzw. Oligopolstellung.
  • Entwicklungszusammenarbeit gerecht, antikolonial und solidarisch strukturieren!
  • Entwicklungszusammenarbeit bedeutet Zusammenarbeit auf Augenhöhe – Expertise und Bedürfnisse des Globalen Südens ernst nehmen!
  • Stärkung der lokalen Bevölkerung und insbesondere vulnerablen und marginalisierten Gruppen im Umgang mit klimabedingten Bedrohungen und politischer Beteiligung!
  • Epistemische Gewalt und Eurozentrismus in der Wissenschaft bekämpfen – für wissenschaftlichen Austausch auf Augenhöhe!
  • Verpflichtung des Globalen Nordens im globalen Katastrophenschutz!
  • Asyl aufgrund des Klimawandels als Menschenrecht!
  • Schluss mit kolonialen Kontinuitäten – Reparationszahlungen und Restitution an den Globalen Süden jetzt!
  • Umgestaltung gesellschaftlicher Strukturen, um echte Klimagerechtigkeit zu verwirklichen!

 

Quellen

https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Kolonialismus-und-Klimakrise-Ueber-500-Jahre-Widerstand-11.pdf

https://www.bpb.de/themen/kolonialismus-imperialismus/postkolonialismus-und-globalgeschichte/

https://link.springer.com/referenceworkentry/10.1007/978-3-658-37222-4_32-1#Sec3

https://de.euronews.com/my-europe/2022/06/01/folgen-der-klimakrise-globaler-suden-fordert-reparationen-von-globalem-norden

https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/klimawandel-ungleichheit-reichste-1-prozent-schaedigt-klima-doppelt-so-stark

Klimagerechtigkeit (nachhaltig-in-graz.at)

https://reset.org/der-globale-norden-ist-fuer-92-prozent-der-co2-emissionen-weltweit-verantwortlich-und-koennte-d/

https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2542519620301960