Kulturpolitik für alle

Wir verstehen den Zugang zur Kultur als maßgeblichen und unübersehbaren Teil von sozialer Teilhabe. Denn die Auseinandersetzung mit Kultur sorgt für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dabei ist Kultur vielfältig und bietet die Möglichkeit zur Identitätsstiftung. Sie fördert dabei den Gemeinschaftssinn und lässt uns Gesellschaft erleben. Deshalb sehen wir es als verpflichtend an, dafür zu sorgen, dass die Erfahrung von Kultur für jede*n Einzelne*n ermöglicht wird. Das ist aktuell nicht möglich, sodass der Landekulturbericht NRW aus 2022 anerkennt: „Nicht alle Gruppen der Bevölkerung haben gleichermaßen Zugang zu Kunst und Kultur.“ Wie viele Institutionen ist auch die deutsche Kulturlandschaft von strukturellen Missständen durchzogen, die den Zugang zur Kultur für marginalisierte Gruppen enorm erschweren und von Klassismus geprägt sind. Unsere gesellschaftliche Vielfalt wird weder in den Programmen noch im Personal oder Publikum ausreichend abgebildet. Zu viele Kultureinrichtungen entsprechen damit in ihrer Diversität nicht der Realität. Dadurch entsteht eine zu große Hürde für viele verschiedene gesellschaftliche Gruppen, den Besuch von Kultureinrichtungen überhaupt in Betracht zu ziehen. Hinzu kommt, dass die gesamte Kulturszene in den zurückliegenden Jahren unter verschiedenen Krisen besonders gelitten hat. Nicht nur die Betriebe, die Künstler*innen und das Personal selbst, sondern auch das Publikum war davon betroffen. So mussten vor allem kleine Kulturbetriebe schließen oder waren auf finanzielle Unterstützung von außerhalb angewiesen. Die Teilhabe an Kultur ist somit noch weiter zurückgegangen. Vor diesem Hintergrund gilt es die kulturellen Angebote auf Stadt und Land zu sichern und dabei den Zugang zur Kultur zu erleichtern.

Eine faire Förderung

Das beginnt bei der Förderpolitik. Die meisten Kultureinrichtungen werden öffentlich betrieben oder mit Fördermitteln finanziert. Um eine breite Abbildung von Kultur zu ermöglichen ist das eine sinnvolle Praxis. Doch die Förderungslandschaft in der Kulturpolitik muss überarbeitet werden. Die Art und Weise der Kulturförderung und Subventionierung zeugt von einer diskriminierenden Praxis. Je mehr Kulturinstitutionen sogenannter Hochkultur entsprechen, also die Ästhetiken und Normen des Bildungsbürgertums widerspiegeln, desto mehr staatliche Förderung erhalten sie tendenziell. Einrichtungen, die mit „populärer Kultur“, Vermittlung oder Sozialer Arbeit in Verbindung gebracht werden, haben es hingegen schwerer, eine Förderung zu erhalten. So wird die freie Szene im besten Fall nur von Projekt zu Projekt gefördert. Doch gerade diese Kultureinrichtungen sind auf langfristigere Förderungen angewiesen. Deshalb braucht es ein Umdenken in der Förderpolitik, welches für eine diversere, breite und langfristige Förderung sorgen muss. Das gilt in selber Form, nicht nur für die Förderung der Institutionen, sondern auch für die Förderung von Kunst- und Kulturschaffenden.

Hürden der kulturellen Teilhabe überwinden

Die Besucherzahlen von Theatern und Opernhäusern gehen seit den 1990ern stark zurück. Gerade die junge Generation verliert an Interesse. Dafür gibt es zwei ausschlaggebende Gründe. Zum einen stellen die Programme nicht länger die gesellschaftliche Realität dar. Sie sind geprägt von einer weißen, eurozentristischen Sicht, die zu wenig Raum für kulturelle Vielfalt lässt. Deshalb gilt es, die gesellschaftliche Vielfalt auch in den Kulturprogrammen umzusetzen. Eine breitere Aufstellung des Programms würde eine breitere Teilhabe ermöglichen und perspektivisch auch die Besucherzahlen wieder hochgehen lassen. Der zweite Grund für die schwindenden Besucherzahlen ist die klassistische Hürde, die viele klassische Kulturbetriebe, wie Museen, Theater- oder Konzertsäle haben. Besonders einkommensschwache Personen werden durch zu hohe Eintrittspreise ausgeschlossen. Vor allem Museen können aber einen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten. Museen und Archive bestimmen unser Verständnis der Vergangenheit, weshalb sie in keinem Fall einer älteren und sozioökonomisch privilegierten Klasse überlassen werden dürfen. Dies beginnt mit den Zugangsbarrieren, weshalb wir nach Berliner Vorbild einen monatlichen Museumssonntag fordern, an dem der Eintritt für alle frei ist. Die Landesregierung hat dafür Sorge zu tragen, dass der Zugang zu Kultur nicht vom Geldbeutel abhängt, dafür ist er zu wichtig für unsere Demokratie. Marlene Manoff trifft es auf den Punkt: „There is no political power without control of the archive, if not memory. Effective democratization can always be measured by this essential criterion: the participation in and access to the archive, ist constitution, and its interpretation“. Unbezahlte Praktika und unsichere Beschäftigungsverhältnisse sind Gründe dafür, warum der berufliche Einstieg in die Kulturszene abhängig von der sozioökonomischen Herkunft ist. Dadurch potenzieren sich Strukturen, die von klassistischer Diskriminierung zeugen und die sich auch auf das anzusprechende Publikum auswirken. Diskriminierungen aufgrund vermeintlicher oder tatsächlicher Klassenangehörigkeit werden dabei immer mit weiteren Unterdrückungsformen kombiniert – wie etwa mit Sexismus, der Verachtung des ländlichen Lebensraums, patriarchaler Familienpolitik, Ableismus oder Rassismus. Bessere Arbeitsverhältnisse in Kulturbetrieben, die Vergünstigung des Ticketangebots sowie die Einführung von Antidiskriminierungszentren und Awareness-Konzepten in großen Kultureinrichtung, könnten die klassistischen Strukturen aufbrechen und mehr Teilhabe an Kultur ermöglichen.

Diverse Kulturangebote stärken

Eine kulturelle Erfahrung geht jedoch weit über den Besuch im Museum, Theater- oder Konzertsaal hinaus. In Deutschland ist aber ein Hochkulturverständnis vorhanden, welches sich durch Abgrenzung und Abwertung definiert. Wie oben bereits beschrieben drückt sich das vor allem in der Förderpolitik aus. So sind Veranstaltungen in soziokulturellen Zentren in den letzten Jahren stark zurückgegangen, weil es an finanziellen Mitteln fehlte. Auch die Clubkultur leidet unter dem Stigma keine Hochkultur zu sein. Es gilt diese aber weiter zu erhalten.

Kultur beginnt in der Jugend

Gerade Kinder und Jugendliche haben in den zurückliegenden Jahren viel einstecken müssen. Die soziale Isolation traf sie besonders hart. Das ist nur einer von vielen Anlässen den Zugang zur Kultur auch für Kinder und Jugendliche weiter auszubauen. Der Kulturpass für 18-Jährige ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, den es auszuweiten gilt.

Kulturförderung im ländlichen Raum

Kulturelle Angebote, ob Clubs, Konzerte oder Theater, gehören zur Daseinsvorsorge. Stadt, Land und Bund verpflichten sich, für eine gerechte kulturelle Teilhabe Sorge zu tragen. Dabei darf es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben. Denn derzeit ist eine besorgniserregende Entwicklung bemerkbar: Das Clubsterben. Ein Blick in die Szeneviertel großer Städte genügt als Beweis, eine Clubschließung folgt der nächsten und das trotz steigender Bevölkerungszahlen, also trotz potenziell größerer Nachfrage. Schaut man auf die ländlichen Gebiete, sieht es düster aus. Discokugel, Scheinwerfer und Nebelleuchte sind schon seit etlichen Jahren abgewandert. Dort sprechen wir nicht mehr über den Erhalt von Nachtclubs – denn die sind überhaupt nicht mehr existent. Dieser Entwicklung gilt es uns, als starke Stimme junger Menschen entgegenzuwirken. Klar ist: Wir dürfen kulturelle Angebote nicht Marktmechanismen und Profitlogik unterwerfen, das schadet dem Anliegen und fördert nur einseitig. Deshalb ist es wichtig, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Wir fordern ein gutes Leben für alle, dazu gehört die Möglichkeit der Teilhabe am kulturellen Leben.

Das Land Nordrhein-Westfalen stellt zahlreiche Förderprogramme im Bereich Kunst und Kultur. Diese Förderungen richten sich einerseits an Künstler*innen sowie an Kulturorganisationen. Die Förderprogramme reichen von Literatur, Tanz und Theater über Musik bis hin zur spezifischen Förderung von Kulturregionen. Das Land NRW fördert jedoch bisher nicht das spezifische Nachtleben in den Städten. Besonders der ländliche Raum und die jungen Menschen in diesen Regionen leiden unter einem eklatant schwachen Angebot an Veranstaltungen, Bars sowie Clubs in den Abend- und Nachtstunden. Zudem leidet auch die Kneipenkultur seit Jahren – das allesamt führt dazu, dass Städte besonders für junge Menschen als weniger lebenswert wahrgenommen werden.

Um dem entgegenzuwirken, müssen Kommunen in NRW heute selbstständig Fonds und Förderprogramme aufstellen. Die nötigen finanziellen Mittel fehlen aber oft genau dort, wo ohnehin zu wenig Angebote existieren. Wir dürfen unsere Kommunen nicht im Regen stehen lassen. Das kulturelle Leben gehört ein wesentlich größerer Stellenwert zugeschrieben, dass muss sich in den Zahlen und bereitgestellten Mitteln widerspiegeln.

Kultur muss erreichbar bleiben

Dabei geht es vor allem um die Erreichbarkeit auf dem Land. Selbstverständlich sollte der erste Schritt eine bessere ÖPNV Verbindung sein. Für einen schnellen Übergang schlagen wir vor, das Nightmover-Modell flächendeckend in NRW umzusetzen. Erfolgreich läuft dieses Modell, einer Taxi-Bezuschussung an Wochenenden und Feiertagen, bereits im Kreis Kleve. In Brandenburg gibt es auch im Sinne der Verkehrssicherheit ein 50/50 Modell, das jungen Menschen zwischen 16-25 Jahren unkompliziert 50% der Fahrtkosten abnimmt. Damit ist der Zugang für belastete Geldbeutel erleichtert, sowie ein weiteres Argument gegen das Fahren unter Alkoholeinfluss geschaffen. Aber auch in den Städten sorgt eine zentrierte Errichtung von Kulturbetrieben dafür, dass gerade finanziell abhängige oder Beschäftigte in Vollzeit Schwierigkeiten haben diese zu erreichen. Deshalb müssen die Kulturbetriebe, um tatsächliche soziale Teilhabe zu ermöglichen, auch dezentral und in Wohngebieten angeboten werden.

Wir fordern deshalb:

  • Eine faire Förderpolitik, die nicht nur weiße sogenannte Hochkultur fördert und eine finanziell stabile Perspektive für Kunst- und Kulturschaffende bietet. Die Kulturförderungsprogramme sollen langfristig angesetzt sein und Diversität stärken.
  • Klassistische Strukturen innerhalb bestehender Kulturbetriebe müssen bekämpft werden. Akut durch die Einführung von Antidiskriminierungsstellen und Awarenessprojekten.
  • Eine bessere Entlohnung für Beschäftigte im Kulturbetrieb.
  • Die Erhaltung von Clubkultur und gezielte Förderung dieser.
  • Bereitstellung von finanziellen Mitteln für Kommunen (vorwiegend im ländlichen Raum), um entsprechende Fördertöpfe aufstellen zu können. Die Vergabe der Fördermittel erfolgt anhand entsprechender Richtlinien gezielt durch die Kommunen.
  • Direkte Förderung bestimmter kultureller Angebote (Nachtclubs, Bars, Veranstaltungen) durch das Land NRW.
  • Hinweis: Bei einer direkten Förderung sollen gesonderte Fördertöpfe eingerichtet werden, für Veranstaltungen, die auf Vielfalt, Gleichstellung, Inklusion, Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus ihr Augenmerk legen.
  • Anerkennung und Schutz von autonomen und interkulturellen Kulturangeboten
  • Eine Perspektive, damit kulturelle Angebote von allen gesellschaftlichen Teilen erreicht werden können. Dazu gehört eine gute Anbindung an ÖPNV in ländlichen Regionen sowie die flächendeckende Einführung des Night-Mover Modells und Schaffung von Kulturbetrieben auch außerhalb des Stadtzentrums.
  • Eine Förderung von Jugendkultur