Mentale Gesundheit im Schulwesen

Fast jede*r fünfte Schüler*in in Deutschland leidet unter psychischen Krankheiten. Stress multipler Art gehört für Schüler*innen zum Alltag. Nicht nur Stress, hervorgerufen durch sinnfreies Bulimie-Lernen oder Doppelbelastungen, sondern auch die mangelnden Kompetenzen im Umgang mit psychisch Erkrankten tragen nicht zu einer Verbesserung der aktuellen Situation bei. Sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen sind nicht auf die Konfrontation mit dieser Thematik vorbereitet oder darauf geschult.

Leistungsdruck

Das Bildungssystem übt jeher hohen Druck auf Schüler*innen aus. Jegliche Formate sind darauf getrimmt, durch die Schaffung dieses Drucks möglichst hohe Leistungen bei Schüler*innen bewirken. Dabei fördern Hausaufgaben, Klassenarbeiten oder Klausuren, wie sie heute gestellt werden, Bulimie-Lernen und stellen keine Möglichkeit zur nachhaltigen Aufnahme von Wissen dar.

Noten, die Produkt subjektiver Einschätzungen von Lehrkräften sind, bestärken toxische Rivalitäten unter Schüler*innen und kreieren zusätzlichen und unnatürlichen sozialen Druck innerhalb von Lerngemeinschaften. Die Angst, zu versagen, ist im jetzigen System gegenwärtig.

Individuelle Bildung findet praktisch nicht statt. Umso tragischer ist so die Bewertung nach standardisierten Vorgaben, bei der persönliche Stärken in aller Regel kaum zur Geltung kommen. Die Möglichkeit, die eigenen Stärken zu entdecken und praxisorientiert anzuwenden, besteht kaum.

Wir fordern die Etablierung alternativer Bewertungsmodelle, die auf individuelle Stärken eingehen. Gleichermaßen sollen jegliche bestehende Formate der individuellen Bildung gestärkt und neue konzeptioniert werden.

Bildungsgerechtigkeit

Arbeitet jemand neben der Schule, um die Familie zu unterstützen oder muss Care-Arbeit leisten und etwa jüngere Geschwister betreuen, ist schlicht weniger Zeit vorhanden, um Hausaufgaben zu machen, sich auf Unterricht oder Prüfungen vorzubereiten. Dass sich das in der Notengebung wiederfindet, ist klar.

Die Leistung, die außerhalb des Klassenraums erbracht wird, mag noch so bedeutend sein, wird in der Regel jedoch nicht einmal mit einer Fußnote erwähnt. Doppelbelastungen spiegeln sich so nicht nur in der Notengebung, sondern allzu häufig auch in persönlicher mentaler Belastung wider.

Neben der Lösung der strukturellen Armutsproblematik fordern wir die Anerkennung der Lebensrealitäten von betroffenen Schüler*innen. Auch hier spielen individuelle Bildungsangebote die größte Rolle.

Schulalltag und Lerninhalte

Maßnahmen zur Reduzierung von mentalen Belastungen innerhalb des Unterrichts sind unabdingbar, um präventiv gegen mögliche mentale Erkrankungen möglichst vieler Schüler*innen zu handeln.

Fühlen sich Schüler*innen gesehen und in ihren Lebenswirklichkeiten respektiert, ist auch die Wahrscheinlichkeit, mental zu erkranken, deutlich geringer. Die Gefahr für queere –vorrangig Trans*-Personen– von Depression und gar Suizid betroffen zu sein, um ein Vielfaches durch die Schaffung eines inklusiven Umfelds ab. Auch Sexualkundeunterricht abseits heteronormativer Standards trägt zur Anerkennung queerer Lebenswirklichkeiten bei.

Der Klassenraum ist der tristeste Ort, an dem Bildung stattfinden kann. Unterricht muss so oft wie möglich außerhalb des Klassenraums, wann immer sinnvoll, außerhalb des Schulgeländes stattfinden.

Simple Schritte zur Stärkung von Schüler*innen sind die Schaffung von positiven Selbstbildern und die Etablierung emotionaler Alphabetisierung spätestens ab der Grundschule. Auch die Darstellung von Menschen abseits der Normen der weißen Mehrheitsgesellschaft in Unterrichtsmaterialien darf keine Seltenheit bleiben.

Eine mögliche Kausalität zwischen einer hohen Anzahl verschiedener Fächer an einem Schultag und mentaler Belastung für Schüler*innen soll wissenschaftlich belastbar untersucht werden. Der häufige Wechsel zwischen Schulfächern und das damit verknüpfte ständige Umdenken stellt einen unnatürlichen Stressfaktor dar, der durch längere Unterrichtseinheiten, interdisziplinären Unterricht und regelmäßigen Thementage entzerrt werden kann.

Zudem stellt ein verbessertes Schulklima, in welchem das Gefühl einer Gemeinschaft im Vordergrund steht, eine große Verbesserung zum Status Quo dar. Den Schulgeist stärkende Veranstaltungen, die von und für die Schulgemeinschaft veranstaltet werden, zusammen mit einer Variabilität an außerschulische Angeboten verbessern durch die Formung eines gemeinschaftlichen Klimas den Alltag von Schüler*innen und machen die Schule zu einem Ort des Wohlfühlens.

Zusätzlich kann sportliche Bewegung, die in einem alternativen Rahmen zum von Leistungsdruck geprägten Sportunterricht stattfindet, als weiterer Baustein zur Bekämpfung von mentalen Erkrankungen dienen.

Verpflichtende Fortbildungen

Der sensible Umgang mit Schüler*innen ist Grundvoraussetzung für

Dafür müssen Lehrkräfte regelmäßige Fortbildungen durchgehen, die Kompetenzen zur frühzeitigen Erkennung und Unterstützung von betroffenen Schüler*innen vermitteln.

Auch müssen sich Lehrkräfte in sowohl thematisch als auch methodisch angepassten Lehrplänen sicher zurechtfinden und kompetent Teil neuer Systematiken zur Verbesserung der Situation von Schüler*innen sein.

Frühzeitige Erkennung

Instrument zur Bekämpfung der Symptome des kaputten Systems mögen verpflichtende Mental-Health-Screenings bei allen Schüler*innen sein. Solche Screenings werden bereits in Schulsystemen anderer Länder systematisch angewandt, um Symptome mentaler Erkrankungen frühzeitig zu erkennen.

Als besonders effektiv mögen dabei Strategien sowohl des finnischen als auch des schwedischen Bildungssystems angesehen werden, in welchen jeweils kurze regelmäßige Testverfahren den Bedarf von einzelnen Schulen und ganzen Distrikten feststellen und so –beschränkte– personelle und finanzielle Ressourcen gezielt eingesetzt werden.

So können strukturelle Modelle zwar zur Erkennung von mentalen Belastungen dienen, sind jedoch nur bei gleichzeitiger Stärkung von schulpsychologischen Anlaufstellen als konsequente Behandlung der Ergebnisse erfolgreich.

Schulpsychologie

Mentale Erkrankungen sind Symptome eines disfunktionalen Bildungssystems. Im Jahr 2020 war für die psychologische Versorgung von 5952 Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen eine schulpsychologische Kraft zuständig. Mentale Belastungen von Schüler*innen werden kaum wahrgenommen oder von Lehrkräften berücksichtigt.

So fordern wir regelmäßige, verpflichtende Fortbildungen für Lehrer*innen, mit dem Ziel Sensibilität zu schaffen sowie das Einbeziehen sowohl der Schüler*innen- als auch der Lehrer*innen-Perspektive in Prozesse der Entscheidungsfindung. Dabei hat auch die Stärkung des Konzepts der demokratischen Schule hohe Relevanz.

Der Zugang zu schulpsychologischen Diensten muss bedarfsgerecht und flächendeckend erfolgen und eine effektive Unterstützung für betroffene Schüler*innen darstellen.

Kritische Betrachtung und wissenschaftliche Begleitung

Prozesse, sowohl zur Prävention als auch zum Umgang mit mentalen Erkrankungen im Schulsystem müssen durchgehend wissenschaftlich begleitet und methodisch hinterfragt werden.

Analog zu schulpsychologischen Diensten, muss auch die Forschung in ihren Mitteln deutlich gestärkt werden. Finanzielle Ressourcen müssen zur Schaffung einer breiteren Faktenlage durch regelmäßige Durchführungen belastbarer Studien bereitgestellt werden. Dabei muss die Verantwortung, statt bei privaten Trägerschaften, in der öffentlichen Hand liegen.

Aufarbeitung von durch Corona bedingten Belastungen

Wie im Brennglas stellte die Coronapandemie die massiven Schwachstellen im Bildungssystem hervor. Besonders während Zeiten der Lockdowns waren mentale Belastungen unter Schüler*innen besonders hoch. Die professionelle Aufarbeitung und kontinuierliche emotionale Begleitung von allen betroffenen Schüler*innen muss die folgerichtige Konsequenz der gescheiterten Bildungspolitik in Coronazeiten sein.

Forderungen

  • Etablierung alternativer Bewertungsmodelle und Stärkung individueller Bildung
  • Verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierung für Lehrkräfte
  • Einbezug von Schüler*innenperspektiven in Prozessen der Entscheidungsfindung
  • Etablierung verpflichtender Formate zu Antidiskriminierung für Schüler*innen
  • Stärkung schulpsychologischer Dienste
  • verpflichtende Mental-Health-Screenings als Instrument zur Feststellung mentaler Belastungen
  • Etablierung von Inhalten und Methoden zum Abbau mentaler Belastungen in den Schulalltag
  • Begleitung jeglicher Prozesse zur Verbesserung mentaler Gesundheit durch wissenschaftliche Trägerschaften
  • Stärkung der Ressourcen öffentlicher wissenschaftlicher Trägerschaften mit dem Ziel Daten zu mentalen Erkrankungen zu erfassen
  • Professionelle und kontinuierliche Aufarbeitung der Erlebnisse während der Coronapandemie und emotionale Begleitung von allen betroffenen Schüler*innen