Im Tod sind wir alle gleich? – Die „Ordnungsbehördliche Bestattung“ von Armutsbetroffenen, billig und würdelos in den Tod

Bereits zu Lebzeiten können Menschen mit Klassen- und Geldprivilegien ihre letzte Ruhe planen und Geld für den Fall des eigenen Versterbens zurücklegen. Für viele Menschen ist dies schon allein aus finanziellen Gründen nicht möglich. In diesem Zusammenhang ist laut der Kulturanthropologin Francis Seeck die Bestattungskultur einer Gesellschaft als eine Art Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen, in denen das Trauern und betrauert werden davon abhängig ist, wie viele finanziellen Mittel, Beziehungen und Vorsorge man als Mensch zu Lebzeiten aufbringen kann. Immer mehr Menschen betrifft durch zunehmende Altersarmut und steigende prekäre Beschäftigungsverhältnisse der anonyme Tod. Zum Teil erfahren Angehörige von armutsbetroffenen Menschen erst viel später vom Tod des Verwandten durch die Zahlungsaufforderung vom Amt und/oder können bei der vom Amt angeordneten ordnungsbehördlichen Bestattung nicht dabei sein und/oder erhalten keinen Zugriff auf die persönlichen Gegenstände des Verstorbenen, weil das Amt die Vernichtung jener bereits beauftragt hatte. Leicht scheint an dieser Stelle der Vorwurf, Betroffene haben eben nicht genügend vorgesorgt, anstatt eine menschunwürdige Bestattungspraxis kritisieren.

In Deutschland ist die Bestattungspraxis von Machtverhältnissen, insbesondere von Klassismus, geprägt. Arme Menschen werden, wenn Angehörige ihrer Bestattungspflicht nicht nachkommen können und/oder das Amt keine Angehörigen (wie oben beschrieben) ausfindig machen kann, ohne Grabstein, ohne Namen, ohne Trauerfeiern, ohne Blumenschmuck, in anonymen Gemeinschaftsgräbern, möglichst kostengünstig in Urnenbestattungen beigesetzt. Teilweise finden die Beisetzungen als Sammelbeerdigungen im Minutentakt statt, wie es im Berliner Bezirk Neukölln Praxis zu sein scheint. Des Weiteren werden häufig nur zu der klassischen Herkunftsfamilie gehörigen Personen über den Tod eines Angehörigen von den Ämtern informiert. Freundschaften oder andere soziale Bezüge werden nicht informiert.

Jedem Menschen sollte ein würdevoller Abschied unabhängig von seiner Klassenherkunft und/oder Klassenzugehörigkeit zu Teil werden. Zu einem würdevollen Abschied gehört, unter anderem ein Bestattungsritus entsprechend der Kultur der verstobenen Person. Sollte die:r Verstorbene einer Glaubensgemeinschaft angehört haben so ist sie:r nach Tradition der jeweiligen Glaubensgemeinschaft zu beerdigen. Die schnelle, auf Kostenreduktion ausgelegte, anonyme, namenslose Bestattung von armutsbetroffenen Menschen in Gemeinschaftsgräbern ist menschenunwürdig.

Daher fordern wir:

  • Das grundsätzliche Verbot von namenlosen, anonymen Bestattungen. Es sei denn die*r Verstorbene hat sich eine anonyme Bestattung ausdrücklich vor seinem Tod gewünscht, eine Identifizierung des Leichnams ist nicht möglich oder es besteht die Gefahr, die Grabstätte würde zu einer extremistischen Pilgerstätte werden.
  • Jedem Menschen soll ein würdevoller Abschied unabhängig von seiner Klassenherkunft und/oder Klassenzugehörigkeit zuteil werden und der Staat muss hier Vorsorge treffen. Zu einem würdevollen Abschied gehört, unter anderem ein Bestattungsritus entsprechend der Kultur der verstobenen Person. Sollte der Verstorbene einer Glaubensgemeinschaft angehört haben so ist er nach Tradition der jeweiligen Glaubensgemeinschaft zu beerdigen. Die schnelle, auf Kostenreduktion ausgelegte, anonyme, namenslose Bestattung von armutsbetroffenen Menschen in Gemeinschaftsgräbern lehnen wir ab. Dieses Verscharren von zu betrauernden Menschenleben empfinden wir als Verletzung der Menschenwürde und ist staatlich zu unterbinden.
  • Ein Ende der aktuell im Rahmen der „ordnungsbehördlichen Bestattung“ durchgeführten entwürdigenden Bestattungspraxis zugunsten der Einführung einer neuen Praxis nach oben beschriebenen Vorgaben, die armutsbetroffenen Menschen den Raum gibt, zu trauern.
  • Gleichzeitige Wiedereinführung des Sterbegeldes für armutsbetroffene und armutsgefährdete Menschen in einer realistischen Höhe, die den Raum für Trauer und eine menschenwürdige Bestattung nach oben beschriebenen Vorgaben bietet.