Selbstbestimmt Leben ohne Gewalt – statt Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, die in Wohneinrichtungen leben

Am 28. April 2021 ermordete eine Pflegerin in Potsdam vier Menschen mit Behinderungen. Eine weitere Person hat sie schwer verletzt. Die Gewalttat erregte deutschlandweit Aufsehen. Gleichzeitig wurde die Gewalttat als „Einzelfall“ bezeichnet. Oder es wurde gesagt, dass die Täterin „psychisch krank“ sei. Diese Aussagen schwächen die Straftat ab.

Im Juli 2021 war das Hochwasser in Ahrweiler. Es ertranken zwölf Menschen mit Behinderungen in einer Wohneinrichtung. Es gab Vorwarnungen. Trotzdem wurde den Menschen nicht geholfen.

Grund dafür ist, dass Menschen mit Behinderung in Deutschland diskriminiert werden. Diese Form der Diskriminierung wird Ableismus genannt.

In der UN- Behindertenrechtskonvention (kurz: UN-BRK) steht auch etwas zu dem Thema Gewalt. Viele Staaten haben die UN-BRK unterschrieben und wollen sich daran halten. Im Artikel 16 Absatz 1 steht, dass niemand Menschen mit Behinderung Gewalt antun, sie missbrauchen oder sie ausnutzen darf. Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-BRK am 24. Februar 2009 unterschrieben. Seitdem müssen sich alle in Deutschland daran halten.

Forschungsergebnisse zeigen das Gegenteil: Gewalt gegen Menschen mit Behinderung nimmt nicht ab, sondern zu. Eine Kriminalstatistik beweist, dass es immer mehr werden. 2015 waren es 151 Straftaten gegen Menschen mit Behinderung. Im Jahr 2019 waren es schon 238 Straftaten.

Besonders Frauen mit Behinderung und die in vollstationären Wohneinrichtungen leben waren dabei sehr stark von Gewalt betroffen. Diese Gewalt den Frauen gegenüber ist oft auch sexualisierte Gewalt

Das darf so nicht so bleiben deshalb fordern wir langfristig, dass die einschränkenden stationären Wohnangebote abgelöst werden. 

Es muss mehr Angebote zum Wohnen geben, bei denen Menschen mit Behinderung selbstbestimmt leben. In stationäre Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung geht das nicht. Wir fordern deshalb, dass es in Zukunft andere Angebote geben soll. Die Angebote sollen Menschen mit Behinderung dabei helfen in einer eigenen Wohnung leben zu können. Das geht zum Beispiel mit persönlicher Assistenz oder in kleinen Wohngruppen. Solche Angebote sollen auf lange Sicht, die einschränkenden Wohnangebote ablösen.

Seit dem Jahr 2020 haben Menschen mit Behinderung einen Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz. Dieser Rechtsanspruch ist im Sozialgesetzbuch (9, Absatz 78 und 81) festgeschrieben. Allerdings ist die tatsächliche Umsetzung davon durch schwierige und schwammige Bedingungen in der persönlichen Assistenz nicht verwirklicht. Der freie Markt und der Niedriglohnsektor regeln den Bedarf an passender Assistenz für Menschen mit Behinderung scheinbar nicht! Daher braucht es einen Rahmen für die formalen Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in der persönlichen Assistenz.

Dieser soll Verbesserungen bewirken und von der Gesetzgebung verbindlich gestellt sein.

Konkret fordern wir:

  • Die formale Verankerung des Berufsbildes der „persönlichen Assistenzkraft“ in die Kategorie der „geregelten Berufe“ des Bundesgesundheitsministeriums. Somit soll es Bund und Ländern per Gesetzgebung möglich sein, die Bedingungen in der persönlichen Assistenz zu regeln und zu verbessern.
  • Den Start einer Arbeitsgruppe mit Mitgliedern aus Politik, Verwaltung, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Praxis und Behindertenvertretungen. Diese sollen fachgerecht der Frage nachgehen, welche Rahmenbedingungen, Arbeitsmodelle, Vertragsformen und Qualifikationen für die Verbesserung der persönlichen Assistenz insgesamt sinnvoll sind.

 
Wir sind davon überzeugt, dass durch die oben aufgeführten Forderungen die Lage aller Akteur*innen der persönlichen Assistenz verbessert werden kann. So wird die Qualität des Assistenzangebots für Menschen mit Behinderung gesetzlich gesichert und der Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz verwirklicht. Zudem wird die Position der Arbeitnehmenden im Bereich der persönlichen Assistenz sehr gestärkt.

Dass die stationären Wohnangebote zum jetzigen Zeitpunkt, aber für viele Menschen sehr wichtig sind, wissen wir auch.

Deshalb fordern wir kurz- und mittelfristig, dass die aktuelle Situation in den stationären Wohneinrichtungen verbessert werden muss. Dazu fordern wir:

Menschen, die in Wohneinrichtungen leben, müssen frei leben. So wie sie es möchten.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss anerkannt werden, dass Menschen mit Behinderung ein Recht auf ein freies und unabhängiges Leben haben. Der Ort, wo sie leben, darf das nicht beeinflussen. Dazu gehört die Freiheit sich zu Bewegen und den Alltag nach eigenem Wünschen zu gestalten. Es umfasst auch die sexuelle Selbstbestimmung.

Das Verhältnis von Mitarbeitenden zu den Bewohnenden muss verbessert werden. Und Kommunikation muss immer auf Augenhöhe stattfinden. Die Menschen mit Behinderungen sollen bestärkt werden, zu sagen was sie wollen.

Auch die ambulante Unterstützung ist wichtig. Dadurch können Aktivitäten auch außerhalb ihres Zuhauses gemacht werden.

Menschen in Wohneinrichtungen sollen ihren Alltag selber bestimmen. Und sie brauchen eine persönliche Person, die sie unterstützt. Diese Person muss von der Person mit der Behinderung frei wählbar sein. So fordern wir:

  • Menschen in Wohneinrichtungen benötigen ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung ihres Alltages.
  • Menschen in Wohneinrichtungen benötigen eine persönliche Person, die sie unterstützt. Diese Person muss von der Person mit der Behinderung frei wählbar sein.

 
Die Arbeits- und Lebensbedingungen in Wohneinrichtungen müssen sich verbessern.

Das Leben für Menschen in Wohneinrichtungen soll lebenswert sein. Es geht um die Verbesserungen von Arbeitsbedingungen, um Formen der Gewalt vorzubeugen. Stress auf der Personalseite aufgrund von Erschöpfung und Zeitmangel können zu Gewalt führen. Dadurch können die Wünsche der Menschen weniger oder gar nicht berücksichtigt werden. Dies soll nicht die Gewalt erklären, denen behinderte und pflegebedürftige Menschen ausgesetzt sind. Jedoch fördern diese Punkte Gewalt. Das heißt, mehr Zeit, weniger Stress und mehr Erholung zwischen den Diensten verringert die Gefahr für Gewalt.

Denn dadurch wird die Belastung des Personals weniger. Durch weniger Stress und mehr Zeit können Bedürfnisse von Bewohnenden besser berücksichtigt werden.

Zur Entlastung der Mitarbeitenden wird mehr Personal gebraucht und geringere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn. Des Weiteren muss es umfangreiche Möglichkeiten zur Fortbildung für Mitarbeitende geben.

Die Fortbildungen sollen die zentralen Themen behandeln: Diskriminierung gegenüber Menschen mit einer Behinderung/ chronischen Erkrankung; Gewalt; Förderung für ein freies, unabhängiges Leben. So fordern wir:

  • In Wohneinrichtung muss mehr Personal eingesetzt werden
  • Es müssen die Arbeitszeiten verringert werden
  • Jede:r Arbeitnehmer:In muss an den Fortbildungen (Gewalt, Diskriminierung, Förderung unabhängiges Leben) teilnehmen.

 
Die Wohnkonzepte und Maßnahmen zur Vorbeugung vor Gewalt müssen gesetzlich verankert und gemeinschaftlich entwickelt werden

Die UN-Behindertenkonvention setzt rechtliche Standards. Bei uns in Deutschland sind diese nicht ausreichend im Sozialgesetzbuch verankert. Wir möchten das ändern. Unser Ziel ist: Menschen mit Behinderungen zu schützen. Also auch vor Gewalt. Derzeit gibt es keine klaren Folgen für Täter:innen.

So fordern wir:

  • stationäre Einrichtungen für Menschen mit Behinderung müssen vor Gewalt schützen. Der Gewaltschutz in den Gesetzen muss ausgebaut werden. Es sollen Mindeststandards für Pläne zum Gewaltschutz festgeschrieben werden. Diese Pläne sollen von unabhängigen Expert:innen überprüft werden.
  • Menschen mit Behinderungen sollen mehr mitsprechen können. Wohnkonzepte müssen von Beginn an gemeinsam entwickelt werden. Die Entwicklung soll auf Augenhöhe zwischen den

Expert:innen, Mitarbeitenden und Menschen mit Behinderung geschehen

Gewaltfälle müssen dokumentiert werden

Gewalt in Wohneinrichtungen darf nicht verschwiegen werden. Offenheit muss bestehen. Nur durch Offenheit lässt sich Gewalt in Wohneinrichtungen reduzieren. Allerdings findet dieser Prozess immer in Absprache mit den Betroffenen und lediglich mit deren Zustimmung statt.

So fordern wir:

  • Gewaltfälle müssen aufgeschrieben werden. Die aufgeschriebenen Gewaltfälle müssen in anonymisierter Form für jede:n einfach nachzulesen sein.
  • Pläne gegen Gewalt müssen leicht nachlesbar sein. Zu diesem Plan gehört der Umgang mit Gewalttäter:innen.
  • Gewalttäter:innen müssen deutlich Strafen drohen. Strafen müssen von der Leitungsebene in Plänen und Regeln festgeschrieben werden.

 
Beschwerdestellen müssen eingerichtet werden

Unabhängige Beschwerdestellen müssen eingerichtet werden. Die Beschwerdestellen sollen leicht zugänglich und barrierefrei sein. Das Team der Beschwerdestelle soll inklusiv und möglichst sensibel für verschiedene Diskriminierungsformen sein. Die Einrichtungen müssen sicherstellen, dass die Bewohnenden von der Beschwerdestelle wissen. Die Beschwerdestellen müssen immer erreichbar sein. Barrierearme Kommunikation muss ermöglicht werden.

So fordern wir:

  • Einführen von unabhängigen Beschwerdestellen, die leicht zugänglich und barrierefrei für Menschen mit Behinderungen erreichbar sind.

 
Mehrfachdiskriminierungen müssen stärker berücksichtigt und beobachtet werden

Manche Menschen werden mehrfach diskriminiert. Das heißt, dass sie wegen zwei oder mehr Sachen gleichzeitig benachteiligt werden. Das ist zum Beispiel bei Frauen mit einer Behinderung so. Sie werden benachteiligt, weil sie Frauen sind. UND sie werden benachteiligt, weil sie eine Behinderung haben. Das ist aber auch zum Beispiel bei Menschen so, die queer sind oder eine

Migrationsgeschichte haben und eine Behinderung haben. Die mehrfach diskriminierten Menschen haben andere Benachteiligungen als die Menschen, die nur eine Benachteiligung erfahren. Das nennt man: Intersektionale Diskriminierung.

Intersektionale Diskriminierung muss in Gewaltschutz-Programmen für Wohneinrichtungen für behinderte Menschen stärker berücksichtigt werden!

An der Entwicklung der Programme zum Gewaltschutz sollen Menschen mit Behinderung mitarbeiten.

In den Programmen sollen verschiedene Themen stehen wie zum Beispiel: Rassismus in der Pflege, behutsam sein mit verschiedenen Kulturen wie Religionen (beim Waschen, Sprechen und Ritualen), keine Menschen benachteiligen wegen ihrer Sexualität und Vorbeugen von psychischer Gewalt.

So fordern wir:

  • Intersektionale Diskriminierungen müssen bei der Erarbeitung von Gewaltschutz-Programmen in den Wohneinrichtungen berücksichtigt werden