Studier‘ doch was du willst! Unsere Perspektiven für einen gerechten Hochschulzugang

Über die Hälfte aller Bachelor-Studiengängen an deutschen Hochschulen sind zulassungsfrei und Studienbewerber*innen können sich für diese einfach einschreiben. Allerdings bedeutet das wiederum auch, dass knapp 40 Prozent aller Bachelor-Studiengänge durch einen Numerus Clausus (NC) zulassungsbeschränkt sind und Studienbewerber*innen sich gerade bei den begehrtesten Studiengängen auf lange Wartezeiten einstellen müssen. Diese ziehen sich mitunter Jahre hin und sorgen bei vielen jungen Menschen für schwerwiegende Einschnitte in der Biografie.
Ein Relikt vergangener Zeiten
Historisch gewachsen ist der NC aus der großen Bildungsexpansion der 60er- und 70er-Jahre, als die Hochschulen zunehmend weder strukturell noch finanziell den steigenden Abiturient*innenzahlen gerecht werden konnten. Die aus dieser Not durch den Beschluss der Westdeutschen Rektorenkonferenz 1968 entstandenen unterschiedlichsten Zulassungsverfahren der Universitäten führten zu Mehrfachbewerbungen und Doppeleinschreibungen. Schon damals war also die vielen Studierenbewerber*innen bekannte Praxis, sich wegen Zulassungsbeschränkungen zur Sicherheit an mehreren Hochschulen für dasselbe Fach zu bewerben, gängig.
Rechtlich stützt sich das bis heute geltende Prinzip des NC auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1972, das sogenannte „Numerus-Clausus-Urteil“. Es kam zu einer grundsätzlichen Stärkung der im Grundgesetz festgeschriebenen beruflichen Freiheit und des damit verbundenen Rechts, mit einer Hochschulzugangsberechtigung jedes beliebige Studium aufzunehmen. In der Forderung der Verfassungsrichter*innen nach einer bundesweiten Vergabestelle für Studienplätze mit einheitlichen Auswahlkriterien sollte der NC als zentrale Vergabe nur bei (tatsächlichen) Kapazitätsengpässen zulässig sein. Und ebendieser Begriff der „Kapazitätsengpässe“ sorgt bis heute für die tiefgreifende Ungerechtigkeit in der Studienplatzvergabe.
So wurde als Reaktion auf das Urteil zwischen den damals elf Bundesländern ein Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen ausgehandelt und im Frühjahr 1973 abgeschlossen. In diesem nutzten die politischen Verantwortlichen die Formulierung der „Kapazitätsengpässe“ als Hintertür und schienen grundgesetzlich mit der „Wartezeitenquote“ auf der sicheren Seite; denn Hochschulen waren nun dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil der Studienplätze an Bewerber*innen mit Wartezeit zu vergeben. Man schien den Vorgaben des Urteils gerecht zu werden.
Die Praxis der Ungerechtigkeit
Dass die Quoten für über Wartezeiten zugelassene Studierende lächerlich gering sind und sich in vielen Bundesländern zwischen 10 und 20 Prozent bewegen ist nur eine Seite der Medaille: die Kapazitätsverordnungen (KapVO) der jeweiligen Bundesländer folgen in den einzelnen Studiengängen komplexen und undurchsichtigen Formeln, welche sich außerhalb der Ministerialbürokratie kaum jemandem erschließen. Auch deshalb führen Klagen um einen Studienplatz für die Bewerber*innen so regelmäßig zum Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht hatte es schlichtweg versäumt, den Studienbewerber*innen nicht nur ein Recht auf die freie Wahl des Studiums zuzusprechen, sondern die Hochschulen auch zur Bereitstellung der entsprechenden Kapazitäten an Studienplätzen zu verpflichten; so fiel das Thema Zulassungsverfahren in einen seit über 40 Jahren währenden Dornröschenschlaf.
Das Fallbeispiel der Medizinstudiengänge zeigt die krassen Auswüchse des NC-Verfahrens. Die von der Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) vergebenen Plätze für die vier bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengänge Medizin, Pharmazie, Tiermedizin und Zahnmedizin werden zu je 20 Prozent an die besten Abiturient*innen und Bewerber*innen mit Wartezeit vergeben. Sind die Erfolgschancen für erstere mit einer Durchschnittsnote schlechter als 1,0 zumindest geschmälert und ist die Vergleichbarkeit von Abiturnoten in Anbetracht der hohen Diversität in unserem föderalen Bildungssystem ohne nicht gegeben, lag die Wartezeit für zweite zuletzt bei durchschnittlich 14 Wartesemestern. Ohne die finanziellen Mittel für entsprechende Alternativen im Ausland müssen Bewerber*innen also sieben (!) Jahre auf einen Medizin-Studienplatz warten; in Anbetracht der zusammengenommen fünf Jahre Regelstudienzeit, die in vielen Studiengängen für den Abschluss des Bachelor-und Masterstudiums veranlagt sind, mutet dieser Zustand geradezu pervers an. Und auch für die restlichen 60 Prozent der Studienplätze, welche die Hochschulen über eigene Zulassungsverfahren vergeben, spielt die individuelle und fachspezifische Eignung der Bewerber*innen eine eher untergeordnete Rolle.
Die vorher genannten Umstände verstärken die soziale Selektivität unseres Bildungssystems. Der sozioökonomische Hintergrund junger Menschen drückt sich bis heute weiterhin in ihren Noten aus; entsprechend haben Kinder aus Elternhäusern ohne akademischen Hintergrund im Durchschnitt weniger Möglichkeiten zur Unterstützung wie Nachhilfe, was sich in den Abschlüssen wiederspiegelt. In einer Gesellschaft, in der immer noch über 75 Prozent der Kinder aus Akademiker*innenhaushalten und nur rund 21 Prozent der Kinder aus Nicht-Akademiker*innenhaushalten studieren, ist auch in der Wissensweitergabe über Möglichkeiten des Studiums ein großes Gefälle vorhanden.
Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts vom Dezember 2017, das den Medizin-NC für zumindest teilweise verfassungswidrig erklärt und dringenden Nachbesserungsbedarf angemahnt hat, wurde endlich wieder eine breite Öffentlichkeit auf die Themen Studienzugang und -zulassung aufmerksam. Bis zum Ende diesen Jahres müssen die Regierungsverantwortlichen in Bund und Ländern eine Lösung in Form von fairen und vor allem transparenten Verfahren präsentieren. Hier ist die SPD gefragt.
Unser Anspruch: Zusammenarbeit! Zusammenarbeit!
Die Missstände im Hochschulzugang sind offensichtlich, doch ist die entsprechende Ausfinanzierung des Hochschulsektors nicht als einziger Faktor zu identifizieren. Vielmehr werden diese genauso durch die Strukturen der SfH und die großen Unterschiede in den Immatrikulationsverfahren begünstigt. Außerdem bestehen für Menschen, die über ihre berufliche Qualifizierung ein Studium aufnehmen wollen und keine allgemeine Hochschulreife besitzen, wesentliche Hürden und ein Studium mit Behinderung scheitert häufig an exklusiver Infrastruktur und Lehre.
Aber natürlich muss es an erster Stelle an den Kapazitätsausbau geben, damit Zulassungsverfahren endlich nicht mehr das erste Mittel der Wahl sein müssen. Auch in Anbetracht von Doppeljahrgängen und besonders hoher Nachfrage in einzelnen Studiengängen muss es unser Anspruch sein, dass (grundsätzlich) für jede*n der Studienplatz zur Verfügung steht, den sie*er sich vorstellt. Hierbei müssen wir auch den Bund mehr in die Pflicht nehmen und uns dafür einsetzen, dass der Hochschulpakt nach 2020 verstetigt wird und seine Mittel konkret für ein Mehr an Studienplätzen und eine Verbesserung der Studienbedingungen sorgen. Nach dem Fall des Kooperationsverbotes muss die Zusammenarbeit von Bund und Ländern weiter intensiviert werden. Solange wir aber beim Status quo bleiben und ein flächendeckender Ausbau an Studienplätzen noch nicht erfolgt ist, bleibt das NC-Verfahren für uns das kleinere Übel und nicht mehr als ein notwendiges Mittel zum Zweck: denn auch wenn die Fokussierung auf die Abiturnote unzureichend ist, bildet sie eine langfristige Beobachtung ab. Dies wäre beispielsweise bei Auswahlgesprächen nicht der Fall. Nicht zuletzt muss mit der Masterplatzgarantie für alle Bachelor-Absolvent*innen ein Anspruch auf die Fortsetzung des Studiums im Master gesetzlich festgeschrieben werden.
Es bedarf dringend einer Harmonisierung der Verfahrensweisen an den Hochschulen. In Punkten wie Fristen, Benachrichtigungstermine oder der Berücksichtigung der „Nachrücker“ braucht es bundesweit einheitliche Rahmenvorgaben. Nur so können Studierende den Lebensabschnitt Studium mit der nötigen Sicherheit im Rücken langfristig planen. Wir wollen das „Dialogorientierte Serviceverfahren“ (DoSV) nicht aufgeben, müssen aber angesichts lediglich 19 Prozent über dieses bundesweite Verfahren vergebener Studienplätze anerkennen, dass es unseren Ansprüchen nicht gerecht wird. Für die dringend nötigen Verbesserungen braucht das SfH aber wie die Hochschulen konkrete politische Vorgaben, damit das zentrale Vergabesystem und die Systeme der Hochschulen miteinander funktionieren und es für die Hochschulen auch einen tatsächlichen Anreiz gibt, am DoSV teilzunehmen.
Beruflich Qualifizierten muss der Einstieg ins Studium erleichtert werden. Dabei soll es nicht nur um ein möglichst unkompliziertes Zulassungsverfahren gehen, sondern auch um die Anerkennung von im Rahmen der beruflichen Tätigkeit erlangter Kompetenzen. Vorbereitungskurse vor Semesterbeginn können inhaltliche Wissenslücken über die Struktur des Studiums schließen und auf das wissenschaftliche Arbeiten vorbereiten. Wir erkennen berufliche und akademische Kompetenzen als gleichwertig an und wollen, dass dies auch die Hochschulen tun.
Inklusion darf für nicht weiter eine Worthülse sein, auf deren formeller Erfüllung sich ausgeruht wird. Ein Drittel aller behinderten Studierenden gibt an, dass die Wahl seines Studiums stark davon beeinflusst wurde, ob das Studium mit der Behinderung vereinbar ist. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand und zeigt auf, dass Menschen mit Behinderung aufgrund von unterschiedlichsten Hürden immer noch nicht gleichberechtigt studieren können. Gleichzeitig sind bereits bestehende Angebote wie etwa Nachteilsausgleichsregelungen oft nicht transparent und niedrigschwellig. Hier braucht es eine offensive Bewerbung und Aufklärung der Instrumente und Möglichkeiten.
Hier muss also an den strukturellen Defiziten der Hochschulen angesetzt, manchmal aber auch ganz simpel über bauliche Veränderungen gesprochen werden.
Der Hochschulzugang ist nur eine der Perspektiven, die wir für den Weg in ein vielfältiges und chancengerechtes Bildungssystem einnehmen müssen. Das Studium ist ein entscheidender Lebensabschnitt und er muss unabhängig von Ort und Hochschule die gleiche Qualität und vor allem die gleichen Erfolgschancen bieten.