TARIFVERTRÄGE IM ÖFFENTLICHEN DIENST ENDLICH GRÜNDLICH REFORMIEREN!

Seit dem 1. April 1961 regelte der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) die Beschäftigungsbedingungen und die Bezahlung der meisten Angestellten im Öffentlichen Dienst.Der BAT war ein Tarifvertrag, den die öffentlichen Arbeitgeber (Bund, Länder und kommunale Arbeitgeber) und die Gewerkschaft ÖTV, jetzt ver.di, 1961 abgeschlossen haben. Er ist eine Sammelbezeichnung für den eigentlichen BAT, der ein Manteltarifvertrag ist, sowie für Entgelttarifverträge, die jährlich neu verhandelt werden. Die nachfolgenden Vertragswerke des BAT sind seit dem 1. Oktober 2005 der Tarifvertrag der Länder (TV-L) sowie der Tarifvertrag des Öffentlichen Diensts (TvöD).

BAT, ERKLÄRUNG DER GRUNDZÜGE UND LOGIK, GÜLTIGKEIT, WICHTIGSTE ÄNDERUNGEN UND KRITIK DER GEWERKSCHAFTEN
Der BAT wurde von Bund, Land und Kommunen allgemein auf alle Angestellten verwendet. Auf das individuelle Arbeitsverhältnis bezogen bedeutete dies, dass weder ArbeitgeberIn noch ArbeitnehmerIn einer der beiden Verhandlungsparteien, also Arbeitgeberverband oder Gewerkschaft Mitglied sein musste, da in jedem Arbeitsvertrag grundsätzlich die Geltung des BAT vereinbart wurde. Trotz der einheitlichen Quelle, die für alle Beschäftigungsverhältnisse im Angestelltenbereich gilt, existierten bei Bund und Ländern sowie bei Kommunen Unterschiede in den Eingruppierungsvorschriften. Die sogenannte Vergütungsordnung legte fest, für welche Arten von Tätigkeiten welche Vergütungsgruppe gezahlt wird. Bereits die hierin begründeten Unterschiede führten zu Kritik – wurden doch völlig deckungsgleiche Tätigkeiten unterschiedlich bezahlt, beispielsweise wenn eine Bibliothek im Tarifbereich Bund/Länder lag und eine andere im Tarifbereich der Kommunen. Neben diesem Kritikpunkt ist auch an anderer Stelle wiederholt Kritik gegenüber dem BAT geübt worden, die mit dem Nachfolge-Tarifvertrag nur teilweise ausgeräumt werden konnte. So sind die Tätigkeiten und deren Merkmale unbestimmte Rechtsbegriffe, die für sich genommen nur wenig Aussagekraft haben. Sie spiegeln auch nicht die stark veränderte Arbeitsumgebung wieder, inklusive technischer Neuerungen und veränderten Anforderungsprofilen. Ein weiterer, schwerwiegender Kritikpunkt waren die Zuschläge, die je nach Familienstand gezahlt wurden und somit ein völlig überkommenes patriarchalisches Familienbild vertraten.

TVÖD UND TV-L ALS NACHFOLGEVERTRÄGE, ERKLÄRUNG DER GRUNDZÜGE UND LOGIK, GÜLTIGKEIT, WICHTIGSTE ÄNDERUNGEN UND KRITIK DER GEWERKSCHAFTEN
Der TvöD für Bund und Kommunen wurde am 13. September 2005 vereinbart und trat am 1. Oktober 2005 in Kraft. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (Arbeitgeberverband) konnte sich mit ver.di, dbb beamtenbund und tarifunion am 19. Mai 2006 auf den TV-L für den Länderbereich und sein In-Kraft-Treten zum 1. November 2006 einigen. Zuletzt kam es am 10. März 2011 zu einer weiteren Verlängerung des TV-L mit Tariferhöhungen. Der TvöD wurde im Jahr 2008 auf eine Laufzeit von vier Jahren mit Tariferhöhungen verlängert. Im Vergleich zum Vorgänger konnten in beiden Tarifverträgen übereinstimmend einige Kritikpunkte ausgeräumt werden: So ist die Bezahlung nicht länger familienabhängig. Zudem vereint das Tarifwerk Regelungen für „Arbeiter“ und „Angestellte“.
Ein weiterer, allerdings von den Gewerkschaften erfolgreich bekämpfte und bereits herausverhandelter Punkt war die Entwicklung hin zur leistungsorientierten Vergütung. Da die entsprechenden Paragraphen nie mit einer einheitlichen Grundlage für die Beurteilung einer wirklich leistungsgerechten Vergütung gefüllt werden konnten, wurden sie gestrichen. Die Überarbeitung eines besonders bedeutenden Punkts des Tarifwerks gelang jedoch bis heute nicht: Trotz vielfacher Verhandlungsrunden konnten sich die Verhandlungsparteien nicht auf eine neue Vergütungsordnung, in den neuen Tarifwerken bereits „Entgeltordnung“ genannt, einigen. So wurde zunächst vereinbart, dass weiterhin die Vergütungsordnung des BAT gilt. Dies ist bis heute der Fall, da der grundlegende Reformbedarf, den die Gewerkschaften völlig zurecht einforderte, durch den Arbeitgeber nicht anerkannt wurde.

ERSTE BILANZ
Wir NRW Jusos stellen fest, dass die Verhandlungspartner der Gewerkschaften, die sich hinter dem abstrakten Begriff Tarifgemeinschaft der Länder verbergen, nicht vom Himmel fallen und losgelöst agieren, sondern die Vertretung der Bundesländer sind (Ausnahme Hessen und Berlin). Gerade in der Rolle der ArbeitgeberInnen sind die Landesregierungen mit SPD-Beteilgung aus unserer Sicht verpflichtet, für gerechte Entlohnung und transparente Eingruppierungen zu sorgen. Zudem müssen sich gerade auch bildungspolitische Entscheidungen in den Tarifwerken widerspiegeln. Wir fordern die Landesregierung von NRW dazu auf, als größtes Mitgliedsland eine federführende Rolle bei der noch zu verhandelnden „Entgeltordnung“ einzunehmen und eigene politische Werte als Arbeitgeberin selbst umzusetzen!
DIE NRW JUSOS LEGEN AUF DIE FOLGENDEN PUNKTE BESONDEREN WERT:
1. Berücksichtigung der Studienreform in der Entgeltordnung
In der alten Vergütungsordnung des BAT wurde immer neutral von einem Hochschulabschluss als Merkmal für eine Eingruppierung gesprochen. In der Realität wurden jedoch Unterschiede zwischen einem Fachhochschulabschluss und einem Universitätsabschluss gemacht, die sich natürlich auch im Entgelt bemerkbar machten. Nach flächendeckender Umsetzung der Studienreform und den ersten Absolventinnen und Absolventen, die sich auch im öffentlichen Dienst beworben haben, wurde schnell klar, dass es, genauso wie in der privaten Wirtschaft, Probleme gab, für junge ArbeitnehmerInnen mit einem Bachelorgrad ein Einstiegsgehalt festzulegen. So wurde es zur gängigen Praxis den Bachelorabschluss analog zu einem Fachhochschulabschluss zu behandeln.
Wir NRW Jusos sehen die Landesregierungen hier besonders in der Pflicht. Forderungen an die private Wirtschaft auch den Bachelorabschluss als vollwertig eigenständigen und berufsqualifizierenden Abschluss anzuerkennen wirken vor diesem Hintergrund mehr als unglaubwürdig. Wir fordern, dass das zweistufige Studiensystem angemessen in der neuen Entgeltordnung berücksichtigt wird!
2. Die veralteten Berufsbilder müssen dringend der Realität angepasst werden
Ist die alte Vergütungsordnung noch einigermaßen abstrakt formuliert, so finden sich spätestens in den Protokollnotizen (Ergänzungen, die für die einzelnen Vergütungsgruppen die abstrakten Tätigkeitsmerkmale spezifizieren sollen) unabdingbare Hinweise auf das Alter der Vergütungsordnung. So steht in der Protokollnotiz für die Vergütungsgruppe IX b Nr. 3: „Vollbeschäftigte Angestellte, die mit mindestens einem Drittel der regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Magnetbandschreibmaschinen oder andere Textverarbeitungsautomaten bedienen und hierbei vollwertige Leistungen erbringen, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Funktionszulage in Höhe von 8 v. H. der Anfangsgrundvergütung der Vergütungsgruppe VII.“ Auch die Beschreibung einer „einfachen“ Bürotätigkeit hat mit der tatsächlichen Arbeit in einem modernen Büro wenig zu tun. So werden folgende Tätigkeiten als Merkmale der eben genannten Vergütungsgruppe in IX b angeführt: „Angestellte im Büro-, Registratur-, Kassen-, Buchhalterei-, Sparkassen-, Kanzlei-, sonstigen
Innendienst und im Außendienst mit einfacheren Arbeiten (z. B. nach Schema zu erledigende Arbeiten; Postabfertigung; Führung von Brieftagebüchern, Inhaltsverzeichnissen; Führung von einfachen Karteien, z. B. Zettelkatalogen, nach Eigen- oder Ortsnamen geordneten Karteien; Führung von Kontrollisten, Einheitswertbogen und statistischen Anschreibungen; Formularverwaltung, Schreibmaterialverwaltung; Führung von häufig wiederkehrendem Schriftwechsel nach Vordruck, insbesondere formularmäßige Bescheinigungen und Benachrichtigungen sowie Erinnerungen und Straffestsetzungen; Lesen von Reinschriften; Heraussuchen von Vorgängen an Hand der Tagebücher).“ Ein transparentes und auf Vergleichbarkeit angelegtes Vergütungssystem kann nicht mit solchen Tätigkeitsbeschreibungen einher gehen!
3. Verwendung von geschlechtergerechter Sprache
Die NRW Jusos fordern die Anwendung einer geschlechtergerechten Sprache. Gerade im Bereich des öffentlichen Diensts ist es nicht hinnehmbar, dass tradierte Berufsbilder immer noch mit Geschlechtern verbunden werden. So wird in den Protokollnotizen mit großer Selbstverständlichkeit lediglich von Krankenschwestern und Altenpflegerinnen gesprochen (vgl. Protokollnotizen zur Vergütungsgruppe Kr. IX).
4. Tarifverträge dürfen keine Arbeitsverhältnisse ausschließen
Die Tarifverträge gelten längst nicht für jedes Beschäftigungsverhältnis im Angestelltenbereich. So fordern Jusos und Juso-Hochschulgruppen bereits seit Jahren die Aufnahme von studentischen Hilfskräften (SHK) in den Bereich des TV-L. Bislang sind lediglich studentische Hilfskräfte in Berlin vom Tarifvertrag erfasst. In allen anderen Ländern gilt für die Entlohnung von SHK eine Richtlinie, die jedoch keineswegs exakt von den Hochschulen umgesetzt werden muss. Außerdem haben sie keine eigene Personalvertretung. Somit ist es nur logisch, dass diese Arbeitsverhältnisse in der Praxis stark abhängig vom direkten Vorgesetzen geprägt sind: Urlaubsansprüche, Pausenzeiten und Arbeitszeiten sind eher individuelle Verhandlungssache als einklagbare Rechte. Leider hat es auch unsere Landesregierung verpasst im derzeitig vorliegenden Entwurf für das Landespersonalvertretungsgesetz trotz Forderungen der Gewerkschaften für entsprechende Regelungen für die Gruppe der SHK zu sorgen. Wir NRW Jusos fordern die sorgfältige Erfassung aller Arbeitsverhältnisse in den Tarifwerken!

Quellen:
http://www.juracity.de/
http://www.verdi.de/
http://www.ib.hu-berlin.de/~kumlau/handreichungen/h54/