Living in a material world: Die Schattenseiten der Textilindustrie

“Kleider machen Leute” – ein Satz, den die meisten Menschen schon mal gehört haben. In unserer Gesellschaft hat Kleidung einen großen Stellenwert – sie bietet Menschen die Möglichkeit, sich auszudrücken und trägt zur individuellen Entfaltung bei. Da Kleidung für viele Menschen von großer Bedeutung ist, haben Unternehmen in der Bekleidungsbranche die Möglichkeit, hohe Gewinne zu erzielen.

Die Textilindustrie ist eine der größten Industrien weltweit, die durch ihre tiefgreifende globale Verkettung gekennzeichnet ist. Teil der Textilindustrie ist unter anderem die Bekleidungsindustrie, die sich momentan in einer bedeutenden Phase des Wandels befindet, denn:

Anfang der 1980er Jahre wurde zeitgleich mit der globalen Vernetzung der Weltmarkt immer stärker. Es kam zu einer Expansion des Marktes, bei der sich auch die Produktion immer mehr global verlagerte. Während sich die kapitalistische Produktionsweise also immer weiter ausbreitete, wandelte sich auch die Textilindustrie und “Fast Fashion” wurde zum festen Bestandteil der Bekleidungsindustrie.
Fast Fashion ist ein Geschäftsmodell, das sich durch die schnelle und billige Produktion von Bekleidung kennzeichnet. Dieses Konzept beruht auf dem Prinzip, dass Konsument*innen Kleidung zu günstigen Preisen kaufen können, um sie dann schnell zu ersetzen, wenn sie aus der Mode gehen. So bringen Bekleidungsgeschäfte wie Zara mittlerweile rund 24 Kollektionen im Jahr raus.

Seit der Jahrhundertwende hat sich die Kleidungsproduktion mehr als verdoppelt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) geht von einem intensiven Wachstum der Textilindustrie aus. Die rasante Produktion führt gleichzeitig zum erhöhten Konsum. Im Schnitt kaufen Verbraucher*innen in Deutschland 60 Kleidungsstücke im Jahr, wovon jedes 5. Stück so gut wie nie getragen wird.

Es handelt sich hierbei also um eine Produktion, die darauf ausgelegt ist, immer schneller herzustellen und verschwenderisch zu konsumieren.

So sieht jedenfalls die Verbraucher*innenseite, das eine Ende der Produktionskette, aus.

Die Produktionskette in der Textilindustrie ist jedoch lang und auf der anderen Seite sitzen meist Arbeiter*innen in Ländern des Globalen Südens, die die Kleidung unter prekären Bedingungen herstellen. Die Unterschiede in der Produktions- und Konsumpraxis zeigen die Probleme unseres gegenwärtigen Systems, das auf Gewinnmaximierung und Ausbeutung basiert. Es wird deutlich, dass die Be- und Entwertung von Kleidung sowie die damit einhergehenden sozialen und ökologischen Folgen eng miteinander verknüpft sind und eine grundlegende Veränderung erforderlich ist, um eine sozial faire und nachhaltige Textilindustrie zu schaffen.

Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie:

Rund 24 Kollektionen im Jahr und Kleidung zu oftmals sehr niedrigen Preisen kommt nicht einfach aus dem Nichts heraus. In den meisten Produktionsländern werden die Rechte von Arbeitnehmer*innen drastisch systematisch verletzt.

Zu dieser Ausbeutung gehört unter anderem: Es werden nicht existenzsichernde Löhne ausgezahlt, Arbeiter*innen müssen überlange Arbeitszeiten leisten und unter gefährlichen Umständen arbeiten. Schutzkleidung ist, obwohl mit schädlichen Stoffen gearbeitet wird, nicht vorhanden. Die Ausbeutung in der Textilindustrie betrifft vor allem Frauen, die den Großteil der Arbeitskräfte in dieser Branche ausmachen. Sie sind besonders gefährdet, da sie oft in prekären Arbeitsverhältnissen ohne angemessene soziale Absicherung tätig sind. Viele von ihnen verdienen nicht genug, um ihre Grundbedürfnisse zu decken, geschweige denn ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Darüber hinaus fließen bei der Produktion unter anderem Chemikalien ins Abwasser, die letztendlich gesundheitsgefährdend sind, da in den Produktionsländern meist keine Kläranlagen existieren. Diese Verschmutzung hat wiederum weitreichende Konsequenzen für die gesamte Bevölkerung des Landes. Insbesondere Kinder sind von den Folgen betroffen, da sie aufgrund ihres entwicklungsbedingten geringeren Körpergewichts und ihrer empfindlichen Organentwicklung besonders anfällig für Krankheiten sind.

Die Schädigung des Grundwassers durch die textile Produktion betrifft nicht nur die unmittelbar betroffenen Arbeiter*innen und ihre Familien, sondern die gesamte Bevölkerung.

Rechte für die Arbeiter*innen sind dabei kaum vorhanden. Die großen Unternehmen bilden währenddessen ein unglaubliches Machtmonopol. Wenn sie wollen, können sie einfach mit der Produktion abwandern, wenn ihnen irgendetwas nicht passt. Sprich, die Arbeiter*innen sind schlichtweg von der Arbeit abhängig und in dieser gefangen.

Die Textilindustrie birgt nicht nur Ausbeutung und prekäre Arbeitsbedingungen, sondern auch die Gefahr von Zwangsarbeit. Arbeiter*innen werden unter unmenschlichen Bedingungen gezwungen, ohne angemessene Bezahlung oder soziale Absicherung zu arbeiten. Dieser Missbrauch verletzt grundlegende Menschenrechte und erfordert dringend unser Engagement für gerechte Arbeitsbedingungen und die Abschaffung von Zwangsarbeit.

Besonders von Zwangsarbeit betroffen sind ethnische Minderheiten. In Teilen Chinas werden beispielsweise Uiguren, eine ethnische muslimische Gruppierung, unter menschenverachtenden Bedingungen in sogenannten Arbeitslagern zur Arbeit gezwungen. Fälle der Zwangsarbeit und der Kinderarbeit sind keine Seltenheit in der Textilindustrie.

Die kapitalistische Logik des Profits und des Wettbewerbs führt dazu, dass die meisten Unternehmen nicht daran interessiert sind, unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt werden. Somit können Lieferketten auch nicht ausreichend kontrolliert werden.

Das Streben nach niedrigen Produktionskosten und schneller Lieferung verleitet Unternehmen dazu, Aufträge an Zulieferer weiterzugeben, die Zwangsarbeit basierte Praktiken nutzen.

Umweltauswirkungen:

Die Produktion in der Textilindustrie geht mit einem massiven Ressourcenverbrauch einher. Allein beim Anbau von Baumwollpflanzen werden unheimlich viel Düngemittel und Pestizide benutzt, da so die Pflanzen schneller wachsen. Ungefähr 14 % des weltweiten Insektizidmarktes und 5 % des Pestizidmarktes werden im Textilsektor verbraucht.

Bei der Produktion passiert aber noch viel mehr Schädliches: Für die vielen Schritte, wie das Glätten, Bleichen, Färben etc. werden Chemikalien benutzt, die wiederum im Grundwasser landen.

Das Waschen von synthetischen Fasern wie zum Beispiel Polyester oder Elasthan setzt Mikroplastik frei, welches zwangsläufig in die Meere gelangt.

Außerdem werden Mengen an Wasser für die Produktion benötigt. Für 1 Kilo Baumwolle braucht es 11.000 Liter Wasser. Dass die ausbeuterische, industrielle Produktion in der Textilindustrie verheerende Auswirkungen hat, sieht man am Beispiel des Aralsees, welcher einst der viertgrößte See Asiens war. Das Wasser wurde jahrelang für die Bewässerung von Baumwollfeldern genutzt, was dazu führte, dass der See mittlerweile fast vollständig austrocknete.

Ein weiteres Problem ist der Transport der Kleidung, welcher den Ausstoß von CO₂ verursacht. Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass bis 2050 die Textilindustrie für ein Viertel des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich sein könnte. Der hohe CO₂-Ausstoß der Textilindustrie hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und trägt zum Klimawandel bei.

Außerdem führt die kurze Lebensdauer von Fast Fashion Produkten zu einem immer schnelleren Takt des Konsums und der Entsorgung, was auch ein enormes Abfallaufkommen zur Folge hat.

Die Produktion in der Textilindustrie ist gravierend für die Situation der Arbeiter*innen und die Auswirkungen auf die Umwelt. Politisches Handeln ist demnach wichtig, da die kapitalistische Produktionsweise unaufhaltsam auf Gewinn ausgelegt ist, ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt.

Maßnahmen in Deutschland:

Im April 2013 stürzte die “Rana-Plaza-Fabrik” in Bangladesch ein. Der Einsturz dieser Textilfabrik, der über 1000 Menschen das Leben kostete, rückte die prekären Verhältnisse in der Textilindustrie erstmals in den globalen Fokus. Als Reaktion initiierte ein Jahr später das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) das “Bündnis für nachhaltige Textilien”. Dabei handelt es sich um eine Multistakeholder-Initiative mit über 100 Mitgliedern, die aus verschiedenen Interessengruppen besteht. Vertreten sind Gruppen aus Bereichen wie Politik, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Ziel sei es für bessere Bedingungen in der gesamten Lieferkette zu sorgen. Dabei wurden Maßnahmen ergriffen, um die Vernichtung von gebrauchsfähigen Waren zu verhindern und den Überschuss an Produkten zu minimieren. Zwar kann Deutschland durch Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in der Textilindustrie beitragen, die entscheidende Ebene ist hierbei jedoch die Europäische Union (EU).

Lieferkettengesetz:

Seit längerer Zeit gibt es von aktivistischer Seite die sogenannte “Initiative Lieferkettengesetz” die für ein neues Lieferkettengesetz auf EU-Ebene kämpft, das den Schutz von Umwelt- und Menschenrechten in der Textilindustrie gewährt.

Am 1. Juni 2023 hat das Europaparlament nun endlich für ein neues Lieferkettengesetz gestimmt, das einen elementaren Schritt für die Textilindustrie bedeutet. Dieses Gesetz soll allgemein für höhere Sicherheitsstandards und bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie sorgen. Das beinhaltet unter anderem die Ausweitung sogenannter Sorgfaltspflichten. Das heißt, Unternehmen müssen regelmäßig ein Risikomanagement durchführen, indem sie Risikoanalysen erstellen, die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens entlang der gesamten Wertschöpfungskette einrichten und jährlich über die Lage Bericht erstatten. Konkret bedeutet dies, dass Unternehmen die ganze Handelskette überwachen müssen, von den benötigten Ressourcen bis zum Endprodukt. Unternehmen haben die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit von Verstößen gegen Menschen- und Umweltschutzrechte in einem bestimmten Land oder bei einem bestimmten Produkt nach Risiko zu staffeln, was zu weniger bürokratischen Aufwand dienen soll.

Ob die Richtlinie der EU dann wirklich eingehalten wird, sollen dann staatliche Behörden prüfen. In Deutschland ist dafür das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle verantwortlich. Zwar wird das momentan schon angepasst an die aktuelle Richtlinie gemacht, die neue Richtlinie sorgt aber wie schon erwähnt dafür, dass alle Unternehmen kontrolliert werden und nicht nur der direkte Lieferant. Die neue Richtlinie bedeutet, dass die jetzigen Methoden der Unternehmen neu gedacht werden müssen. Durch die Überwachung der gesamten Lieferkette soll die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards gesichert werden. Eine tiefgreifende Emissionsreduktion fehlt aber immer noch.

Außerdem soll die neue Richtlinie dafür sorgen, dass künftig Unternehmen ab 250 Beschäftigten beziehungsweise einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro diese Sorgfaltspflichten einführen müssen. Von kapitalistischer Seite wird vermehrt entgegnet, dass das ja Unternehmen vor einen Haufen Bürokratie stellen würde und es ihnen einen Schaden zufügt. Dass Unternehmen hier einen Aufwand an Bürokratie und die Angst vor weniger Profit durch bessere Arbeitsbedingungen als Gegenargument an den Tag bringen ist zwar nicht überraschend, aber dennoch unangebracht, wenn man den Ernst der Lage bedenkt.

Auf gewerkschaftlicher Seite wird stattdessen gefordert, dass auch kleinere Unternehmen mit in die Sorgfaltspflicht einbezogen werden. Die Kontrolle der Handelskette solle nicht von einer bestimmten Zahl und Unternehmensform abhängen, da auch kleinere Unternehmen erhebliche Auswirkungen auf Sozialstandards haben können.

Ein weiteres bedeutendes Element der Richtlinie ist, dass Arbeitnehmer:innen ihre Rechte einklagen können, wenn diese nicht eingehalten werden. Was an sich ein guter Schritt ist, aber in der Umsetzung leider nicht so einfach. Theoretisch könnten die Arbeitnehmer*innen ihre Rechte einklagen, praktisch existieren immer noch etliche Hürden für die Betroffenen. Die Möglichkeit vor Gericht zu gehen und dann noch ausreichend Beweise zu bekommen, die sie gegen ein riesiges Unternehmen vorlegen können, ist kaum vorhanden. Eine faire Beweislast wäre hier nötig, die die aktuelle Richtlinie nicht beinhaltet.

Der Entwurf bezieht sich im Kern auf die Verbesserung der Arbeitssituation für Menschen. Daher stellen Gewerkschaften auch die Forderung, Arbeitnehmer*innenvertretungen in die Umsetzung der Sorgfaltspflicht strukturell einzubinden.

Nach dem derzeitigen Kompromissentwurf der Richtlinie sieht so aus, dass bei Unternehmen teilweise die Pflichten erst 2028 endgültig erfüllt werden müssen. Wenn man bedenkt, in welchen Zeiten des Klimawandels wir leben und was für einen erheblichen Umweltschaden die Textilindustrie verursacht, müssen die Pflichten früher greifen.

Das Lieferkettengesetz, das jetzt 10 Jahre nach den Ereignissen in der Rana Plaza-Fabrik endlich in Kraft treten soll, bringt einige gute Veränderungen mit sich. Um eine umfassendere Verbesserung der Umwelt- und Menschenrechte zu garantieren, bedarf es immer noch einigen Anpassungen.

Daher fordern wir:

  • Den Einbezug strengerer Verpflichtungen zum Klimaschutz, mit klaren Zielen zur vollständigen Verringerung von Emissionen, die die komplette Wertschöpfungskette umfasst
  • Dass alle Unternehmen entsprechend ihrer Risikodisposition in die Sorgfaltspflichten einbezogen werden
  • Eine Beweislastumkehr, bei der Unternehmen nachweisen müssen, dass sie die Sorgfaltspflichten eingehalten haben und nicht andersrum
  • Den Einbezug von Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innenvertretungen in den Prozess der Sorgfaltspflicht und besonders den von betroffenen Arbeiter*innen in den Prozess der Sorgfaltspflicht und in den Kontrollprozess

Systemkritik:

Aus jungsozialistischer Perspektive ist es wichtig die Textilindustrie in Gänze besonders kritisch zu betrachten.

Die Textilindustrie bildet ein Paradebeispiel für die Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. Dabei steht nur die Profitmaximierung von Unternehmen im Fokus, die die Ausbeutung von Millionen Menschen, vor allem im globalen Süden, billigt. Geprägt ist die ganze Industrie durch rassistische und hierarchische Strukturen. Die Produktion findet meist in Ländern des Globalen Südens statt, in denen Personen zu menschenverachtenden Verhältnissen ausgebeutet werden. Die Arbeit wird dazu meist von Frauen verrichtet. Rassismus und patriarchale Strukturen spielen hier eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems in der Textilindustrie.

Die Textilindustrie ist somit ein weiterer Industriezweig, der demonstriert wie perfide der Kapitalismus sich international ausdehnt und seine Spuren hinterlässt.

Individuen haben nur begrenzte Möglichkeiten dem entgegenzuwirken.

Die Wahl zwischen teurerer ethischer Kleidung und billigerer konventioneller Kleidung ist oft keine wirkliche Wahl, wenn die finanziellen Ressourcen begrenzt sind. Daher ist es auch wichtig, den Unterschied zwischen Konsumkritik und Systemkritik anzuerkennen. Es ist zwar weiterhin essentiell, die Zustände in der Textilindustrie kritisch zu betrachten und zu hinterfragen, allerdings liegt die Verantwortung für den Wandel letztendlich nicht bei den Konsument*innen.

Um tatsächliche Veränderungen in der Textilindustrie herzustellen, muss das kapitalistische System als Ganzes hinterfragt und transformiert werden. Ein System muss hinterfragt werden, in dem im globalen Norden die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen weiter Priorität haben und die Erde durch ihre Gewinnorientierung zerstören.

Daher ist es wichtig, dass wir Jusos nie vergessen, dass sich unsere Kritik an das kapitalistische System als Ganzes richtet und es dessen Abbau benötigt, um eine wirkliche Verbesserung der Situation zu erzielen.

Wir positionieren uns daher klar:

  • gegen eine Textilindustrie, die auf den stetigen Konsum ausgelegt ist und das Leid von vielen Menschen und die Verschmutzung der Umwelt mit sich bringt
  • für Investitionen in Bildung über die Folgen von der Priorisierung wirtschaftlicher Interessen, Handelsmodelle, die einen nachhaltiger Konsum ermöglichen und die Auswirkungen der Textilindustrie auf Mensch und Umwelt