Union Busting ist kein Kavaliersdelikt!

Nach § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes wird jene*r mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bestraft, welche*r die Arbeit der gewählten Gremien stört, wer einzelne Mitglieder benachteiligt oder begünstigt. Theoretisch gesehen.
Doch davon lassen sich Unternehmen, die gezielt gegen Gewerkschaften arbeiten, nicht abschrecken. „Union Busting“, das organisierte Be- und Verhindern von Gewerkschafts- und Betriebsrätearbeit, als ein Werkzeug kritische Arbeitnehmer*innenstimmen zu schwächen, wird immer normaler in Deutschland. Was früher eher noch eine Ausnahme gewesen ist, ist inzwischen ein Trend. Die Verhinderung von Gewerkschafts- und Betriebsrätearbeit untergräbt die demokratischen Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und um diese Mitbestimmungsrechte zu schwächen oder zu beschneiden, wird jedes Instrument genutzt:
Mobbing, unsachgerechten Kündigungen oder die Verhinderung, Anfechtung oder Manipulation von Betriebsratswahlen.
Das kommt nicht von Ungefähr, dahinter steckt oft ein strukturell durchdachtes System. Die Grundregel des Union Bustings: Es geht gar nicht darum Prozesse zu gewinnen, es geht darum gewerkschaftlich Engagierte zu zermürben, einzuschüchtern und aus dem Betrieb zu drängen. Unternehmen lassen sich von bekannten Antigewerkschaftsanwält*innen vertreten und bedienen sich spezialisierter Anwaltskanzleien, die in Grauzonen agieren und vor nichts zurückschrecken.
Erst recht nicht vor der Sanktionsandrohung des Betriebsverfassungsgesetzes. Die Androhung des §119 BetrVG wird schon seit längerer Zeit von Gewerkschaften als „stumpfes Schwert“ kritisiert und an der Situation hat sich nichts verändert. Nach der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamts wurden in den Jahren von 2007- 2016 bundesweit 63 Frauen und Männer angeklagt, davon verurteilt wurden gerade mal elf- das macht ca. eine Verurteilung pro Jahr. Zudem wird jede sechste Betriebsratsgründung aktiv behindert und das allein im Organisationsbereich der IG Metall und IG BCE, welche traditionell als sehr mitbestimmungsstark gelten. Andere Bereiche sehen düsterer aus. Wer also wegen §119 BetrVG angezeigt wird, kann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf einen Freispruch hoffen.

 

    • 119 BetrVG zum Offizialdelikt machen!

 

In der Realität kommt es oftmals sogar gar nicht zu einer Anzeige. Viele Straftaten verweilen im Dunkelfeld und werden erst gar nicht bekannt und wenn sie bekannt werden, wird vor einer Anzeige zurückgeschreckt oder das Verfahren bleibt im Ermittlungsverfahren stecken.
Das liegt unter anderem auch daran, dass die Betriebsratsbehinderung ein Antragsdelikt und kein Offizialdelikt ist. Das heißt, dass zunächst ein Antrag auf Strafverfolgung gestellt werden muss. Gestellt werden darf der Strafantrag jedoch nur von der Arbeitnehmer*innenvertretung, dem Wahlvorstand, von einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft, wie auch kurioserweise vom Unternehmen selbst. Laut der Generalstaatsanwaltschaften ist dies keine kleine Hürde. Das Ermittlungsverfahren wegen Verhinderung von Betriebsratsarbeiten wird schon deshalb oftmals eingestellt, weil der Strafantrag den Anforderungen des § 119 BetrVG nicht genügt. Daher ist es von besonderer Wichtigkeit aus dem Antrags- ein Offizialdelikt zu machen, die wegen ihrer Schwere von Amts wegen verfolgt werden muss oder den Personenkreis, welcher antragsberechtigt ist, zu erweitern.
Sensibilisierung der Anklagebehörden
Doch mangelt es oftmals bei den Anklagebehörden auch an der nötigen arbeitsrechtlichen Kompetenz und Sensibilität für das Arbeitsleben. Zudem sorgt die stets beklagte Überlastung der Justiz dazu, dass generell die allermeisten Verfahren eingestellt werden. Zur Forderung, dass Betriebsratsbehinderung ein Offizialdelikt werden muss, ist es gleicherweise von großer Bedeutung, dass dazu Schwerpunktstaatsanwaltschaften mit geschulten Jurist*innen, die ein Bewusstsein für die Bedeutung von Arbeitnehmervertreter*innen haben, gebildet werden, so wie sie es schon bei Wirtschaftskriminalität und Internetkriminalität gibt.
Die Versuchsstrafbarkeit einführen!
Aktuell ist der Versuch einer Behinderung nicht strafbar und bestraft wird nur die „erfolgreiche“ Behinderung. In der Realität heißt das also, dass Unternehmen ihre Betriebsräte, wenn es sie überhaupt gibt, mit Dutzenden unbegründeten Kündigungen bombardieren können und solange diese keinen Bestand vor den Arbeitsgerichten haben, haben sie auch nichts zu befürchten. Es ist also kein Wunder, dass Betroffene sich selten bei Union Busting an die Behörden wenden. Die Appellfunktion und die Strafandrohung des §119 BetrVG muss die Unternehmen auch erreichen. Zur Erhöhung des Abschreckungseffekts muss schon der Versuch einer Behinderung unter Strafandrohung stehen, denn eigentlich ist eine „erfolgreiche“ Behinderung schon vor der Erfüllung des Straftatbestandes erfolgreich. Auch ist die fehlende Effizienz des deutschen Rechtsstaates bei Verstößen gegen das Betriebsverfassungsgesetz eine Ermutigung für mitbestimmungsfeindliche Handlungen von Arbeitgeber*innen. Damit mitbestimmungsfeindliche Unternehmen abgeschreckt werden, muss der Appell der Strafandrohung in Gänze ankommen, gegebenenfalls die Strafbemessung erweitert werden.
Öffentlichkeit für Betroffene schaffen
Oftmals sind Aktuer*innen des Union Bustings nicht bekannt und treten öffentlich nicht auf: Rechtsanwält*innen, Wirtschaftskanzleien, PR-Agenturen, Unternehmensstiftungen, Wirtschaftsdetekteien verkaufen ihr neoliberales Geschäftsmodell und das wird in der Öffentlichkeit viel zu selten angeprangert. Es bleiben Betroffene zurück, die den Einschüchterungen und der aggressiven Vorgehensweise der Arbeitgeber*innen standhalten müssen. Allein das Wecken des gesellschaftlichen Interesses könnte eine Abkehr von der Vorgehensweise ermöglichen. Union Busting muss aggressiver in der Presse angeprangert und die Anlaufstellen bei den Gewerkschaften gegenüber Betroffenen besser kommuniziert werden.
Schließlich müssen Gesetze, die zum Schutz von Interessenvertretungen im Betrieb dienen sollen, eingehalten und Verstöße gegen diese stärker verfolgt werden. Vorsätzliche Verhinderung von Gewerkschafts- und Betriebsrätearbeit und die bewusste Umgehung der Gesetze lehnen wir vehement ab.
Schleppende Verfahren, Staatsanwält*innen, welche eine nicht ausreichende Ahnung von Mitbestimmung im Betrieb haben, die große Hürde, welche Arbeitnehmer*innen überwinden müssen, um überhaupt erfolgreich einen Antrag stellen zu können, die Mitbestimmungsfeindlichkeit von Unternehmen, worunter stets gewerkschaftlich Engagierte leiden, und eine Strafandrohung, welche von Unternehmen schulterzuckend hingenommen werden – das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. Es ist nicht hinnehmbar, dass demokratisch legitimierte Interessenvertretungen dermaßen angegriffen werden. Es muss signalisiert werden, dass Union Busting nicht nur ein Kavaliersdelikt ist, sondern ein Angriff auf unser Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit!
Daher fordern wir:

 

    1. Die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit mehr arbeitsrechtlicher und betrieblicher Kompetenz zur Verfolgung von Straftaten gegen die Arbeit von Gewerkschaften und Betriebsräten.
    2. Die bundesweite Einrichtung einer Arbeiterkammer nach dem Vorbild Österreichs oder des Saarlandes soll als staatliche Ergänzung zu den Gewerkschaften geprüft werden.
    3. Die Erweiterung der Straftatbestände im Betriebsverfassungsgesetz. Dazu gehört die Einführung der Versuchsstrafbarkeit, die Anerkennung der Straftat als Offizialdelikt, daraus resultierend die Verfolgung der Handlung von Amts wegen und zuletzt die Verschärfung der Strafbemessung.
    4. Die Erweiterung des Personenkreises, welcher Anzeigeberechtigt ist.
    5. Es ist zu überprüfen, ob die strafrechtliche Verfolgung von Seminar-Anbieter*innen, deren Seminare den alleinigen Zweck verfolgen, die Interessenvertretung von Arbeitnehmer*innen im Betrieb zu verhindern, eingeführt werden sollte.
    6. Mitbestimmungsmöglichkeiten für Betriebsräte, Schwerbehindertenvertretungen sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen auszuweiten.
    7. Einen größeren gesellschaftlichen Diskurs mit und durch die NRW SPD anzustrengen, um Strategien zur Eindämmung von „Union Busting“ mit Bündnispartner*innen zu entwickeln.