Verbeamtung oder mentales Wohlbefinden? – Gegen die Stigmatisierung von angehenden Beamt*innen mit psychischen Vorerkrankungen

Der Staat will sehr genau wissen mit wem er bei der Verbeamtung einen lebenslangen Vertrag eingeht. Dies betrifft beispielsweise Lehrer*innen, Polizist*innen oder Jurist*innen. Im Detail geht es bei den Anforderungen der Verbeamtung um die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung.

Vor allem die medizinische Beurteilung kann da für viele Personen zum Problem werden, besonders wenn es sich dabei um psychische Belastungen handelt. Amtsärzt*innen prognostizieren dabei aus der medizinisch dokumentierten Vorgeschichte sowie der aktuellen gesundheitlichen Situation die Wahrscheinlichkeit, dass Anwärter*innen frühzeitig aus dem Dienst ausscheiden oder lange Unterbrechungen drohen.

Richtlinien für eine einheitliche Beurteilung sind nicht vorhanden, was die medizinische Beurteilung der psychischen Gesundheit für die Anwärter*innen undurchschaubar macht und willkürlich erscheinen lässt. Aufgrund mangelnder verbindlicher Regelungen hängt eine Entscheidung oft von dem*der untersuchende*n Amtsärzt*in ab. Durch Änderungen der Gesetzeslage im Jahr 2013 hat sich zwar die Beweislast umgekehrt, sodass nunmehr die Gründe für eine Nichteignung dargelegt werden müssen, jedoch sehen sich Anwärter*innen immer noch mit vielen Problemen konfrontiert.

So versuchen viele Personen psychische Vorerkrankungen und damit verbundene Behandlungen aus ihren Krankenakten herauszuhalten, da sie Angst haben, dass diese einer Verbeamtung im Weg stehen könnten. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Entwicklungen, die Therapie für immer mehr Menschen notwendig macht, ist dies problematisch. So ist beispielsweise eine*r von sechs Studierenden auf psychische Behandlung angewiesen.

Infolgedessen zögern Betroffene, ärztliche und psychotherapeutische Hilfe vor ihrer amtsärztlichen Untersuchung in Anspruch zu nehmen. Sie versuchen mit ihren Problemen selbst zurechtzukommen oder müssen auf teure und/oder nicht staatlich bzw. verbandlich regulierte Anlaufstellen zurückgreifen. Dies kann zu einer weiteren Verschlechterung der mentalen Gesundheit führen, wenn die nötigen finanziellen Mittel zu seriösen Alternativen fehlen, die nicht aktenkundig werden. Wir stehen zudem für eine Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Erkrankten, die sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Stigmatisierung führt zu einer Tabuisierung und verkennt dabei die positiven Effekte einer Therapie, die die Betroffenen bestärkt und hilft mit ihren Problemen und zukünftigen Situationen viel besser zurecht zu kommen als ohne Therapie. Das Interesse sollte also eher darin liegen, dass Menschen sich helfen lassen, um auch im Beruf gut zurecht zu kommen, als sich vor Angst vor einem Karriereeinschnitt nicht behandeln zu lassen.

De facto führt nicht jede therapeutische Behandlung automatisch zu einer Nicht-Verbeamtung, vor allem bei erfolgreichem Verlauf oder weniger schwerwiegenden Beeinträchtigungen. Aufgrund jedoch von Intransparenz und Einzelfallentscheidungen bleibt das Verfahren weiterhin unvorhersehbar. Dadurch schrecken auch bei den derzeitigen Regelungen viele Menschen vor einer Therapie zurück, deren Verbeamtung eigentlich nicht in Gefahr stünde.

Aus einer jungsozialistischen Position darf es nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer psychischen Verfassung in diesem Maße diskriminiert werden. Besonders Menschen, die besonderem Stress und besonderer Verantwortung ausgesetzt sind, sollten nicht davon abgehalten werden, sich bei gesundheitlichen Problemen die für sie passende Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist äußerst fraglich, ob diese Praxis dazu führt, mental stabile Personen zu verbeamten. Denn vielmehr ist davon auszugehen, dass eventuelle Vorerkrankungen verheimlicht und unbehandelt bleiben.

Insgesamt ist diese Form der ‚Auslese‘ ohnehin zu problematisieren, da sie eine Vielzahl an Menschen aufgrund antiquierter Vorstellungen von psychischer Eignung vorverurteilt und zu destruktivem Handeln anregt.

Daher fordern wir:

  • Vorläufig die Schaffung der Verbeamtungskriterien, um Anwärter*innen eventuelle Bedenken bei der Inanspruchnahme einer Therapie zu nehmen bei gleichzeitiger Absage an Pauschalisierungen
  • eine Institutionalisierung von diesbezüglicher Aufklärung für Anwärter*innen
  • umfangreichere ärztliche Gutachten
  • die Sensibilisierung von Amtsärzt*innen für dieses Thema hinsichtlich einer gesamtgesellschaftlich zielführenden Urteilsfindung
  • ein generelles Umdenken bei Verbeamtungskriterien bezüglich mentaler Gesundheit und Eignung, die therapeutischen Bedarf und psychische Diversität normalisiert
  • Psychotherapeutische und psychiatrische Maßnahmen, die zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Amtsarzt erfolgreich abgeschlossen sind, dürfen nicht zum Nachteil der Anwärter*innen in den Entscheidungsprozess um eine Verbeamtung einbezogen werden.
  • Regelmäßige Supervisionen und Therapieangebote während des Referendariats und der gesamtem Berufslaufzeit, um die hohe psychische Belastung von Lehrer*innen zu reduzieren und die Stigmatisierung von Psychotherapie in dieser Branche zu durchbrechen.