We don’t want no trauma – Gegen rassistische Diskriminierung im Gesundheitswesen

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass wir in einer inhärent rassistischen Gesellschaft leben, der weiße, heteronormative und vor allem patriarchale Strukturen zu Grunde liegen. Somit dürfte es nicht überraschend sein, dass auch Anti-Schwarzer Rassismus in allen gesellschaftlichen Bereichen eine große Rolle spielt. Koloniale Stereotype, welche nie wirklich aufgearbeitet wurden, ziehen nach wie vor ihre Kreise und fallen wieder vermehrt auf fruchtbaren Boden. So bildet auch das Gesundheitssystem in Deutschland keine Ausnahme, sondern reproduziert und begünstigt eben diese Stereotype und Rassismen. Dieser Zustand wirkt sich darauf aus, wie und ob Schwarze eine medizinische Versorgung erhalten. Die Probleme, denen afrikanische, schwarze und afrodiasporische Personen hier ausgesetzt sind, sind vielseitig und wurden im „Afrozensus“ von 2020 erfasst. Es zeichnet sich ein erschreckendes Bild, welches von Erfahrungen mit offenem Rassismus, bis hin zu falscher Diagnostik aufgrund von Unwissenheit des medizinischen Personals reicht. 98% der Befragten des Afrozensus gehen deshalb davon aus, dass es zu Rassismus im Gesundheitswesen kommt. Eine umfassende und angemessene medizinische Versorgung ist ein unumstößliches Menschenrecht. Für uns Jusos als ein linker Richtungsverband ist es unerlässlich, dass wir uns diesen Zuständen stellen und unseren Beitrag dazu leisten, dass die rassistischen Gesellschaftsstrukturen endlich aufgebrochen werden und dieses Recht für alle gewährleistet werden kann.

Gerechte und angemessene Versorgung sollte kein weißes Privileg sein 

Die Probleme beginnen schon bei den Versorgungsstrukturen. Wer erhält in Deutschland eine angemessene medizinische Versorgung? Die Realität ist, dass weiße Menschen in vielen Fällen sehr viel einfacher an die notwendigen Behandlungen herankommen. Dieser Zugang wird schwarzen Menschen durch „Othering-Prozesse“ in der Behandlung erschwert. Diese rassistischen Denk- und Verhaltensmuster von Ärzt*innen und medizinischem Personal tragen dazu bei, dass schwarze Menschen beispielsweise nicht ernstgenommen werden, oder nicht die Geduld vorliegt sich mit ihnen eingehend zu befassen. Das hat unteranderem starken Einfluss auf das medizinische Vermittlungsverfahren und ob es überhaupt stattfindet. Es lässt sich also sagen, dass durch diesen Umstand eine medizinische Versorgung nicht nur beeinträchtigt, sondern teilweise auch verhindert wird. Ein Faktor, der diesen Missstand zusätzlich beeinflusst sind Sprachbarrieren während der Behandlung. 13% der Befragten im Afrozensus gaben hier an, dass schlechte, bis nicht vorhandene Deutschkenntnisse ein erheblicher Faktor für Diskriminierung bei ärztlichen Untersuchungen sind. Das führt dazu, dass keine ausreichende Aufklärung über den Gesundheitszustand, weitergehende Behandlungen und mögliche Komplikationen erfolgen kann. Damit ist eines der Schlüsselelemente ärztlicher Behandlung nicht möglich, was eine Verbesserung von Krankheitsbildern durch angemessene Therapie erschwert, wenn nicht sogar schier unmöglich macht. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass medizinisches Personal, sowie Ärzt*innen überlastet sind und oft unter unzureichenden Bedingungen arbeiten. Selbst, wenn also der Wunsch seitens der behandelnden Person besteht sich antirassistisch fortzubilden, oder sich viel Zeit für schwarze Patient*innen mit schlechten Deutschkenntnissen zu nehmen, lässt der durchökonomisierte Krankenhausalltag es oft nicht zu. Als Jusos setzen wir uns gegen die „unsichtbare Hand des Marktes“ in der Gesundheitsversorgung ein und verurteilen die kapitalistische Marktlogik, die es schwarzen Menschen zusätzlich erschwert eine gute Behandlung zu erhalten.

Die Diagnose lautet Rassismus! 

Ebenso untragbare Zustände wie bei den Versorgungsstrukturen offenbaren sich, wenn man sich näher mit Rassismus in der medizinischen Diagnostik befasst. Im Afrozensus geben 66,7% der Befragten an, dass Ärzt*innen ihre Beschwerden nicht ernst nehmen würden. Dies ist eine direkte Folge der kolonial geprägten Annahme, dass schwarze Menschen von Natur aus stärker, widerstandsfähiger und belastbarer seien. Deswegen wird in der Medizin auch oft davon ausgegangen, dass auftretende Schmerzen bei Schwarzen weniger stark sind als geschildert. Dafür gibt es sogar die medizinische Bezeichnung des „Mittelmeersyndroms“, welche benutzt wird, wenn Ärzt*innen davon ausgehen, dass die Schmerzartikulation schwarzer Patient*innen übertrieben, oder nicht angemessen wäre. Dieses rassistische Bias führt in vielen Fällen zu einer verzögerten Diagnostik und erschwert somit weitere und vor allem rechtzeitige Behandlungen. Eine weitere Problematik ergibt sich aus dem Umstand, dass viele Krankheiten bei Schwarzen, wenn überhaupt, nicht so schnell wie bei Weißen erkannt werden. Ein konkretes Beispiel stellen hier dermatologische Erkrankungen wie Hautkrebs dar. Im Studium der Medizin, sowie in weiteren medizinischen Ausbildungen zeigen die verwendeten Schaubilder meist nur weiße Menschen. Dies führt dazu, dass Anzeichen für Hauterkrankungen bei schwarzen Personen seltener erkannt werden. Aber auch „Race-Korrekturen“ sind mehr als nur problematisch. Hier wird eine Trennung zwischen „Kaukasiern“ (Menschen mit heller Haut) und anderen vorgenommen. Dies impliziert nicht nur die Existenz verschiedener menschlicher Rassen, was schon an sich zutiefst rassistisch ist, sondern führt auch zu Fehleinschätzungen, da nicht vorhandene Unterschiede zwischen Organfunktionen von Patient*innen mit verschiedenen Hautfarben konstruiert werden. So werden beispielsweise Dialysen bei schwarzen Menschen in häufigen Fällen zu spät verordnet. Darüber hinaus spielt auch Exotisierung eine fatale Rolle. Bei der Behandlung von schwarzen Kindern liegt der Fokus oft auf ihrer „Niedlichkeit“ und weniger auf den zu untersuchenden Problematiken. Diese Exotisierung geht sogar so weit, dass bei Kindern oft Bluterkrankungen nicht wahrgenommen werden, weil blaue Flecken und Blutgerinnsel oft als Zeichen für häusliche Gewalt eingeordnet werden, bevor eine medizinische Ursache in Betracht gezogen wird. Die zutiefst rassistischen Wirkweisen in der medizinischen Diagnostik sind auf das Schwerste zu verurteilen und ihnen muss mit Prävention und Bildung entgegengewirkt werden.

Forschung so divers wie wir – Maßstäbe in der medizinischen Forschung neu denken

Deutlich wird: Die Ursache der Problematiken der Diagnostik liegt in der rassistischen Praxis, weiße Menschen als Normalzustand und universell anzuerkennen. Daten über schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen fehlen beinahe gänzlich. Anstatt dies zu ändern, wird in der medizinischen Forschung ein Standard angewandt, welcher als rassistisch, weiß, cis-männlich und vor allem patriarchal bezeichnet werden kann und auch so bezeichnet werden sollte. Weiße Männer gelten in unserer rassistischen und sexistischen Gesellschaft als universeller Maßstab für die Medizin. Diese Annahme gefährdet besonders all diejenigen, die von diesem vermeintlichen Standard abweichen, eine falsche Behandlung oder Medikation zu erhalten. Progressive Forschung, der die Gesundheit aller Menschen wichtig ist, muss daher durch antirassistische und feministische Perspektiven den vermeintlichen Standard des weißen Mannes überwinden. Aufgrund der Kreuzungen von Diskriminierungsformen müssen zudem auch intersektionale Forschungsansätze in der Wissenschaft eine Rolle spielen.

Für eine Ausbildung mit Weitsicht

Es ist sehr auffällig, dass vermehrt schwarze Personen von Rassismuserfahrungen innerhalb ihrer medizinischen Ausbildung, oder ihrem Medizinstudium berichten. Dieser Rassismus lässt sich oft auf das rassistische Vorurteil zurückführen, dass schwarze Menschen ungebildet seien, oder nur aus sozioökonomisch schlecht gestellten Familien kommen. In dem Sinne werden ihnen oft ihre Kompetenz, sowie ihr Bildungsstand abgesprochen. Dieser Zustand ist untragbar! Dies wird noch dadurch beflügelt, dass im Studium der Medizin beispielsweise antirassistische Perspektiven keine Rolle spielen. Diese Erkenntnis spiegelt sich auch im Afrozensus wieder. Hier werden die entstehenden Folgen, welche so gefasst, dass die Stereotypen der weißen Ärzt*innen und Pfleger*innen auf schwarze Kolleg*innen und Patient*innen übertragen werden. Dies führt dazu, dass Letztere oft ihren Arbeitsplatz wechseln müssen bzw. Angst vor Ärzt*innen entwickeln. Es ist die Aufgabe einer jeden guten Ausbildung antirassistische Perspektiven miteinzubeziehen und kritisches Denken unter den Auszubildenden zu gewährleisten. Rassismus darf nicht weiterhin in der Medizin ignoriert und dadurch reproduziert werden.

Wenn Behandlung zur Belastung wird

Die Folgen, die der Anti-Schwarze Rassismus im Gesundheitssystem für die Betroffenen hat, sind vielseitig. Zum einen gehen Psycholog*innen davon aus, dass die Belastung, die durch die Retraumatisierung entsteht, nicht nur psychische, sondern auch körperliche Folgen hat. Der gesundheitliche Zustand der schwarzen Patient*innen verschlechtert sich deshalb nicht nur wegen falscher Behandlung, sondern auch wegen des offenen, sowie latenten Rassismus. Dies läuft dem Schutz von Patient*innen eindeutig zuwider. Zum anderen sind schwarze Menschen oft dazu gezwungenen Behandlungen abzubrechen und behandelnde Ärzt*innen zu wechseln. Ein Umstand, der aus dem Wunsch hervorgeht, Retraumatisierung und Rassismus aus Selbstschutz zu vermeiden. Dieses „Ärzt*innen-Hopping“ macht es schwarzen Menschen sehr schwer eine für sie passende Behandlung zu finden, bei der die behandelnde Person ein rassismuskritisches Bewusstsein hat. Das führt wiederum dazu, dass die schwarzen Professionellen im Gesundheitssystem kaum dem Ansturm schwarzer Patient*innen gerecht werden können. Dies führt zu einer erheblichen Mehrbelastung schwarzer Mediziner*innen.

Diskriminierung ist Terror für die Psyche- und Psychotherapie soll dafür die Lösung sein!

Eine besondere Bedeutung kommt durch die andauernden Retraumatisierungen für Betroffene von Diskriminierung, der Psychotherapie zu. Diese sollte zum Umgang und der Aufarbeitung jener Erfahrungen beitragen und sie nicht noch verstärken. Gegenwärtig ist das allerdings nicht wirklich der Fall.

Wer in Deutschland einen Psychotherapieplatz finden möchte, hat einen langen und beschwerlichen Weg vor sich. Für Betroffene von Diskriminierung und Rassismus ist dieser Weg nur noch härter.

Zum einen, weil nicht garantiert ist, dass die in Frage kommenden Psychotherapeut*innen ausreichend in Awareness und Umgang mit Betroffenen geschult sind. Dies führt oft dazu, dass gewisse Aussagen eine triggernde Wirkung haben können und eine weiterführende Behandlung für den*die Patient*in dadurch unmöglich gemacht wird. Im Zuge dessen spricht Dr. med. Amma Yeboah von einem systemischen Problem innerhalb der Medizin, indem BIPoC nicht ausreichend versorgt werden: “Das liegt einerseits an Forschungs- und Wissenslücken in der Medizin und andererseits daran, dass ihre Perspektiven in der Medizin nicht vorkommen.”

Zum anderen, weil es schwierig ist überhaupt Psychotherapeut*innen zu finden, die sich auf die Thematiken spezialisieren. So fehlt auf den herkömmlichen Seiten und Informationsportalen eine Möglichkeit der einfachen Suche nach Expert*innen die auf die Behandlung von Symptomen, die auf Erfahrung von Rassismus oder Diskriminierung beruhen spezialisiert sind. Ebenso fehlt es an Optionen und Ansprechpartner*innen für Betroffene. Nicht umsonst bezeichnet die Psychotherapeutin Lucia Muriel deshalb Rassismus als einen „blinden Fleck“ in der Psychotherapie. Das wollen wir ändern und den Weg in die Psychotherapie für Betroffene von Rassismus und Diskriminierung erleichtern.

Besonders wichtig ist es ebenfalls darauf hinzuweisen, wie psychologisches Fachwissen entsteht – durch Forschung. Innerhalb dieses Forschungsprozesses ist die Diversität der Gesellschaft nicht gegeben. Die meisten Versuchspersonen an psychologisches Studien sind meist Psychologiestudierende selbst, da sie im Rahmen ihres Bachelors dazu verpflichtet sind, eine gewisse Stundenzahl an Studien teilzunehmen. Daher entsprechen die Teilnehmenden der entsprechenden Studien häufig den Eigenschaften des sogenannten WEIRD (white educated industrialized rich democratic). Dieses Problem lässt sich natürlich nicht nur in der Psychologie, sondern auch in anderen Forschungsbereichen wiederfinden. Daher ist es für uns besonders wichtig, diesen Aspekt der Forschung und die entsprechenden Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und deutlich zu machen, dass viele Perspektive durch fehlende Teilhabe, verloren gehen. Für uns ist klar, dass sich das ändern muss, sodass jegliche Perspektiven in der Forschung präsent sind und somit auch antirassistische Aspekte im psychologischen Bereich mehr Betrachtung finden.

Auch der kritische Umgang mit anderen Diskriminierungserfahrungen, sei es durch Sexismus, Ableismus, Transfeindlichkeit oder Queerfeindlichkeit, stellt sich in der Psychotherapie schwierig dar und findet in der Psychologie wenig Beachtung. Dabei gestaltet sich die Suche nach Expert*innen im Umgang mit diesen Diskriminierungserfahrungen und Anlaufstellen schwierig beziehungsweise unzureichend.

Wir als Jusos verurteilen dies auf das Schärfste. Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod; diese Zustände dürfen nicht abhängig von Hautfarbe sein. Strukturellen Rassismus bekämpfen heißt auch sich dem Rassismus im Gesundheitssystem entgegenzustellen, für eine gute Gesundheitsversorgung und Behandlung aller Menschen!

Deshalb fordern wir:

  • Eine regelmäßige antirassistische Fortbildung und Schulung als Pflicht für alle Arbeitenden im Gesundheitssektor, um Exotisierung, Rassismus während der Behandlung und rassistische Diagnostik zu vermeiden
  • Eine in allen Lehrplänen festgeschriebene umfassende Aufklärung über rassistischen Bias in der Medizin, für angehende Ärzt*innen und medizinisches Personal in Studium und Ausbildung
  • Schulungen für Ärzt*innen und medizinisches Personal, um mit Stresssituationen umzugehen, welche sich zum Beispiel aus Sprachbarrieren ergeben
  • Dolmetscher*innen in allen Krankenhäusern, welche sowohl umfassende Sprachkenntnisse als auch gesundheitliche Kenntnisse haben
  • Bessere Arbeitsbedingungen von medizinischem Personal, sowie von Ärzt*innen, um eine bessere Versorgung schwarzer Patient*innen zu gewährleisten
  • Die Abkehr von einem ökonomisch betriebenem Gesundheitssektor, um eine gute Versorgung für alle zu garantieren
  • Diversität in Lehrbüchern, sowie Lehrplänen in Ausbildung und Studium, um Krankheitssymptome bei schwarzen Menschen besser zu erkennen und einordnen zu können
  • Die Abkehr von der anerkannten Diagnose „Mittelmeersyndrom“, damit schwarze Menschen richtig untersucht werden können
  • Medizinische Forschung die selbstkritisch mit dem ihr inhärenten Rassismus umgeht
  • Abkehr vom Standard des „Weißen Mannes“ in der Forschung, hin zu einem Forschungsverhalten, welches die Diversität unserer Gesellschaft widerspiegelt
  • Den Einbezug von Rassismuserfahrungen in die Diagnostik rassifizierter Personen
  • Eine staatliche Förderung antirassistischer Forschungsprojekte an den medizinischen Fakultäten
  • Eine flächendeckende Möglichkeit der Fort- und Weiterbildungsangebote zur Spezialisierung auf antirassistische und diskriminierungssensible bzw. freie Arbeit in psychotherapeutischen Berufen, in Form von Seminaren, für deren Zeitaufwand der Arbeitgeber aufkommt.
  •  Eine neuartige Ausrichtung der Lehre von Psychologie in Studium und Ausbildung mit Rücksichtnahme auf Rassismus und Diskriminierung, sowie den für die Betroffenen geeigneten Umgang mit solchen Erfahrungen.
  •   Eine Ausweitung und Vereinfachung der Suche nach Psychotherapeut*innen, die sich auf die Thematiken Rassismus und/oder Diskriminierung spezialisieren.
  • Vermehrte Betrachtung von antirassistischen und somit nicht ausschließlich die Beachtung weißer privilegierter Sichtweisen in der Forschungsarbeit.