We’re Here, We’re Queer And We’re Going Nowhere! Zur Situation queerer Rechte weltweit

Wir befinden uns in der Mitte eines Kulturkampfs!

Was zunächst polemisch klingen mag, ist die bittere Realität, wenn man sich die Zustände vor Augen führt, welche inzwischen allgegenwärtig sind. Befeuert von Rechtsextremen und radikalen Konservativen erleben wir einen globalen Rollback was Rechte für Queers angeht. In 67 Ländern auf der Welt werden Lesben und Schwule aufgrund ihrer sexuellen Orientierung kriminalisiert und in 12 davon sogar teilweise zur Todesstrafe verurteilt. Die strafrechtliche Verfolgung betrifft in den meisten Fällen auch transidente sowie andere nicht cis-geschlechtliche Personen. In Deutschland stieg die Anzahl der Straftaten gegen queere Personen zuletzt dramatisch an, in den USA werden Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität immer häufiger durch Gesetze diskriminiert und Teile Europas befinden sich queerpolitisch auf dem Weg zurück ins 20. Jahrhundert. Vorgeschobene Gründe hierfür sind häufig der Schutz der „traditionellen Familie” oder von Kindern. Hierbei geht es nur um menschenfeindliche Stimmungsmache, welche darauf abzielt in einer immer stärker polarisierten Welt Wähler*innenstimmen zu ergattern.

Die progressiven Kräfte in der Gesellschaft haben sich zu lange auf den Fortschritten der letzten Jahrzehnte ausgeruht. Der Kampf ist nicht vorbei und es ist an der Zeit, dass wir ihn wieder aufnehmen.

Deutsche Zustände

Oft tendieren wir dazu, eklatante Queerfeindlichkeit als etwas darzustellen, was die “westliche Welt” im Grunde genommen nicht mehr betrifft. Der Blick wird in die Ferne gerichtet und Gewalt sowie Ausgrenzung von Queers in Ländern wie Russland verurteilt. Selbstredend ist es wichtig, dass wir als Gesellschaft eine klare Haltung gegen Queerfeindlichkeit in aller Welt haben, aber das schließt eben auch Deutschland mit ein.

Seit Jahren steigt die Zahl der Straftaten gegen Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung, oder Geschlechtsidentität. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, spricht von mehr als 1400 Taten im Jahr 2022, die in den Bereich der Hasskriminalität fallen. Dabei ist selbstverständlich nur von registrierten Taten die Rede. Dies legt nahe, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Von diesen registrierten Straftaten fallen laut Bundesregierung etwas mehr als 1000 in das Feld “sexuelle Orientierung” und 417 in den Bereich “Geschlechtsbezogene Diversität”. Das sind in beiden Fällen mehr Zwischenfälle als im Vorjahr. Besonders erschreckend ist hier aber die Zahl der Gewaltdelikte. Hier sind es im Bereich “sexuelle Orientierung” 227 registrierte Gewalttaten und für den Bereich der “Geschlechtsbezogenen Diversität” 82. Statistisch gesehen werden demnach ungefähr vier queere Personen pro Tag Opfer einer Straftat. Dies ist ein nicht hinzunehmender Zustand!

Angeheizt wird dieses Klima sicherlich auch von Parteien wie CDU, CSU und AfD, welche sich längst auf dem Weg eines rechten Kulturkampfes nach Vorbild der USA befinden. So hat die CSU beispielsweise keine Probleme damit, sich mit dem queerfeindlichen Gouverneur des US-Bundesstaates Florida, Ron DeSantis, zu treffen und sich darüber hinaus noch für den eigenen Wahlkampf inspirieren zu lassen. So nahm die CSU eine “Drag Story Hour”, also ein Event bei dem Drag Kings und Queens Kindern vorlesen, ins Visier. Die Vorwürfe: Indoktrinierung und Frühsexualisierung von Kleinkindern. Die AfD möchte aus diesen Gründen Events dieser Art verbieten lassen und der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fantasiert davon, das Jugendamt einzuschalten, wenn Eltern mit ihren Kindern diese Art von Veranstaltung besuchen. Es kann zweifelsohne davon ausgegangen werden, dass die Art von Stimmungsmache weiterhin dazu beiträgt, ein gesellschaftliches Klima gegen sexuelle, sowie geschlechtliche Selbstbestimmung weiter anzuheizen.

Als Jungsozialist*innen können wir nicht länger dabei zusehen, wie sich Teile unserer Gesellschaft immer weiter radikalisieren und Gewalt, sowie Hass schüren.

Deshalb fordern wir:

  • mehr Kooperation zwischen Jusos und queeren Organisationen
  • queere Themen bei den Jusos wieder stärker zu bespielen
  • queere Inhalte verpflichtend in Sexualerziehung und Gesellschaftswissenschaftliche Fächer in der Schule aufzunehmen, um Akzeptanz zu fördern
  • einen Aktionsplan der Bundesregierung wie mit der steigenden Queerfeindlichkeit zukünftig umgegangen wird
  • dass Drag Performances weiterhin uneingeschränkt durch die Kunstfreiheit geschützt sind
  • die sexuelle und geschlechtliche Identität durch einen Zusatz zu Artikel 3 im Grundgesetz zu schützen

Europa auf dem Weg zurück ins Mittelalter

Diskriminierende und prekärer werdende Zustände sind auf europäischer Ebene nicht nur ein deutscher Zustand. In den vergangenen Jahren verschärfte sich in diversen EU-Ländern die Situation für queere Menschen.

Ein Beispiel hierfür ist die postfaschistische Regierung der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni. So fiel beispielsweise die Familienministerin Eugenia Roccella im Frühjahr auf, weil sie Adoptions- und Elternrecht von homosexuellen Paaren in Frage stellte. Darüber hinaus bezeichnete Federico Mollicone, Präsident der Kulturkommission im italienischen Parlament, Leihmutterschaft als ein “schweres Verbrechen”, welches mit Pädophilie zu vergleichen sei. Die Folge daraus ist, dass im italienischen Parlament nun auch die EU-Verordnung zur grenzüberschreitenden Anerkennung von Elternschaft abgelehnt wurde. Damit stellt sich Italien in eine Linie mit Staaten wie Polen und Ungarn.

In Polen herrscht ein Klima der Diskriminierung von queeren Menschen. So wurden im Jahr 2019 beispielsweise “LGBTQ+-Ideologie-freie” Zonen im ganzen Land errichtet, deren Ziel es war, den vermeintlichen moralischen Verfall zu stoppen. Auf internationalen Druck, der sich zum Beispiel in der Streichung wichtiger EU-Gelder äußerte, wurden diese Zonen wieder aufgehoben. Das heißt jedoch nicht, dass queere Menschen in Polen nun aufatmen können. Die PiS-Regierung, sowie die katholische Kirche in Polen greifen nach wie vor Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, oder Homosexualität an. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte zum Beispiel vor ein paar Jahren noch, dass LGBT keine Menschen seien, sondern eine Ideologie. Im Jahr 2022 wurde in diesem Sinne ein Gesetz verabschiedet, welches die Möglichkeiten über LGBTQ+ Themen in der Schule zu sprechen stark einschränkt.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in Ungarn. Hier wurde zuletzt ein Gesetz verabschiedet, welches es möglich macht, gleichgeschlechtliche Paare mit Kind zu denunzieren. Seit 2019 ist in der Verfassung Ungarns festgehalten, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich ist und dementsprechend nur “Vater” und “Mutter” Eltern sein können. Das neue Gesetz ermöglicht es, vermeintliche Abweichungen des konservativen  Familienbildes zu melden. Menschenrechtsorganisationen sind alarmiert. Manche befürchten, dass Kinder ihren gleichgeschlechtlichen Eltern entrissen werden könnten.

Was diese Vorfälle gemeinsam haben, ist die Diskriminierung von LGBTQ+-Personen, der der Schutz der „traditionellen“, „heterosexuellen“ Familie vorgeschoben wird. Wir stellen uns entschieden dagegen!

Deshalb fordern wir:

  • eine EU-Strategie die Akzeptanz queeren Lebens zu steigern
  • finanzielle Sanktionierung von EU-Staaten welche aktiv die Rechte von queeren Personen einschränken
  • dass die EU weiterhin auf der Verordnung zur Einführung eines EU-Elternschaftszertifikates beharrt und Staaten sanktioniert die sich diesem entziehen wollen
  • einen angemessenen Umgang seitens der Bundesregierung mit Rechtspopulist*innen

Don’t say Gay: Radikalisierter Konservatismus in den USA

Dass sich die USA menschenrechtlich in vielen republikanischen Staaten auf dem absteigenden Ast bewegen, ist keine Neuigkeit. Beliebte Zielscheibe der Republikaner sind zurzeit besonders queere Menschen, allen voran transidente Personen. Vorreiter dieser Entwicklung ist der Gouverneur Ron DeSantis, der gerade nicht nur Florida regiert, sondern auch als aussichtsreicher republikanischer Präsidentschaftskandidat gilt. Im März 2022 trat in Florida ein Gesetz in Kraft welches von seinen Kritiker*innen als “Don’t Say Gay”-Bill bezeichnet wird. In dem Gesetz ist festgehalten, dass in Grundschulen nicht mehr über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität gesprochen werden darf, wenn es nicht “alters- und entwicklungsgerecht” ist. Das bedeutet, dass diese Themen nicht mehr in den Lehrplänen vorkommen dürfen. Wieder sprechen die Konservativen davon, Kinder vor “Indoktrination” schützen zu wollen. Diese fadenscheinige Legitimation für queerfeindliches agieren zieht sich auch durch andere republikanische Vorhaben. Schon im Juni 2021 setzte DeSantis ein Gesetz durch, das trans Mädchen verbietet, im Schulsport für Mädchen teilzunehmen. Ähnliche Gesetze gibt es in Alabama, Arkansas, Tennessee, Mississippi,  oder Missouri. Ebenfalls unter dem Deckmantel des Kindeswohls versteckt ist der “Drag Ban“, welcher, in verschiedenen Formen, bereits in 14 republikanisch regierten Bundesstaaten in Kraft, oder geplant ist. Dieser sieht vor, dass Auftritte, welche nicht “kindgerecht” sind, nicht öffentlich stattfinden dürfen. In dieser Definition dürfen sowohl Drag Queens, als auch Kings nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten, da ihre Art der Kunst als nicht kindgerecht gebrandmarkt wird. Menschenrechtsaktivist*innen sowie Drag-Künstler*innen befürchten, dass das Gesetz missbraucht wird, um öffentlichen queeren Aktivismus zu silencen, weil nicht definiert ist, was nun als weibliche oder männliche Imitation gilt.

Der aktuellste Fall von Rechtseinschränkungen für queere Menschen in den USA ist ein Supreme Court Urteil welches Geschäftsinhaber*innen erlaubt Kund*innen nicht zu bedienen, wenn ihre Sexualität nicht mit der eigenen religiösen Überzeugung einhergeht. Kritiker*innen dieses neuen Urteils befürchten, dass dies ein weiterer Schritt auf dem Weg des Supreme Courts sein könnte, demnächst die Gleichgeschlechtliche Ehe wieder abzuschaffen.

Als Jusos verurteilen wir diese Entwicklungen aufs Schärfste!

Deswegen fordern wir:

  • den Schutz queeren Lebens in allen Bundesstaaten der USA
  • Solidarität mit den Betroffenen
  • Unterstützung von queeren Organisationen vor Ort, die sich für sexuelle Selbstbestimmung einsetzen

Die Situation Queerer Menschen in Uganda

In Uganda wurde im Mai dieses Jahres ein strenges Anti-LGBTQIA+-Gesetz verabschiedet, das insbesondere die Rechte von Homosexuellen stark einschränkt.

Nach Bestimmungen aus der britischen Kolonialzeit konnten „homosexuelle Handlungen“ bisher bereits mit bis zu lebenslanger Haft bestraft werden.

Das neue Gesetz sieht die Todesstrafe für „schwere Homosexualität“ vor; also für Geschlechtsverkehr mit Behinderten, Minderjährigen oder über 75-jährigen sowie für Missbrauch. Hier ist zu problematisieren, dass einvernehmlicher Geschlechtsverkehr mit den genannten Gruppen unter denselben Straftatbestand wie Missbrauch fällt. Mehrere Verurteilungen aufgrund homosexueller Handlungen führen ebenfalls zur Todesstrafe.

Schon „versuchte“ homosexuelle Handlungen können zehn Jahre Haft zur Folge haben, in Fällen schwerer Homosexualität drohen 14 Jahre. Bestrafte erhalten ein Verbot der Arbeit mit Minderjährigen. Minderjährige selbst erwartet bei Homosexualität bis zu drei Jahre Haft. Wer schwere homosexuelle Handlungen nicht behördlich meldet, wird ebenfalls bestraft. Gerichte können homosexuelle verurteilte Personen zu einer „Rehabilitierung“ bei Sozialdiensten verpflichten; ähnlich einer Konversionstherapie.

Darüber hinaus darf Homosexualität nicht „beworben“ werden – ansonsten drohen zehn Jahre Haft oder ein zehnjähriges Verbot der betreffenden Organisation. Queerer Aktivismus, Aids-Prävention und sonstige Unterstützungsmöglichkeiten sind de facto nicht mehr möglich. Gleichmaßen wird bestraft, wenn eine Räumlichkeit für sogenannte homosexuelle Handlungen vermietet oder an einer gleichgeschlechtlichen Hochzeit teilgenommen wird.

Wir schließen uns den Forderungen der Queeren NGO „Let’s Walk Uganda“ an; zusammengefasst in einem offenen Brief, der sich an die Bundesregierung richtet:

  • Schnell und unbürokratisch humanitäre Visa für LGBTQIA+, Menschenrechtsverteidiger*innen und Personen unter großem Risiko ermöglichen!
  • Finanzielle und politische Unterstützung von LGBTQIA+-Organisationen in Uganda beim Erhalt sicherer Räume!
  • Fluchtkorridore in nahegelegene sichere Staaten schaffen!
  • Sanktionen gegenüber der ugandischen Regierung und ggf. Beendigung staatlicher Zusammenarbeit!

Queere Menschen kämpfen seit jeher um ihren Platz in der Gesellschaft, öffentliche Akzeptanz, Sicherheit und Freiheit. Fortschritt heißt nicht, den Kampf aufzugeben. Wir setzen uns weiterhin für eine kollektive Befreiung queeren Lebens auf der ganzen Welt ein. Diesen Kampf gestalten wir zusammen als Jusos!

Quellen

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw21-pa-menschenrechte-lgbtiq-948550

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/lgbtq-queer-gewalt-deutschland-straftaten-100.html

https://www.queer.de/detail.php?article_id=45126

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-drag-lesung-stadtbibliothek-csu-1.5849185

https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-homosexuelle-eltern-meloni-diskriminierung-1.5773037

https://www.queer.de/detail.php?article_id=41355

https://www.bpb.de/themen/europa/polen-analysen/322622/kommentar-der-homophobe-tsunami-in-polen/

https://echte-vielfalt.de/lebensbereiche/lsbtiq/polen-verabschiedet-lgbt-propaganda-verbot/

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ungarische-regierung-verteidigt-neues-lgbtq-feindliches-gesetz-18836995.html

https://www.spiegel.de/panorama/bildung/florida-us-gouverneur-unterzeichnet-gesetz-gegen-unterricht-ueber-homosexualitaet-a-e1efaf9d-6e82-48ce-9f91-4498f9e38983

https://time.com/6260421/tennessee-limiting-drag-shows-status-of-anti-drag-bills-u-s/

https://edition.cnn.com/2023/06/30/politics/supreme-court-303-creative-lgbtq-rights-colorado/index.html

https://www.queer.de/detail.php?article_id=45751

https://weact.campact.de/petitions/offener-brief-an-die-bundesregierung-zur-situation-von-lgbtqi-personen-in-uganda