Femizide sind keine Beziehungsdramen!

Ehrenmord, Beziehungsdrama, Familiendrama – all diese Synonyme werden für die Tötung von Frauen durch ihre Partner gebraucht. In Deutschland versucht fast jeden Tag ein Mann seine (Ex)-Frau/Partnerin zu töten, jeden dritten Tag ist dieser Versuch erfolgreich. [1] Das Motiv vieler Täter ist ähnlich: Sie gestehen den Frauen kein eigenständiges Leben zu oder respektieren das Ende der Beziehung nicht. Grundsätzlich werden die Motive von Justiz und Öffentlichkeit zu oft als „Ehrenmorde“ oder „Familien- und Beziehungsdramen“ verstanden. Die NRW Jusos setzten sich dafür ein diese Taten als geschlechtsspezifische Tötungsdelikte anzuerkennen und sie als Femizide zu bezeichnen.

Aktuelle Rechtslage

Im Jahr 2017 ratifizierte Deutschland die sogenannte Istanbul-Konvention, die als bedeutendste europäische Frauenschutzkonvention gilt. Mit der Ratifizierung hat Deutschland sich verpflichtet Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Sie hat eine überragende Rolle und gewährleistet einen menschenrechtlichen Schutz vor geschlechterspezifischen Gewalt. Der Austritt von Staaten aus der Istanbul-Konvention, wie auch am 1. Juli die Türkei, zeigt einen Backroll innerhalb des internationalen Schutzrahmens und spiegelt die international vertretene Ansicht wieder, dass der Schutz von Frauen in einer patriarchalen und heteronormativen Welt, nicht nötig ist. Auch hier reiht sich die vehemente Ablehnung Ungarns gegenüber der Konvention ein und der politisch angekündigte Austritt Polens aus der Konvention. Diese Entwicklung zeigt, welches patriarchale und misogyne Klima gerade die Deutungshoheit hat und wie gefährlich die Zeit für Frauen ist. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland seiner Aufgabe bei der Umsetzung der Konvention nachkommt. Darunter fällt nach Art. 46(a), dass bei der Rechtsanwendung des nationalen Strafrechts unbedingt zu berücksichtigen ist, ob die Tat durch einen früheren Partner begangen wurde. Nach Art. 12 (5), 42(1) und 46(a) der Konvention ist im Rahmen von Tötungen in Paarbeziehungen dringend zu prüfen, ob das Tatmotiv als Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu klassifizieren ist und sich damit strafschärfend auswirkt. In der Realität wir die geschlechtsspezifische Tötung von Frauen in patriarchalen Strukturen durch die Justizbehörden in der Regel als Totschlag bewertet. Dem gegenüber stehen die harten Strafen für arabisch gelesene Männer, die Frauen töten. Diese Morde werden in der Rechtspraxis als sogenannte Ehrenmorde eingestuft und gelten damit als Mord aus niedrigen Beweggründen. So werden geschlechtsspezifische Tötungen von Frauen juristisch nicht nur verkannt, sondern zudem rassistisch bearbeitet. Wir fordern juristische und gesellschaftliche Sensibilisierung für patriarchale Besitzkonstruktionen à la „lieber tot als frei“.

Femizide als solche verstehen!

Femizide müssen als solche erkannt werden. Wenn sich geschlechtsspezifische Gewalt manifestiert, darf nicht jedes Mal von „Beziehungsdrama“ die Rede sein. Daher fordern die NRW Jusos die Sensibilisierung der Rechtsprechung und Strafverfolgung, damit Femizide nicht als Totschlag eingestuft werden. Um Femizide strukturell verstehen und effektiv verfolgen zu können, bedarf es in der Strafverfolgung die Berücksichtigung der Tatbegehung durch den (Ex-)Partner. Daher fordern wird, wie auch der Deutsche Juristinnen Bund, eine zwingende Strafschärfung, bei Tötungen von Frauen durch ihren (Ex-)Partner. In Einklang mit der Istanbul Konvention sollte daher die Strafzumessungsvorschrift des § 46 StGB erweitert werden. Dort ist in Abs. 2 geregelt, dass bei der Strafzumessung zwingend bestimmte Umstände vom Gericht abgewägt werden müssen. Aufgezählt werden unter anderem eine rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Gesinnung des Täters. Damit Gerichte in Fällen des Femizids eine Strafbarkeit wegen Mordes nicht aus Gründen der „Verantwortlichkeit“ der Frau ablehnen können, sollte der Gedanke des Vorverschuldens des Täters an der „tatauslösenden“ Situation – der Trennung – in der Strafzumessungsvorschrift des § 46 StGB ausdrücklich als Strafschärfungsgesichtspunkt bezeichnet werden. Dadurch würde zum einen eine Signalwirkung erzeugt werden, die die gesamte Strafrechtsordnung umfasst. Zum anderen müssen ausgehend davon, zahlreiche Trennungstötungen als Mord ausgewiesen werden.

Darüber hinaus müssen Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen werden, die sich ausschließlich mit geschlechtsspezifischen Tötungen auseinandersetzten und entsprechend fähig sind, diese, unabhängig von der Täter-Herkunft, zu erkennen. Damit Richter*innen und Staatsanwaltschaft die misogynen und sexistischen Motive hinter Femiziden erkennen, benötigen wir regelmäßige Fortbildungen.

Istanbul-Konvention ohne Eingeständnisse umsetzen!

Wir verlangen die wirksame Umsetzung der Istanbul-Konvention! Als NRW Jusos setzten wir uns dafür ein, dass Deutschland die Konvention wirksam umsetzt und dafür wirbt, dass andere Staaten die Ratifizierung vornehmen und bei allen diplomatischen Treffen mit Regierungen, die aus der Istanbul-Konvention wieder ausgestiegen sind, die Thematik ansprechen und aufs Schärfste kritisieren. Politik und Justiz müssen die Istanbul-Konvention in der Gestaltung bzw. Anwendung von Gesetzten mitdenken, um das Leben von Frauen zu retten* bzw. die geschlechtsspezifische Tötung zu ahnden. Um die Umsetzung der Konvention zu prüfen, fordern wir die Einsetzung von Monitoring-Stellen in Deutschland, die die Fälle im Anwendungsbereich der Konvention überwacht und in ihrer Arbeit durch staatliche Mittel gefördert werden soll. Diese Einrichtung soll zudem gesellschaftliche Aufklärungsarbeit über Femizide leisten. Dazu gehören offensive Aufklärungskampagnen, die Femizide problematisieren und gesellschaftlich sensibilisieren.

Jede Tötung ist eine Tötung zu viel – Der Staat in der Verantwortung

Wir fordern zudem weitere Präventive Maßnahmen, die die Tötung von Frauen verhindern. Nach Artikel 8 der Istanbul-Konvention ist Deutschland dazu verpflichtet angemessene finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen sowie häusliche Gewalt bekämpft werden kann. Des Weiteren muss Deutschland gemäß Artikel 22 und 23 der Konvention, Unterstützungsdienste und Schutzunterkünfte bereitstellen. Immer noch werden Mindeststandards bei der Bereitstellung von Unterkünften unterschritten. Es gibt keine flächendeckende Versorgung für Opfer von Gewalt. So fehlt es zum Beispiel an Plätzen in Frauenhäusern. In Nordrhein-Westfalen werden zwei von drei Anfragen abgelehnt. Auch die Standards innerhalb der Frauenhäuser müssen überarbeitet werden. Meist haben Opfer von Gewalt nicht viel Zeit für eine Flucht, sie können nur wenig mitnehmen und die finanzielle Situation der Betroffenen kann durch anstehende bürokratische Hürden nicht sofort verbessert werden. Umso wichtiger ist es dann, dass ihnen in den Frauenhäuser eine kostenlose Erstausstattung mit Hygieneartikeln wie Binden, Tampons, Toilettenpapier, Zahnbürste, Zahnpasta, Deo, Shampoo etc., aber auch Nahrungsmitteln und für Kinder Schulmaterial bereitgestellt wird. Hinzu kommt, dass nur 10 % der Frauenhäuser barrierearm sind, obwohl Frauen mit Behinderungen überdurchschnittlich häufig von Gewalt betroffen sind. Zuletzt stellt die Sprache besonders für gewaltbetroffene Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte eine massive Barriere dar. Schon lange fordern wir den Ausbau der vorhandenen Frauenhausstrukturen und ein gesetzliches Recht auf einen Platz in einer solchen Einrichtung. Dies gilt im besonderen für gewaltbetroffene Frauen mit Fluchterfahrung und Migrationsgeschichte, welche alleine schon aufgrund einer möglichen Sprachbarriere zusätzliche Hürden erfahren. Dazu zählen Beratungsstellen, Notrufhotlines, Traumazentren und niederschwellige Therapiemöglichkeiten. Im Allgemeinen ist festzuhalten, dass bundesweit die finanziellen Mittel erhöht werden müssen und gleichwertige Standards in den einzelnen Bundesländern eingeführt werden. Wir fordern die Istanbul Konventionen ernsthaft umzusetzen und Schluss mit symbolpolitischen Frauenschutzmaßnahmen zu machen. Wir müssen aber das Problem auch an der Wurzel anpacken, wieso überhaupt Männer Frauen Gewalt antun und an dieser Stelle auch toxische Männlichkeiten thematisieren. Gesellschaft und Politik müssen dafür sensibilisiert werden und möglichst früh da ansetzen, damit Gewalt von Männern an Frauen ein Ende hat.

[1] Das Bundeskriminalamt (Hg.), Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2017, zählte für das Jahr 2017 insgesamt 364 Tötungsdelikte zu Lasten von Frauen durch deren Ehemann, Partner oder Ex-Partner, von denen 208 im Versuchsstadium blieben und 141 mit dem Tod der Frau endeten.