Links sein heißt kein Vaterland zu haben: Herkunft-DNA-Tests in der Strafverfolgung verbieten und als Dienstleistung regulieren

DNA-Tests zur genetischen Erforschung der eigenen Herkunft erfreuen sich weltweit wachsender Beliebtheit. Doch das ist ein Problem. Denn wo Daten, zumal genetische, einmal erhoben, verarbeitet und auswertbar gemacht werden, da nutzt man sie auch. So hat es mehrere Fälle in den USA und auch einen sehr prominenten Fall in Schweden gegeben, in denen mittels genetischer Genealogie Täter*innen schwerer Straftaten zu ermitteln versucht worden sind und teils auch erfolgreich ermittelt wurden. Die Methodik der genetischen Genealogie versucht über eine große Anzahl an DNA-Proben die Verwandtschaftsverhältnisse von Verdächtigen/ Täter*innen aufzudecken. Dabei griffen die Ermittler*innen auf DNA-Datenbanken von privaten Unternehmen zu, ohne dass die in der Datenbank repräsentierten Personen dazu ihre Zustimmung gegeben hatten. Es ist nicht einmal notwendig, dass die verdächtigen Personen selbst in der Datenbank hinterlegt sind; es braucht nur ausreichend viele mit ihr verwandte Personen, um familiäre Geflechte gewinnbringend analysieren zu können. Bei ausreichend großen Fallzahlen genügen sogar Verwandtschaftsverhältnisse zweiten, dritten oder vierten Grades. Offiziell gab es keinen Rechtsrahmen für diese Fälle, jedoch ist aus deutscher und europäischer Sicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt und in praktischer Hinsicht auch das Leben von Unschuldigen in unverhältnismäßiger Weise in den Fokus von Strafverfolgungsbehörden geraten und teils negativ beeinflusst worden. Auch im Bereich der Herkunfts-DNA beginnen Staaten zunehmend, die „biografische Herkunft“ von Personen zu ermitteln und – bislang ausschließlich – in der Strafverfolgung einzusetzen.

Nicht wenige Wissenschaftler*innen zweifeln an der Seriosität der genutzten Methoden zur Ermittlung der “biogeographischen Herkunft”: Unternehmen laden die genetischen Informationen in ihre (wachsenden) Datenbanken und prüfen sie auf Übereinstimmungen mit anderen DNA-Daten aus unterschiedlichen Regionen der Welt. Je nach Datenbank weichen das Ergebnis und die damit ermittelte „Herkunft“ also voneinander ab. Der Genetiker Mark Stoneking führt dazu aus: „Diese Daten sind nicht realistisch, sondern modellbasiert. […] Die Prozentangaben sind nur eine ungefähre Einschätzung und sollten nicht zu ernst genommen werden. […] Was man kann, ist großflächige geografische Räume festzulegen, aber so viel Prozent britisch, deutsch oder irisch, das sind Märchen. Das ist nicht korrekt.“ Zumal Menschen die Grenzen zwischen Staaten gezogen haben – mit der DNA hat das nichts zu tun.

Für den Privatgebrauch stellen DNA-Tests eine Möglichkeit dar, mit welcher vage Vermutungen auf Herkunftsregionen unbekannter Vorfahren aufgestellt werden können und bietet so für die Ahn*innenforscher*innen ein letztes Mittel zur  -zumindest Vermutungen über- die Familiengeschichte aufzustellen. Die Unternehmen stellen diese als Dienstleistungen zur “Entdeckung” der eigenen “Ahnengeschichte” dar und so sind diese bereits seit längerem erhältlich. Leider ist diese Werbung irreführend, da sie Gewissheit suggeriert, diese jedoch nicht wirklich schaffen kann. Durch Nutzung dieser Dienstleistung entstehen riesige DNA-Datenbanken, die Unternehmen neben den eigentlichen Ahn*innenforschungsanliegen der Käufer*innen unter anderem “für interne Geschäftszwecke, zur Verbesserung und Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, [und] zur Durchführung interner Datenanalysen” verwenden können (AGB MyHeritage; 08.02.2021). Das Verlangen danach, mehr über die eigene Herkunft zu erfahren, wird somit für kommerzielle Zwecke mit nicht absehbaren Konsequenzen ausgenutzt – die Käufer*innen zahlen dafür nicht nur mit viel Geld, sondern auch mit ihrer DNA und somit gleichzeitig auch mit der DNA ihrer Angehörigen. Die geschaffenen Datenbanken könnten – etwa Krankenkassen und ähnlichen Playern neue Möglichkeiten der “Risikoermittlung” erschließen. Die Weitergabe von Daten an Versicherungen und weitere Institutionen ist den AGB mehrerer Anbieter*innen zufolge derzeit nur mit Zustimmung der Käufer*innen möglich, was jedoch nicht für die Ewigkeit festgeschrieben sein muss. Das Risiko einer (zwangsweisen) Anzapfung derartiger Datenquellen durch entsprechende staatliche Erlasse ist ebenso real wie die Bedrohung durch Hacker*innenangriffe. Zwar können Nutzer*innen die Löschung ihrer Gendaten beauftragen, jedoch kann der Löschungsprozess nicht sicher nachvollzogen werden. Auch lagern die Informationen und die Firmen zumeist in den USA.

Im Kontext der Auswertung von DNA-Daten im Zuge strafprozessualer Ermittlungen ergeben sich zusätzliche Probleme: Erstens sind viele DNA-Spuren an Tatorten verunreinigt oder mit anderen DNA-Spuren vermischt und somit nicht eindeutig auswertbar. Zweitens sind die Proben geographisch nur so unspezifisch auswertbar, dass lediglich große Abweichungen in der DNA sauber identifiziert werden können. Somit sind Spuren, die zu Täter*innen mit von der Mehrheitsbevölkerung „abweichender“ DNA führen, in der polizeilichen Fahndung leichter verwertbar. Aus diesem Grund ist auch die Nutzung genetischen Materials zur Fahndung nach Täter*innen anhand phänotypischer (also äußerlich erkennbarer) Merkmale wie Augen-, Haar- und Hautfarbe kritisch zu sehen, da sie Racial Profiling in ähnlicher Weise befeuert. Zudem besteht nicht immer ein fester Zusammenhang von Genotyp und Phänotyp, da auf letzteren besonders Umweltfaktoren einen entscheidenden Einfluss haben. Auch diese Merkmale sind bei der Fahndung nur hilfreich, wenn sie den Personenkreis, nach dem gefahndet wird, merklich einengt. Aufgrund des geringeren Mehrwerts der Auswertung von DNA-Proben weißer Menschen zu Fahndungszwecken wird so in der Berichterstattung wie im Ermittlungsgeschehen selbst ein Fokus auf BIPoC gelegt. Die Validität der DNA-Auswertung zu Fahndungszwecken ist somit sehr begrenzt, bietet allerdings dennoch eine Grundlage für Racial Profiling, da die Polizei aufgrund der biogeographischen DNA-Analyse einen begründeten Verdacht von Tatverdächtigen etwa aus dem afrikanischen Raum aussprechen kann, der Fahndungserfolg bei diesen Personen somit wachsen dürfte und sich somit (straffällige) BIPoC häufiger in den Kriminalstatistiken wiederfinden werden.

Mit diesen „wissenschaftlichen“ Methoden im Rücken lassen Rechte schon jetzt Gesetze verabschieden. Wie real die Gefahr einer staatlichen Nutzung von DNA-Auswertungen zur Abstammung von Personen bereits heute ist, zeigt etwa der Freistaat Bayern. Dieser umgeht im BayPAG (Bayerisches Polizeiaufgabengesetz) die ansonsten hohen Nutzungsanforderungen an die DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamtes, indem er „zum Zwecke der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, [die Erfassung] des Geschlechts, der Augen-, Haar- und Hautfarbe, des biologischen Alters und der biogeographischen Herkunft des Spurenverursachers“ ermöglicht. (2,3,4,5) Diese Zwecke gehen weit über die reine 1:1-Überprüfung der Passung zweier Proben miteinander hinaus. Zwar scheiterte Bayerns Versuch, dies 2019 auch in der Strafprozessordnung des Bundes zu implementieren und somit bundesweit DNA-basiertes Racial Profiling zu ermöglichen. Eine im Koalitionsvertrag vereinbarte „Ausweitung“ der DNA-Analyse haben CDU und SPD in diesem Zuge allerdings bereits beschlossen.

Nach Recherchen von belltower.news gab es in Deutschland bis vor wenigen Jahren bislang eine Untersuchung der „biogeographischen Herkunft“: bei der Ermordung durch den NSU der Polizistin Michelle Kiesewetter. Die DNA deutete angeblich auf „eine Frau osteuropäischer Herkunft“ als Täterin hin, was Sintize und Romnja einem Generalverdacht aussetzte (mindestens 800 Personen mussten eine Speichelprobe abgeben). Die DNA stammte von einer Mitarbeiterin der Firma, die die Wattestäbchen für die forensische Abteilung der Polizei herstellte. Die NSU- Mörder*innen blieben unentdeckt, der Zentralrat der Sinti und Roma beklagte noch 2018, Minderheiten würden „dadurch pauschal kriminalisiert und massiv verdächtigt.“ (6)

Schlussendlich gilt: Humanität entsteht nicht durch Herkunft. Wer aufgrund seiner vermeintlich anteilig nicht-deutschen Herkunft glaubt, gegen Rassismus immun zu sein, weiß ebenso wenig über Humanität und Anstand wie der Blut-und-Boden-Nazi. Der Wert eines Menschen bemisst sich nicht nach seiner Herkunft -weder im Stammbaum, noch in der DNA.

Die Jusos fordern daher alle Parteiinstanzen dazu auf, sich für die Einhaltung des geltenden Datenschutz- rechts durch die Anbieter privater DNA-Tests einzusetzen. Das gilt insbesondere für den Grundsatz der Datenminimierung, der eine Anonymisierung de erhobenen Daten nach Abschluss des Auftrags der Käufer*innen vorschreibt, und für das Verbot, ohne Einwilligung der Käufer*innen Daten an Krankenkassen oder sonstige Dritte weiterzugeben. Es muss verhindert werden, dass umfangreiche Datenbanken mit den DNA-Informationen bestimmbarer Personen entstehen. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Käufer*innen über die bestehenden Ungenauigkeiten in der Aussagekraft der Analyseverfahren informiert und irreführende Werbeaussagen unterbunden werden. Die Rückführung auf bestimmte Nationalitäten ist nicht seriös und im Sinne des Verbraucher*innenschutzes zu untersagen.

Für den strafprozessualen Rahmen fordern die Jusos weiterhin, auch hier auf Tests zur methodisch umstrittenen Ermittlung der “biogeographischen Herkunft” zu Fahndungszwecken in vollem Umfang verzichten und auch die genetische Ermittlung von Haut-, Augen- und Haarfarbe zu Fahndungszwecken zu untersagen. Ein direkter Abgleich von DNA-Proben miteinander, wie er bereits seit vielen Jahren zur Identifizierung von Täter*innen im Zuge von Ermittlungsverfahren vorgenommen wird, soll weiterhin möglich sein. Ein entsprechendes Verbot der Ermittlung der „biogeographischen Herkunft“ muss schließlich im Gefahren- abwehrrecht der Länder verankert werden. Vor allem bei der Prävention von Straftaten besteht sonst die Gefahr rassistischer Diskriminierungen. Regelungen wie Art. 32 Abs. 1 S. 2 BayPAG sind daher zu unter- lassen bzw. aufzuheben. Die Methodik der genetischen Genealogie sehen wir sehr kritisch, auch aus grundsätzlichen, ethischen Gründen. Sie darf keinesfalls ohne angemessene gesellschaftliche Debatte eingeführt werden.

Quellennachweise:

(1) https://taz.de/Genetiker-ueber-Herkunftsnachweise/!5550032/

(2) https://netzpolitik.org/2018/bayern-als-vorbild-polizei-soll-bald-nach-genetischer-herkunft-fahnden-duerfen/

(3) https://netzpolitik.org/2019/dna-ist-kein-augenzeuge-der-eine-aussage-machen-moechte/

(4) https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/vertiefte-dna-analyse-verbot-bayern-polizei-rechtsgrundlage-landesrecht-umgehung/

(5) https://www.dr-datenschutz.de/bayerische-polizei-nutzt-dna-analyse-schlupfloch-datenschutz-ja-mei/

(6) https://zentralrat.sintiundroma.de/racial-profiling-und-erweiterte-dna-analysen-in-kriminalpolizeilichen-ermittlungen/