Verhütung ist Frauensache?! – Ein Aufschlag für gerechte Verhütung

Die Pille feiert 2020 ihren 60. Geburtstag. Sie war damals ein historischer Gewinn der Frauenbewegung, sie ermöglichte damals eine sexuelle Revolution. Weibliche Sexualität wurde offener diskutiert, Familienplanung konnte selbstbestimmt stattfinden. Inzwischen ist die Pille eines der weit verbreitetsten Verhütungsmittel; insbesondere bei jungen Frauen. Seit ihrer Erfindung hat sich zwar gesellschaftlich vieles geändert, doch trotzdem entspricht die Pille als Verhütungsmittel nicht unseren feministischen Ansprüchen. Denn solange wir in einem patriarchalen System leben, kann Verhütung nur in diesen Grenzen verlaufen, was uns nie genügen wird.

Kondom und Pille sind heutzutage die am meisten genutzte Verhütungsmethode. Dabei gibt es inzwischen verschiedene Arten der Verhütung. Zu diesen gehören hormonelle, mechanische, chemische, natürliche und die operative Methode. Viele dieser Optionen werden von Frauen wahrgenommen. Männer haben die Möglichkeit Kondome zu nutzen oder eine Vasektomie durchführen zu lassen. Ein riesiges Ungleichgewicht ist hier zu finden.  In Anbetracht dessen, dass Nebenwirkungen, anfallende Kosten und Verantwortung (meist) von der Person getragen wird, die das Verhütungsmittel benutzt, sind besonders Frauen davon betroffen, nehmen doch gerade sie mehrheitlich hormonelle Verhütungsmittel.

Nebenwirkungen und Forschung

Die Pille als hormonelles Verhütungsmittel birgt erhebliche Nebenwirkungen. Dabei geht es von noch relativ harmlosen Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen oder Aggressivität bis hin zu Depressionen oder sogar Suizidalität. Oft werden diese verharmlost und für reinen Profit in Kauf genommen. Für Frauen, die eine bewusste Entscheidung für die Pille getroffen haben, egal ob aus persönlichen Präferenzen, medizinischer Indikationen oder aus finanzieller Sicht, nehmen diese Nebenwirkungen in Kauf, die Gesellschaft hinterfragt sie nicht und manch eine Nutzer*in hat schlicht ergreifend keine Wahl. Das ist insofern interessant, als dass hormonelle Präparate für Männer in der Vergangenheit nicht auf den Markt kamen, da sie erhebliche (teils identische zur Pille) Nebenwirkungen nach sich zogen und als nicht verantwortbar für Nutzer eingestuft wurden. Ein Bespiel hier ist wie Bayer die Schering AG eingekauft hat und eine laufende Forschung die „in der klinischen Studie als […] wirksam und mit tolerierbaren Nebenwirkungsprofil“ beschrieben wurde aufgrund eines „unangenehmen Anwendungsschemas“ nicht auf den Markt brachte, da man davon ausging, dass sie nicht angenommen werden würde. Es lässt sich vermuten, dass die männerdominierte Forschung mehr Verständnis gegenüber Beschwerden von Männern als von Frauen zeigt. Die Pille wurde in der Vergangenheit von Männern entwickelt und auch ihre Fortentwicklung wird hauptsächlich von Männern verantwortet. Somit ergibt sich für die Forschung eine deutlich Männer dominierte Sichtweise auf Verhütung, welche die gesellschaftliche Vorstellung von der Frau als zuständige bei der Verhütung abbildet. Für uns ist klar, dass die bisherigen Strukturen in der Verhütungsforschung durchbrochen werden müssen. Auch hier müssen deutlich mehr Frauen an dem Forschungsprozess beteiligt werden.

Unser Anspruch an die Forschung ist aber ein anderer. Patriarchale Forschungskreise müssen durchbrochen werden. Forschung kann nie frei sein von einem subjektiven Blickwinkel. Es muss allerdings dafür gesorgt werden, dass durch Diversität der Forschenden ein so objektiver Blickwinkel wie möglich garantiert ist. Um männerdominierte Berufssparten zu durchbrechen, bedarf es einer stärkeren Förderung von jungen Frauen, diese Berufe zu ergreifen. Solange Frauen die Hauptverantwortung über funktionierende Verhütung tragen, sollte garantiert sein, dass diese als Betroffene gehört werden. Nebenwirkungen von ihnen müssen genauso gewertet werden wie die von Männern. Dabei ist uns auch bewusst, dass das Ziel ist Verhütungsmittel zu entwickeln, die so wenig Nebenwirkungen wie möglich haben. Zudem muss auch die Forschung in Richtung männlicher Verhütungsmittel vermehrt werden, sodass diese benutzt werden können.

Profitgeilheit und Kapitalismus

Profitmaximierung ist das wesentliche Ziel aller kapitalistischen Unternehmungen und da macht auch die Pharmaindustrie keine Ausnahme. Solange die bereits am Markt etablierten Verhütungsmittel genug Profit einbringen, besteht allein hinsichtlich dieser kapitalistischen Grundlogik kein Bedarf, neue Produkte am Markt zu etablieren. Das heißt, dass Projekte, Forschungen, etc., die dieser Logik nicht folgen, eingestellt werden. Vielmehr noch werden bereits erforschte und zulassungsfähige Verhütungsmittel gar nicht erst auf den Markt gebracht, weil sie als nicht rentabel genug gelten.

Wir verstehen Verhütungsmittel als Bestandteil medizinischer Produkte. Sie funktionieren als Vorsorge gegenüber Sexuell übertragbaren Infektionen (STI) Bei bestimmten Krankheiten ist die Pille ein Medikament unabhängig von der Verhütung. Insofern versteht sich dieser Antrag ausdrücklich nicht als Positionierung gegen Pillenpräparate. Millionen von Frauen ermöglicht sie einen schmerzfreien Alltag, die Erhaltung ihrer Gebärfähigkeit und ein selbstbestimmtes Sexualleben. Gesundheitsvorsorge gehört für uns nicht in die private Hand. Die Forschung nach verträglichen Verhütungsmitteln darf nicht an der Finanzierung scheitern. Als Jungsozialist*innen fordern wir eine Forschung, die, nicht der Logik des Profits folgen darf. Bis eine Entprivatisierung der Pharmakonzerne gelingt, sehen wir uns aber auch dazu verpflichtet, die Pharmaindustrie zu verpflichten mehr Mittel in die Forschung nach alternativen Verhütungsmitteln einzusetzen. Diese liegen bei ca. 20% des gesamten Budgets. Bei Verhütungsmitteln ist dies deutlich geringer, dies soll angeglichen werden, damit mehr Ressourcen dafür genutzt werden, dass es für alle Geschlechter Verhütungsmethoden gibt, die mit möglichst geringen Nebenwirkungen anwendbar sind. Das Geld ist definitiv bei den Konzernen vorhanden, es muss nur richtig verteilt werden, um unseren feministischen Ansprüchen zu gerecht werden.

Gleichzeitig sehen wir auch die Notwendigkeit, dass innovative Ansätze staatlich gefördert werden müssen. Wo Geld fehlt, kann der Staat Abhilfe schaffen. Hierbei muss garantiert sein, dass der daraus entstandene Profit nicht nur dem Unternehmen ausgezahlt wird. Auch der Staat muss von seiner Beteiligung profitieren. Wir sehen den Staat auch da in der Pflicht zu intervenieren, wo Verhütungsmittel bereits erforscht sind, aber aufgrund einer angeblich unzureichenden Rentabilität nicht auf den Markt gebracht werden. Das ist beispielsweise bei der Pille für den Mann der Fall. Hier argumentiert die Pharmaindustrie, dass der Markt durch die Pille für Frauen bereits gesättigt sei. Hier gilt es durch staatliche Subventionen und Kaufanreize die Pille für den Mann bei der Marktetablierung zu unterstützen. Das heißt aber auch, dass der Staat an erzielten Gewinnen beteiligt werden muss.

Wie und wo Aufklärung betrieben werden soll

Verhütung ist eine individuelle Entscheidung, die eine ausführliche Beratung erfordert. Hierbei soll besonders die eigene Gesundheit im Vordergrund stehen. Durch den wirtschaftlichen Druck in gynäkologischen Praxen bleibt oft nicht genug Zeit, um jedes Verhütungsmittel, auch für den Partner, zu besprechen. Unser Anspruch ist es, dass die Beratung durch Fachpersonal durchgeführt wird. Dafür muss das Beratungsgespräch in gynäkologischen Praxen zur Kassenleistung werden. Zusätzlich dazu sollen Ärzt*innen regelmäßig über neue Verhütungsmethoden informiert werden.

Darüber hinaus sollen Beratungsstellen und auch Anlaufstellen für den Mann geschaffen bzw. verstärkt werden, um einen zusätzlichen Zugang zu Informationen zur Verhütung zu schaffen. Gleichzeitig kann hier die Beratung auch komplett kostenlos erfolgen, wodurch auch Menschen ohne Krankenkasse beraten werden können. Zudem ist hier auch eine anonyme Beratung möglich, die Hemmschwellen senken kann und so den Zugang erleichtert.

Beratungsstellen und gynäkologische Praxen sollen hierbei nicht als Konkurrenz, sondern als sich ergänzende Angebote gesehen werden, die sich in der Beratung qualitativ nicht unterscheiden.

Gleichzeitig steht für uns im Vordergrund, dass durch Aufklärung auch das sexuelle Selbstbild immens geprägt wird. Sexualaufklärung muss diskriminierungsfrei sein. Sie ist mehr als Wissensvermittlung, denn Sexualität verstehen wir auch als einen zentralen Baustein der eigenen Identität. Jegliche Aufklärung muss daher frei von Vorurteilen sein.

Wie kommt man an Verhütungsmittel, Wer bezahlt diese?

Das Modellprojekt Biko [1] zeigt wie die finanzielle Übernahme aussehen kann und somit Verhütungsmittel kostenlos bereitgestellt werden. Hierbei wurden Frauen unterstützt, die einkommensschwach waren oder staatliche finanzielle Unterstützung bekamen. Bei dem Projekt konnten Frauen mit dem Rezept für das Verhütungsmittel nach einem Beratungsgespräch bei ProFamilia in der Apotheke das Verhütungsmittel kostenlos erhalten. Bei z.B. einer Spirale wurde diese in der Praxis nach dem Beratungsgespräch eingesetzt. Es zeigte sich, dass eine heterogene Gruppe an Frauen das Projekt in Anspruch nahm. Der Bedarf an einer Kostenübernahme ist also in der breiten Gesellschaft vorhanden. Gleichzeitig gaben diese an, dass sie ohne Kostenübernahme weniger sichere Verhütungsmittel nutzen würden. Hiermit würde die sexuelle Selbstbestimmung deutlich zurückgehen.

Uns Jusos geht dieses Projekt noch nicht weit genug. Verhütung ist eine subjektive, persönliche Entscheidung. Jede*r sollte frei wählen können. Hierzu muss Verhütung kostenfrei sein. Nur so ist eine wahre Entscheidungsfreiheit garantiert, wie die Ergebnisse aus dem Modellprojekt zeigen. Diese Entscheidungsfreiheit ist erforderlich, da jede Person andere Nebenwirkungen, Vorerkrankungen, etc. haben kann, die die Entscheidung beeinträchtigen. Die Überprüfung der finanziellen Situation, wie bei Biko vorgenommen, kann oftmals eine Stigmatisierung hervorrufen. Das Angebot von Verhütungsmitteln und die Beratung sollen so niederschwellig wie möglich konzeptioniert sein. Eine Finanzüberprüfung widerspricht dem. Die Kostenübernahme soll hierbei bundesweit einheitlich geregelt werden. Eine Finanzierung durch das Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist zu begrüßen. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass jede*r selbst einschätzen kann, ob sie*er noch einen weiteren Informationsbedarf hat. Beratungsgespräche sollen freiwillig geschehen und nicht durch den Druck von außen.

[1] https://www.biko-verhuetung.de/ (Zugriff: 16.08.2020 18:30 Uhr)