Weil Sprache Wirklichkeit schafft – ein Konzept für diskriminierungsfreie Sprache

Diskriminierungsfreie Sprache

Sprache hat in unserer Gesellschaft eine wichtige Funktion. Mit ihrer Hilfe verständigen wir uns und bringen Positionen zum Ausdruck. Sprache schafft Wirklichkeit, sie kann gesellschaftliche Zustände manifestieren und dazu beitragen, dass bestimmte Menschen unsichtbar gemacht oder abgewertet werden. Diskriminierungen, die bestimmte Gruppen seit Jahrhunderten erfahren, werden oft auch sprachlich aufgegriffen und reproduziert.

Bei vielen privilegierten Personen löst die Forderung nach diskriminierungsfreier Sprache eine reflexartige Abwehr aus, weil es darum geht, Diskurshoheit abzugeben und sich vermeintlichen „Sprechverboten“ hinzugeben. Abgesehen davon, dass diese Abwehr die beste Begründung dafür ist, sich für diskriminierungsfreie Sprache einzusetzen, zeigen zahlreiche Studien, dass beispielsweise die Verwendung geschlechtsneutraler Sprache beeinflusst, wie Menschen Geschlechternormen und Gleichstellungsthemen beurteilen. Bei Kindern hat gegenderte Sprache Einfluss darauf, dass sie sich von gesellschaftlich normierten „Frauen“ oder „Männerberufen“ lösen und unterschiedlichste beruflichen Ziele für sich in Betracht ziehen.

Strukturelle Diskriminierungen finden auch und oft viel intensiver außerhalb von Sprache statt, die es an anderer Stelle zu bekämpfen gilt. Mit der umfassenden Verwendung diskriminierungsfreier Sprache können wir NRW Jusos aber Voraussetzungen dafür schaffen, durch Sichtbarkeit und Sensibilisierung Abwertungsmechanismen aufzuzeigen und effektiv zu bekämpfen.

Gendergerechte Sprache

Geschlecht ist eine soziale Konstruktion und wird insbesondere durch das in vielen Bereichen präsente binäre Geschlechtersystem als binäres Konstrukt aufrechterhalten. Wir wollen durch Sprache Sichtbarkeit und Repräsentanz schaffen und deshalb konsequent unsere Sprache gendern.

Die Benutzung gendergerechter Sprache praktizieren wir Jusos schon lange und auch außerhalb unseres Verbandes etwa in bestimmten Medien wird Gendern (teilweise) zur Selbstverständlichkeit. Die Arten und Weisen gendergerecht zu schreiben sind vielfältig und wir sind uns bewusst, dass es keine perfekte, alle Bedürfnisse inkludierende, Form gibt. Als NRW Jusos wollen wir aber einheitlich gendern und uns auf die Formen festlegen, die wir als Landesverband bei allen Schriftstücken, die veröffentlicht werden, verwenden:

  • Wo es sich anbietet, benennen wir die Personenkreise, die wir meinen, direkt
  • Wir gendern mit * wenn es um Substantive geht (Busfahrer*innen): hier ist das * dazu da, nicht-binäre Personen zu inkludieren. Diese Form des Genderns, die aus LGBTIQA+-Communities kommt und hier benutzt wird, halten wir am geeignetsten.
  • Wir verwenden kein Sternchen hinter einer Personenbezeichnung (Frauen*), um mit dem * Geschlecht als Konstrukt zu markieren oder Transpersonen miteinzuschließen, weil trans Frauen Frauen und trans Männer Männer sind.
  • Wenn wir alle vom Patriarchat unterdrückten Gruppen meinen, beispielsweise um sichtbar zu machen, für welche Personen die safer spaces auf Veranstaltungen gedacht sind, sprechen wir von FINTA-Personen (Frauen-, Inter-, Non-Binär-, Trans- und Agender- Personen).
  • Für politische Debatten kann es hilfreich sein, auf die zusammenfassende Form FINT zu verzichten und auch hier klar zu benennen, wen wir meinen. „Das politische Subjekt Frau“ ist innerhalb feministischer Kämpfe ein wichtiger Bezugspunkt, der sichtbar bleiben muss. Wenn es beispielsweise um das Thema Reproduktion geht und Diskriminierungen, die mit diesem Thema einhergehen, ist es wichtig, von Frauen bzw. „Frauen und Gebärende“ zu sprechen, um sichtbar zu machen, dass Diskriminierung beim Thema Reproduktion auf der Grundlage des Frau-Seins entsteht und nicht auf Grund der Gebärfähigkeit. Dennoch sind gebärfähige Menschen, die keine Frauen sind, von diesen Diskriminierungen betroffen, sie gilt es ebenfalls sichtbar zu machen. Genauso muss anerkannt und sichtbar gemacht werden, dass es auch Frauen gibt, die nicht gebärfähig sind.
  • Das gendern mit : ist den letzten Jahren immer beliebter geworden. Als NRW Jusos halten wir diese Form für weniger geeignet, da sie nicht barriereärmer als andere Gender-Formen, bei denen Sonderzeichen genutzt werden, ist. Die Screenreaderfreundlichkeit, also der barrierearme Zugang zu Texten ist damit aber ebenfalls nicht unbedingt gegeben. Sie wird außerdem auch häufig im Textfluss übersehen und überlesen. Immer häufiger wird diese Form benutzt, weil sie als eleganteste gilt, was aber auch darauf zurückzuführen ist, dass sie nicht so auffällig ist. Für uns steht aber fest, dass Gendern ruhig auffällig sein darf, damit es zur Sichtbarkeit von lange unterdrückten Personengruppen kommt. Letztendlich muss es aber darum gehen, technische Möglichkeiten weiterzuentwickeln, um alle Formen der gendergerechten Sprache für alle lesbar zu machen.
  • Auch queere Menschen werden von unserer Gesellschaft noch oft diskriminiert, da sie nicht zu der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft gehören. Für uns ist klar, dass es mehr als Heterosexualität und Homosexualität gibt. Um auch eine einheitliche Bezeichnung für queere Menschen zu finden, wollen wir eine Form festlegen, wie wir die queere Szene ansprechen. Auch hier gibt es unterschiedliche Formen, wobei keine von diesen Vollständigkeit beanspruchen kann. Wir wollen uns dennoch auf die Bezeichnung LBGTIQA+ (Lesbian, Bi, Gay, Trans, Inter, Queer, Asexual) einigen, da wir bei dieser Form die meisten Sexualitäten und sexuellen Identitäten wiedergefunden sehen.

Rassismusfreie Sprache

Zu Rassismus gehört auch, dass nicht-weiße Menschen durch Weiße seit Jahrhunderten durch Sprache und Begriffe abgewertet werden. Nicht-Weiße werden mit Fremdbezeichnungen beschrieben und herabgewürdigt. Für uns ist klar, dass Fremdbezeichnungen rassistisch und abzulehnen sind. Nicht-Weiße Menschen nennen sich BIPoC, also Black, Indigenous and People of Color. „Schwarze Menschen“ ist auch eine Selbstbezeichnung. „Schwarz“ wird aber immer großgeschrieben, um deutlich zu machen, dass es nicht um die Farbe, sondern um ein soziales Konstrukt geht. Das Wort „Rasse“ ist im Deutschen sehr belastet. Es kann nicht losgelöst von der rassistischen Ideologie, dass es unterschiedliche biologische Rassen gibt, benutzt werden. Anders ist es mit dem englischen Wort Race. Hier ist klar, dass es sich um ein soziales Konstrukt handelt und wird auch von antirassistischen Autor*innen benutzt.

„Menschen mit Migrationshintergrund“ ist keine Selbstbezeichnung, aber in Deutschland gibt es kaum Daten zur BIPoC, nur zu „Menschen mit Migrationshintergrund“, das heißt, wenn wir in Zahlen über Diskriminierung/Rassismus sprechen wollen, können wir in Deutschland schwer über BIPoC reden. Außerdem gibt es auch weiße Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, die von Diskriminierung betroffen sind, z.B. Ost- und Südeuropäer*innen oder Russ*innen, die weiß markiert sind. Wir vermeiden trotzdem die Fremdbezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ und bevorzugen dann „Menschen mit Migrationsgeschichte“.

Auch wenn in Medien leider immer noch viel diskutiert wird, ob es in Ordnung ist, die Fremdbezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja zu benutzen, ist für uns NRW Jusos klar: diese Fremdbezeichnung ist rassistisch und mit langer Verfolgung gegen Sinti*zze und Rom*nja, die im Genozid (Porajmos) durch die Nationalsozialisten gipfelte, verbunden. Vermehrt wird deswegen auch unter Sinti*zze und Romn*ja über den Begriff „Antiziganismus“ kontrovers diskutiert. Für einige macht der Begriff die Verfolgung der Sinti*zze und Rom*nja sichtbar, für andere ist der Begriff aber eine Reproduzierung der Fremdbezeichnung und sie wollen lieber von Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja sprechen. Hier ist es wichtig, weiter mit der Community im Austausch zu bleiben und ggf. zukünftig die Reproduzierung der Fremdbezeichnung zu vermeiden.

Antisemitismusfreie Sprache

Jüdinnen*Juden ist eine Selbstbezeichnung. Offener Antisemitismus ist in weiten Teilen der Gesellschaft nicht akzeptiert.  Das heißt aber natürlich nicht, dass es keine antisemitische Sprache mehr gibt. Deswegen ist es wichtig hinsichtlich antisemitischer Narrative, Wörter, Redewendungen und versteckter Codes zu sensibilisieren. Dies betrifft ausdrücklich auch Israelbezogenen Antisemitismus. Deutlich stellen wir uns gegen Narrative in denen Israel dämonisiert und delegetimiert wird, und/oder die Doppelstandards gegen den einzigen jüdischen Staat der Welt erheben, wie es beispielsweise Apartheidsvergleiche tun.

Ableismusfreie Sprache

Menschen mit Behinderung ist eine Selbstbezeichnung. Eine Selbstbezeichnung von Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen ist Menschen mit Lernschwierigkeiten. Es soll deutlich gemacht werden, dass die Behinderung Teil der Person ist, aber nicht das Einzige ist, was sie ausmacht. Ableistische Sprache ist sehr verbreitet. Es gibt viele Schimpfwörter, die benutzt werden, um Menschen mit Behinderung abzuwerten. Auch psychisch kranke Menschen werden immer wieder in der Sprache stigmatisiert. Besonders bei Anschlägen oder Amokläufen wird das deutlich.

Klassismusfreie Sprache

Menschen mit einem niedrigen Bildungsabschluss und/oder wenig finanziellem Einkommen werden mit Begriffen wie „Prolet*in“ oder „Asi“ abgewertet. Wir lehnen diese Begriffe ab. Auch die Abwertung von Umgangssprache und Dialekten ist klassistisch und oft auch rassistisch.

Wir benutzen Sprache, die dafür sorgt, dass alle Menschen einen Zugang zu uns haben können. Fremdwörter sind oft wichtig, um Probleme und Lösungen präzise zu benennen und Diskriminierung zu bekämpfen, aber Begriffe müssen erklärt werden und unnötige Benutzung von Fremdwörtern vermieden werden.

Unsere Sprache muss inklusiv und diskriminierungsfrei sein, damit unser Verband inklusiv und diskriminierungsfrei wird.