Feministischer Kampf und antikapitalistische Analyse

Wir Jungsozialist*innen kämpfen für den demokratischen Sozialismus, der für uns mehr ist als nur Wirtschaftsform; Sozialismus bedeutet für uns als übergeordnete Form das gesellschaftliche Zusammenleben der Freien und Gleichen.Demokratisierung aller Lebensbereiche und Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse beschränken. So scheint der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital als alleiniger Hauptwiderspruch: Unser Kampf sei auf seine Auflösung begrenzt; Mit der Überwindung des Kapitalismus sei unser Ziel erreicht. Diese Vorstellung halten wir für fatal.

Arbeit und Kapital als ein Widerspruch

1986 arbeitete Ulrich Beck in seiner dystopischen Modernisierungstheorie Risiken zukünftigen gesellschaftlichen Zusammenlebens heraus[1]; Explizit unterschied er hierbei kapitalabhängige Risikofaktoren (wie z. B. Arbeitslosigkeit) von kapitalunabhängigen („Smog ist demokratisch“). Er machte also den Kapitalismus als einen – aber nicht den einen – Ursprung von Risiken aus.
Wir Jungsozialist*innen begreifen die Auflösung des Widerspruchs zwischen Arbeit und Kapital als einen zentralen Kampf – einen Kampf von vielen. Unser radikales Nein zu dieser Welt äußert sich durch eine umfassende Beanstandung der bestehenden Lebens-, und nicht nur der Produktionsverhältnisse.

What matters

Grundlage unseres gesellschaftlichen Lebens ist die Produktion unserer materiellen Lebensgrundlagen. Daher bildet auch die Betrachtung der Produktion unserer materiellen Lebensverhältnisse die Grundlage, von der ausgehend wir unsere gesellschaftlichen Lebensverhältnisse überhaupt analysieren. Die Art und Weise, wie wir unsere Lebensgrundlagen produzieren, ist in der Gegenwart von mehreren Eigenschaften bestimmt. Sie ist zum einen davon geprägt, dass die Produktionsmittel in der Hand Einzelner sind, die andere für sich arbeiten lassen und von ihrer Arbeit profitieren. Sie ist aber auch und immer noch bestimmt von einer geschlechtlichen Arbeitsteilung. Neben weiteren Bestimmungen der Produktionsweise zeichnet sich unsere heutige Gesellschaft durch zahlreiche Diskriminierungsstrukturen aus, unter denen patriarchale und sexistische Diskriminierungen die größte Anzahl an Menschen treffen.

Patriarchaler Kapitalismus oder Kapitalistisches Patriarchat?

Wir Jungsozialist*innen erkennen, dass Auswüchse der Struktur unseres gesellschaftlichen Lebens synergetisch befeuert werden; So schafft beispielsweise die Digitalisierung neue Formen kapitalistischer Ausbeutung: Konzerne, die durch das Internet Kapital akkumulieren, nutzen träge Strukturen des Sozial- und Steuerstaats und sagen sich ihrer ab. Zudem dient das Internet als Plattform, um neue frauen*feindliche Strukturen verfestigen: Es sei nur an Autovervollständigungen  in Suchmaschinen gedacht, die sexistische Klischees ihrer Nutzer*innen aufnehmen und reproduzieren. Digitalisierung und Ungleichheit können also als Unterbau und Folge kapitalistischer und patriarchaler Struktur betrachtet werden.  In sich verstärken beide Faktoren jeweils ihre Auswirkungen.
Wir sehen diese Faktoren jedoch auch als selbstständig wirkende Widersprüche; Gesellschaftliche Repression körperlicher Selbstbestimmung der Frau*, oder sexistische Sprachstruktur sind Beispiele patriarchaler Struktur, die auch unabhängig des Kapitalismus existent sein könnten. Umgekehrt ist Besitz oder eben Nichtbesitz von Produktionsmitteln nicht zwingend an ein biologisches oder soziales Geschlecht geknüpft.
Die patriarchale Gesellschaft hat in ihr selbst, und nicht im Kapitalismus ihren Ursprung.  Sie bildete sich weit vor der Ausbreitung kapitalistischer Produktionsweisen.

Besondere Rolle des Feministischen Kampfes

Der Feminismus nimmt für uns Jungsozialist*innen eine Sonderrolle ein, denn die patriarchalen Verhältnisse lassen sich nicht etwa durch etwaige Normativität rechtfertigen: Frauen* sind keine Gruppe in Minderheit; Frauen*feindliche Strukturen können (direkt) keinen Mehrheitsentscheidungen entspringen.
Unser Intersektionalismus
Ziel des Intersektionalismus ist für uns nicht, den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital als Nebenwiderspruch zum patriarchalen System, sondern den Feministischen Kampf als gleichberechtigten und gegenüber dem Antikapitalismus selbstständigen Kampf samt sich unabhängig bildender Ungleichheiten zu begreifen.
Die Offensichtlichkeit von im Intersektionalismus beschriebener Mehrfachdiskriminierung schließt die Erkenntnis ein, dass es weitere Hauptwidersprüche geben kann.

Die feministische Perspektive

Als Jungsozialist*innen müssen wir also darauf Acht geben, uns in der Kritik (mit Ziel der Zerschlagung) patriarchaler Verhältnisse nicht (ausschließlich) auf Kritik zu berufen, die die Frau* im Kapitalismus betrachtet. Unterdrückung ihrer ist auch in Räumen alternativer Wirtschaftsformen möglich und real existent. Frauen* werden in den bestehenden Verhältnissen also offensichtlich nicht nur in ihrer Rolle als Arbeitnehmerinnen* diskriminiert, sondern beispielhaft auch im Familiengebilde, als Bürgerin* (in Bezug zu staatlichen Institutionen) oder als Mitbürgerin* (in gesellschaftlicher Ordnung).
Da die gegebenen Verhältnisse tatsächliche Geschlechterbilder in sich tragen, stellt die feministische Perspektive durch den Mann* ausdrücklich zunächst die Anforderung, sich als Mann*, also als gesellschaftlich privilegiert zu verstehen.

Demokratischer Sozialismus

Logisch ist es also möglich, Patriarchat und Kapitalismus voneinander unabhängig zu denken. Und auch innerhalb kapitalistischer Verhältnisse kann es einen nicht-antikapitalistischen Feminismus geben. Allerdings ist uns vor dem Hintergrund der geschichtlichen Betrachtung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst, dass es für eine wirkliche Überwindung des Patriarchats und der gesellschaftlichen Geschlechterdifferenzen [2] einer materiellen Gleichstellung aller Menschen bedarf. Notwendige Bedingung in der Erstreitung und Gestaltung eines demokratischen Sozialismus unseres Verständnisses ist dementsprechend die Überwindung des Patriarchats, denn eine menschliche Gesellschaft ist ohne Überwindung der männlichen Gesellschaft nicht denkbar.
Frauen*bewegung und Arbeiter*innenbewegung
In der Verbandsarbeit stehen wir im Bereich des Feministischen* Kampfes vor einer besonderen Herausforderung; die Präsenz und Sichtbarkeit von Frauen* ist auch bei uns Jungsozialist*innen noch nicht auf einem wünschenswerten Niveau. Dies fordert zum einen herausragende Solidarität ein, und zeigt zum anderen die Wichtigkeit effektiveren Frauen*-Empowerments auf.
Als Teil der Arbeiter*innenjugend ist es unser Anspruch, den feministischen Kampf und den Kampf der Arbeiter*innen zusammenzuführen. Wir Jusos sind Plattform für den vereinigten Kampf einer Gesellschaft der Freien und Gleichen; einer Gesellschaft, die nur ohne Herrschaft des Mannes* und Herrschaft des Kapitals möglich ist.
[1] Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1986.
[2] Als Jungsozialist*innen wollen wir das sozial konstruierte binäre Geschlechtersystem überwinden; Eine radikale Verkennung real existierender Ungleichheiten schafft diese Ungleichheiten jedoch nicht ab.