Soziale Herkunft und sozialer Status als Diskriminierungsform ins Grundgesetz!

Ein weit verbreitetes Gedankenkonstrukt in unserer Gesellschaft ist, dass soziale Benachteiligung eigenverantwortlich verschuldet sei und dass jede:r es aus eigener Kraft durch Leistung aus dieser Benachteiligung sich hinaus „arbeiten“ könne. Wer dies nicht tut, mache es sich auf einer „sozialen Hängematte“ bequem. In solchen Gedankenmustern zeigt sich Klassismus, eine soziologisch breit erforschte Diskriminierungsform, die eine Form von Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft und/oder des sozialen Status darstellt. Diese Diskriminierung kann sich auf verschiedenen Ebenen zeigen. Betroffene sind mit Vorurteilen und Vorannahmen in Medien und Gesellschaft konfrontiert, werden karikiert und sind Beleidigungen wie Schmarotzer oder auf beleidigende Art und Weise der Bezeichnung Geringverdiener ausgesetzt. Sie erfahren Gewalt, die sogar bis zum Tod gehen kann – bspw. das immer wieder vorkommende Anzünden von Obdachlosen, erfahren sozialen Ausschluss, sind von finanziellen und existenziellen Ängsten betroffen, erleiden aufgrund ihrer sozialen Herkunft und/oder ihres sozialen Status Stresserkrankungen wie Herzkreislauferkrankungen, Depressionen usw. und sterben im Schnitt 8 bis 10 Jahre früher.

Betroffen von Klassismus sind Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft und Position institutionell und strukturell diskriminiert werden.

Es sind Menschen, die z.B. u.a. auf vergleichsweise wenig oder gar kein Vermögen zugreifen können, die ein prekäres Einkommen zu Verfügung haben, für die Zugänge zur Bildung erschwert und das berühmte Vitamin B durch Beziehungen kaum bis gar nicht vorhanden ist.

Exemplarisch dafür ist beispielsweise die systematische Diskriminierung, die aufgrund prekärer Lebensverhältnisse, Arbeitsverhältnisse, Asylstatus, Geschlechterungleichheiten, Behinderung und Rassismus, entstehen kann. Diese vielen Dimensionen der Prekarität verhindern wichtige Zugänge u.a. zur Bildung sowie zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe.

Diese gesellschaftliche Gruppe beschränkt sich nicht nur auf Erwerbslose, Wohnungslose, Arbeiter:innen, sondern umfasst auch Studierende aus der Armutsschicht oder Arbeiter:innenschicht, in Prekariat lebende Wissensarbeiter:innen und mehr. Dabei betrifft diese Menschen diese Diskriminierungsform auf individueller, instutionieller und struktureller Ebene sowie in der Sprache.

Klassismus tritt häufig in Verschränkung mit anderen Ungleichheitsdimensionen auf. Aus ihnen folgen Machtunterschiede innerhalb der Gruppe von Klassismus betroffener Personen: So sind etwa rassistische Narrative eng verflochten mit der Abwertung von Menschen, die über wenig bis kein Geld verfügen oder eine solche Armutserfahrung aufweisen. Menschen aus dem finanziellen Prekariat wird verstärkt Kriminalität zugeschrieben. Darunter werden insbesondere BIPoC mit Straftaten in Verbindung gebracht und entsprechende Polizeikontrollen durchgeführt. Von Klassismus betroffenen Menschen werden im Bildungssystem Hürden gestellt, indem aufgrund rassistischer und/oder klassistischer Vorbehalte Gymnasialempfehlungen nicht erteilt oder ausländische Bildungsabschlüsse nicht anerkannt werden. Auf diesem Wege werden Chancen zu sozialem Aufstieg von staatlicher Seite verwehrt. Und auch FINTA erfahren Klassismus noch einmal auf eine andere Art: Beispielsweise sind Alleinerziehende überwiegend Frauen und oftmals von Armut betroffen. Sie werden gegenüber Ehepaaren steuerlich benachteiligt oder erhalten Termine beim Jobcenter, die mit Kindererziehung nicht vereinbar sind. Menschen mit Behinderung trifft Klassismus ebenfalls besonders schwer. Wer ohnehin schon wenig Geld zur Verfügung hat, kann Nachteile infolge körperlicher oder geistiger Einschränkungen häufig deutlich schwerer durch teure Hilfsmittel ausgleichen. Wer auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, stößt auf nicht barrierefreie Ämter und schwer verständliche Bescheide. Eine solche klassistisch-intersektionale Diskriminierung macht das Grundgesetz bisher nicht sichtbar.

In Artikel 3 des Grundgesetzes wird die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft durch das Wort „Herkunft“ geschützt, allerdings wird dies nicht hinreichend klar. Ganz fehlt die Dimension der Diskriminierung aufgrund der sozialen Position im Grundgesetz sowie die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft und der sozialen Position. Das Grundgesetz sollte diese Aspekte stärker betonen und der Begriff der Herkunft sollte durch den Begriff der sozialen Position ergänzt werden. Soziale Herkunft meint die geburtsmäßige Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht. Die soziale Position ist die Schichtzugehörigkeit, die Menschen innerhalb der Gesellschaft im Laufe ihres Lebens einnehmen, die nicht der geburtsmäßigen Zugehörigkeit entsprechen muss.

Wie beschrieben bestimmt die soziale Herkunft und Position maßgeblich über die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe. Des Weiteren haben klassistische Diskriminerung und Gewalt in Deutschland eine lange Tradition. So wurden im Nationalsozialismus als „asozial“ Stigmatisierte z. B. „Obdachlose und Arbeitslose“ mit einem schwarzen Winkel gekennzeichnet und in die Konzentrationslager deportiert.

Wir fordern die Verankerung und die verfassungsrechtliche Anerkennung der Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft und des sozialen Status!

Wir fordern die unverzügliche Aufnahme der sozialen Herkunft und des sozialen Status als Diskriminierungsmerkmale in Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes.

Außerdem fordern wir, dass bei der Einführung eines nordrhein-westfälischen Antidiskriminierungsgesetzes die Diskriminierungsmerkmale der sozialen Herkunft und des sozialen Status aufgenommen werden.