Das Morgen schon Heute bewahren!

Der erste Bundeshaushalt der Großen Koalition zeigt deutlich, dass die Interessen junger Menschen und zukünftiger Generationen nie so stark durch finanzpolitische Entscheidungen betroffen waren wie heute. Investitionen in Bildung, Infrastruktur und eine gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben werden dem Interesse der Bundesregierung an einer „schwarzen Null“ – als angeblich historisches Ereignis – untergeordnet. Politik in Zeiten hoch verschuldeter Staatshaushalte und scheinbar wenig Möglichkeiten zur

Einflussnahme auf Ausgabepositionen kann sich nicht einfach am ökonomisch Sinnvollen oder programmatisch Gewünschten orientieren. Politik muss nach dem politisch Machbaren schauen. Das ist verstanden. Betrachten wir aber die zukünftigen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen in NRW, so wird schnell klar, dass die Politik in Zukunft mehr denn je vor großen Aufgaben stehen wird. Wir Jusos in Nordrhein-Westfalen treten mit den Erfahrungen aus dem Schwerpunkt Generationengerechte Daseinsvorsorge dafür an, die Interessen unserer und zukünftiger Generationen in der Landespolitik einzubringen und durchzusetzen.

Daseinsvorsorge – Unser Verständnis

Wenn über Daseinsvorsorge gesprochen wird, ist es meistens nur ein Ausschnitt über den diskutiert wird. Oft sind es die alltäglichen und gewohnten Dinge, die viele mit Daseinsvorsorge verbinden, wie etwa die Versorgung mit Trinkwasser oder Strom. Selten wird über Kindergärten, Bibliotheken, den öffentlichen Nahverkehr oder Beratungsstellen diskutiert. Manchmal rückt die kulturelle Daseinsvorsorge in den Vordergrund, eher aber in Debatten über die Schließung von Theatern oder Museen. Dies sind Bausteine, die exemplarisch für uns NRW Jusos den Begriff der Daseinsvorsorge beschreiben. Der Kerngedanke dahinter ist, dass alle notwendigen öffentlichen Dienstleistungen und Einrichtungen für eine Versorgung mit grundlegenden Gütern und Leistungen, für eine Teilhabe aller Menschen an der gesellschaftlichen Entwicklung vorhanden sind und allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen. Die Beantwortung der Frage, welche Güter und Dienstleistungen konkret vom Staat bereitgestellt werden müssen, ist durchaus umstritten und unterliegt – wie damit auch die Definition des Begriffes „Daseinsvorsorge“ selbst – dem gesellschaftlichen Wandel. Im Zuge der Privatisierungswelle der neoliberal geprägten vergangenen Jahrzehnte, gehörten als Bestandteil der Daseinsvorsorge immer mehr auch private Güter, die – zumindest prima facie – ohne weiteres über den Markt bereitgestellt wer-den konnten, zum Gegenstand der Daseinsvorsorge. Auch heute noch gibt es viele Bereiche der Daseinsvorsorge, in denen der Staat diese Güter und Dienstleistungen nicht selbst produziert oder anbietet, sondern dafür sorgt, dass sie verbilligt oder gar kostenlos abgegeben werden und der Staat die Differenz zwischen Kosten und Erlös durch Steuermittel finanziert. Die NRW Jusos lehnen ein solches Verständnis der Daseinsvorsorge ab und nehmen zustimmend zur Kenntnis, dass viele Städte und Gemeinden immer häufiger Güter und Dienstleistung im Bereich der Daseinsvorsorge rekommunalisieren. Nicht zuletzt die Erfahrungen in Berlin mit der Privatisierung der Winter- und Räumdienste waren mahnende Beispiele des Scheiterns von Privatisierungsvorhaben. Daseinsvorsorge umfasst nach unserem Verständnis aber nicht nur eine politisch definierte Grundversorgung mit Infrastrukturgütern und Infrastrukturdienstleistungen, die für alle Bevölkerungsschichten und Regionen des Landes nach gleichen Grundsätzen in guter Qualität und zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen sollen, sondern umschreibt auch die staatliche Aufgabe zur

Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Dienstleistungen als Grundversorgung. In diesem Verständnis beschreibt letztlich auch das Grundgesetz das Ziel der Gleichheit der Lebensverhältnisse in unserem Land. Als wesentliche Inhalte der Daseinsvorsorge gelten neben den „klassischen“ Berei-chen“ für uns unter anderem auch die Versorgung mit

»» Internet und Telekommunikationsdienstleistungen,

 »» Informationen durch unabhängige Medien,

 »»Mobilität und Erreichbarkeit,

»»nahen Pflege-, Kranken- und Rettungsdiensten,

»»Familien-, Jugend-, Sozial und Suchtberatung,

»»Polizei-, Justiz-, Feuer- und Katastrophenschutz,

»»sozialer Wohnungsbau,

»»behinderten- und altengereichte Wohnheime,

»»Frauenhäuser, Jugendheime und betreutes Wohnen,

»»Asyl-, Studenten- und Auszubildendenwohnheime,

»»Bildungseinrichtungen im Ganztag für alle Altersstufen und

»»Kultur-, Sport, Erinnerungs- und Gedenkstätten.

Im 21. Jahrhundert muss Daseinsvorsorge bedeuten, für die künftigen Generationen lebenswerte Bedingungen in den Kommunen zu gestalten und zu erhalten. Nachhaltigkeit muss zum entscheidenden Kriterium für die Gestaltung der Daseinsvorsorge von Morgen werden. Die Sparpolitik der heutigen Zeit darf letztlich nicht dazu führen, dass die Generation von heute von der Substanz und dem Abbau der Infrastruktur zehrt und nachfolgende Generationen für Infrastruktur und Investitionen der Vergangenheit, auf die sie später keinen Zugriff mehr haben, dennoch die Zinsdienste leisten müssen – zwar schuldenfrei jedoch ohne diese Infrastruktur sind.

Schuldenbremse, Wirtschaftswachstum und Verteilungsgerechtigkeit

Wer kann schon abschätzen, ob eine Sparpolitik, wie die der Schuldenbremse, und der symbolische Haushaltsausgleich wirklich sinnvoll ist, wenn letztlich der öffentliche Haushalt kein Wert mehr an sich ist, sondern nur eine politische Größe, durch die Regierungen zum Zielpunkt eigener Politik stilisiert? Mit der Preisgabe einer eigenständigen Positionierung verzichtete die politische Elite auf ein notwendiges Alleinstellungsmerkmal und flüchtet sich hinter große Begriffe, wie Generationenvertrag, Generationengerechtigkeit und Ähnlichem. Eine derartige Politikkonzeption läuft Gefahr, lediglich als Symbol der Entschlusskraft und Handlungsfähigkeit wahrgenommen zu werden, wo konkret bestehende Handlungsspielräume nicht genutzt werden. Diese bestehen aber und müssen genutzt werden. Die NRW Jusos fordern weiterhin die stärkere Besteuerung hoher Vermögen und Einkommen zur Herstellung eines gerechten Lastenausgleichs. In der Wachstumskrise der europäischen Staaten entbrennt nach der Bankenkrise nun eine lebhafte Debatte über die Frage, wie Wachstum konkret gestaltet werden kann. Vertreten die einen noch, dass die Krisenstaaten durch Reformen mit harten Einschnitten in soziale Sicherungssysteme und staatliche Leistungen die Grundlagen für Wachstum schaffen müssen, fordern immer mehr Experten die Abkehr von Stabilitätsvorgaben und dem Fiskalpakt, um durch dann mögliche Investitionen Wachstum zu generieren. Für uns NRW Jusos steht somit fest, dass das Märchen der bösen Staatsschulden nur noch ein solches ist. Letztlich gibt es gute Gründe für staatliche Verschuldung, wie etwa die Konjunkturstabilisierung – in Deutschland beispielsweise mit den Konjunkturpaketen I und II – oder die Überbrückung wirtschaftlicher Krisenzeiten. Staatliche Investitionen schaffen eine gesamtwirtschaftliche Dynamik. Staatsschulden sind ökonomisch betrachtet somit weder gut noch schlecht. Entscheidend ist, was mit den staatlichen Geldern finanziert wird. Nicht die wachsende Verschuldung des Staates ist letztlich ausschlaggebend, sondern das Verhältnis von Schulden zum Wirtschaftswachstum. Eine weitere zentrale Kernfrage war es, wie wir in unserem Land mit der strukturellen Veränderung in unserem Wirtschaftssystem umgehen wollen. Eine funktionierende Wirtschaft ist die Voraussetzung für einen funktionierenden Staat. Ein Leben gelingt nur dann, wenn alle notwendigen Güter

vorhanden sind und der Mensch in angemessenem Wohlstand lebt. Für uns hat Wirtschaft deshalb eine dienende Funktion: Sie dient dem Staat im Haushalt. Sie dient der Gemeinschaft zur Güterverteilung und sie dient den Menschen als Weg in den Wohlstand. Zentrale Voraussetzung ist für uns die gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Wohlstand. Wir möchten mit einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik unseren Zielen der Verteilungsgerechtigkeit, Vollbeschäftigung und guter Arbeitsbedingungen für alle Menschen näher kommen. Dabei setzen wir auf eine moderne Kombination aus Dienstleistungs-, Industrie- und Landwirtschaftspolitik.

Als Teil unserer Gesellschaft ist die Wirtschaft aber auch deren Werten verpflichtet. Aus diesem Grund betonen wir, dass nur eine soziale Form der Marktwirtschaft die größtmögliche Teilhabe des Einzelnen am gesamtwirtschaftlichen Wohlstand sichert. Wir sehen hier den Staat in der Pflicht. Er muss Grenzen ziehen und durch Ordnungspolitik ein Wirtschaftsleben gestalten, das von den sozialdemokratischen Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bestimmt wird. Insbesondere die Verantwortung und Verpflichtung der Unternehmen für und auf das Allgemeinwohl muss Gegenstand eines kritischen Dialogs zur Unternehmensbesteuerung werden. Steuersparmodelle durch Auslandsbeteiligungen von (Groß)Konzernen – ja sogar dem VW-Konzern – dürfen nicht zum Sargnagel der Gewerbesteuereinnahmen von Städten und Gemeinden werden. Wir fordern die NRWSPD auf, hier für eine europäische Initiative zur europaweit einheitlichen Unternehmensbesteuerung zu Gunsten der Kommunen zu sorgen.

Daseinsvorsorge konkret – Stadtentwicklung und Landesentwicklungsplan

Eine der Kernfragen wird in den kommenden Jahren die Art und die Zielgerichtetheit von Investitionen sein. Die heterogene Ausgestaltung der demografischen Entwicklung bedarf in NRW einer Neujustierung der Investitionspolitik, insbesondere im Hinblick auf die soziale Infrastruktur und die Stadtentwicklung. Festzuhalten ist, dass die Innenstadtlagen in den Städten und Gemeinden in der Vergangenheit immer stärker unter Druck geraten sind. Durch Wegzug von Einwohnerinnen und Einwohnern verursachte Kaufkraft-, Steuer- und Zuweisungsverluste haben vereinzelt zu massiven Wohnungsleerständen und flächendeckend zu einem „trading down“ des Einzelhandels in den Innenstadtlagen geführt. Zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs im ländlichen Raum müssen Genossenschaftsmodelle besonders gefördert werden. Wir begrüßen daher das Ziel des Landesentwicklungsplanes die Innenstädte durch die Festlegung als „zentrale Orte“ zum Orientierungsrahmen einer nachhaltigen Entwicklung zu machen. Die Jusos in Nordrhein-Westfalen fordern begleitend die Einführung und Festlegung verbindlicher und einheitlicher gesamtstadtbezogener Dichtewerte für Siedlungsbereiche und die Flächennutzungsplanungen in den Städten und Gemeinden.

Daseinsvorsorge konkret – Energiegewinnung und -förderung

Der Investitionsbegriff spielt für uns NRW Jusos eine zentrale Rolle. Dabei können wir auf wesentliche Positionierungen zur Investition in der Energiegewinnung und der Förderung von nachhaltigen Technologien aus den vergangenen Jahren aufbauen. In der Arbeit des Schwerpunktes ist deutlich geworden, dass dennoch in wichtigen Bereichen der Energiewirtschaft nachgesteuert werden muss, soll nicht schlussendlich der börsennotierte Strompreis zum Grab der kommunalen Unternehmen und Stadtwerke werden. Erneuerbaren Energien muss beim Umbau der Strommärkte weiterhin Vorrang ein-geräumt werden. Nicht immer stoßen geplante Investitionen und Bauvorhaben auf ungeteilte Zustimmung in der Bevölkerung des Umlandes. Wir NRW Jusos fordern daher die Änderung des Baugesetzbuches dahingehend, Repowering und Maßnahmen der energetischen Ertüchtigung von Anlagen und Gebäuden von den strengen Vorgaben für Neubauvorhaben auszunehmen. So werden gewöhnte und ausverhandelte Kompromisse erhalten, ohne den notwendigen Ausbau durch umfangreiche Beteiligungsmaßnahmen und bürokratische Hürden zu bremsen. Zudem fordern wir die Ausweisung von Vorranggebieten für windkraftanlagen in Flächen des ehemaligen Braunkohletagebaus.

Beeinträchtigungen durch Emissionen bleiben in diesen Gebieten schließlich ohne Auswirkungen. Ein wichtiges Steuerungsinstrument für die Förderung schadstoffärmerer und res-sourceneffizienterer Stromproduktion sollte der Handel mit CO2-Zertifikaten sein. Fakt ist aber, dass der Zertifikatehandel wenig effektiv ist, da schlicht zu viele Zertifi-kate im Umlauf sind. Um die Investitionen von Energieversorgungsunternehmen in schadstoffarme und ressourceneffiziente Produktionsmethoden zu honorieren und der Absurdität Einhalt zu gebieten, dass derzeit einzig uralte Braunkohlekraftwerke gewinnbringend Strom erzeugen, fordern wir eine Aussetzung der Emission neuer Zertifikate durch die EU für 3 Jahre, um die Sättigung des Marktes mit billigen und wirkungslosen Zertifikaten zu senken.

Stärkungspakt Stadtfinanzen 2.0

Wir NRW Jusos stellen uns der Debatte um die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Wir NRW Jusos sind weiterhin der Auffassung, dass die Schuldenbremse dafür nicht das richtige Instrument ist. Konkret muss sich die Debatte um die Ausgestaltung über Mehreinnahmen oder Einsparungen im Sinne des präventiven Sozialstaats, nachhaltiger Bildungsinvestitionen und einer auskömmlichen Finanzierung der Kommunen drehen. Den Solidaritätszuschlag in die Gemeinschaftssteuern zu integrieren hätte zur Folge, die Kommunen an den Einnahmen des Bundes über die Beteiligung an der Einkommenssteuer mit zusätzlichen Finanzmitteln auszustatten. Damit ist letztlich aber noch nicht gewährleistet, dass bis zum Jahr 2019, die stark vom Strukturwandel und Finanznöten betroffenen Kommunen weitere Hilfestellungen erhalten. Die Übernahme

der kommunalen Altschulden in einem Altschuldenfond des Bundes bleibt für uns weiterhin eine zentrale Forderung. Die Solidarität der kommunalen Familie muss letztlich soweit gehen, dass die Städte und Gemeinden nach Be-dürftigkeit gefördert werden und nicht ausgehend von ihrer geographischen Lage im Bundesgebiet.

Eine freie und gerechte Wirtschaft ist der Gemeinschaft verpflichtet. Damit aber jeder von der Wirtschaft profitiert, darf ökonomischer Erfolg kein Selbstzweck sein. Nicht die Bereicherung Einzelner, sondern die Befähigung Aller zu einem nachhaltigen Wohlstand auch der kommenden Generationen ist für uns Sinn und Zweck allen wirtschaftlichen Handelns. In unseren Augen ist dies ein Ausdruck ökonomischer Solidarität: Ein nachhaltiges Wirtschaften, das auch ökologische und soziale Langzeitfolgen gemeinschaftsorientiert kalkuliert. So müssen die Kommunen auch in die Lage versetzt werden, nachhaltige wirtschaftliche und fiskalische Erfolge in die Konsolidierungsbemühungen einrechnen zu dürfen. Wir NRW Jusos fordern dazu die Anpassung

der landesgesetzlichen Vorgaben. Zur Gewährleistung einer flächendeckenden Daseinsvorsorge müssen die Kommu-nen dazu in die Lage versetzt werden. Keine Partei stand als kommunale Partei mehr an der Seite der Kommunen als die NRWSPD. An diese Tradition und dieses Verständnis erinnern wir und erneuern unsere

Forderung einer funktions- und aufgabengerechten Finanzausstattung der Städte und Gemeinden. Das Konnexitätsprinzip ist in aller Konsequenz herzustellen und anzuwenden. Am Beispiel der für uns unverzichtbaren Schulsozialarbeit zeigt sich, wie elementar eine Abstimmung zwischen Land und Kommunen in dieser Frage ist. Die Städte müssen auch künftig in die Lage versetzt werden, in wichtige Stadtent-wicklungs- und Stadtregionsprojekte investieren zu können. „Stärken stärken“ heißt für uns NRW Jusos primär „Städte stärken“ und „Vorrang für die Städte“ bedeutet, dass vor allem die Infrastrukturpolitik auf eine Stärkung der Städte auszurichten ist. In unserem Verständnis des Begriffs Daseinsvorsorge schließt der Begriff Infrastruktur Bildungsinfrastruktur, soziale und medizinische Infrastruktur, kulturelle Infrastruktur, Sport- und Freizeitinfrastruktur ausdrücklich mit ein.