EUER VERHALTEN BEIM PARTEIKONVENT ZUR VDS IST NICHT UNSER VERSTÄNDNIS VON INNERPARTEILICHER WILLENSBILDUNG!

EGAL, WIE IHR ES NENNT: SPEICHERPFLICHT UND HÖCHSTSPEICHERFRIST IST NICHTS ANDERES ALS VORRATSDATENSPEICHERUNG!

Wir Jusos sehen in dem Gesetzesentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten nach wie vor eine Vorratsdatenspeicherung. Egal, ob man nun das Wort Vorratsdatenspeicherung (VDS) benutzt oder versucht, es durch „Speicherpflicht“ und  „Höchstspeicherfrist“ zu ersetzen, es bleibt die gleiche anlasslose Aufzeichnung personenbezogener Daten und ist damit ein beachtlicher Eingriff in die Privatsphäre und in die Grundrechte der Bürger*innen. Den Stimmen der Parteispitze, dass der Gesetzesentwurf das legitime Sicherheitsinteresse der Bürger*innen mit den gewichtigen Anforderungen eines modernen Datenschutzes und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Einklang bringt, widersprechen wir. Die VDS stellt flächendeckend alle Bürger*innen unter Generalverdacht. Es gibt keinen legitimen Zweck, der geeignet ist, diesen massiven Eingriff zu rechtfertigen. Noch immer kann niemand garantieren und kontrollieren, dass Daten wieder gelöscht werden, auch wenn den Telekommunikationsdienstleistern Bußgelder angedroht werden. Noch immer kann niemand beantworten, wie ein Missbrauch der durch die VDS erlangten Daten verhindert wird. Und wer die Überwacher*innen überwacht, darauf gibt es auch keine befriedigende Antworten. Vor allem jedoch lässt sich der Nutzen einer wie auch immer gearteten VDS nicht belegen. So hat die VDS in Deutschland von 2008 bis 2010 keinen Einfluss auf die Verbrechens- oder auch Aufklärungsrate gehabt, Gerade wenn sie aber keine Wirkung hat, wie kann man dann eine flächendeckende Massenüberwachung rechtfertigen? Für uns ist es also egal, wie die Parteispitze es nennt: VDS ist und bleibt Mist und muss endlich dauerhaft begraben werden!

ES WAR EINMAL…

In der großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD wurde im Jahr 2007 die Vorratsdatenspeicherung beschlossen und 2008 eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht griff 2010 ein und erklärte das Gesetz, dass 2007 verabschiedet wurde, für verfassungswidrig. Daraufhin hat der SPDBundesparteitag in 2011 sich für die Einführung einer VDS unter bestimmten „strengeren“ rechtsstaatlichen Voraussetzungen ausgesprochen. Die Richtlinie der Europäischen Union (EU) zur VDS wurde ebenfalls vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im April 2014 für nichtig erklärt, da sie gegen die EU-Grundrechtecharta verstößt. Während der Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode vereinbart wurde, war die EU-Richtlinie zur VDS noch in Kraft, wodurch die Parteien festschrieben, dass sie die Richtlinie umsetzen wollen, um die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH zu vermeiden. Nachdem der EuGH nun aber im April 2014 die Richtlinie für nichtig erklärt hatte, gab es keinen Grund mehr an einer, wie auch immer ausgestalteten VDS festzuhalten. Nichtsdestotrotz hat Justizminister Heiko Maas, früher selbst VDS-Gegner, nach Aufforderung des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, im April diesen Jahres einen Gesetzesentwurf zur Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist von Verkehrsdaten vorgelegt.

WENN DER PARTEIKONVENT ALS INNERPARTEILICHE DEMOKRATIE INSZENIERT WIRD

Da die innerparteilichen Stimmen gegen die VDS immer lauter wurden – mittlerweile hatten elf Landesverbände Beschlüsse gegen die VDS gefasst, unter anderem auf Initiative der NRW Jusos einstimmig die NRW SPD, und verschiedene Arbeitsgruppen mit kreativen Ideen Stimmung gegen die VDS gemacht – beschloss der Parteivorstand den Gesetzesentwurf auf dem Parteikonvent von der Partei absegnen zu lassen.

Am 20. Juni 2015 hat der Parteikonvent der SPD den Antrag zur „Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist im Einklang mit Datenschutz und Grundrechten“, der vom Parteivorstand eingebracht wurde, beschlossen. Somit wurde innerparteilich der Weg für den Gesetzesentwurf des Justizministers Heiko Maas zur Vorratsdatenspeicherung frei gemacht. Der Bundestag soll nach der Sommerpause über den Gesetzesentwurf entscheiden, Kritiker*innen kündigten bereits eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an.

Der Beschluss des Parteikonvents behauptet, dass sich die SPD gegen eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in der bisherigen Form ausspricht und listet den Gesetzesinhalt auf, der den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshof und dem Beschluss des Bundesparteitags in 2011 Rechnung tragen würde. Der Beschluss wurde mit 124 zu 88 Stimmen bei sieben Enthaltungen angenommen, wodurch die 25 Anträge aus Reihen der Bezirke, die sich gegen eine VDS richteten, hinfällig wurden.

Der Parteikonvent dient der SPD als „kleiner Parteitag“ und findet in der Regel einmal jährlich als inhaltliches Beschlussorgan zwischen den Bundesparteitagen statt. Die Bezirke entsenden 200 von ihren Parteitagen gewählte Delegierte. Hierbei hat jeder Bezirk ein Grundmandat, die restlichen Mandate werden über den Schlüssel für die Errechnung der Delegiertenzahl auf Bundesparteitagen vergeben. So entfallen beispielsweise auf NRW 48 Mandate. Delegiert sind zusätzlich die stimmberechtigten Mitglieder des Parteivorstands. Hinzu kommen beratende Mitglieder wie die Vorsitzenden der Landesverbände, der Bundestagsfraktion, der Fraktion im europäischen Parlament oder die Ministerpräsident*innen.

Im Vorfeld des Parteikonvents wurde in der Partei deutlich, dass VDS nicht ohne Diskussionen durch kommt. Beide Seiten, Gegner*innen und Befürworter*innen versuchten, über Netzwerke, über Gegenanträge und persönliche Gespräche Mehrheiten zu organisieren. Während an der Basis deutlich wurde, dass ein großer Teil der Delegierten gegen die VDS stimmen würde, äußerte sich Generalsekretärin Yasmin Fahimi zuversichtlich, dass der Parteikonvent der Vorlage des Parteivorstands folgen würde, schließlich sei sich die Partei bewusst, dass es um die Regierungsfähigkeit der SPD gehe. Sigmar Gabriel ist hingegen noch einen Schritt weiter gegangen und hat intern mit seinem Rücktritt gedroht, sollte der Beschluss zur VDS nicht gefasst werden. Anzumerken ist auch noch, dass innerhalb der elf Landesverbände, die auf Landesebene eine Beschlusslage gegen VDS hatten, wenig bis gar nicht versucht wurde, den Delegierten eine gemeinsame Abstimmungsempfehlung, die sich gegen die VDS richtet, zu geben.

Der Parteivorstand hatte das Präsidium des Parteikonvents gebeten, der Debatte um VDS ein großes Zeitfenster einzuräumen. Heiko Maas brachte den Antrag des Parteivorstands ein, informierte über den Gesetzesentwurf, erläuterte seine Verhandlungserfolge gegenüber der CDU/CSU und begründete seinen Kurswechsel in dieser Frage. Zu Beginn der Aussprache waren die Gegenpositionen zur VDS dominant, wodurch der Parteivorstand nach geraumer Zeit nervöser wurde. Delegierte berichteten im Anschluss des Parteikonvents, dass während der Debatte Spitzenfunktionär*innen der Partei durch die Reihen der Delegierten liefen, um sie davon zu überzeugen, für den Antrag zu stimmen. Zum Teil sei dies durch sachliche Argumentation geschehen, zum anderen Teil aber auch durch Druck. Delegierte sollten den Raum verlassen, wenn sie schon nicht mitstimmen würden. Einzelnen Delegierten wurde gedroht, dass sie ihre Position in der Partei verlieren oder „nichts mehr werden“ würden, wenn sie gegen den Antrag stimmen. Als es zur Abstimmung kam, schien das Ergebnis zuerst unübersichtlich, so dass eine Auszählung gefordert wurde. Die Auszählung wurde allerdings nicht nur vom Präsidium durchgeführt, auch einzelne Spitzenfunktionär*innen standen auf und zählten „ihre“ Reihen durch. Durch dieses Verfahren zeigte sich im Einzelfall, wer für und wer gegen den Antrag stimmte.

EUER VERHALTEN BEIM PARTEIKONVENT ZUR VDS MUSS KONSEQUENZEN HABEN!

Bei dem Abstimmungsergebnis von 124 zu 88 zu sieben ist zuerst einmal allen Delegierten zu danken, die sich gegen die VDS ausgesprochen haben, trotz des Drucks der durch Spitzenfunktionär*innen ausgeübt wurde.

Die SPD hat in den letzten Jahren versucht, sich als Mitmach-Partei zu etablieren und ist mit dem Versprechen voran geschritten, dass die Stimmen der Basis bis zum höchsten Zimmer im Willy- Brandt-Haus gehört werden sollen. Wenn wir aber das Vorgehen im Fall der Vorratsdatenspeicherung sehen, ist dieses Versprechen nicht erfüllt!

Für uns ist unerklärlich, wieso die Parteispitze unbedingt an der VDS festhalten möchte, wobei die EU-Richtlinie für nichtig erklärt wurde und es somit keinen Grund gibt, dieses Projekt weiter voran zu treiben. Die erklärte Grundlage des Parteivorstands, also die Passage im Koalitionsvertrag zur VDS, muss damit nicht mehr erfüllt werden. Die ganze Debatte hatte also von Beginn an nichts mit der Regierungsfähigkeit der SPD zu tun. Deshalb kritisieren wir auch, dass der Parteivorsitzende die Abstimmung an seinen Rücktritt gekoppelt hat. Wir sind kein Abnick-Verein des Parteivorstandes. Die SPD muss aus unserer Sicht eine Partei sein, die diskutiert und die streitet. Und solche Debatten können auch mal verloren werden, ohne, dass die Parteispitze mit allen Mitteln ihre Meinung gegen die Mehrheit der Partei durchdrückt. Die Koppelung an Rücktritt sehen wir als eine reine Machtfrage an und nicht als etwas, dass bei inhaltlichen Debatten notwendig ist.

Außerdem verlief die Debatte um den Begriff „Kompromiss“. Wir können aber keinen Kompromiss eingehen, wenn das Thema keinen Kompromiss zulässt. Denn hier gibt es kein „ein bisschen VDS“. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob man nun drei oder sechs Monate speichert. Allerdings ist der Tabubruch bereits weit vorher geschehen und stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte aller Bürger*innen dar.

Unter Mitmach-Partei verstehen wir auch, dass Delegierte sich nicht Druck von Spitzenfunktionär*innen ausgesetzt sehen müssen. Delegierten zu drohen, dass sie ihre Position verlieren oder dass aus ihnen nichts mehr wird, ist ein gravierender Einschnitt in unser Verständnis von innerparteilicher Demokratie. Hieraus müssen Konsequenzen für kommende Debatten gezogen werden.

Auch stellt sich für uns die Frage, wieso der Parteivorstand auf einem Konvent in einem Verhältnis stimmberechtigt ist, das die Mehrheitsverhältnisse so stark verändern kann. Der Parteikonvent wurde zu Beginn als Möglichkeit zur Mitsprache der unteren Ebenen zwischen den Bundesparteitagen eingeführt. Würden die Stimmen des Parteivorstands vom Ergebnis der Abstimmung abgezogen, so sähe das Abstimmungsergebnis anders aus. Der Parteikonvent wie auch der Parteitag sollen aber die Meinung der Parteimitglieder abbilden. Hier soll der Willensbildungsprozess der Partei von diesen Menschen und Meinungen geprägt werden. Deshalb soll der Parteivorstand weder auf Parteikonventen noch auf Parteitagen automatisch stimmberechtigt sein.

Wir rügen das Verhalten der Parteispitze im Zuge der Debatte um die VDS. Wir fordern die Parteispitze auf, dass inhaltliche Debatten zukünftig nicht mehr an personelle Konsequenzen gekoppelt werden. Wir fordern die Parteispitze auch auf, dass es bei solchen grundsätzlichen Entscheidungen mit diesen weitreichenden Folgen, keine Kompromisse geben kann, seien sie aus Angst vor mangelnder Regierungsfähigkeit oder zur persönlichen Profilierung. Drohkullissen gegenüber den Delegierten aufzubauen ist ein Umstand, den wir aufs schärfste kritisieren. Inhaltliches Positionieren darf nicht an das Fortkommen oder die Position einzelner in der Partei gebunden werden. Die Partei muss sich darüber klar werden, was der Sinn und Zweck eines Parteikonvents ist und erkennen, dass der Parteikonvent keine Abnick-Veranstaltung des Parteivorstands ist. Dafür ist es nur konsequent, dass eine Trennung von Amt und Mandat stattfindet.

Wir wollen, dass die SPD eine Mitmach- und Mitentscheidungspartei ist, wo nicht alleine die Menschen entscheiden, die in Ämter gewählt sind, sondern auch jedes Basismitglied. Nur so kann unser Anspruch an eine innerparteiliche, demokratische Willensbildung erfüllt werden und nur so können wir Menschen, die nicht parteigebunden sind, zeigen, dass wir uns dafür einsetzen, dass Politik uns alle etwas angeht.