Gendergerechte und diversitätsorientierte Forschung: Gegen die Unterrepräsentation von Personengruppen in Pharmakologischen Studien

Gendergerechte Forschung und Diversität in der Forschung sind Themen, die in der breiten Öffentlichkeit nicht besonders bekannt sind, aber dennoch immer wieder in den akademischen Fokus geraten.

(Hinweis: Im folgenden Antragstext wird in Teilen nicht mit * gegendert. Dies tun wir nicht, weil wir nicht anerkennen wollen, dass es einen Unterschied zwischen sex und gender gibt bzw. mehr als nur zwei Geschlechter, sondern weil aufgrund der medizinischen Thematik des Antrags an nicht mit * gegenderten Stellen vom biologischen sex Mann/Frau die Rede ist. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass wir anerkennen, dass es auch hier nicht nur diese beiden Geschlechter gibt und sich an dem medizinisch etablierten Mann-Frau etwas ändern muss.)

Unsere Forderungen:

Wir möchten uns mit diesem Antrag klar für geschlechtergerechte und diskriminierungsfreie Forschung einsetzen. Wir wollen außerdem auf die vorhandenen Missstände aufmerksam machen und eine höhere Sensibilität für das Thema innerhalb der Jusos erreichen.

Wir begrüßen, dass mittlerweile Arzneimittelstudien Männer und Frauen gleichermaßen miteinbeziehen müssen und die Ergebnisse auch für die Zulassung von Medikamenten miteinbezogen werden. Dennoch werden die Ergebnisse selten gesondert betrachtet. Daher sollten alle neuen Medikamente, wenn physiologisch bedingt, auf geschlechtsspezifische Unterschiede analysiert werden.

Wenn nötig, sollen in Beipackzetteln die Dosierungsempfehlungen für Männer und Frauen differenziert werden. Liegen Untersuchungen zu bereits entwickelten Medikamenten vor, die einen Unterschied zwischen den Geschlechtern aufweisen, soll ebenfalls die Empfehlung angepasst werden. Dabei besonders in Betracht zu ziehen sind Medikamente zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Gendergerechte Forschung soll an allen Lehrstühlen gefördert werden, um die Grundlagenforschung in diesem Gebiet voran zu bringen. Für uns ist nicht akzeptabel, dass momentan mit der Berliner Charité nur ein Lehrkrankenhaus besteht, das einen eigenen Forschungsschwerpunkt für Gendermedizin ausschreibt.

Grundsätzlich ist die Einteilung von Männern* und Frauen* in diesen Studien zu hinterfragen, da sie oft eher nach Evidenzen für diese vermeintliche Binariät suchen, anstatt konstruktive medizinische Forschung für die Vielfältigkeit an Körpern zu betreiben. Zu dieser Kritik gehört auch das Arbeiten mit veralteten Vorannahmen über Geschlechter und geringen Signifikanzen.

Unterschiede zwischen dem Sex Mann und Frau: Gibt es das überhaupt?

Lange Zeit hat man auch in der Forschung geglaubt, es reiche Studien nur an Männern durchzuführen und die Ergebnisse einfach auf den biologisch eher weiblichen Körper zu übertragen. So groß könnten die Unterschiede ja nicht sein?

Dies stellte sich als falsch heraus – mit fatalen Folgen. Physiologische Begebenheiten können bei Frauen anders sein. Generell unterscheiden sich körperliche Verfassungen bei Menschen so stark, dass Studien, die sich vorwiegend an weißen Männern orientieren, kein umfassendes Bild von körperlichen Verfassungen geben können. Die Aufnahme, Verstoffwechselung und Ausscheidung, also die sogenannte Pharmakokinetik, unterscheidet sich je nach Arzneimittel sehr stark, aufgrund von unterschiedlichen Enzymaktivitäten im Körper. Außerdem sind Frauen häufig kleiner, leichter und haben weniger Muskelmasse als Männer. Dieser unterschiedliche Körperbau wirkt sich auch auf die Pharmakokinetik aus.

Dazu kommen Unterschiede im ansozialisierten Verhalten von Frauen* und Männern* in Bezug auf die Therapieeinhaltung, die sogenannte Adhärenz. Die Wahrnehmung von Körper und Krankheit kann bei Frauen* und Männer* sehr verschieden sein, Frauen* gehen z.B. häufiger zum*zur Arzt*Ärztin und zeigen insgesamt eine höhere Adhärenz.

Aber warum wurden Frauen und Frauen* in Arzneimittelstudien so lange vernachlässigt?

Frauen in Phase 1-Studien

Es gibt dafür einen Grund und dieser hängt eng zusammen mit dem Contergan-Skandal in den 60er Jahren. Der Wirkstoff Thalidomid verursacht, wenn schwangere Personen ihn einnehmen, Fehlbildungen der Extremitäten beim heranwachsenden Kind. Dies war auch der Fall, wenn der Wirkstoff Jahre vor der Schwangerschaft eingenommen worden war. In den Studien an Tieren war dies nicht entdeckt worden. Erst nachdem mehrere Fälle publik wurden, wurde die Abgabe von Thalidomid gestoppt.

Durch die Angst vor weiteren ähnlichen Fällen sowie vor Regressansprüchen wurden Frauen in den 70er und 80er Jahren komplett aus Phase-1-Studien verbannt.

Erst in den 90er Jahren fand langsam wieder ein Umdenken statt. In dieser Zeit wurden jedoch viele der heute gängigen Arzneimittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt.

Herz-Kreislauf-Medikamente und ihre Wirkung bei Frauen

Hier zeigen sich besonders gravierende Unterschiede: Zum Beispiel wurde der Effekt von ASS in der Primärprävention nur bei Männern nachgewiesen. Bei den Blutfettsenkern, den Statinen, sieht es ähnlich aus. Bei den blutdrucksenkenden ACE-Hemmern wurde sogar nachgewiesen, dass diese bei Frauen viel stärker wirken als bei Männern. Dies kann bei Frauen zu lebensgefährlichen Hypotonien, also besonders niedrigem Blutdruck, führen.

Trotzdem gehören diese Gruppen zu den am meisten verschriebenen Medikamenten weltweit.

Eine Anpassung der Empfehlungen ist daher unumgänglich.

Fehlende Diversität der Altersgruppen

Menschen ab 65 Jahre müssen ebenfalls mit in Studien einbezogen werden. Die Lebenserwartung wird immer höher, doch die Forschung hat sich dem noch nicht angepasst. Ältere Menschen sind sehr oft in Studien unterrepräsentiert, dabei ändert sich der Stoffwechsel im Alter. Daher wäre auch hier eine differenzierte Dosierungsempfehlung notwendig.

Fazit

Für uns ist klar: Dieses Thema braucht mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und ein Umdenken in der medizinischen Forschung. Die oben genannten Forderungen sind wichtig für eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der die Gesundheit aller oberstes Gut ist.