Chancen begreifen – Verantwortung gestalten: Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien

Am 01. Januar 2014 trat die Regelung zum Wegfall der Beschränkungen der Arbeitnehmerinnenfreizügigkeit für rumänische und bulgarische BürgerInnen in Kraft. Zeitgleich kamen in Deutschland angetrieben von CSU und AfD rechtskonservative Debatten und Legendenbildungen über „Sozialschmarotzer“ und „Armutszuwanderung“ auf. Eine immer wieder aufkommende Vermischung der Debatte über die deutsche und die europäische Flüchtlingspolitik mit dem Freizügigkeitsrecht der EU-Bürgerinnen ist schädlich für die Debatte, aber auch für eine angemessene Politik. Für uns Jusos ist die EU-Freizügigkeit ein richtiger, aber nur ein weiterer Schritt hin zu einer globalen Bewegungsfreiheit für alle Menschen. Debatten über wirtschaftliche Verwertbarkeit von ZuwandererInnen dürfen bei sozialdemokratischer und jungsozialistischer Migrationspolitik nicht im Fokus der Debatte stehen. Der internationalistische Ansatz unseres Verbandes und unsere Solidarität bilden den Mittelpunkt unserer Politik.

 

Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien – Der Verwertungslogik entgegentreten

 

Bereits mit dem Wegfall der Freizügigkeitsbeschränkungen für polnische und andere osteuropäische Staatsangehörige 2011 wurden von den konservativen Medien und PolitikerInnen riesige Ströme von ZuwandererInnen prophezeit und ein Kollaps unseres Arbeitsmarktes heraufbeschworen. Beides jedoch blieb aus, im Gegenteil: Die Arbeitslosenquote und die Zahl der SozialleistungsempfängerInnen sank. Auch jetzt kann niemand sagen, so auch die Bundesregierung, in welchem Maße mit einer Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien zu rechnen ist. Die Hetze und die Angstszenarien, die die CSU mit ihrem Programm „Wer betrügt fliegt“ betreibt, entbehren jeglicher Grundlage. Ein gezielter Missbrauch der Sozialsysteme findet nicht statt. ZuwandererInnen aus Rumänien und Bulgarien wanderten in Deutschland ein um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder zu studieren. Die Arbeitslosenquote unter den erwerbsfähigen BulgarInnen und RumänInnen betrug Mitte 2013 rund 7,4 Prozent – und damit unter dem der ausländischen Bevölkerung (15 Prozent) und sogar unter dem Wert der Gesamtbevölkerung (7,7 Prozent).

Ein Problem europäischer Tragweite ist daher der Abgang von Fachkräften in Ländern wie Rumänien. Rumänische Gewerkschaften schätzen, dass seit 1989 etwa 20000 KrankenpflegerInnen und 30000 hochqualifizierte ÄrztInnen das Land verlassen haben, um, unter anderem in Deutschland, zu arbeiten. Die deutsche Wirtschaft profitiert davon ungemein, ohne Rücksicht auf die entstehenden Probleme in den Ursprungsländern. Europäische Solidarität muss hier für eine gesamteuropäische Lösung greifen. Fachkräftemangel in der deutschen Volkswirtschaft, der durch den Zuzug von ausgebildeten Menschen aus anderen Ländern ausgebessert werden kann, und populistische Stimmungsmache gegen Zuwanderung widersprechen sich auf den ersten Blick, doch löst sich dieser scheinbare Widerspruch schnell auf. Die deutsche Wirtschaft benötigt Zuwanderung – aber ausschließlich, dafür, um solche Menschen in die Wirtschaftsabläufe zu integrieren, die in irgendeiner Weise einen Mehrwert darstellen, d. h. für die Erlangung von Fachkräften.

 

Menschen, die sich nicht in die Verwertungsprozesse der hiesigen Wirtschaft integrieren lassen, sind der hiesigen Bevölkerung unerwünscht. Und so wird die Einwanderung durchaus begrüßt, wenn es denn die Richtigen sind, die einwandern, so die zynische Schlussfolgerung. Die populistische Stimmungsmache gegen „Sozialzuwanderung“ und „Sozialmissbrauch“ soll daher sicherstellen, dass auch nur diejenigen Menschen nach Deutschland einwandern, die der hiesigen Wirtschaft einen Nutzen bringen – und den Betroffenen wird durch die Allianz von Mob und Bildungsbürgertum in aller Deutlichkeit bewusst gemacht, sobald sie in Deutschland eintreffen: in Deutschland ist nur willkommen, wer sich nützlich macht Die ZuwandererInnen sind kulturell und sprachlich eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, gerade in NRW und im Ruhrgebiet, einer Metropolregion mit einer Geschichte, die von Migration geprägt ist.

 

Zusammenleben gestalten – Kommunen unterstützen

 

Entgegen der populistisch propagierten „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ und dem „Kollaps deutscher Kommunen“ steht eine große Mehrheit hart arbeitender Menschen mit dem Ziel eines besseren Lebens und mehr Chancengerechtigkeit. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Menschen aus unvorstellbar armen und bildungsfernen Verhältnissen zuwandern und in Nordrhein-Westfalen ein besseres Leben beginnen wollen. Diese, im Vergleich kleine Gruppe, zu der viele Roma-Familien aus Bulgarien und Rumänien gehören ist massiven Diskriminierungserfahrungen, Ausgrenzungen und Ausbeutung ausgesetzt. Dies birgt auch für die Kommunen, welche Wahlheimat der Menschen geworden sind, eine große Herausforderung. Das Programm der Landesregierung mit einem Budget von 7,5 Mio. Euro geht in die richtige Richtung. Wir wollen die Kommunen nicht allein lassen, daher fordern wir:

 

Entschlossenes Vorgehen gegen Zwangsprostitution und ArbeiterInnenstriche!

 

Zwangsprostitution nutzt die finanzielle Notsituation der Frauen und die gesellschaftlichen Zugangsbarrieren. Wir müssen schnellstmöglich dafür sorgen, dass in Deutschland die EU-Menschenhandelsrichtlinie konsequent umgesetzt wird. Auch sogenannte ArbeiterInnenstriche mit Löhnen zwischen 2,50 € und 5,00 € sind in den letzten Monaten immer mehr an die Öffentlichkeit gekommen. Vor allem Dortmund und Duisburg sind davon betroffen. Es gilt diese illegale Form der Beschäftigung einzudämmen und mit harten Strafen gegen die Unternehmen vorzugehen, die zugewanderte Menschen aus der Notlage heraus ausbeuten und sich auf ihre Kosten bereichern.

 

Ausbeutung auf dem Wohnungsmarkt verhindern!

 

Ein Geschäftsmodell einiger skrupelloser Immobiliengesellschaften ist die Vermietung von Matratzenlagern in sogenannten „Schrottimmobilien“ zu horrenden Preisen und unter Menschenunwürdigen Bedingungen. In Duisburg beispielsweise „In den Peschen“ leben geschätzt in 74 Wohnungen 700 Menschen auf engstem Raum. Eine Matratze/Ein Schlafplatz kostet hier bis zu 20 € pro Nacht.

Wir begrüßen die Initiative der NRW-Landesregierung zum neuen Wohnaufsichtsgesetz, welches die Handhabe bietet Verstöße mit bis zu 50.000 € für die VermieterInnen zu ahnden. Allerdings braucht es darüber hinaus günstige Wohnalternativen. Kommunale Wohnungsgesellschaften in städtischer Hand können und müssen hier Teil der Lösung sein.

 

Das Programm „Soziale Stadt“ wiederbeleben!

 

Es gibt Stadtteile in denen Probleme herrschen, die mit dem Bildungsniveau der BewohnerInnen, sozio-ökonomischen Schwierigkeiten und Ausgrenzung zusammenhängen. Das Problem hier ist aber meist nicht Zuwanderung, sondern eine strukturelle finanzielle Unterversorgung der Kommune, welche oft mit ihrem Veränderungsbedarf und ihren Problemen allein dar steht. Daher gilt es die Kommunen, wie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigt, zu entlasten. Das Programm „Soziale Stadt“ welches Stadtteile mit baulichem und sozialem Bedarf fördert muss dringend wiederbelebt werden und auskömmlich finanziert werden.

 

Öffentliche Unterstützung statt Betrugserfahrungen!

 

In den Städten mit Zuwanderung von Roma-Familien gibt es oft entweder fremd- oder sogar selbstorganisierte Gruppen und Vereine, die Unterstützung beim Umgang mit Behörden etc. leisten. Leider kommt es hier oft zu ersten Betrugserfahrungen. So kostet beispielsweise das Ausfüllen eines Kindergeldantrages eine Familie die ersten zwei Monate ihres Kindergeldes. Vergleichbare Bezahlungsmodelle gibt es auch bei ähnlichen Unterstützungsleistungen. Es darf keine öffentliche Förderung solcher betrügerischer Initiativen geben. Stattdessen müssen derartige kriminelle Handlungen strafrechtlich verfolgt werden. Die Kommunen müssen außerdem angemessen auf den Zuzug reagieren. Die Beschäftigung von SozialarbeiterInnen mit Sprachkenntnissen in Romanes oder die Zusammenarbeit mit seriösen freien Trägern mit kulturspezifischem Zugang sind unabdingbar um das Vertrauen der NeubürgerInnen zu gewinnen, sie zu unterstützen und BetrügerInnen die Möglichkeiten zu nehmen.

 

Sprache und Bildung als Schlüssel!

 

Es gilt nach wie vor: Sprache und Bildung sind der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben. Es muss die Möglichkeit einer kostenlosen Teilnahme an einem Sprachkurs oder Alphabetisierungskurs geben. Kinder und Jugendliche müssen eine Unterstützung bei der Eingliederung in das nordrhein-westfälische Schulsystem bekommen und eine frühzeitige Förderung, auch sprachlich, muss möglich sein.

 

Historische Verantwortung – Antiziganismus und Rassismus in der Gesellschaft bekämpfen!

 

Die CSU spielt mit ihrer Themensetzung und ihren Ressentiments mit den Rassismen in der Mitte der Gesellschaft. Sogenannte Bürgerinitiativen die gegen Flüchtlingsunterkünfte und/oder Häuser mit Roma-Familien protestieren müssen als das benannt werden was sie sind: rassistisch.

Laut der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Deutsche Zustände“ unterstellen rund 44 % der Deutschen Sinti und Roma pauschal Kriminalität. Im Jahr 2013 gab es einen Brandanschlag auf ein Sinti und Roma -Kulturzentrum und in Duisburg sind Mordaufrufe und Drohungen gegen die BewohnerInnen „In den Peschen“ an der Tagesordnung. Der Antiziganismus ist wichtiger Bestandteil der Ideologie des Kapitalismus. Die sogenannten „Zigeuner“ stellen in der kapitalistischen Ideologie die romantisch-verklärte vorzivilisatorische Gemeinschaft dar. Für das kapitalistische Subjekt ist „der Zigeuner“ das verhasste Objekt, welches sich nicht den Zwängen der modernen Gesellschaft unterordnet, sondern – so der ideologische Wahn – in einem Zustand des Müßigganges und der Lüste bleibt, ohne sich diesen erarbeitet zu haben. Die Ideologie vom „Zigeuner“ dient dazu, den Individuen im Kapitalismus den vorkapitalistischen Zustand vorzuspiegeln, gegen den diese sich abzugrenzen haben; der Hass auf „die Zigeuner“ erfüllt dabei den Zweck, dem kapitalistischen Individuum das „vorzivilisatorische“ Andere darzustellen, von dem es sich abzugrenzen und gegen das es sich mit Gewalt zu wenden hat. Dieser Diskriminierung und dem offen rassistischen Ton gilt es gezielt und entschlossen entgegenzutreten! Wir dürfen nicht zulassen, dass die CSU und andere rückwärtsgewandte Kräfte versuchen Politik zu Lasten von Minderheiten zu machen. Gemeinsam mit BündnispartnerInnen müssen wir Aufklärung leisten und gegen Ressentiments ankämpfen, in der Gesellschaft, aber auch in der eigenen Partei. Auch aus der historischen Verantwortung heraus gilt, dass wir uns Rassismus und Antiziganismus entgegenstellen müssen. Unser Gegenentwurf ist europäische und internationale Solidarität.

 

Das Problem heißt Armut – Gesamteuropäische Konzepte sind gefragt

Rassistische Vorurteile, Hetzjagden und Hass auf das Fremde bedürfen einer Lösung die das Problem anpackt. Es muss Konzepte geben um Armut in Deutschland und in Europa zu verhindern. Eine gemeinsame europäische Sozialpolitik ist längst überfällig. Am Beispiel der Jugendarbeitslosigkeit, vorwiegend in den südeuropäischen Staaten, wird dies immer wieder deutlich. In Rumänien und Bulgarien werden Roma oft auch mit staatlichen Repressionen überzogen. Es wird eine Verdrängungsstrategie genutzt. Die Gelder der europäischen Union zur Integration werden hier nicht abgerufen. Es gilt auch in den Herkunftsländern für eine Akzeptanz zu sorgen, wenn man eine gemeinsame, eine solidarische EU möchte.