Europapartei: Mehr als eine Worthülse? – Eine Wiedervorlage

Die Partei hat sich in den vergangenen Jahren für die Europapolitik und für die Selbstorganisation zu einer Europapartei viel vorgenommen, doch bislang ist wenig davon zu spüren. Die Ernsthaftigkeit der eigenen Beschlusslage ist in Vergessenheit geraten. Das Hamburger Grundsatzprogramm gab schon 2007 die Richtung vor: „Europäische Demokratie braucht europäische Öffentlichkeit. Europäische Medien, zivilgesellschaftliche Organisationen, Sozialpartner, aber auch starke europäische Parteien sind dafür unabdingbar. Unser Ziel ist es, die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) zu einer handlungsfähigen Mitglieder- und Programmpartei weiterzuentwickeln. Wir setzen uns für die Erarbeitung eines sozialdemokratischen Grundsatzprogramms für Europa ein und wollen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament mit einem gesamteuropäischen Spitzenkandidaten antreten.1 Einzig die im Leitantrag „Neuer Fortschritt für ein starkes Europa“ vom Bundesparteitag 2011 wiederholte Forderung danach, dass zur nächsten Europawahl 2014 „ein/e sozialdemokratische/r Spitzenkandidat/in aller SPE-Mitgliedsparteien für das Amt des/der Kommissionspräsidenten/in antreten“2 müsse, steht kurz vor der Erfüllung. Dass sich die Partei eventuell auch organisatorisch auf neues europäisches Terrain bewegt, zeigt sich im Moment leider einzig in der Tatsache, dass Martin Schulz nach der Erstellung der Bundesliste für die Europawahl möglicherweise zu eben jenem europäischen Spitzenkandidaten gewählt werden könnte. Groß bewegen musste man sich
dafür nicht, schließlich ist er der eigene Kandidat. Die Marke „Europapartei“ steckt sich die SPD gerne ans Revers, muss sie aber erst noch pflegen, auch wenn laut Beschlusslage „Schwerpunkt unserer Politik auf europäischer Ebene die Stärkung der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE)“ ist. Man wolle die Entwicklung der SPE hin zu einer echten Mitgliederpartei als Kern einer europäischen Öffentlichkeit weiter vorantreiben und die Möglichkeit für Individualmitgliedschaften schaffen, hieß es im Leitantrag 2011 weiter. Noch einmal wurden die bereits 2007 gesteckten Ziele aufgezählt: „Zugleich müssen europäische Parteien so weiterentwickelt werden, dass sie europaweit kampagnen- und politikfähig werden. Nur so können Parteien einen Beitrag zur Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit leisten.“ Weiter stellte man heraus, dass die von der SPD initiierte Erarbeitung eines Grundsatzprogramms
der europäischen Sozialdemokratie weiter vorangetrieben werden wird und das neu geschaffene Instrument der Europäischen Bürgerinitiative „mit unseren Schwesterparteien, der SPE und Nichtregierungsorganisationen aktiv“3 genutzt werden solle, um die direkte Demokratie auf europäischer Ebene erlebbar zu machen. Nur leider ist das SPE-Grundsatzprogramm in der Öffentlichkeit und in der Partei kaum ein Thema und die Europäische BürgerInneninitiative fristet seit ihrer Einrichtung ein Nischendasein. Wohl kennen 26 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union die ECI, aber noch nicht einmal 5 Prozent wissen, wie sie funktioniert.4 Die SPD hat bisher einen einzigen Versuch unternommen, das Instrument in den öffentlichen Fokus zu bringen, als
sie gemeinsam mit der österreichischen SPÖ ein Referendum über die Finanztransaktionssteuer anstieß. Das war vor 2011, also noch vor dem Bundesparteitagsbeschluss, und ist anschließend im Gipfelmarathon versickert. Auf dem gleichen Bundesparteitag von 2011 überwies man einen Antrag der Jusos, der bereits 2010 mit dem Titel „Mehr europäische Sozialdemokratie wagen“ dem Bundeskongress vorgelegt wurde. Gelandet ist der Antrag beim Europabeauftragten des Parteivorstandes. Es wurde betont, dass die automatische Mitgliedschaft in der SPE für jedes Mitglied der nationalen SPE-Parteien sichtbarer gemacht werden müsse. Da es ähnlich zu sehen sei, wie der gleichzeitige Erwerb der Mitgliedschaft im Bundesverband und im Ortsverein der Partei und jeweilig politische Mitwirkungsmöglichkeiten damit verbunden seien, müssten die „Beteiligungsmöglichkeiten für Mitglieder der nationalen Parteien auf europäischer Ebene […] noch weiter gestärkt werden.“ 1 Will man sich aber im Internet über das Wahlverfahren der Delegierten zum SPE-Kongress informieren
ist man schnell am Ende der Suche – ohne klares Ergebnis. Auch die Kandidatinnen und Kandidaten für die Liste der SPD zur Europawahl werden irgendwo zwischen Regionalverbund und Bundesebene ausgehandelt. SPD-Mitglieder können sich allenfalls als SPE-AktivistInnen eintragen lassen. Dass es immer mehr Europa-Arbeitskreise gibt und es im Parteivorstand eine/n Europabeauftragte/n gibt, ist ein langsam fortschreitender, aber zu begrüßender Prozess. Dabei sollte der Blick auch auf die Ortsvereine als Basis der innerparteilichen Willensbildung gelenkt werden. Die Ideen sozialdemokratischer Europapolitik als wesentliches Merkmal der Sozialdemokratie als solcher sind nicht überall an der Basis ausreichend verankert. Europa als Thema auch der Bildungsarbeit direkt vor
Ort, in Kooperation mit lokalen Trägern und Vereinen in den Stadteilen sollte direkt gefördert werden und die Ortsvereine durch Europa AKs und bereitzustellende Teamerinnen und Teamer unterstütz werden. Die hohe mediale Aufmerksamkeit von EU-Politik im Rahmen der sogenannten „Euro-Krise“ und der Umstand, dass die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 mit den Kommunalwahlen in NRW zusammenfallen, bieten eine einmalige Chance die eigene Basis zu mobilisieren. Dabei ist darauf zu achten, dass die Mobilisierung und auch der Wahlkampf auf Positionen ausgerichtet sind und nicht darauf, das politische System der EU zu erklären, oder ihre Daseinsberechtigung zu verteidigen. Gerade auch die Verknüpfung von europäischen und kommunalen
Themen stellt eine Möglichkeit dar, Europapolitik „greifbar“ zu machen und die Unterschiede einer sozialdemokratischen Politik in Abgrenzung zu heute herrschenden politischen Ideen auf dem Kontinent darzustellen. EU-länderweite Kampagnen und Initiative sollten auch Gebrauch von der Möglichkeit machen, kleinste Organisationseinheiten (wie Ortsvereine) direkt zu vernetzen. Dabei können bereits existierenden Verbindungen zwischen Städten, etwa im Rahmen von Städtepartnerschaften nützlich sein. Die SPD ist aus ihrer Selbstorganisation in diesem Sinne nicht schon immer „europäisch“ gewesen. Und deshalb darf die Selbstbetrachtung als „Europapartei“ keinesfalls selbstzufrieden sein. Die SPD muss sich fortentwickeln und ihre eigenen Beschlüsse umsetzen:
Bestehende Regularien sind intransparent und nicht geeignet, wenigstens die eigene Parteibasis so recht zum Europawahlkampf zu motivieren. „Es muss sichergestellt werden, dass den europapolitisch Interessierten eine entscheidungsrelevante Beteiligung über die Strukturen der jeweiligen Mitgliedspartei (leichter Zugang zu lokaler Ebene) möglich gemacht werden“, hieß es dazu 2011. Erfüllen alle Ebenen dann diese Aufgabe, so ist es die logische Konsequenz, „einen Anteil der Mitgliedsbeiträge an die SPE abzuführen, um diese zu stärken und ihre eigenständige Kampagnenfähigkeit so zu verbessern.“2
Die Kampagnenfähigkeit steht vor allem vor dem Hintergrund des Wahldebakels von 2009, als europaweit und ganz besonders in Deutschland die Ergebnisse für sozialdemokratische und sozialistische Parteien einbrachen. Die Negativkampagne der SPD unterschied sich damals nur in wenigen Punkten von denen von CDU und FDP, die wahlweise mit einem schwarz-rot-golden hinterlegten „Wir in Europa“ den Akzent darauf legten, deutsche Interessen auf europäischer Ebene vertreten zu wollen, oder die Wahl zu einer nationalen Wahl erklärten, indem sie „Stark für Deutschland in Europa“ zu ihrem Leitspruch erhoben. Deshalb muss die Ausrichtung der Wahlkampagne auf nationale Themen und die Orientierung am Zeitplan einer Bundestagswahl ein Ende haben. Eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, eine europäische Partei zu sein, muss das auch zum Ausdruck bringen können. Damit zollt man der Europawahl die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt. Die SPE bereitet im Moment genau die Elemente für einen gemeinsamen europäischen Wahlkampf vor und hat beschlossen, dass auch die Mitgliedsparteien modernisiert werden sollen. Darunter fallen neben allgemeinen Zielen wie einer wiedererstarkenden Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, eben auch Punkte wie innerparteiliche Demokratie in Bezug auf die Wahl von Führungspersönlichkeiten sowie von Kandidatinnen und Kandidaten.3 Zur Strategie der SPE gehört daneben, die nationale Parteiebene enger mit der Europaebene zu verknüpfen. Dazu gehören länderübergreifende Kampagnen und Plattformen. Noch vor der Nominierung eines europäischen Spitzenkandidaten 2014 will die SPE damit beginnen ein gemeinsames Manifest zu entwickeln und eine gemeinsame europäische Kampagnenstrategie aufzustellen.4 Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der SPD, sich dort stark einzubringen und in den eigenen Wahlkampf auch ernsthaft zu übertragen. Findet man gemeinsame europapolitische Themen, ist „die Voraussetzung dafür [geschaffen], dass den Europawahlen endlich der Charakter einer nationalen Nebenwahl genommen wird.“5 Dazu gehört einerseits eine bessere Vernetzung, ein engerer Austausch mit den Europabgeordneten, die im Parteialltag kaum Platz einnehmen. Dies hängt nicht zuletzt mit den vorgenannten Wahlverfahren zusammen. Weder für die Bürgerinnen und Bürger, noch für unsere Mitglieder ist das vielversprechend. Eine Identifikation wird unnötig erschwert, wo doch schon das Europawahlrecht
schlechte Rahmenbedingungen liefert: Eine Wahl, die innerhalb der Europäischen Union auf mehrere Tage verteilt ist, mit Wahllisten die ihren länderübergreifenden Anspruch noch immer nicht erfüllen. Um die Identifikation mit den Abgeordneten vor Ort und zugleich den europäischen Gedanken der Wahl zu stärken, scheint eine Diskussion über eine Reform des Wahlverfahrens zum Europäischen Parlament notwendig. Eine Reform, bei der eine gute Balance zwischen Elementen einer Direktwahl in Wahlkreisen und einer länderübergreifenden Listenwahl zu finden ist. Andererseits braucht es auch eine bessere Verständlichkeit des Wahlprogramms zur Europawahl. 2009 hatte die SPD die zweifelhafte Ehre in den Medien für das unverständlichste Wahlprogramm
gerügt zu werden. Das sollte angegangen werden, indem man beispielsweise Fachbegriffe und Wortkreationen eindämmt, in Klammern erklärt oder Info-Boxen einführt, damit sie sinnig sind und sich von den LeserInnen erschließen lassen und so nicht den Anschein von rein symbolischen Begrifflichkeiten machen. Die regelmäßige Einteilung der Verständlichkeit von Wahlprogrammen der Universität Hohenheim6 wird anhand eines Punktespektrums vorgenommen. Dass die Artikel aus dem Politikteil der Bild-Zeitung dabei als Positivvergleich genommen werden, kann aus unserer Sicht zwar nicht als Leitlinie für bestens verständliche Texte gelten. Einen Sinn verkürzen heißt nicht gleich, dass etwas verständlicher gemacht würde, denn man muss das Niveau nicht senken, um
verständlicher zu machen, was man sagen will. Nichtsdestotrotz ist die Einstufung als Anzeichen dafür zu werten, dass Sätze wie die folgenden aus dem Wahlprogramm überarbeitet werden sollten: „Der unter deutscher Regie eingeführte Makroökonomische Dialog (MED) zwischen den EU-Finanzministern, der Europäischen Zentralbank und den Sozialpartnern ist zu stärken und insbesondere für die Eurozone weiterzuentwickeln. […] Wir wollen den Internationalen Währungsfonds (IWF) demokratisch reformieren und zur zentralen Kontroll- und Koordinationsinstanz für die internationale Finanzwirtschaft ausbauen. Seine Zusammenarbeit mit dem Forum für Finanzstabilität (FSF) ist weiter zu verbessern. Gemeinsam sollen beide Institutionen ein Frühwarnsystem und politische Handlungsempfehlungen für stabile Finanzmärkte entwickeln.“7 Das muss gemeinsam mit dem Schritt zu einem europäischen Programm unbedingt angegangen werden. Wenn 2014 die Europawahl anläuft, sind ganze sieben Jahre seit dem Grundsatzprogramm von Hamburg, fünf Jahre seit der letzten Europawahl und drei Jahre seit Beschluss des Leitantrages „Neuer Fortschritt für ein starkes Europa“ vergangen. Genug gewartet. Die beschworene Europapartei
darf auch in ihrer Selbstorganisation keine Worthülse bleiben!

Die Europa-Beschlusslage mit Leben füllen
Die SPE-Grundsatzprogrammdebatte vorantreiben
Die Wahl der SPD-EuropakandidatInnen demokratisieren
Eine wirklich europäische Wahlkampagne fahren
Europa in das Parteileben holen
Europa-Programm verständlicher machen.

1 http://www.spd.de/linkableblob/23182/data/beschlussbuch_bpt_2011.pdf S. 121
2 http://www.spd.de/linkableblob/23182/data/beschlussbuch_bpt_2011.pdf S. 121
3 http://www.pes.eu/en/system/files/PES_Strategy_for_2010-2014_adopted_040210_EN_0.pdf S. 4
4 http://www.pes.eu/en/system/files/PES_Strategy_for_2010-2014_adopted_040210_EN_0.pdf S. 5                                                                                                        1 http://www.spd.de/linkableblob/1778/data/hamburger_programm.pdf S. 29
2 http://www.spd.de/linkableblob/17784/data/20110926_leitantrag_europa.pdf S. 21 – 22
3 http://www.spd.de/linkableblob/17784/data/20110926_leitantrag_europa.pdf S. 21
4 http://www.europarl.europa.eu/pdf/eurobarometre/2012/election_2012/Parlement_EB774PARLelections_EN_final.pptx Folie 31                                                 5 http://www.spd.de/linkableblob/23182/data/beschlussbuch_bpt_2011.pdf S.122
6 https://www.uni-hohenheim.de/fileadmin/einrichtungen/komm/PDFs/Komm/Wahlprogramm-Check/Wahlprogramm-Check_Europawahl_2009.pdf
7 http://library.fes.de/prodok/ip-02017/europamanifest_2009_final.pdf S. 10 – 12