Evacuate Moria now!

Ist das dieses Europa, was wir wollen? Das Lager in Moria war ein Ort, das nie hätte
existieren dürfen. Für die Menschen, die dort ankamen, gab es kein Vor und kein Zurück.
Die an die Grenzen ausgelagerte Prüfung, ob die Menschen einen Asylgrund vorweisen
können und der politische Unwille Asylsuchende in den europäischen Staaten aufnehmen zu
wollen, sorgte dafür, dass genau jenes Lager mit unmenschlichen Lebensumständen
entstanden ist.

Die Situation in Moria war schon lange nicht hinnehmbar. Auf dem ehemaligen Lager lebten
12.600 Menschen, obwohl die Kapazität nur auf 2.600 Menschen ausgelegt war. Die
Kapazität war also schon längst um ein Vielfaches überstiegen. Für die Menschen vor Ort
gab es kein fließendes Wasser, nur begrenzten Raum, keine Hygieneartikel, keine
Privatsphäre. Das Camp war stets die Zielscheibe für Angriffe von Rechts und zusätzlich
wurden kürzlich die ersten Coronavirus-Fälle bekannt.

Die Lebensumstände waren unmenschlich und selbst Armin Laschet konnte bei seinem
Besuch im Frühjahr nicht abwarten, wieder von diesem Ort zu verschwinden. Mit dem Brand
hat sich die Lage verändert und den humanitären Notstand sogar noch verschärft. Obwohl
europäische Staaten vertraglich dazu verpflichtet sind, in solch einem Notstand für
humanitäre Hilfe zu sorgen, hält sich die Hilfe in Grenzen. Vielmehr gab es
entgegenwirkende Entwicklungen. Die Menschen, die von dem Brand auf der Flucht waren,
wurden mit Tränengas davon abgehalten, dass sie in die umgebenden Dörfer fliehen und die
europäische Union kam in kürzester Zeit mit einer neuen Idee: Moria 2.0. ist nun die
europäische Lösung, anstatt eine wahrhafte Lösung vorzulegen, die der humanitären
Notsituation gerecht wird. Dies soll nun der neue Ort sein, an den die Menschen zurück
sollen und jene, die dies nicht freiwillig tun, werden mit Polizeigewalt dazu gezwungen
zurückzukehren. Ebenfalls wird Hilfsorganisationen der Zugang zu den Menschen verwehrt.
Für diese ist es unmöglich humanitäre Hilfe zu leisten.

Es ist unerträglich mit anzusehen, dass jene Menschen gezwungen werden in ihr Elend
zurückzukehren, bis eine europäische Lösung gefunden wird. Der Tenor, der jedoch mit dem
neuen Asylabkommen anklang, lässt nichts Gutes vermuten. Schnellere
Abschiebeverfahren, wie auch die Existenz von Moria 2.0. ist für uns keine tragbare Lösung!

Flüchtlingslager abschaffen! – für ein offenes Europa

Doch auch allein die Existenz von Lagern wie Moria lehnen wir ab. Sie gehören abgeschafft.
Der Brand hat einen alleine schon tragischen Zustand drastisch verschlimmert. Fehlende
Grundversorgungen wie Ärzt*innen, fließendes Wasser und Strom oder alleine schon
fehlender Platz sind nur der Anfang. Für uns ist klar, dass Flüchtlingslager niemals ein
lebensgerechter Ort sind. Die Bedingungen, unter denen die Menschen dort unterkommen,
sind unmenschlich und müssen abgelehnt werden.

Besonders für vulnerable Gruppen wie Frauen*, Kinder, Traumatisierte, etc. stellt Moria eine
weitere Gefahrenquelle dar. Sie müssen sich vor (sexualisierter) Gewalt, schützen und sind
besonders anfällig Opfer zu werden. Gleichzeitig begünstigt die Frustration der
Lagerbewohner*innen strukturelle Gewalt. Sicherheit ist hier nur ein Fremdwort.
Schutzmechanismen wie Ansprechpartner*innen, die auf traumatisierte und unter Gewalt
leidenden Menschen spezialisiert sind, fehlen bzw. sind nicht genügend vertreten. Auf die
Polizei als Schutzmechanismus zu nennen, kann man hier verzichten, sie stellen eher eine
Gefahrenquelle dar, die meint auf Bewohner*innen schießen zu können und somit eine
Bedrohung von Leib und Seele darstellt. Die Menschen, die in Europa Hoffnung auf ein
selbstbestimmtes, freies Leben sahen, werden nun weiterhin alleine gelassen.

Für uns ist gelebte Solidarität eine Selbstverständlichkeit. Niemand kann etwas dafür, wo sie
geboren sind, unter welchen Umständen sie aufwachsen. Wir sehen Europa in der Pflicht
offen für alle zu sein. Privilegien wie Wohlstand, Frieden und Sicherheit sollen für alle
Menschen Normalität darstellen. Dazu gehört auch, dass wir fordern, dass Flüchtlinge
selbst bestimmen können, wo sie leben wollen.

Für uns ist auch klar, dass die Städte, die dem Bündnis „Städte sicherer Häfen“ beigetreten
sind, genau dies auch sein sollten: Ein sicherer Hafen für Menschen, die aktuell in zutiefst
traumatisierenden und unmenschlichen Zuständen in Lagern ausharren. Seehofer
boykottiert jedoch die Aufnahmen von fliehenden Menschen über den Verteilschlüssel
hinaus, das Ziel des Bündnisses, und hindert mit fadenscheinigen und inhumanen
Argumenten die Städte daran, Menschen aus Notlagen zu befreien. Die 182 deutschen
Städte (Stand September 2020), die sich dem Bündnis angeschlossen haben und
tatsächlich Platz haben (ersichtlich z.B. an vorhandenen Leerstand in den
Flüchtlingsunterkünften) müssen handeln dürfen! Es darf nicht bei alleinigen
Solidaritätsbekundungen bleiben! Auf Worte müssen nun dringlichst Taten folgen.

Doch es muss auch weitergedacht werden: Ein „Einlaufen“ in den Hafen reicht lange nicht
aus, um ein sicherer Hafen zu sein. Die Menschen sollen sich in den Städten wohl fühlen
und integriert werden. Wir müssen eine Verdrängung aus den Städten, durch z.B. hohe
Mieten und hohe Lebenshaltungskosten verhindern, und sollten auf kommunaler und
Landesebene mehr in Integrationskonzepte investieren. Ein langfristiges Abkommen, indem
alle notwendigen Ressourcen für eine menschenwürdige Versorgung, insbesondere in den
Bereichen Wohnen, medizinische Versorgung und Bildung, zur Verfügung gestellt werden,
ist unabdingbar.

Schluss mit Ausreden, Europa!

Für uns ist klar: Die Geflüchteten stecken jetzt in einer humanitären Katastrophe. Nachdem
sie die gefährliche Fluchtroute über das Mittelmeer auf sich genommen haben, ist der
Schrecken und das Leid nicht vorbei. Die Festung Europa überlässt die Menschen ihrem
Schicksal. Wenn das Europa ist, dann ist Europa gescheitert. Das bedeutet, dass wir nicht
länger auf Europa warten wollen. Damit den Menschen jetzt geholfen wird, fordern wir die
Bundesregierung, aber auch alle anderen willigen Länder der EU, dazu auf sich nicht länger
hinter dem Aufruf nach einer europäischen Lösung zu verstecken.

Das Dublin-Verteilverfahren ist kein adäquater Umgang. Wenn sich jedoch einzelne
beteiligte Staaten weigern es abzuschaffen, müssen wir ohne sie handeln. Also ohne die
EU. Langfristig begrüßen wir eine nachhaltige Lösung zwischen den europäischen Staaten,
die willig sind, Menschenrechte, wie das Recht auf Asyl zu gewährleisten und sich
gemeinsam bereit erklären, Geflüchtete unter sozialen Bedingungen auf ihren Gebieten
aufzunehmen. Diese Koalition der Willigen ist dabei eine Möglichkeit, darf jedoch auch nicht
eine neue Ausrede werden und lange Verhandlungen nach sich ziehen, die die Geflüchteten
erneut im Stich lässt. Wenn auch eine breite Koalition nicht möglich ist, dann muss die
Bundesrepublik auch alleine Handlungsfähig sein.

Das betrifft jedoch nicht nur die Verteilung der bereits an den Grenzen Europas angelangen
Geflüchteten. Das bedeutet auch der konsequente Kampf für sichere Fluchtrouten. Seit
Jahren sterben immer wieder hunderte, tausende Menschen im Mittelmeer. Sie sterben, weil
kriminelle Schlepper*innen sie in schlecht ausgerüsteten, völlig überfüllten Booten auf dem
Meer zurück lassen. Sie sterben weil Akteur*innen wie die so genannte lybische
Küstenwache Motoren zerstört anstatt den in Seenot geratenen zu helfen. Sie sterben, weil
die europäische Union sich weigert staatliche Projekte zur Seenotrettung aufrecht zu halten.
Sie sterben, weil zivile Seenotrettung kriminalisiert wird. Das kann nicht sein. Es ist bereits
ein Armutszeugnis, dass zivile Akteur*innen die Arbeit übernehmen müssen, die eigentlich in
der Verantwortung der Staaten liegen würde. Schlimmer ist dann noch, dass sie dafür
kriminalisiert werden. Wir fordern auch hier, dass nicht länger auf eine europäische Lösung
gewartet wird. Und wir fordern, dass die Zusammenarbeit mit etwa der so genannten
lybischen Küstenwache sofort beendet wird. Es gibt zahlreiche Zeug*innen, die belegen
können, dass die so genannte lybische Küstenwache Menschenrechtsverletzungen
systematisch durchführt. Europa wird seiner Verantwortung nicht gerecht selbst für die
Rechte der Geflüchteten Sorge zu tragen und Europa unterstützt aktiv
Menschenrechtsverletzungen.

Mehr Schultern stützen mehr! – Endlich mehr finanzielle Unterstützung der
Ankunftsländer

Uns sind die organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten bei der Versorgung
Geflüchteter in vielen südeuropäischen Ländern wie Italien und Griechenland bekannt und
es kann nicht weiter toleriert werden, dass diese Länder und vor allem bestimmte Regionen
alleine gelassen werden und auf Grund wenig ausgebauter Infrastruktur mit der
Gesamtsituation überfordert sind.
Zu dieser schlecht ausgebauten Infrastruktur gehören zum Beispiel die mangelnde
Wasserversorgung, fehlende Sanitärbereiche, aber auch fehlende Ärzt*innen, medizinisches
Personal und Sachbearbeiter*innen, welche die Anträge Geflüchteter bearbeiten, damit sie
schnellstmöglich aus den Lagern entkommen und in ihr Zielland reisen können.
Leider kann man beobachten, dass diese schlechte Infrastruktur und die Überforderung zu
riesigem Leid bei Geflüchteten führt und sie in vielen Fällen für unbestimmte Zeit unter
menschenunwürdigen Verhältnissen in Lagern leben müssen.

Aus diesem Grund fordern wir für die Zeit, in der leider noch Lager existieren, die
Bereitstellung zweckgebundener finanzieller Unterstützung für Ankunftsländer in Südeuropa,
um die Infrastruktur in den Regionen zu stärken und die humanitäre Lage der Geflüchteten
zu verbessern, in dem durch diese Unterstützungen beispielsweise eine angemessene
Wasserversorgung gelegt werden kann, es ausreichend medizinisches Personal gibt und
Menschen dort ein humaneres Leben in Gebäuden, welche Schutz vor Kälte und ein Leben
in menschenwürdigen Verhältnissen bieten, führen können und ihre Anträge durch
ausreichend Personal schneller bearbeitet werden, um eine zügige Unterbringung im
Zielland zu gewährleisten.

Mit der Zweckgebundenheit der Unterstützung wird sichergestellt, dass die Gelder
ausschließlich für die Verbesserung der Lage der geflüchteten Menschen vor Ort verwendet
werden und sie nicht mehr in menschenunwürdigen Verhältnissen leben müssen.
Auf diese Weise übernehmen alle europäischen Staaten Verantwortung und ziehen sich
nicht mit dem Verweis auf ihre geographische Lage und das Dublin-Verfahren aus der
Verantwortung.
Die Unterstützung erhaltenden Länder sind dazu angehalten, Rechenschaft abzugeben, für
was die Unterstützung verwendet wurde und aufzuzeigen, dass die Verwendung der
Unterstützung zur Verbesserung der humanitären Lage vor Ort führt.

Wir sind den NGOs unfassbar dankbar, weil ohne ihre Arbeit die humanitäre Lage vor Ort
noch weitaus schlimmer wäre, aber eine Staatengemeinschaft aus 27 Mitgliedsstaaten darf
und kann sich nicht auf NGOs vor Ort verlassen und muss endlich adäquat Verantwortung
übernehmen und dafür sorgen, dass es nicht zu solch einem Leid von Menschen und einer
Überforderung der Ankunftsländer kommt, weil sich ein Großteil der EU-Länder aus der
Verantwortung zieht.
Deshalb bedarf es endlich der Etablierung staatlicher Programme und Unterstützung zur
dringenden Verbesserung der humanitären Lage vor Ort.

Wer nicht helfen will, muss Platz machen!

Für uns gilt ganz klar, dass den Menschen vor Ort geholfen werden muss. Diese Hilfe darf
aber nicht nur Symbolpolitik sein. Es darf nicht sein, dass wir uns mit dem Plan von
Innenminister Horst Seehofer zufrieden geben nur 1500 Menschen aufnehmen zu können.
Das sind unzählige Menschen zu wenig und wir wissen, dass Deutschland mehr kann aber
auch mehr will. Die Zivilgesellschaft und die Organisation Seebrücke haben in den letzten
Jahren ganz klar das Signal gesendet, dass Städte und Kommunen Platz haben! Diese
Plätze dürfen aber wegen der Blockadehaltung von Horst Seehofer nicht besetzt werden, da
er als Innenminister laut dem Aufenthaltsgesetz der Aufnahme zustimmen muss. Wenn er
nicht zustimmen will, während sich die Bevölkerung gesamtgesellschaftlich für die Aufnahme
von Geflüchteten einsetzt, wird er seinem Amt nicht gerecht und muss Platz machen! Daher
fordern wir den Rücktritt von Horst Seehofer, wenn er nicht willens ist oder nicht fähig genug
ist, den Menschen aus der humanitären Not zu helfen. Auch darf es keine Lösung sein, die
Aufnahmekriterien immens zu beschränken und nur Familien in Deutschland aufzunehmen.
In einem solchen humanitären Notstand -aber auch sonst- leuchtet es uns nicht ein, dass
Asylsuchende, die alleine unterwegs sind, weniger rettenswert sind als Familien. Wir finden:
wer nur zusieht, muss auch eines Tages die Schuld für das Elend der Menschen tragen oder
jetzt handeln!

Statt nur Symptome, die Krankheit des Systems behandeln!

Während wir uns für eine humane und gerechte Asylpolitik einsetzen, bleibt der
internationalistische Anspruch jungsozialistischer Politik, die Ursachen für Flucht und
Vertreibung nachhaltig zu bekämpfen, von aktiver Friedenspolitik, über Beendigung von
neokolonialistischer Ausbeutung, bis zur Herstellung von Klimagerechtigkeit.
Statt nur Symptome einer ungerechten Weltordnung zu bekämpfen, wollen wir diese
Ordnung an sich verändern.

Zusammenfassend fordern wir:

  • die sofortige Evakuierung Morias bzw. des neu geplanten Ersatzlagers, sowie die sofortige Aufnahme der knapp 12.600 Menschen vor Ort.
  • die sofortige Evakuierung aller anderen Lager, sowie die Abschaffung dieser.
  • dass Geflüchtete ihr Selbstbestimmungsrecht auf den Lebensort erhalten. Das bedeutet in der Konsequenz die Abschaffung des Dublin Verfahrens.
  • außerdem, dass Geflüchteten ein Recht auf Sicherheit garantiert wird. Und zwar besonders für vulnerable Gruppen wie Frauen*, die (sexualisierte) Gewalt auf der Flucht erleben.
  • dass die Kommunen, die sich als “sichere Häfen” erklärt haben, unterstützt werden. Und zwar mit langfristigen Integrationskonzepten, um die Geflüchteten vor Ort zu integrieren.
  • dass nicht länger auf eine europäische Lösung gewartet wird. Die Bundesrepublik muss aktiv eine europäische Lösung antreiben und im Zweifel auch autonom handeln.
  • dass die Staaten Südeuropas, die zur Zeit mit der Aufnahme der Geflüchteten überfordert sind, finanziell unterstützt werden. Diese Unterstützung muss zweckgebunden sein, damit sie auch ankommt.
  • dass Horst Seehofer entweder seinem Amt gerecht wird, oder aber zurücktritt.
  • dass Fluchtursachen konsequent bekämpft werden
  • und die Zusammenarbeit mit Menschenrechtsverletzer*innen wie etwa der lybischen Küstenwache beendet wird, die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung beendet wird, sowie sichere und legale Fluchtwege geschaffen werden.