Für uns darf das nicht länger Neuland sein – Digitalisierung in Bildung und Verwaltung anpacken

„Das Internet ist für uns alle Neuland“ Ein Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Jahr 2013, das wohl den meisten von uns in den Köpfen schwirren dürfte.

Falls Merkel mit „uns alle“ den Staatsapparat und mit diesem Satz dessen Aufgabenfelder, vor allem also hier Bildung, Wirtschaft und Arbeitnehmerschutz oder Verwaltung meinte, hatte sie damals wie heute Recht: Sowohl damals, als rund 76,5% der Bundesbürger*innen zwischen 16 und 72 Jahren das Internet schon zum Onlineshoppen, Kommunizieren mit Freunden und der Nachbarschaft über soziale Netzwerke oder für den Konsum von Videos nutzten, als auch Heute wo nur noch rund 5% der Bundesbürger*innen zwischen 16 und 72 Jahren das Internet noch nie benutzt haben, hat der Staatsapparat die Digitalisierung irgendwie nie so richtig geschafft – oder auf den Punkt gebracht: verpennt! [1]

Während die Digitale Welt im privaten Bereich vom Smartphone bis zum Smart-Home weit über die Zielgruppe der „Digital Natives“ hinaus Einzug in den Alltag der Menschen gehalten hat, bleibt eine Digitalisierung in nahezu allen Angelegenheiten der öffentlichen Hand schlichtweg aus.

Für zwei in diesem Zusammenhang besonders große Themenkomplexe, Bildung und Verwaltung,soll dieser Antrag daher die wesentlichen Probleme benennen, Lösungsansätze liefern und damit eine Perspektive aufzeigen, um die öffentliche Hand endlich im 21. Jahrhundert ankommen zu lassen.

I. Digitalisierung und Bildung

Schon 2016 haben die NRW Jusos, in der „Bildung gibt es nicht für Lau“-Kampagne aufgezeigt, dass das große Potenzial des digitalen Lernens genutzt werden muss, um Bildung allen zugänglich zu machen und zu demokratisieren.

Digitale Bildung ist darüber hinaus mittlerweile unerlässlich, um jungen Menschen den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Endgeräten und vor allem den digitalen Medien als eine in Zukunft erforderliche Kernkompetenz für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft beizubringen.

Die aktuellen Methoden der Bildung von Heute sind nichts anderes als Bildung von gestern. Damit wollen wir zukünftige Generationen auf die Probleme von Morgen vorbereiten – Das kann so nicht funktionieren!

Zentrale Punkte, die es für gute digitale Bildung braucht, sind:

1. Digitale Infrastruktur: Darunter verstehen wir neben den digitalen Endgeräten (Laptops/Tablets), die als Bildungsmaterial selbstverständlich kostenlos sein müssen, auch den ausreichenden Ausbau des Internetanschlusses in der KiTa, Schule oder Hochschule und auch über das KiTa-/Schultor hinaus bei den Familien zu Hause. Außerdem gehört zur digitalen Infrastruktur auch ein Wartungs- und Reparaturkonzept, sowie eine Perspektive für Soft- und Hardwareaktualisierungen. Auch die benötigte Software selbst, angefangen bei Office-Anwendungen bis hin zu eigenen Lernportalen gehört zur digitalen Infrastruktur, muss jedoch selbstverständlich an die digitalen Lernkonzepte bzw. Lerninhalte anknüpfen.

Mit dem Förderpaket „Gute Schule 2020“ und dem Geld aus dem „Digitalpakt“ des Bundes sollten die Kommunen als Schulträger ihre Schulen vor allem mit digitalen Endgeräten ausstatten und so die Digitalisierung vorantreiben. Das ist leider nicht ganz so gelaufen, wie die Landesregierung sich das vorgestellt hat: Bei vielen Schulen bestand dringender Renovierungsbedarf, sodass dieser Vorrang vor neuen Anschaffungen hatte. Außerdem stellte sich für jede Kommune neben der Frage der Form des Endgeräts auch die Frage nach dem Hersteller und dem damit verbundenen Betriebssystem. Außerdem kam die Frage der Abdeckung und der Umsetzung auf: Individuelle Geräte, Ausleihbare Klassensätze, BringYourOwnDevice-Konzepte und vieles mehr. Letztendlich hat das dazu geführt, dass die Schüler*innen je nach ihrem Wohnort einen unterschiedlich guten Zugang zu digitaler Bildung haben und darüber hinaus auch noch auf völlig verschiedene Art und Weise. Diese Digitalisierungspolitik kann langfristig nicht zielführend sein. Chancengleichheit und einheitliche Umsetzung würde nicht nur Schüler*innen und Familien entlasten, Sicherheit bieten und eine tatsächlich bestmögliche digitale Bildung, sondern auch den Kommunen die Belastung abnehmen, ein vollkommen individuelles Digitalisierungskonzept ohne Hilfestellungen des Landes oder BestPractice-Erfahrungen zu entwerfen. Neben der Entscheidung über die Anschaffung von Endgeräten müssen die Kommunen mit den Schulen individuell ohne einen „Grundbaukasten“ Software auswählen und konkrete Lerninhalte festlegen. Vor Ort muss ein Wartungs- und Neuanschaffungskonzept für Reperaturen, Updates und Hardwareaktualisierungen auf die Beine gestellt werden. Verglichen mit dem Umfang dieser vom Land an die Kommunen übertragenen Aufgaben ist die personelle und finanzielle Ausstattung der Kommunen winzig.

Auch der von der Landesregierung im Wahlkampf versprochene Netzausbau lässt weiter auf sich warten – Minister Pinkwart meint: „der eigenwirtschaftliche Ausbau durch die Netzbetreiber ist der wesentliche Faktor für ein flächendeckende gigabitfähige Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen“. Das das so leider nicht der Fall ist zeigt sich an der miserablen Netzanbindung der Schulen und auch der nach wie vor schlechten Netzabdeckung, gerade im ländlichen Raum. Dabei sind Kommunen wie bei anderen Projekten gefragt, bei der Ausschreibung und Auftragsvergabe darauf zu achten, dass Arbeitsschutz und gute Arbeitsbedingungen gewährleistet werden.

2. Digitale Lernkonzepte und digitale Lerninhalte: Damit ist, gerade in Bezug auf KiTa und Schule gemeint, dass einerseits einheitliche Standards festgelegt werden müssen, die digitale Kompetenzen als Lernziele in den verschiedenen Phasen des Bildungsweges aufzeigen und andererseits auch digitale Lerninhalte, also Softwarelösungen für bereits existierende Unterrichtsfelder, Implementierung der existierenden Inhalte in den digitalen Unterricht oder vollständig neue Lerninhalte in den Fokus geraten müssen.

In diesem Bereich wurde von der Landesebene zumindest relativ viel getan: Es gibt zum Beispiel einen digitalen Kompetenzrahmen für Schüler*innen. Darin sind die zu erwerbenden Medienkompetenzen aufgeführt. Zahlreiche Softwarelösungen bieten zudem die Möglichkeit, den digitalen Unterricht umzusetzen. Dennoch bleibt auch in diesem Themenfeld Handlungsbedarf: Der Medienkompetenzrahmen NRW ist längst noch nicht in allen Lehrplänen, geschweige denn in allen Klassenzimmern angekommen. Die Schulen müssen die vorhandenen Konzepte in den Schulalltag einbinden. Auch im Bereich der Frühkindlichen Bildung ist Digitalisierung noch kaum ein Thema, und dass obwohl auch im Kindergarten schon einige Kinder das Tablet der Eltern regelmäßig nutzen oder ein eigenes Endgerät haben. Hier müssen noch frühkindliche Konzepte zur Aufklärung über den verantwortungsvollen Umgang und die Risiken entwickelt werden. Insbesondere müssen gerade in diesem Bereich die Erziehungsberechtigten in die Konzepte einbezogen werden.

3. Kompetentes Lehrpersonal: Digitale Kompetenzen vermitteln können nur Menschen, die selbst über gute digitale Kenntnisse verfügen. Deswegen müssen Lehrer*innen sich mit der Software und der Hardware auskennen und die Anwendungen und digitalen Kompetenzen beherrschen und erklären können.

Angesichts des durchschnittlichen Alters von Lehrkräften und der bisher kaum stattfindenden Behandlung des Themas in der Aus- und Fortbildung besteht hier neben dem Infrastrukturausbau wohl der größte Nachholbedarf. Viele Lehrer*innen müssen sich den Umgang mit digitalen Endgeräten von ihren Schüler*innen erklären lassen – das ist nicht Ziel der Sache. Des Weiteren muss sichergestellt werden, dass Lehrpersonen in der Lage sind, die digitale Bildung voran zu treiben ohne sich dabei entgegen rechtlicher Vorschriften zu verhalten. Hierfür benötigen wir einen klar formulierten Handlungsrahmen, der die Erfordernisse des Datenschutzes berücksichtigt. Nur, wenn Lehrer*innen Rechtssicherheit haben, was im Rahmen des digitalen Lernens möglich ist und wo die (datenschutzrechtlichen) Grenzen sind, können sie die digitale Bildung optimal voran treiben.

Deshalb fordern wir:

  • Investitionen aus Landes- und Bundesmitteln in den Netzausbau der Bildungseinrichtungen und auch der Privathaushalte: Bildung von Heute braucht guten Internetempfang!
  • Das Land muss finanzielle Mittel zur Anschaffung digitaler Endgeräte zur Verfügung stellen, welche die Kommunen dann beim Land abrufen können. Außerdem muss landesweit ein Reperatur- und Wartungskonzept für die Endgeräte erstellt werden. Zudem muss zusätzliches IT-Personal eingestellt werden. Reparatur und Wartung digitaler Technik müssen Aufgaben von Expert*innen, nicht von Lehrer*innen sein. Das heißt auch, dass damit die Unterschiede zwischen den Schulen, die mit moderner Ausstattung lehren, und denen, die noch mit Overheadprojektor und ähnlichem auskommen müssen, verringert werden müssen. So kann Chancengleichheit sichergestellt und die Kommunen entlastet werden: Bildung von Heute braucht digitale Endgeräte und Chancengleichheit!
  • Dem Renovierungsstau an Schulen muss durch Bekämpfung der Bildungsunterfinanzierung mit einem Investitionspaket zur Instandsetzung und Renovierung der Bildungseinrichtungen, sowie zum Netzausbau entgegengewirkt werden: Für Bildung von Heute brauchen die Kommunen Unterstützung!
  • Gerade für den Bereich Digitalkompetenzen müssen noch inhaltliche Konzepte ausgearbeitet werden, um die Kinder, die schon ihr erstes Smartphone besitzen oder es bekommen werden, an die Herausforderungen der digitalen Welt heranzuführen: Bildung von Heute braucht Konzepte für die Kleinsten!
  • Digitales Lernen muss elementarer Bestandteil der Lehrer*innenaus- und Fortbildung werden. Das Land muss als Dienstherr darauf hinwirken, dass alle Lehrkräfte sich die notwendigen Fähigkeiten aneignen und Fortbildungen anbieten: Bildung von Heute braucht Lehrer*innen, die fit für die Zukunft sind!

II. Digitalisierung und Verwaltung

Wie schwer sich der öffentliche Sektor mit der Digitalisierung tut wird besonders in den Verwaltungen deutlich: egal ob in den Kommunen, Land oder Bund. Fast in keinem anderen Bereich wird es so deutlich, wie sehr auf Papier und manuelle Abläufe statt auf digitale Systeme gesetzt wird.

In der Leistungsverwaltung führen Behörden und Bürger*innen durch komplexe und umfangreiche Antragsverfahren regelmäßig Papierkrieg, auch wenn einiges bereits per Mail möglich ist müssen meist Antragsformulare zum Ausfüllen ausgedruckt oder letztlich doch im Original nachgereicht werden.

In der Ordnungsverwaltung stapeln sich die Fallakten in den Schränken und Archiven.

Ununterbrochen werden in der Buchhaltung Rechnungen eingescannt, um sie in das Buchhaltungssystem einzupflegen. Danach werden hunderte Seiten lange Haushaltspläne in den Druckereien gefertigt, einige Male gelesen und danach nie wieder genutzt. 

Um endlich auch die öffentliche Verwaltung auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen müssen konsequent in der Theorie längst vorhandene Konzepte und  Innovationen umgesetzt werden. Zusammengefasst wird diese bisher noch viel zu selten umgesetzte Form des Verwaltungshandelns E-Government genannt. Die wichtigsten Punkte zur Digitalisierung der Verwaltung sind:

1. Open Data und Open Source

Open Data meint, dass alle Daten der öffentlichen Hand, die nicht personenbezogen sind, nicht in Persönlichkeitsrechte eingreifen und auch nicht aus anderen gerechtfertigten Gründen der Geheimhaltung unterliegen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Durch eine nutzungsfreundliche Aufarbeitung können so die in den Verwaltungen vorhandenen Daten von den Bürger*innen abgerufen werden. Mögliche Umsetzungsbeispiele sind schon jetzt, etwa in kommunalen Geoportalen zu finden.

Open Source meint, dass alle von der öffentlichen Verwaltung entwickelten Software-Lösungen, bei denen durch die Veröffentlichung des Quellcodes keine Sicherheitslücken zu befürchten sind, öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Die Veröffentlichung des Quellcodes spielt auch für die Datensicherheit eine große Rolle, indem „security by obscurity“ vermieden wird. Bei öffentlich einsehbarem Code ist es nicht möglich, dass Unternehmen Daten ohne das Wissen der User abfangen. Dadurch können vor allem kleine und mittelständische Unternehmen die Softwarelösungen für Ihre Anwendungsbereiche verwenden oder Unternehmen im allgemeinen wiederum andere Software, angepasst auf die Verwaltungssoftware entwickeln.

2. Digitales Wissens- und Prozessmanagement

Wissensmanagement und als wichtiger Bestandteil dessen Prozessmanagement kann dazu beitragen, Informationen und Erfahrungen nachhaltig weiterzugeben. Durch digitale Datenbanken wird nicht nur Platz gespart, sondern es ist auch ein möglichst transparenter Zugriff für alle betroffenen Mitarbeiter*innen möglich. Prozessmanagement bringt dabei vor allem für neue Verwaltungsmitarbeiter*innen Vorteile mit sich.

3. E-Akte und Bürger*innen-App

Im Rahmen des E-Governments soll dem Bürger*innen ermöglicht werden, die Dienstleistungen der Verwaltung weitestgehend digital in Anspruch zu nehmen. Lösungskonzepte, wie die E-Akte müssen dazu konsequent umgesetzt werden. Für den Datenschutz sind in diesem Rahmen die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Außerdem würde eine Bürger*innen-App, über die beispielsweise Termine vereinbart, Formulare ausgefüllt oder Daten an den*die zuständige Sachbearbeiter*in übermittelt werden können, den Papierkrieg und in vielen Teilen auch dem sonst für die Bürger*innen eher unübersichtlichen Verwaltungshandeln den Kampf ansagen.

4. Fort- und Weiterbildung

Ohne dass die Mitarbeiter*innen mit der Soft- und Hardware umgehen können funktioniert die Digitalisierung der Verwaltung selbstverständlich nicht. Deswegen braucht es gezielte Fort- und Weiterbildungen für Führungskräfte und Sachbearbeiter*innen in den Bereichen Office-Software, E-Akte, Spezialsoftware und diverse weitere auf die Aufgaben der jeweiligen person angepasste Inhalte. Auch die IT muss entsprechend den technischen Gegebenheiten gegebenenfalls fortgebildet werden.

Deshalb fordern wir:

  • Die konsequente Implizierung der E-Akte. In diesem Rahmen müssen geeignete Endgeräte zur Verfügung stehen, alte Akten (etwa Bauakten, etc.) digitalisiert werden und Software-Voraussetzungen für die Umsetzung (Digitale Rechnungen, Datenbanken, usw.) geschaffen beziehungsweise angeschafft werden. Insbesondere sollen auch Antragsverfahren digital möglich sein. Die Umstellung soll nicht zulasten des Datenschutzes gehen.
  • Eine flächendeckende Fort- und Weiterbildung für die Verwaltungsmitarbeiter*innen in denen diese in den Bereichen Office-Software, Spezialsoftware und allen anderen für die zukünftige digitale Arbeit erforderlichen Bereichen geschult werden.
  • Im Zusammenhang mit Open Data und Open Source müssen die vorhandenen Informationen und Software aufbereitet und den Bürger*innen Nutzer*innenfreundlich zur Verfügung gestellt werden. Dies kann zum Beispiel, Verknüpft mit den Verwaltungsdienstleistungen auf der Homepage und in einer Bürger*innen-App geschehen. Über diese könnten dann auch Veranstaltungen und Termine publiziert und Stadtmarketing betrieben werden, oder typische Verwaltungsabläufe transparent dargestellt und so für die Bürger*innen nachvollziehbar werden.
  • Wissen und Prozesse müssen digital visualisiert und gespeichert werden. Alle Betroffenen Mitarbeiter*innen müssen Zugriff auf die Datenbanken haben und das Hinzufügen neuer Inhalte für jede*n möglich sein.

[1] Zu den Nutzungszahlen vgl. https://de.statista.com/statistik/studie/id/22540/dokument/internetnutzung-in-deutschland-statista-dossier/