Inklusion Teil 1 – UN-Behindertenrechts- konvention umsetzen!

Was wir unter Inklusion verstehen…

Ausgangspunkt des politischen und gesellschaftlichen Diskurses über Inklusion ist die UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung aus dem Jahr 2006 (von der Bundesrepublik Deutschland 2009 ratifiziert). Es ist wichtig festzuhalten, dass die Konvention kein „Sonderrecht“ für Menschen mit Behinderung darstellt. Sie fordert ausschließlich die selbstverständliche Umsetzung aller anerkannten Menschenrechte auch für Menschen mit
körperlichen, seelischen oder geistigen Einschränkungen. Jungsozialistische Politik orientiert sich an den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Wir wollen dies durch einen sozialen und gerechten Staat mit gleichen Lebensbedingungen für alle ermöglichen. Ein freies, selbstbestimmtes Leben kann nur erreicht werden, wenn die Teilhabe an Bildung, Arbeit, sozialer Sicherheit, Kultur und Demokratie für alle Menschen unter gleichen Bedingungen möglich ist.
Nehmen wir unsere Grundwerte und die derzeitige Beschlusslage ernst, so muss eine inklusive Gesellschaft Kernelement unserer politischen Zielsetzungen sein.
Inklusion ist nämlich die volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft, unabhängig von Alter, sexueller Orientierung, Handicap, Hautfarbe, Herkunft oder Geschlechtsidentität! Wir NRW Jusos bekennen uns ausdrücklich zu einem ganzheitlichen Inklusionsbegriff: »» Inklusion ist Gleichstellung! Nach wie vor werden Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Wir NRW Jusos sind aufgefordert, weiterhin für echte Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu kämpfen. »» Inklusion ist gemeinsames Lernen! Gleiche Bildungschancen brauchen ein faires und inklusives Schulsystem. Wir NRW Jusos dürfen uns nicht auf dem Schulkonsens ausruhen, sondern müssen – gerade auch in den Kommunen vor Ort – für gemeinsames Lernen unabhängig von Herkunft, sozialer Situation, Begabung oder Handicap werben. »» Inklusion ist gute Arbeit! Wir NRW Jusos sind dazu verpflichtet, weiter jegliche Formen prekärer Beschäftigung abzulehnen. Auch vermeintlich ausgeschlossene oder abgehängte Gesellschaftsgruppen haben ein Recht auf gute Arbeit und Ausbildung! »» Inklusion ist Demokratie! Die Mitwirkung an demokratischen Entscheidungen steht längst nicht allen Menschen offen. Wir NRW Jusos sollten uns dafür einsetzen, mehr Teilhabe zu ermöglichen. Inklusion ist auch die volle gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an unserer Gesellschaft. Eine Behinderung entsteht aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- sowie umweltbedingten Barrieren, die sie an der vollen und wirksamen Teilhabe an der Gesellschaft hindern. Wie in Artikel VI der UN-Behindertenrechtskonvention
festgelegt, werden Frauen mit Behinderung mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt. Gleiches gilt für MigrantInnen. Diesen Menschen ist erhöhte  Aufmerksamkeit und Unterstützung zu widmen. Dieser Antrag bildet den Auftakt zu einer klaren und umfassenden Positionierung der NRW Jusos, wie wir eine inklusive Gesellschaft in allen relevanten Bereichen schaffen wollen. Im ersten Schritt wollen wir die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erreichen. Zudem muss das Thema Inklusion von Menschen mit Behinderung auf Landesebene durch Partei, Fraktion und Regierung konsequent weiter voran getrieben werden. Nun ist die richtige Gelegenheit und dieser Antrag stellt dazu wesentliche Forderungen auf. Die weiteren Bausteine wollen wir – aufbauende auf unserem Landesarbeitsprogramm und dem Forum der NRW Jusos zum Thema Inklusion – unter Beteiligung des Landesverbandes in den kommenden Monaten erarbeiten. Unser Verständnis von Inklusion wird sich dabei nicht auf einzelne Bevölkerungsgruppen beschränken.

Inklusion bedeutet Recht auf Bildung!

Für uns NRW Jusos ist das gemeinsame Lernen und Spielen von Kindern mit unterschiedlichsten Stärken und Schwächen Grundlage einer solidarischen Gesellschaft. Echte Chancengerechtigkeit ohne Diskriminierung gelingt nur in einem inklusiven Bildungssystem. Wir stehen Sondersystemen grundsätzlich kritisch gegenüber und befürworten eine inklusive Gesellschaft, in der spezielle KiTas für Kinder mit Behinderungen und Förderschulen die Ausnahme sind und bei ausdrücklichem Wunsch der Eltern besucht werden. Zu den Gelingensfaktoren eines inklusiven Bildungssystems gehören für uns auch ganz konkrete Aspekte:

»» Inklusive Pädagogik muss obligatorischer Bestandteil jedweder pädagogischen Ausbildung sein. Für bereits ausgebildete ErzieherInnen und LehrerInnen müssen verpflichtende Fortbildungsmodule angeboten werden.                                                                                                                                                                                 » Sozialen Kompetenzen muss ein höherer Stellenwert eingeräumt werden.                                                                                                                                                          »» Die Kompetenz von HeilpädagogInnen, SchulpsychologInnen, TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und SonderpädagogInnen wird in den Regeleinrichtungen benötigt.                                                                                                                                                                                                                                             »» Kinder mit Beeinträchtigungen brauchen eine individuelle und bedarfsorientierte Unterstützung. Das können SchulbegleiterInnen oder technische Hilfen sein. Es ist sicher zu stellen, dass die Unterstützung auch an die Ganztagsangebote der Schulen angepasst wird.                                                                                          »» Medizinische und therapeutische Angebote müssen auch in KiTas und Schulen durchgeführt werden können. Hierfür sind entsprechende Zeiten und Räume bereit zu stellen.

Inklusion braucht Barrierefreiheit!
Häufig werden infrastrukturelle, bauliche oder räumliche Barrieren vorgeschoben, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderung den vollen Zugang am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Eine inklusive Gesellschaft braucht also – ganz grundlegend und anschaulich – Barrierefreiheit. Barrierefreiheit ist die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der gestalteten Lebensbereiche für alle Menschen. Der Zugang und die Nutzung müssen für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe möglich sein. Zu den Lebensbereichen gehören die physische Umwelt, Transportmittel, Information und Kommunikation, einschließlich entsprechender Technologien und Systeme, sowie andere Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen. Wir NRW Jusos fordern deshalb, dass Barrierefreiheit obligatorischer Bestandteil in den Prüfungen größerer Bauvorhaben ist. Die entsprechende DIN 18040-1 muss demnach fest in der Bauordnung des Landes verankert werden. Die Ausbildung von IngenieurInnen und ArchitektInnen bedarf einer entsprechenden Sensibilisierung, damit Baumängel und teure Nachbesserungen bei zukünftigen Bauvorhaben verhindert werden. Außerdem soll ein klares Sachverständigenwesen im Bereich Barrierefreiheit NRW-weit
etabliert werden. Nur so können Baumängel und teure Nachbesserungen frühzeitig verhindert werden. Sämtliche Förderprogramme von Land und Bund müssen das Thema Barrierefreiheit abdecken und so ausgestaltet sein, dass auch finanzschwache Kommunen in die Lage versetzt werden, Investitionen in eine barriefreie Infrastruktur tätigen zu können. Wir brauchen in unseren Städten und Gemeinden eine Infrastruktur, die den Ansprüchen einer inklusiven Gesellschaft gerecht wird. Dazu zählen nicht nur Rampen für RollstuhlfahrerInnen sondern zum Beispiel auch Blindenleitsysteme, Ampeln mit akustischen Signalen und die selbstverständliche Verwendung von Gebärdensprache, Brailleschrift und einfacher Sprache in unserer Kommunikation. Die Bestandsaufnahme NRW zur Klassifizierung von öffentlichen Gebäuden schafft für Menschen mit einer Behinderung die notwendige Transparenz. Wir fordern hier auch private Freizeiteinrichtungen und Unternehmen auf, sich an dieser Bestandsaufnahme zu beteiligen. Die persönliche Mobilität für Menschen mit Behinderung ist mit größtmöglicher Selbstbestimmung sicherzustellen, deshalb muss, sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum, Mobilität durch öffentliche Verkehrsmittel möglich sein. Außerdem fordern wir, dass barrierefreie Zugänge zu Bahn und Bus an Haltestellen und Bahnhöfen schnellstmöglich flächendeckend bereitgestellt werden. Die Instandhaltung dieser Infrastruktur muss höchste Priorität haben. Auch in öffentlichen Gebäuden wie beispielsweise Schulen müssen die sächlichen und räumlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden um Inklusion möglich zu machen. Jedes öffentliches Gebäude muss über Ausstattungen, die das 2-Sinne-Prinzip (immer zwei Sinne müssen z.B. Wegweiser wahrnehmen) erfüllen, ausgestattet und jede Etage für alle Personen erreichbar sein. Erst wenn die KISS (keep it short and simple) –Regel und das 2-Sinne-Prinzip umgesetzt sind und alles klar erkennbar und für alle einfach zu erreichen ist, ist ein öffentliches Gebäude barrierefrei. Diese Umwandlung muss verpflichtend an allen öffentlichen Gebäuden stattfinden.

Gute Arbeit gehört zu einem selbstbestimmten Leben!
Die Möglichkeit auf ein freies selbstbestimmtes Leben und Teilhabe an der Gesellschaft endet häufig mit Eintritt in die Arbeitswelt. Und dies gilt nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern vielfach auch für MigrantInnen oder auch Alleinerziehende. Ein inklusiver Arbeitsmarkt ist somit zentrale Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft. Viele Betroffene werden über Jahre hinweg in Maßnahmen von Bund und Land weitergereicht. Das in NRW verankerte Recht auf Arbeit ermöglicht Menschen mit Behinderung einen Platz in einer Behindertenwerkstatt. Dies ist für viele Betroffene eine wichtige Perspektive, jedoch darf der
Werkstattplatz keinesfalls die einzige Option für beeinträchtigte Menschen sein. Die Übergänge zwischen dem ersten Arbeitsmarkt und Sondereinrichtungen müssen deshalb erheblich optimiert werden. Häufig entfalten Sondersysteme eine Sogwirkung, sodass Potenziale von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht ausgeschöpft werden können. Der individuellen Unterstützung beim Übergang Schule-Beruf kommt hier eine wichtige Rolle zu. Des Weiteren muss das duale Ausbildungssystem weiter für Menschen mit Behinderung geöffnet werden. Förderung und Qualifizierung von Menschen mit Behinderungen müssen individueller und den Potenzialen der Menschen angepasst werden. Viele Maßnahmen sind stigmatisierend und bieten nur geringe Erfolgsaussichten für den ersten Arbeitsmarkt. Es muss uns gelingen, dass alle Betriebe Menschen mit Behinderung als Gewinn betrachten. Die Meisten der 2,8 Mio. Menschen sind im Laufe ihrer Berufstätigkeit behindert geworden. Die teuren Hilfsmaßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, dass die Menschen im Betrieb gehalten werden. Zusätzlich braucht es einen öffentlichen Beschäftigungssektor, der insbesondere den Menschen eine Chance bietet, die bisher nur wenig Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt hatten. Aber auch Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können oder wollen, haben ein Recht auf berufliche Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben. Hier können Werkstätten für behinderte Menschen oder vergleichbare Angebote den geeigneten Raum bieten. Dieses Recht darf allerdings nicht von ökonomischer Leistungsfähigkeit eingeschränkt werden. Deshalb muss der Begriff „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ in § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gestrichen werden. Wir NRW Jusos fordern ein einheitliches Behindertenrecht. Das SGB IX muss um einen Leistungsteil erweitert werden. Viele Menschen mit Behinderung, insbesondere mit Mehrfachbehinderungen, werden völlig unnötig in die Sozialhilfe (SGB XXII) gedrängt.

Inklusion findet auch im Alltag statt !
Aber das Leben besteht nicht nur aus Bildung und Arbeit. Auch Menschen mit Behinderungen haben ein Recht darauf, selbst zu entscheiden, wo und mit wem sie leben wollen. In Deutschland leben die meisten Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und komplexen Behinderungen in Wohnheimen. Damit sie die Wahlfreiheit über ihren Wohnort bekommen, bedarf es einer Dezentralisierung der Unterstützungssysteme. Die Wahlmöglichkeit zwischen stationärer und ambulanter Betreuung darf nicht von der Finanzierung abhängen. Deshalb muss der sogenannte „Mehrkostenvorbehalt“, nach dem ambulante Betreuung
auf Dauer nicht mehr Geld kosten darf als stationäre, abgeschafft werden. Die Idee der Inklusion ist keine politische Entscheidung, sondern eine gesellschaftliche Entwicklung. Der Weg in eine inklusive Gesellschaft kann deshalb nur über breite gesellschaftliche Debatten gelingen. Für diese Diskussion ist die Förderung von inklusiven Kulturangeboten unerlässlich.