Marktkonzentration im Energiebereich abbauen – dezentrale Energiewende einleiten

Aktuelle Situation der Elektrizitätsversorgung

Nach dem in diesen Juni-Wochen nun scheinbar endgültig erfolgten Atomausstieg mit den verbundenen Gesetzesnovellen scheint das Thema Energiepolitik vordergründig weitestgehend bearbeitet zu sein. Betrachtet man die vorliegenden Novellen aber, so stellt man fest, dass die Schwarz-Gelbe-Bundesregierung ihre Klientelpolitik weiterführt und insbesondere den großen vier Energieversorgungsunternehmen (EVUs) weiterhin Geschenke macht. Dies zeigt sich nirgendwo
so deutlich wie bei der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) und dabei z.B. bei der verstärkten Förderung von Offshore-Wind und gleichzeitiger Kürzung der Vergütung für Windenergie an Land, wovon aufgrund des Fördercharakters insbesondere die großen Konzerne profitieren. Eine zukünftige Energieversorgung, die weiterhin auf eine starke Konzentration im Energiemarkt setzt, somit die Gewinne der großen EVUs weiter hochhält und damit auch die Preise für die Letztverbrauchern weiter auf einem ähnlich hohen Preisniveau belässt, ist für uns Jusos nicht akzeptabel. Die derzeitige Situation ist dabei insbesondere der Historie geschuldet, seit dem 19. Jahrhundert existierten regionale Versorgungsmonopole, die erst mit der Liberalisierung in Teilen aufgebrochen wurden. Dies hat jedoch nicht zu einem realen Wettbewerb auf der Erzeugungsseite geführt, da den EVUs immer noch das Groß der Erzeugungskapazitäten (2009: 68%, Quelle Greenpeace) gehört und sie somit preisbestimmend tätig sein können. Der Löwenanteil bei der Erzeugung aus EE
wird hier von den Regionalversorgern und Stadtwerken geliefert, während der Anteil der großen EVUs hier sehr gering ist. Dies zeigt sich auch an den in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern hohen Strompreisen. Die Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima haben in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass sich die öffentliche Meinung bezüglich der Energieversorgung stark gewandelt hat. Dies führt aus Sicht der EVUs zu der für sie hochgefährlichen Situation, neben der erzwungenen Umstellung auf erneuerbare Energien in Zukunft einem Wettbewerb mit kleineren Spielern
ausgesetzt zu sein, die Energie günstiger als heute bereit stellen können. Um dies zu vermeiden, gibt es aktuell für RWE & Co. zwei zentrale Möglichkeiten: Die Nutzung von Offshore Windanlagen weit draußen vor der Nord- und Ostseeküste und die Nutzung von Solarthermie in Afrika mithilfe der desertec-Gruppe. Beide können in Form von größeren Verbundblöcken realisiert werden und sind somit auch von der Finanzierungsseite her interessant. Daneben treten aber auch gravierende Nachteile auf: Neben den in beiden Fällen massiv erforderlichem und somit stark preistreibenden Netzausbau sind dies vor allem auch technologische Unwägbarkeiten. Während die Errichtung und Anbindung von zumindest einigen weiteren Offshore-Windparks in näherer Zukunft zu mindestens realistisch erscheint, steckt die Projektplanung der Solarthermie in der Sahara zudem immer noch in den Kinderschuhen.

Die Versorgung von morgen: Dezentral, erneuerbar und billig

Als mögliche Vision einer künftigen Energie- und Wärmeversorgung der Zukunft erscheint dagegen eine dezentrale Versorgung, bereitgestellt und gesteuert von Stadtwerken und unter starker Einbindung der BürgerInnen. So kann gewährleistet werden, dass auch kleine Photovoltaik-, Wind- und Biomasse-Einheiten optimal eingebunden werden, wozu jeder Teil seinen Beitrag leisten kann: Ein- und Mehrfamilienhäuser mit einer PV-Anlage auf dem Dach, einer wesentlich verbesserten Energieeffizienz sowie Kraft-Wärme-Kopplung und Wärmepumpe im Keller, Gewerbetriebe mit Blockheizkraftwerken oder auch die Gemeinde mit einem Bürgerwindrad auf der naheliegenden Wiese. Über eine intelligente Steuerung des Netzes können so im Regelfall ganze Siedlungen, Dörfer und Städte autark versorgt werden. Dies darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auch zukünftig ein überregionales Höchstspannungsnetz benötigt wird, um so etwa Windflauten oder Störungen auszugleichen, allerdings ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass die von der Deutschen Energieagentur (dena) veranschlagten 4500km im Falle einer sehr starken Konzentration auf Offshore- Wind an neu zu bauenden Höchstspannungsleitungen sehr deutlich unterschritten werden.
Eine dezentrale Energieversorgung bietet zudem den wesentlichen Vorteil, dass bereits heute Möglichkeiten vorhanden sind, Strom langfristig speichern zu können: Mithilfe der Wasserelektrolyse kann z.B. mithilfe überflüssigen Stromes normales Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten werden und der Wasserstoff anschließend direkt ins Erdgasnetz eingespeist werden. In Zukunft wird es weiterhin auch möglich sein, diesen Wasserstoff mit CO2, welches aus der Luft abgespalten wird, anzureichern, und so ein Erdgassubstitut zu gewinnen, welches ähnlich behandelt werden kann. Zur Rückverstromung gibt es dann zwei Möglichkeiten: Zum Einen können kleinere Brennstoffzellen dezentral die Energieversorgung der Kommunen in wind- und sonnenarmen Zeiten sicherstellen, und zum Anderen werden dann auch klimaneutrale Gaskraftwerke im Fehlerfall flexibel zur Verfügung stehen. Zumindest als Tages- und Wochenspeicher verspricht diese Technologie im Erdgasnetz etwa ein Speicherpotential im Bereich von über 100TWh pro Jahr und kann dauerhaft genutzt werden, wenn es gelingt, die Technologie klimaneutral zu gestalten. Im Kurzfristbereich müssen weiterhin die Möglichkeiten der Druckluft und der Batteriespeichersysteme
weiter untersucht werden. Dass die Erfolgsgeschichte der Erneuerbaren Energien auch eine Erfolgsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt ist, zeigt sich daran, dass im Jahr 2010 im Bereich der EE alleine schon über das EEG über 250.000 Menschen (Erfahrungsbericht EEG) beschäftigt sind. Dabei wurden bei den verwendeten
Technologien erhebliche Kostensenkungen erzielt, die weiter fortgeführt werden dürften. Daraus folgt, dass die Erneuerbaren Energien in Zukunft auch nach Kostengesichtspunkten mit den konventionellen Energieträgern mithalten können, und dies nach nur einem kleinsten Bruchteil der Subventionen, die zum Teil für Kernenergie und Kohle gezahlt wurden. Hinzu kommt, dass die konventionellen Primärenergieträger mit der Zeit immer knapper und deswegen auch teurer
werden. Wenn der Anteil der EE hier zügig weiter gesteigert wird, wird dies auch weiterhin zu sehr positiven Signalen auf dem Arbeitsmarkt führen und auch die Position der vielen mittelständigen Firmen im Export ihrer hochinnovativen Technologien stärken. Dies wird sich auch im BIP entsprechend positiv niederschlagen, wie es etwa Frank-Walter Steinmeier in seinem Deutschlandplan 2009 dargelegt hat.

Die Übergangszeit flexibel gestalten : Unsere Forderungen an die Landesregierung

Damit die oben beschriebene Vision einer Energieversorgung keine bloße Zukunftsmusik bleibt, sind verschiedene längerfristige Maßnahmen nötig. Politisch gilt es vor dem Hintergrund des bis zum Anfang des nächsten Jahrzehnts erfolgenden Atomausstiegs und dem Wegfall der Erzeugungskapazitäten schon jetzt die Weichen entsprechend zu stellen. Deswegen fordern wir:

1. Stadtwerke oder regionale Versorger, denen z.B. wegen eines geltenden Haushaltssicherungskonzeptes die finanziellen Mittel fehlen, welche aber über den Bau von EE-Anlagen einen Teil ihrer Versorgung dezentral und erneuerbar gestalten wollen, sollen vom Land NRW gezielt gefördert werden, etwa in Form einer KfW-Anschubförderung.
2. Ebenso sollen Vorhaben gefördert werden, die den Ausbau der kommunalen Netze zum Ziel haben, um so Energie besser verteilen zu können. Beispielsweise im Bereich der zur Stromerzeugung genutzten landwirtschaftlichen Biomasse ist dies interessant, da die dabei erzeugte Wärme oft nur zu einem Bruchteil genutzt werden kann und somit der Aufbau von Nahwärmenetzen Sinn macht.
3. In den Regionen, wo aktuell noch ein großes Potential für den Ausbau erneuerbarer Energieträger besteht, die dortigen Netze dies aber nicht mehr aufnehmen können, möchten wir, dass von einer unabhängigen Stelle beurteilt wird, inwiefern dort eine Förderung des Baus von kleinen dezentralen Anlagen zur Ein- und Ausspeicherung der Energie im Erdgasnetz wirtschaftlich Sinn macht und sich diese entsprechend anschließt.
4. Ebenso benötigen wir eine weitere Förderung der Forschung nach sowohl kurzfristig als auch langfristig nutzbaren Speichertechnologien. Beispielhaft hier kann im Kurzfristbereich eine Förderung des Einsatzes von Elektroautos in häufig genutzten Fahrzeugflotten sein.                                                                                    5. In der Diskussion um den notwendigen Ausbau des deutschen Höchstspannungsnetzes wird viel zu oft mit verschiedenen Studien argumentiert, die allesamt unter den Prämissen divergierender Zielszenarien stehen und deren Ergebnisse oftmals zur fälschlichen Erzeugung von Panik verwendet werden. Deswegen fordern wir vor der Erstellung eines zu befürwortenden Bundesnetzplanes die unabhängige Erstellung einer Studie unter Einbeziehung des geschilderten dezentralen Szenarios. [Hierbei sollen ausdrücklich auch Ideen und Technologien betrachtet werden, die aktuell noch nicht zur Marktreife gelangt sind, aber entsprechendes Potential besitzen, wie etwa die Mitbenutzung von Bahntrassen, Autobahnen oder die zumindest teilweise Nutzung von Erdkabeln].
6. Die aktuellen Diskussionen und Bürgerproteste rund um Großprojekte haben deutlich aufgezeigt, dass die BürgerInnen auch wirksam in der Entscheidungsfindung beteiligt werden wollen. Aus diesem Grund ist es zwingend erforderlich, diese stärker in die Planung von Projekten im Energiesektor einzubeziehen, was später zu einer deutlichen Beschleunigung führen wird. Deswegen fordern wir die Sicherstellung von Transparenz ebenso wie die Einrichtung von bei den Stadtwerken angesiedelten BürgerInnenräten, wo dies rechtlich möglich ist.
7. Für die Übergangsphase in ein Zeitalter der Erneuerbaren ohne Kernenergie brauchen wir auch hochflexible konventionelle Kraftwerke, deren deutschlandweiter Bedarf über die aktuell geplanten und im Bau befindlichen 10GW hinausgeht. Bis das Ziel einer Energieversorgung zu 100% aus regenerativen Quellen erreicht ist, brauchen wir weiterhin moderne Kraftwerke die fossile Energieträger verfeuern. Bei Neubauten sollte hierbei die effizientere Gas- und Dampftechnologie im Vordergrund stehen. Wir befürworten jedoch auch, das beschlossene und bereits in der Bauphase stehende Neubauten von Kohlekraftwerken zu Ende geführt werden können. Diese reduzieren die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu alten Anlagen, die jedoch im selben
Umfang vom Netz gehen müssen. Bei Kohlekraftwerken – genau wie bei allen großen Bauvorhaben – müssen jedoch zwingend die umweltrechtlichen Bestimmungen eingehalten, die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen eines ernsthaften Dialogs eingebunden werden und gleichzeitig sichergestellt werden, dass sich die zur Reservevorhaltung benötigten Kraftwerke – unter dem unabdingbaren Vorrang der erneuerbaren Energien – wirtschaftlich betreiben lassen.
8. Die oben angeführten Nachteile des desertec-Projekts für die deutsche Energieversorgung bedeuten nicht, dass diese Technologie generell zu verwerfen ist; gerade für die afrikanischen Länder oder auch Anrainerstaaten im Nahen Osten ist dies in Zukunft eine Möglichkeit, den Menschen dort Zugang zur Elektrizität zu verschaffen. Aus diesem Grund setzen wir uns im Rahmen einer aktiven Entwicklungshilfepolitik für eine Fortführung ein.
9. Wir unterstützen die aktuellen Forschungsbestrebungen zur Etablierung einer Bioökonomie, bei der die erdölbasierte Energie- und Stoffgewinnung durch die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen unter Verwendung der Biotechnologie vorangetrieben werden soll. Durch die Nutzung von neuen Verfahren könnten so aus nachwachsenden Rohstoffen wichtige chemische Grundkomponenten und “Biofuels” hergestellt werden, die CO2-neutral eingesetzt werden können. In Verbindung damit sollten Vorhaben unterstützt werden, die unter der Begriff “Clean- Tech” industrielle Abfallstoffe in die chemische Wertschöpfungskette zurück führen könnten, statt als klimaschädliche Gase in die Atmosphäre zu entweichen oder irrsinnigerweise z.B. wie bei der CO2 Sequestierung “endgelagert” zu werden. Wir Jusos wollen die Realisierung einer nachhaltigen Industrie in Nordrhein-Westfalen unterstützen. Auf diesem Weg der technischen Entwicklungen müssen aber auch gesellschaftliche Probleme und Fragestellungen berücksichtigt werden. Deshalb ist bei diesen schwierigen Themen die öffentliche Diskussion und die Einbeziehung einer gesellschaftswissenschaftlichen und ethischen Sichtweise unabdingbar.