Sexismus von Links – Schlussfolgerungen aus den Übergriffen auf dem Monis Rache und Fusion Festival

Triggerwarnung: Der folgende Text beinhaltet Beschreibungen von sexualisierter Gewalt.

Spannervideos auf linken Festivals

Im Januar 2020 wurde durch die Doku des Funk Formates STRG_F (NDR) ,,Spannervideos: Wer filmt Frauen auf Toiletten?’’ eine Art Netzwerk aufgedeckt, innerhalb dessen Männer meist weiblich-gelesene Menschen [1] auf Toiletten filmen und diese Videos auf Pornowebseiten hochladen, damit Handeln und Geld verdienen.

Durch die Recherche der Journalistin Patrizia Schlosser, welche, um tiefer in das Netzwerk des Handels und Tausches von Voyeur-Toiletten-Videos einzusteigen, sich selbst ein Fake Profil angelegt und mit Videos gehandelt hat, wurde aufgedeckt, dass in den Jahren 2016 und 2018 auf dem sich als links und feministisch begreifenden Festivals ,,Monis Rache’’ weiblich-gelesene Personen auf DixiToiletten gefilmt und die Videos anschließend auf der Pornowebseite ,,xHamster’’ hochgeladen wurden. Patrizia Schlosser hat sich an die Festivalorganisator*innen gewendet und gemeinsam konnte der Täter identifiziert werden. Die Menschen des Monis Rache Festivals, die zu dem Zeitpunkt (Oktober 2019) davon wussten, werden im Folgenden EKG (Erstkontaktgruppe) genannt. Der Täter wurde von der EKG konfrontiert und es wurde versucht mit dem Täter zu arbeiten um Selbstreflexion anzuregen. Der Rest der Festivalorganisator*innen sowie alle potentiell Betroffenen erfuhren erst im Januar 2020, knapp 4 Monate später, durch die Veröffentlichung der Doku von den Vorfällen. Darauf folgte eine Welle der Empörung, des Schocks und der Wut. Vor allem nachdem bekannt wurde, dass ebenfalls das Fusion Festival im Jahr 2019 davon betroffen ist. Es wurden vereinzelt in Leipzig und Berlin mit mehreren tausend Menschen unter dem Slogan ,,My Body is not your Porn’’ auf die Straße gegangen und überall in Deutschland haben sich Betroffene organisiert, um sich nicht in eine Opferrolle drängen zu lassen und dem Gefühl der Machtlosigkeit etwas entgegenzusetzen. Betroffenenperspektive, statt Täterfokus muss Bestandteil jeder Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt sein. Genau dieser Grundpfeiler wurde im Umgang der EKG mit dem Täter missachtet und so eine weitere Schädigung hervorgerufen.

Zu dem Umgang mit dem Täter und der Anwendung des Konzeptes ,,transformative justice’’ als Alternative zum klassischen ,,Strafrechtsfeminismus’’ lässt sich einiges diskutieren. Die Vorfälle haben einen deutschlandweiten Diskurs innerhalb linker Kontexte um Prävention und Umgang mit sexualisierter Gewalt ausgelöst, welcher unter anderem in einer wertvollen Artikelreihe der Jungle World angestoßen wurde. Vor allem im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung und der Auseinandersetzung mit institutionalisiertem Rassismus steht uns Jusos diese Debatte noch bevor. Der Antrag soll aber vielmehr den Blick darauf schärfen, wieso es keine Überraschung ist, dass auch innerhalb von Räumen, die sich als ,,Safe Spaces’’/,,Schutzräume’’ begreifen, sexistische und gewaltvolle Übergriffe keine Ausnahme darstellen. Diskriminierungsfreie Räume sind ein Mythos und ,,Safe Spaces’’ ein irreführender Begriff, welcher verschweigt dass alle Räume, egal ob physisch oder konzeptionell, von struktureller Gewalt und Diskriminierung geprägt sind. Der Begriff ,,Safer Spaces’’ erkennt hingegen dies an.

Neues Phänomen mit alten Ursachen?!

Die Spannervideos haben zuletzt eine große Unsicherheit im Umgang damit für weiblich-gelesene Personen ausgelöst. Nicht nur auf den Festivals wurden Fälle bekannt, auch auf öffentlichen Toiletten und bei Leuten zu Hause, wie beispielsweise bei einem Täter in Bielefeld, wurden die voyeuristischen Videos gedreht. Bei dem Täter aus Bielefeld läuft ein Verfahren, die Videos befinden sich trotzdem weiterhin im Netz. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft fühlen sich für die Löschung verantwortlich. Wie bei diesem Fall ist es auch mit Videos vom Deichbrand- oder Hurricane-Festival. Ein zweiter Teil der STRG_F Doku lässt immer mehr Festivals bekannt werden und es wird sehr deutlich: das ist kein Einzelfall.

Frauen werden schonungslos in vermeintlich geschützten Räumen wie der Toilette oder Duschkabine ausgenutzt und als Sexobjekt missbraucht, es geht hierbei um das Demonstrieren von Macht, um Handlungen gegen den Willen von Betroffenen.

Vorschläge, wie das Abkleben von potentiell versteckten Kameras können für uns keine Lösung sein. Um konsequent gegen diese versteckte Form der Übergriffe vorgehen zu können, bieten sich neue Sicherheitskonzepte für DixiToiletten und öffentliche Toiletten an, sowie Maßnahmen im Kontext von sexualisierter Gewalt im Netz. Die Rechtslage reicht nicht annähernd aus, um Spanner rechtlich zu belangen (siehe Antrag ,,My Body is not your Porn’’). Doch auch die Änderung der Rechtslage stellt keine Lösung dar und packt das Problem nicht bei der Wurzel.

Die Wurzel ist eine Gesamtgesellschaft, in der (sexualisierte) Gewalt gegen weiblich-gelesene Menschen hingenommen und legitimiert wird. Sexualisierte Gewalt nimmt dabei viele Formen an und ist für Betroffene Alltag. Sie ist eng geknüpft an Rollenbilder von dominant-männlichem Verhalten und einer Kultur, die übergriffiges Verhalten legitimiert. Zuletzt durch Debatten um #MeToo und #Männerwelten thematisiert, stellt sich weiterhin die Frage: Wie können wir übergriffiges Verhalten verhindern und wie gehen wir mit Tätern und Betroffenen um, nachdem es zu Vorfällen gekommen ist? Denn wir können nicht garantieren, dass es zu keinen Übergriffen kommen wird. Weder in der Gesamtgesellschaft, noch in linken Kontexten oder unserem Verband.

Umgang in linken Kontexten – #Me-Too-Moment der deutschen Linken?

Wieso ist es so wichtig ,,linke Kontexte’’ von einer Perspektive auf die Gesamtgesellschaft abzugrenzen? In linken Kontexten wird davon ausgegangen, dass die Menschen für ein emanzipiertes Zusammenleben ohne Diskriminierung jeglicher Art einstehen. Sexismus und sexualisierte Gewalt werden (von linken Männern) als Problem anerkannt und sich davon abgegrenzt. Doch genau dieser Abgrenzungsversuch, eine Art ,,Moralhygienekultur’’ welche ,,die Guten’’ von ,,den Bösen’’ abzugrenzen versucht, ist das erste Problem auf dem Weg zur Prävention.

Sexismus als Problem der Anderen zu verstehen und von sich zu weisen, steht einer Selbstreflexion und einem proaktivem Umgang im Hinblick auf Sexismus (von linken Männern) im Weg.

Auch andere Gruppenmitglieder tun sich schwer damit, sich einzugestehen, dass sexuelle Gewalt in ihrer Gruppe passiert und reagieren oft defensiv.

Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass der Diskurs oder das Wissen über die Vorfälle nicht weit über einen kleinen Kreis in Deutschland hinausgeht und zu einem Großteil von Frauen getrieben wurde, nicht zuletzt auch durch die eigene Betroffenheit. Die Verantwortung Sexismus und Übergriffe im eigenen politischen Umfeld zu thematisieren liegt aktuell weiterhin bei Frauen*, die sich um die Aufarbeitung und um den Aufbau von den wesentlichen Betroffenenstrukturen gekümmert haben. Dass der Grundpfeiler ,,Betroffenenperspektive statt Täterfokus’’ vom Monis-Rache-Team und der EKG missachtet wurde, verdeutlicht die große Unsicherheit und Ignoranz beim Umgang mit Übergriffen in den eigenen Reihen.

Ein proaktiver Umgang geht nicht davon aus, dass alle selbstreflektiert genug sind und Aufklärungs- und Bildungsarbeit reicht, um Übergriffe zu verhindern.

Es lässt sich selbst bei ,,Feministen’’ beobachten, dass ein Bewusstsein über Sexismus, ein Bewusstsein über das strukturelle Problem sexualisierter Gewalt und die Verbindung zu eigenem dominant-männlichen Verhalten, noch lange nicht als Prävention ausreichen, um Übergriffe zu verhindern und eigenes Verhalten zu ändern. Es existiert eine Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis und gelebter Praxis profeministischer Männer.

Auch in unserem Verband und in unserer Partei haben die bisherigen Strategien zu wenig gebracht. Immer wieder werden Vorfälle von sexualisierter Gewalt und übergriffigem Verhalten bekannt (siehe Antrag LaKo 2019 ,,Solidarität mit allen Opfern sexualisierter Gewalt und sexistischem Verhalten’’, Antrag UBK Essen 2020 ,,Sexualisierte Gewalt’’). Dieses ist auf den ersten Blick nicht immer für alle als solches erkennbar und leistet seinen Beitrag zu den genderspezifischen Lücken in unserem Verband, welche von Beteiligungen an Diskussionen, vom Wohlfühlen auf Verbandspartys bis zur langfristigen Teilhabe und Mitwirkung in Machtpositionen reichen.

Ein Awarenesskonzept, welches im LAP zur Bearbeitung aussteht, trägt zur Sensibilisierung bei. Es darf aber nicht sein, dass Verantwortung auf einzelne Menschen abgeschoben wird, in dem Fall dem “Awareness-Team”.

Die Verantwortung für sexistisches Verhalten wird nicht nur gerne an der Tür zur Verbandsparty, sondern meist im vermeintlich privaten Raum abgegeben. In vertrauten zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen Übergriffe und Grenzüberschreitungen am Häufigsten stattfinden, ist es umso schwieriger diese zu registrieren und zu kommunizieren. Insbesondere wenn das Machtverhältnis durch die Etabliertheit einer Person unausgeglichen ist und ein großes Risiko für Betroffene besteht, nicht ernst genommen zu werden.

Wirksame Prävention

Zu einer wirksamen Prävention schreibt die Gruppe e*space aus Dresden folgendes:

,,Deshalb braucht es eine dauerhafte Beschäftigung mit diesen Phänomenen. Diese sollte auf vier Ebenen stattfinden: eine generelle Sensibilisierung für verinnerlichte Ideologien der Ungleichheit und Förderung von Selbstreflexion; Aufbau von Strukturen zur Unterstützung von Betroffenen; Weiterentwicklung von Konzepten zur transformativen Arbeit mit Ausübenden von Gewalt und Diskriminierung; und nicht zuletzt Kämpfe um gesamtgesellschaftliche Veränderungen, damit Menschen in Zukunft hoffentlich weniger zu gewalttätigen »misogynen Arschlöchern« (Jungle World 24/2020) werden.‘‘ [2]

Wir Jusos brauchen ein Handlungskonzept, wie wir in Zukunft mit sexualisierter Gewalt umgehen. Darin enthalten sein müssen langfristige, institutionalisierte ,,Werkzeuge’’, wie die bereits angedachten Maßnahmen eines Awarenesskonzepts und Genderplena. Statt vereinzelt auf Partys und Veranstaltungen muss eine langfristige Awarenessstruktur gegeben sein, an die sich Betroffene wenden können und die Wiedererlangung der Selbstbestimmung im Fokus steht. Wir brauchen Raum zum Austausch, zum Diskurs innerhalb des Verbandes. Was den Umgang mit gewaltausübenden Personen betrifft, ist es wichtig, dass Konsequenzen nachhaltig und umfassend sind. Personen lediglich aus dem Verband auszuschließen, birgt die Gefahr, dass Probleme nur verschoben werden. Stattdessen muss das gesamte Entstehungsumfeld in den Blick genommen werden.  Wir müssen einen Umgang finden, der das Ganze in den großen Kontext bringt, in welchem Gewalt entsteht.

[1] Statt ,,Frauen’’ wird von ,,weiblich-gelesenen Menschen’’ gesprochen, da sich nicht alle Menschen die als weiblich gelesen werden, sich auch als ,,weiblich’’ oder ,,Frau’’ identifizieren, trotzdem aber sexistischer Diskriminierung ausgesetzt sind.

[2] https://jungle.world/artikel/2020/26/unterschiedliche-beduerfnisse-anerkennen