Umstrukturierung der Nachrichtendienste ermöglichen!

Im November 2011 ist bekanntgeworden, dass der Nationalsozialistische Untergrund, eine rechtsextremistische Terrorzelle, mutmaßliche zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund und 2007 eine Polizistin ermordet hat sowie 2004 ein Nagelbomben-Attentat und zahlreiche Banküberfalle begangen hat. Trotz zahlreicher Hinweise und diverser V-Leute im Umfeld der Zelle ist es dem Verfassungsschutz in Bund und Ländern nicht gelungen einen rechtsextremen Hintergrund bei den Taten festzustellen oder auch nur in Betracht zu ziehen. Dies ist nur der Gipfel einer lang anhaltenden Serie von Pannen bei der Arbeit des Verfassungsschutzes. Eine umfassende Reform und Neustrukturierung des deutschen Nachrichtendienstwesens ist daher angezeigt und unausweichlich.

Abschaffung der Verfassungsschutzämter und Fusion von MAD und BND

Langfristig fordern wir daher die Abschaffung von Bundes- und Landesämtern für Verfassungsschutz sowie die Fusionierung von Militärischem Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst zu einer nachrichtendienstlichen Behörde. Die bisherigen Aufgaben des Verfassungsschutzes Spionageabwehr, Proliferationsabwehr, Wirtschaftsschutz, Geheim- und Sabotageschutz sowie die Auswertung elektronischer Angriffe sollen von der neu fusionierten Behörde aufgenommen werden. Bereits jetzt überschneiden sich die Arbeit von MAD, BND und Bundesverfassungsschutz in vielen Bereichen, insbesondere bezüglich Spionageabwehr sowie Geheim- und Sabotageschutz. Die ursprüngliche Aufgabentrennung zwischen

Abwehr (MAD, BfV) und Aufklärung (BND) ist seit langem in Auflösung begriffen. Die neu zu gründende Behörde würde die bisherige Schnittmenge aufgreifen und folgende Aufgabenfelder beanspruchen: Spionageabwehr, Proliferationsabwehr, Wirtschaftsschutz, Geheim- und Sabotageschutz, Abwehr elektronischer Angriffe sowie Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland mit außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik. Bisher bietet sich das Bild, dass nicht selten geheimdienstliche Ermittlungsmaßnahmen verschiedener Dienste unkoordiniert nebeneinander her laufen, sich mitunter gegenseitig im Kompetenzgerangel behindern. Die neu zu schaffende Behörde hätte die oben genannten Aufgaben originär. Die Bundeswehr sollte einer demokratischen und keiner geheimdienstlichen verschleiernden Kontrolle unterliegen. Die neu zu schaffende Behörde hat demnach keinerlei militärische Befugnisse. Die bisherige Überprüfung von Soldat*innen auf einen rechtsextremistischen Hintergrund soll zukünftig nicht mehr geheimdienstlich organisiert sein sondern durch eine demokratische Behörde angesiedelt im Verteidigungsministerium durchgeführt werden, die nicht in den militärischen Apparat eingegliedert ist. Die Abwehr von Gefahren durch Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus (Begrifflichkeiten, die in ihrer Einteilungsform der Extremismustheorie entsprechen, wurden vom Bundesverfassungsschutz übernommen)1[1] und Islamismus soll durch personelle Aufstockung in den schon geschaffenen Bereichen im Bundes- und Landeskriminalamt gewährleistet werden. Hierbei sind die Befugnisse der Polizeibeamtinnen und -beamten nicht zu erweitern, insbesondere sind keine geheimdienstlichen Befugnisse zu erteilen, um nicht gegen das Trennungsgebot zu verstoßen. Außerdem ist eine personelle Identität der alten und neuen Ermittlerinnen und Ermittler verhindern, um einen tatsächlichen Neuanfang zu ermöglichen. Die Übertragung dieser Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes auf Bundes- und Landeskriminalämter, stellt schon deswegen keinerlei Widerspruch mit den Trennungsgebot dar, da den Polizeibeamt*innen keine nachrichtendienstlichen Kompetenzen zugesprochen werden. Die Ermittlungstätigkeit der Polizei ist weiterhin nur auf Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ausgerichtet und nicht auf die ideologische Einteilung der Bürger*innen durch nachrichtendienstliche Tätigkeit. Zudem steht sie bei nicht unwesentlichen Eingriffen in die Grundrechte von Betroffenen unter Richtervorbehalt. Dies soll das Ziel unserer Bemühungen sein. Bis es soweit ist, sind zumindest folgende Schritte zu verwirklichen, um den Verfassungsschutz wieder rechtsstaatlich zu machen:

Abschaffung der Verdachtsberichterstattung in den Verfassungsschutzberichten

Bisher ist es gängige Praxis in den Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern auch Parteien und Organisationen zu erwähnen, gegen die lediglich der Verdacht der Verfassungswidrigkeit besteht. Für Leserinnen und Leser ist oft nur schwer ersichtlich, dass es sich nur um einen bloßen Verdacht handelt; in den Medien findet eine Differenzierung in der Regel gar nicht statt. Diese Stigmatisierung stellt eine schwere faktische Sanktion dar, da die Erwähnung im Bericht mit dem Aufruf gleichzusetzen ist, die erwähnte Partei oder Organisation zu meiden. Insbesondere eine zu Unrecht erfolgte Erwähnung schränkt das Recht auf Mitwirkung an politischer Willensbildung stark ein, zumal politische und gesellschaftliche Isolierung quasi erwartet wird und gerade auf der ebene der Bündnisarbeit nicht selten erfolgt. Der Verfassungsschutzbericht kommt hiermit nicht seiner Aufgabe als Verfassungsschutz durch Aufklärung nach sondern verkommt zu einem modernen Pranger. Diese Praxis ist nicht länger hinzunehmen. Wir fordern daher ein Verbot der Verdachtsberichterstattung.

Kontrolle ermöglichen

Bisher ist ein individueller Auskunftsanspruch gegen den Verfassungsschutz nur zulässig, wenn ein Hinweis auf einen konkreten Sachverhalt und ein besonderes Interesse an der Auskunft gegeben sind und keine Geheimhaltungsgründe entgegenstehen. Faktisch ist es somit unmöglich zu erfahren, ob man zum jetzigen Zeitpunkt beobachtet wird und aus welchen Gründen. Auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung kann nur äußerst selten und wenn überhaupt im Nachhinein festgestellt werden. Der oder die Beobachtete hat somit keinerlei Möglichkeit sich den Vorwürfen zu stellen oder sich gar zu wehren, gegen Maßnahmen, die ohne richterlichen Beschluss gegen ihn ergangen sind. Er wird somit schlechter gestellt als jemand, gegen den wegen einer Straftat ermittelt wird. Dies ist nicht tragbar und widerspricht unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Daher ist zunächst für Maßnahmen wie Bild- und Tonaufzeichnungen, Online-Durchsuchungen, Brief- ,Post- und Telefonüberwachung und den Einsatz geheimer MitarbeiterInnen sowie ähnlich tief eingreifender Maßnahmen die Genehmigung eines Richters einzuholen. Desweiteren ist der oder die Beobachtete unverzüglich über die Maßnahmen zu informieren, sobald die Beobachtung beendet ist und keine Gefahr für die FDGO besteht. Will die beobachtete Person die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellen lassen, ist ihr und ihrem Rechtsbeistand sowie dem Ge-richt umfassende Akteneinsicht zu gewähren. Auch dürfen Geheimhaltungsinteressen nicht prinzipiell Vorrang gegenüber dem Strafverfahren haben, dürfen vor allem ein faires und gerechtes Verfahren nicht unmöglich machen.

Einstellung der gängigen V-Leute-Praxis

Nach Angaben des Verfassungsschutzes erhält der Nachrichtendienst nur einen geringen Anteil ihrer Informationen von geheimen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hierzu zählen auch die sogenannten V-Leute. Nicht nur die Geschehnisse rund um die Zwickauer Zelle haben gezeigt, dass diese Art der geheimen Mitarbeiter rechtsstaatlich nicht länger tragbar ist und nie tragbar war. Wenn V-Leute Bomben liefern und zu Straftaten anstiften, wenn mit dem vom Verfassungsschutz gezahlten Geld rechtsextremistische Gruppen unterstützt werden, wenn ein V-Mann ermordet wird und ein ordnungsgemäßer Strafprozess nicht möglich ist, da der Verfassungsschutz Aussagegenehmigungen verweigert, Anwälte beobachten lässt und Tatwaffen verschwinden lässt und wenn ein Verbot der NPD an den V-Leuten gescheitert ist, sollte offenkundig sein, dass diese Methode nicht länger geduldet werden kann. Den bisherigen V-Leuten ist daher kein absolutes Zeugnisverweigerungsrecht zuzugestehen, insofern sie als Zeuge während eines Strafverfahrens vernommen werden. Der Verfassungsschutz darf eine Aussagegenehmigung nur in Fällen verweigern, in denen die FDGO oder der Bestand von Bund und Ländern gefährdet sind. Wird eine Genehmigung nicht erteilt, ist dies zu begründen. Der Einsatz von V-Personen muss daher gesetzlich geregelt und streng rechtsstaatlich reglementiert sein. Als V-Leute werden in der Regel diejenigen Personen ausgewählt, die bereit sind ihr engeres soziales Umfeld für die Zahlung nicht geringer Geldmittel zu verraten, erwartet aber im gleichen Maße von diesen die Wahrheit zu erfahren. Die Vorstellung verlässliche Informationen aus derlei Quellen zu erhalten, ist als utopisch zu bezeichnen. Der Einsatz von V-Personen ist daher langfristig kritisch zu überprüfen und abzustellen.

Umfassende Aufarbeitung der Geschichte des Amtes

Die Geschichte des Verfassungsschutzes von Bund und Ländern macht mitunter fassungslos. Trotz zahlreicher Affären und Pannen, die bereits mit der Entführung des ersten Präsidenten des Bundesamtes Otto John begonnen haben, hat bisher keine umfassende kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte stattgefunden. Das Bundesamt sowie die Landesämter sollen daher einer umfassenden Nachforschung unterzogen werden, in der sowohl die Rekrutierung von ehemaligen SS- und SD-Angehörigen bis hin in die 70er Jahre als auch die restliche Geschichte der Behörden untersucht und aufgearbeitet werden. Dies ist für eine Neuordnung und zum Verständnis der bisher gemachten Fehler unabdingbar. Die Ergebnisse sind außerdem der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um die Aufklärung zu gewährleisten.

Ziel: Auflösung

All dies können jedoch nur Teilschritte sein. Der Verfassungsschutz hat in seiner Geschichte selbst bewiesen, dass er nicht in der Lage ist die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen und stattdessen mehr und mehr die Frage unterstrichen, wer denn nun die Verfassung vor dem Verfas-sungsschutz schützt. Ziel kann es daher nur sein, den Verfassungsschutz langfristig abzuschaffen, damit auch ein personeller Neuanfang gewährleistet sein kann.

[1]http://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder