Für ein starkes und freiheitliches Versammlungsfreiheitsgesetz – Schwarz-gelbes Versammlungsgesetz ablehnen

Die SPD-Landtagsfraktion wird aufgefordert, den aktuell vorliegenden Entwurf der Landesregierung zur Einführung eines Versammlungsgesetzes aus den im Folgenden genannten Gründen abzulehnen.

Die SPD-Landtagsfraktion wird aufgefordert, sich in etwaigen Verhandlungen mit den demokratischen und progressiven Fraktionen im Landtag für ein freiheitliches, verfassungskonformes Versammlungsgesetz einzusetzen, welches die Versammlungsfreiheit vollumfänglich schützt und bewahrt. Mit dem vorgelegten Entwurf unserer Fraktion von November 2020 wurde gezeigt, dass das auch möglich sein kann. In dem Verhandlungsprozess mit der Landesregierung wird die SPD-Landtagsfraktion daher beauftragt, Kompromisse, die die Versammlungsfreiheit einschränken, abzulehnen. Die folgenden genannten Absätze zeigen auf, welche Punkte für uns nicht verhandelbar sind.

Sollte ein verfassungswidriges Gesetz, das offensichtlich im Konflikt mit dem Grundgesetz bzw. der Landesverfassung steht, beschlossen werden, wird die SPD-Landtagsfraktion beauftragt, vor dem Verfassungsgericht NRW zu klagen.

Notwendigkeit für ein gutes Versammlungsfreiheitsgesetz

Unter der Begründung, die Zivilgesellschaft vor rechten Versammlungen zu schützen, hat sich die Mitte-Rechts Regierung in NRW dazu entschieden, alle verbleibenden Spielräume zu nutzen, das Recht auf Versammlungsfreiheit einzuschränken. Dabei gibt sie vor, sich am liberalen Musterentwurf des Arbeitskreises Versammlungsrecht zu orientieren[1], verkehrt dessen liberale Stoßrichtung aber teilweise ins Gegenteil. Der Entwurf wird vielmehr die progressive, linke und klimaaktivistische Zivilgesellschaft in ihrer verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit weitreichend einschränken. Die SPD als Partei, die sich für Bürger*innenrechte einsetzt, muss nun alles mit der Zivilgesellschaft Nötige tun, damit das Gesetz der Mitte-Rechts-Regierung in der Form nicht verabschiedet wird. Ebenfalls ist die Fraktion angehalten, bei etwaigen Verhandlungen mit der Landesregierung keine faulen Kompromisse einzugehen, die in ihrer tatsächlichen Wirkung den Vorstellungen der Mitte-Rechts-Regierung entspricht, so wie es damals ebenfalls mit dem Polizeigesetz NRW geschehen ist.

Störungsverbot

In dem Entwurf ist neben dem schon bekannten Störungsverbotes weitere – nicht abschließende – Fallgruppen vorgesehen, § 7 VersGeEinfG NRW. Verboten sind schon einfache „Störungen“, während der Musterentwurf und der SPD-Entwurf nur Störungen mit dem Ziel verbieten, die Durchführung der Versammlung erheblich zu behindern oder zu vereiteln. Dies gibt der Polizei weitreichende Befugnisse bei der Feststellung, welches Verhalten einer*s Teilnehmer*in nun als Störung zu qualifizieren ist und welches nicht. Rein nach dem Wortlaut könnten auch schon friedliche Blockaden oder Lärm unter dem Begriff Störungen subsumiert werden. Dies birgt die Gefahr, dass Bürger*innen, die sich zum Beispiel bei Gegendemonstrationen gegen rechte Gruppierungen beteiligen, nicht sicher sein können, in welcher Art und Weise sie sich innerhalb der Versammlung verhalten dürfen.

Weiterhin sollen § 7 Abs. 2 Nr. 2 VersGeEinfG NRW auch friedliche Blockadetrainings verboten werden. Dies ist ausweislich der Gesetzesbegründung eine Reaktion auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster, welches in Blockadetrainings wie auch in friedlichen Blockaden keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sieht. Somit wird von der Mitte-Rechts-Koalition verkannt, dass friedliche Blockaden und ihre Vorbereitung ebenfalls unter den Schutz der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit fallen.

Wenn Gegendemonstrant*innen durch ihre bloße Präsenz auf friedliche Weise verhindern wollen, dass rechtsextreme Demonstrationen an bestimmten Orten durchgeführt werden und dort ihr Gedankengut verbreiten, dann ist dies im Interesse einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung als Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzunehmen. Soweit Beeinträchtigungen von einer Gegendemonstration ausgehen, stehen einander gleichgewichtige Grundrechtspositionen gegenüber. Diese Kollision von Grundrechten kann nicht einseitig zu Gunsten des Erstanmelders einer Versammlung aufgelöst werden.[2]

Die Mitte-Rechts-Regierung weitet die Strafbarkeit auf grobe Störungen aus. Unterhalb der Schwelle der Gewaltandrohung sind grobe Störungen jedoch kein Kriminalunrecht, das – theoretisch – die Verhängung einer Freiheitsstrafe rechtfertigen kann.

Erschwerung der Anmeldung und Offenlegung von persönlichen Daten

Ebenfalls ist in dem Entwurf der Mitte-Rechts Regierung vorgesehen, dass bei der Annahme einer Gefahr die Namen und Adressen der Ordner*innen offenzulegen sind. Dadurch wird in die Ausführung der Versammlung eingegriffen und vermutlich im Einzelfall in einem Umfang, dass die eigentliche Versammlung aus Schutz der eigenen Daten letztendlich nicht stattfinden kann.

Ebenfalls ist nach § 4 VersGeEinfG NRW vorgesehen, den Namen des Veranstalters oder der Veranstalterin bei Einladungen zur Versammlung anzugeben sind. Das hat besonders schwerwiegende Konsequenzen für progressive Gruppen und für die Zivilgesellschaft, die Versammlungen gegen neo-faschistische und rechtsradikale Umtriebe und Versammlungen durchführen. Sie werden der Gefahr ausgesetzt, Opfer von Gewalt, Hass oder Hetze zu werden.

Kooperationsgebot

Das Kooperationsgebot ist das Herzstück der „Brokdorf-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts, in der es die Verwaltung in die Pflicht nimmt, sich nicht über die sich versammelnden Bürger*innen zu stellen, sondern ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Die Zusammenarbeit von Versammlungsbehörde und Versammlung kann die Gewähr dafür bieten, dass keine unnötigen Beschränkungen erlassen und aufwendige Gerichtsprozesse vermieden werden.

Die Landesregierung ist aber daran zu erinnern, dass die Kooperation, wie sie sich das Bundesverfassungsgericht vorgestellt hat, zunächst vor allem Aufgabe der Behörde ist. Sie muss auf die Bürger*innen zukommen und Wege suchen, beschränkende Verfügungen zu vermeiden.

Der Gesetzgeber sollte vor allem Sorge dafür tragen, dass die Kooperationswilligkeit auf Seiten der Versammlungsbehörden auch tatsächlich besteht und es nicht die Bürger*innen sind, die in die „Kooperationsunwilligkeit“ gedrängt werden.

Unbestimmte Rechtsbegriffe und Militanzverbot

Gesetzliche Grundlagen für staatliches Eingreifen müssen bestimmt oder bestimmbar sein. Anstatt das in dem Entwurf zu verwirklichen, finden sich dennoch viel zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe, besonders im Rahmen des Militanzverbotes nach § 18 VersGeEinfG NRW.

Demnach ist es verboten an Versammlungen teilzunehmen, wenn das äußere Erscheinungsbild durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken, durch ein paramilitärisches Auftreten oder in vergleichbarer Weise Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt. Was nun ein „Auftreten in vergleichbarer Weise“ ist und welches Erscheinungsbild „einschüchternd wirkt“, ist nicht bestimmt oder bestimmbar. Richtigerweise sollte dieser Tatbestand enger gefasst werden und sich vor allem auf das Verbot von paramilitärischen Formationen beschränken. Bereits jetzt sind rechte Symbole und Uniformierung verboten, dieses Verbot muss allerdings konsequenter durchgesetzt werden. Unbestimmte Begriffe wie ein allgemeines Militanzverbot haben lediglich zur Folge, dass die Versammlungsfreiheit aller eingeschränkt wird.

Keineswegs hinnehmbar ist die Tatsache, dass ein Verstoß gegen diese Regelung nach dem Entwurf der Mitte-Rechts-Regierung unter Strafe gestellt wird. Der Verstoß gegen ein bloßes Bekleidungsverbot ist kein strafbares Unrecht, dessen Verwirklichung theoretisch auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach sich ziehen darf.

Übersichtsaufnahmen

Der Entwurf sieht in § 16 VersGEinfG NRW ebenfalls eine umfassende Übersichtsaufnahme vor, wenn es im Einzelfall aufgrund der Unübersichtlichkeit erforderlich ist. Dies kann regelmäßig schon bei mehr als 100 Teilnehmer*innen angenommen werden.[3] Auch wenn die Rechtsprechung in der Vergangenheit Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen und generell das Filmen von Versammlungen gebilligt hat, ist die Landesregierung zu fragen, warum sie diese Praxis um jeden Preis aufrechterhalten will. Denn diese Sichtweise verkennt, dass Bürger*innen das Recht haben, anonym an Versammlungen teilzunehmen und grundsätzlich auch nicht mit Aufnahmen rechnen müssen. Weiterhin werden durch die etwaige Speicherung von Videoaufnahmen Datenschutz und Anonymität gefährdet. Alleine das Wissen um Aufnahmen oder die Sichtbarkeit von Kameras kann geeignet sein, Menschen von der Wahrnehmung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abzuschrecken, weil sie – ob berechtigt oder unberechtigt – negative Folgen für sich befürchten, wenn ihre Teilnahme an der Versammlung filmisch festgehalten wird.

Strafbarkeit

Wie oben bereits anhand einiger Beispiele gezeigt, sieht der Entwurf der Landesregierung einen weitreichenden Strafkatalog vor, der das Unternehmen der politischen Beteiligung unter die Gefahr der Kriminalisierung stellt und von der Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abschrecken kann Es ist eine Sache, Verstöße mit Mitteln der Gefahrenabwehr zu begegnen und z.B. verbotene Versammlungen aufzulösen. Strafrecht ist aber das allerletzte Mittel, das der Staat nur bei besonders schwerwiegendem Unrecht (Kriminalunrecht) anwenden darf.

Fazit

Der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzesentwurf verfolgt das Ziel, die rechtsstaatlich garantierte Versammlungsfreiheit massiv einzuschränken. Es ist abzulehnen, dass unter dem Deckmantel rechtspopulistische und rechtsextreme Versammlungen unterbinden zu wollen, besonders der linken und klimaaktivistischen Zivilgesellschaft die Durchführung von Versammlungen erschwert wird. Ebenso ist die Gleichsetzung jener abzulehnen!

Die SPD-Landtagsfraktion hat vor der Landesregierung ein Entwurf vorgelegt. Im Verhandlungsprozess darf die Fraktion daher nicht erneut den gleichen Fehler wie beim Polizeigesetz begehen, den Entwurf der Landesregierung zwar zu verbessern und gleichzeitig aber fragwürdige Kompromisse einzugehen.

Die SPD muss die Partei sein, die sich für Bürger*innenrechte einsetzt und diese schützt. Daher muss sie enger Arbeit mit der Zivilgesellschaft und Bündnissen zusammen den Entwurf der Mitte-Rechts Regierung NRW kritisch begleiten, auch über die genannten Gründe hinaus, und darf keine schlechten Kompromisse eingehen!

[1] AK Versammlungsrecht, Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes. Vorgelegt von Christoph Enders, Wolfgang Hoffmann-Riem, Ralf Poscher, Michael Kniesel und Helmuth Schulze-Fielitz, https://www.law-school.de/fileadmin/content/law-school.de/de/units/unit_affil_riem/pdf/32_Arbeitskreis_Versammlungsrecht_MEVersG.pdf, abgerufen am 19.02.2021

[2] Vgl aaO.

[3] https://www.prigge-recht.de/nrw-landesregierung-will-versammlungsfreiheit-massiv-beschraenken/