Autofreie Innenstädte – Wie geht das?

Städte sind für Menschen da. Diese eigentlich unstrittige Aussage verliert beim Blick in viele Stadtzentren oft ihre Selbstverständlichkeit, denn sie scheint nur für autofahrende Menschen zu gelten. Die Aufteilung des verfügbaren innerstädtischen öffentlichen Raumes zwischen Autos auf der einen Seite und anderen Mobilitätsformen und Freiräumen auf der anderen Seite steht in einem krassen Missverhältnis. Es wird wie selbstverständlich angenommen, dass Autos den allergrößten Teil des innerstädtischen Platzes für sich beanspruchen. Diese Aufteilungsstruktur belastet – in Kombination mit rasantem Städtewachstum und Pendler*innen-und Lieferverkehr – die Lebensqualität in Städten enorm.
Die Straßen sind voll, aber der Verkehr nimmt immer weiter zu. Die Innenstädte leiden unter verstopften Straßen und schlechter Luft. Doch in der Stadtplanung hat ein Wandel eingesetzt: Anstatt die Stadt um das Auto herum zu bauen, versuchen immer mehr Städte ihre Innenstädte autofrei zu denken und die Stadt für die Menschen zu planen.
Aber wie wird eine Autostadt zu einer Fahrradstadt?

Das Auto zu Gast
Wir wollen uns dafür einsetzen, dass Prinzip „Auto zu Gast“ in unseren Innenstädten umsetzen. Andere Verkehrsteilnehmer*innen erfahren dadurch eine Aufwertung, Autos dürfen die Zonen zwar befahren, Fahrradfahrer*innen sowie andere Mobilitätsformen ohne Verbrennungsmotor haben aber Vorfahrt.
Es ist nicht zu spät, Städte lassen sich umbauen, Sünden aus der Vergangenheit lassen sich beheben!
Umdenken braucht Zeit, aber dass es geht, machen Städte wie Utrecht vor. Ist der Wille der Beteiligten da, dann kann es gelingen, in Innenstädten grüne Orte zum Verweilen statt Autolärm zu schaffen, ungefährlichere Straßen für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen anzubieten statt rennstreckenartige Straßennetze für Autos.
Beim Neudenken der Stadtplanung muss aber nicht einfach in “Auto-Verboten” gedacht werden, sondern auch gute Alternativen zur Auto-Mobilität geschaffen werden. Ziel muss es nicht sein, das Auto innerstädtisch zu verbieten, sondern es überflüssig zu machen. Dazu gehören eine gute Fahrradinfrastruktur, ein guter und günstiger ÖPNV und neue Sharing-Modelle. Dann kann der Stadtraum wieder von den Autos an die Menschen umgewidmet werden.

Fahrradinfrastruktur
Fahrradfahren muss sicher, schnell, bequem und günstig sein. Dazu gehört die konsequente Umwidmung aller innenstädtischen Straßen zu Fahrradstraßen, auf denen Fahrräder, Roller, etc. Vorfahrt vor Autos haben. Wo das nicht möglich ist, muss alternativ ein Radweg angelegt werden. Zudem müssen Fahrradparkhäuser und Fahrradständer flächendeckend verfügbar sein. Fahrrad-Schnellwege sollen sowohl als Verkehrsachsen durch die Stadt als auch zwischen benachbarten Städten angelegt werden.
Fahrrad- und Roller-Sharing spielt in diesem Gesamtkonzept eine große Rolle und soll entsprechend verstärkt angeboten werden. Zudem sollen Unternehmen dazu angehalten und dabei unterstützt werden, ihren Mitarbeiter*innen „Job-Fahrräder“ für den Arbeitsweg zur Verfügung zu stellen. Die Stadtverwaltung und kommunale Unternehmen sollen dabei mit gutem Beispiel vorangehen.
Damit Radfahren sicherer wird, soll es für alle Altersgruppen zugeschnittene Trainings von kommunalen Radlehrer*innen geben. Bis eine konsequente Trennung von motorisiertem Verkehr und anderen Verkehrsteilnehmer*innen erreicht ist, müssen Autofahrer*innen besser für schnellere E-Fahrräder- und Roller im Straßenverkehr sensibilisiert werden. Der Bund sollte zur Umsetzung für jede Großstadt eigene planungstechnische Stellen finanzieren. Auch gemeindeübergreifend müssen Mittel für Radschnellwege drastisch erhöht und Planungshürden gesenkt werden. Dabei muss der Bund die Kommunen und Länder, u.A. im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans, unterstützen.

Der neue Verkehrsknoten vor der Haustüre
Das Stadtquartier als Lebensmittelpunkt sollen erste Anlaufstelle und Drehkreuz für urbane Mobilität werden. An einzurichtenden “Verkehrsknotenpunkten” in den Stadtquartieren kommen alle Mobilitäts-Arten zusammen: Leihfahrräder, e-Roller, ÖPNV, Miet-Lastenräder und Car-Sharing. Zwischen den Knotenpunkten der erschiedenen Quartiere soll es direkte ÖPNV-Verbindungen und Radschnellwege geben, so dass das Pendeln zwischen Subzentren einfacher wird. An diesen Knotenpunkten vor der Haustüre gibt es die Möglichkeit, eigene Fahrräder und Roller sicher abzustellen und auf andere Mobilitätsarten zu wechseln. Außerdem werden dort weitere Dienstleistungen wie Lagerboxen etc. angeboten. Zusammengefasst werden diese multimodalen Fortbewegungsmöglichkeiten mittels einer benutzer*innenfreundlichen App, die die Verfügbarkeit der Mobilitätsarten, die Busse, Straßenbahnen und Züge in Echtzeit abbildet.

Der öffentliche Nahverkehr der nächsten Generation
Nicht alle Menschen können Fahrrad oder Roller fahren; nicht alle Strecken können mit dem Rad zurückgelegt werden. Die zweite Säule der autofreien Innenstädte bildet ein gut ausgebauter, langfristig kostenloser und barrierefreier ÖPNV. Alle Bürger*innen erhalten ein Jahresticket für den Bus- und Bahnverkehr in ganz NRW für einen Euro pro Tag. Durch dieses 365er-Ticket kann im Solidarfinanzierungsmodell als Übergangslösung  eine ausreichende Grundfinanzierung des ÖPNV erreicht werden. Dieses Modell ist für uns dabei nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zum ticketlosen ÖPNV System, denn unsere Forderung schließt einen kostenlosen Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln ein.
Nicht nur in den Stadtzentren, auch in den Außenbezirken muss das Streckennetz deutlich ausgebaut werden und in deutlich höherer Taktung bedient werden. Bislang fehlende Verbindungen müssen neu geschaffen werden. Für wenig genutzte Routen werden Elektro-Kleinbusse eingesetzt, auch autonome Busse sind dafür denkbar. Innerstädtisch werden auf großen Straßen eigene Busspuren eingerichtet, um einen reibungsloseren Streckenablauf zu ermöglichen.
Auch in den Randstunden und vor allem nachts sollen alle Stadtgebiete mit Nachbussen und -Bahnen sicher erreichbar sein. Dafür braucht es einen deutlichen Ausbau des Nachbus-Angebotes.

Park statt parken
Große Anteile des öffentlichen Raumes in Städten werden derzeit für Parkplätze genutzt. Platz, der für Grünflächen, Außengastronomie oder als Spiel- und Aufenthaltsort genutzt werden könnte, wird für herumstehendes Metall verschwendet. In der autofreien Innenstadt wird dieser Raum an die Bürger*innen zurückgeben. Die Anzahl der Parkflächen wird massiv reduziert. Der freiwerdende Raum kann als Abstellfläche für Räder und Roller, für ÖPNV und Grünflächen genutzt werden. Wo Parkplätze nicht abgeschafft werden, wird das Auto-Parken deutlich verteuert, um Langzeitparken zu vermindern.
Durch die autofreie Innenstadt wird auch der lokale Einzelhandel nachhaltig gestärkt. Die wegfallende Parkplatzsuche, die Aufwertung des Einkaufs-Umfeldes durch weniger Verkehrslärm und neue Straßenraum-Nutzungskonzepte für den Einzelhandel bieten eine neue Chance für lokale Unternehmen.
In den Stadtrand-Gebieten werden Parkplätze für externe Pendler*innen und Besucher*innen eingerichtet, von denen aus über o.g. Mobilitätsknotenpunkte Möglichkeiten zur lokalen Weiterfahrt via einem vergünstigten ÖPNV- & Bike-Sharing-Angebot möglich ist.

Sharing is caring
Verkehrsmittel ergeben nur dann Sinn, wenn sie genutzt werden. Der Anteil der Nutzungsdauer kann deutlich erhöht werden, wenn die Mobilitätsmittel von vielen unterschiedlichen Menschen genutzt werden. Der Sharing-Gedanke ist daher Kernstück der autofreien Stadt. In der autofreien Stadt gibt es für Gruppen die Möglichkeit der Fahrgemeinschaften mit Kleinbussen. Diese können abends und am Wochenende von Privatpersonen mit ihrem Führerschein als ganz normales Car-Sharing Angebot genutzt werden.

Smart cities
Autofreie Städte sind schlaue Städte. Sie nutzen die Möglichkeiten von Digitalisierung und Vernetzung, um den Verkehr intelligent, vorrausschauend und nachfrageorientiert zu gestalten. Mittels Verkehrssensorik für Lärm und Luftqualität, den Straßenzustand, Parkmöglichkeiten und Straßenauslastung werden intelligente Routen und Mobilitätsmöglichkeiten aufeinander abgestimmt erarbeitet und angeboten. Durch smarte Ampelschaltungen werden Staus vermieden und dem ÖPNV der notwendige Vorrang gegenüber Autos eingeräumt. Durch datenschutzkonforme Verkehrserfassung und intelligente Auswertung der Daten können Angebot und Nachfrage verschiedener Mobilitätsformen kontinuierlich aufeinander abgestimmt und verbessert werden. Die Echtzeit-Daten zur aktuellen Verkehrslage und den zur Verfügung stehenden Mobilitätsarten werden auch in der bereits beschriebenen Mobilitäts-App genutzt, um die jeweils intelligenteste Fortbewegungsart für einen Wunsch-Weg anzubieten. Alle für eine intelligent geplante Route benötigten Verkehrsmittel können innerhalb der App mittels integriertem Buchungs-, Reservierungs- und Ticketing-System von den Nutzer*innen gebucht werden.
Alle erhobenen Daten aus Verkehssensorik werden im Sinne des Open Data-Gedanken offen zur freien Nutzung über ein zentrales Portal zur Verfügung gestellt.

Die Stadt kauft sich frei
Alle Schritte auf dem Weg zur autofreien Stadt kosten Geld. Diese Investitionen in zeitgemäße, zukunftsfähige und klimaschonende Städte sind Investitionen in lebenswerte Städte. Dafür ist eine deutliche Erhöhung der kommunalen Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur notwendig. Für die Finanzierung einer besseren Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur und einen günstigeren ÖPNV mit stärkerer Durchdringung soll eine empfindliche Steuer auf bestimmte private Kraftfahrzeuge erhoben werden, ähnlich wie z.B. in Dänemark. Diese soll die Sozialverträglichkeit berücksichtigen. Förderung für nachhaltigen Individualverkehr wie E-Bikes, E-Autos oder Wasserstoffautos muss vor allem auf Menschen mit niedrigem Einkommen ausgerichtet sein.