Mobilität sichern; verkehrspolitisch umdenken – neue Wege fahren!

1.1 Einleitung

Individuelle Mobilität nimmt in unserer Gesellschaft eine ebenso große Rolle ein, wie es die Mobilität von Kapital und Informationen tun. Unsere Gesellschaft ist weiterhin durch die Trennung von Arbeit und Privatem gekennzeichnet. Produktion und Reproduktion finden nicht mehr an einem Or t statt, so dass räumliche Distanzen überwunden werden müssen, damit das einzelne Individuum in einer Gesellschaft an mehreren Bereichen partizipieren kann. Mobilität trägt dabei überhaupt erst dazu bei, dass in unserer Gesellschaft anfallende Anforderungen und Aufgaben wahrgenommen werden können. Bei der heutigen Ausgestaltung der räumlichen Mobilität handelt es sich in der Regel um Mobilität i.S.d. „Personalisier ten Individual-Verkehr“ (PIV). Spätestens seit den 50er / 60 er Jahren, mit dem Aufkommen von Automobilen, die für jedermann zu bezahlen waren und mit der beginnenden Möglichkeit sich in (west) Europa nahezu frei zu bewegen, hat das eigene Auto nicht nur einen gewissen gesellschaftlichen Status für alle dargestellt, sondern einen tatsächlichen Gewinn an Lebensqualität ermöglicht. Dennoch gab es in der Vergangenheit bereits ein Hinterfragen dieser Entwicklungen. So wandte der Städtebau der BRD sich bereits in den 1970erJahren von dem Konzept der autogerechten Stadt ab, wodurch der PIV verstärkt aus den Innenstädten heraus gehalten werden soll. Seit dieser Zeit ist das Verkehrsaufgebot um rund 1130 % gewachsen und stößt vieleror ts an die Kapazitätsgrenzen der Verkehrsinfrastruktur. Laut der Studie „Mobilität in Deutschland 2002“, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Auftrag gegeben worden ist, werden im Alltagsverkehr in Deutschland täglich 270 Millionen Wege zurückgelegt, wobei das Auto als Verkehrsmittel mit 165 Millionen Wegen die größte Bedeutung hat. Im Vergleich dazu werden mit Bus oder Bahn täglich nur insgesamt 20 Millionen Wege zurückgelegt. Von den insgesamt zurückgelegten Wegen entfällt nur knapp ein Fünftel auf die Wege zu bzw. von der Arbeit, der weitaus größere Teil der Wege wird im Freizeitbereich, zur Erledigung privater Angelegenheiten und zur Begleitung anderer Personen zurückgelegt. Mobilität hat daher eine große soziale Komponente und dient der Inklusion in und der Partizipation an allen Bereichen der Gesellschaft.
Wir verstehen dabei Mobilität nicht als reine Raumüberwindung, also der Zahl an zurückgelegten Kilometern, sondern als Möglichkeit seinen Lebensraum nutzen, erleben und in ihm, in der Gesellschaft, partizipieren zu können. Hieraus wird deutlich, dass der Mobilität eine wichtige soziale Komponente zu Teil wird. Für uns Jusos ist es daher vor allem Aufgabe des Staates, Mobilität für alle Menschen, unabhängig von ihrem Wohnort, ihrem Geldbeutel und ihrer individuellen Alltagsgestaltung, zu gewährleisten. Die (noch nicht beendete) rasante Steigerung der Energiepreise bei gleichzeitiger Stagnation der Realeinkommen und die zunehmende Realisierung der Umweltschäden durch den PIV stellen uns Jusos vor die Frage, wie wir in Zukunft Mobilität für alle Bürger realisieren wollen. Mobilität umfasst natürlich mehr als die Fortbewegung mit Fahrzeugen; zusätzliche Fortbewegungsmöglichkeiten, wie das Fahrrad oder die gemeinschaftliche Nutzung privater Verkehrsmittel, müssen in einem nachhaltigen, ganzheitlichen Mobilitätskonzept zusammengefasst werden. In diesem soll der ÖPNV die entscheidende Rolle spielen.

1.1.1 Die Kosten der Mobilität

Mobilität hat ihren Preis. Zu Anschauungszwecken werden die Kosten in drei Bereiche eingeteilt, 1. die Kosten für die öffentliche Hand, 2. die individuellen Kosten für die Teilnahme am Verkehr, 3. die externen Kosten, welche nicht in 1. und 2. berücksichtigt wurden. Die Aufzählungen sind beispielhaft und nicht abschließend.

1.1.2 Kosten der öffentlichen Hand

Ohne an dieser Stelle mit Zahlen jonglieren zu wollen, sei vor allem auf folgende Kosten verwiesen: die Verkehrsinfrastruktur, also Straßen, Lichtanlagen, Brücken, Tunnel etc. verschlingt große Summen des staatlichen Haushaltes. Mit zunehmen- der Verkehrsauslastung nehmen diese Kosten zu. Ebenso entstehen Kosten für die Verkehrsüberwachung (bsp. Polizei) und die Verkehrssicherung (bsp. TÜV, aber auch Verkehrsplanung etc).

1.1.3 Kosten für das Individuum

Für die Teilnahme am IPV ist ein Kraftfahrzeug notwendig, hierfür entstehen Anschaffungskosten. Der Unterhalt eines PKW wird momentan mit durchschnittlich 400 Euro im Monat angegeben (Versicherung, Steuern, Wartung, etc). Hinzu kommen die Kraftstoffkosten.

Externe Kosten

Diese stellen die größten Kosten und das größte Problem des PIV dar. Während alle Kosten unter 1.1 und 1.2 als notwendig angesehen werden können, finden wir bei den externen Kosten viele unnötige, die Darstellung stark verzerrende Kosten. Zum einen findet sich hier einer der größten Posten, die Umweltbelastung. Würden alle Kosten, die aufgrund der Umweltbelastung durch die Herstellung von Fahrzeugen und Infrastruktur entstehen, und zusätzlich noch die Kosten durch die Energiegewinnung (also noch nicht mal den Verbrauch) berücksichtigt werden, wäre der IPV für das Individuum wahrscheinlich gar nicht mehr zu finanzieren. Diese Kosten entstehen jedoch unweigerlich und sie werden auch in unterschiedlichen Maßen von der Bevölkerung (global) getragen. Hier stellt sich die Frage nach der Verteilung der Kosten. Wir Jusos fordern eine stärkere, zweckgebundene Umlage von externen Kosten in ihrer genauen Entsprechung auf den Verursacher/ die Verursacherin. Dort, wo die Umlage externen Kosten keine Lenkungsfunktion zur Minderung externer Kosten einnimmt, fordern wir die Einführung von anderen, angemessenen Steuerungsinstrumenten. Neben den externen Kosten durch die Umweltbelastung kommen externe Kosten durch die Verkehrsnutzung hinzu. Vor allem Staus verursachen jährlich Volkswirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe. Im urbanen Raum beeinträchtigen zudem Lärm und Abgase, die durch den PIV entstehen, die Lebensqualität massiv. Schliesslich muss auch die Gefahr für Leib und Leben betrachtet werden- im Straßenverkehr sterben jährlich rund 5000 Menschen, die Zahl der Verletzten übersteigt diese noch.

2 Die Finanzierung

Der Staat finanzier t seine Ausgaben für den IPV durch verschiedene Steuern und Abgaben. Die wichtigsten hierbei sind die Mineralölsteuer und die KFZ Steuer. Diese Belastungen sind jedoch nicht gleich ver teilt. Die Mineralölsteuer wird pauschal auf den Liter Sprit aufgeschlagen, ist also linear an den Verbrauch gekoppelt. Dadurch zahlen Einkommenschwache wie -Starke den gleichen „Steuersatz“. Bei der KFZ-Steuer wird über eine Hubraum- und Schadstoffabhängige Besteuerung versucht, einen Teil der externen Kosten zu internalisieren. Dies klappt aber nur begrenzt, wie beispielsweise die hohe Beliebtheit von SUVs aufgrund der niedrigen Besteuerung gezeigt hat. Schlussendlich sind die Einnahmen (wie bei allen Steuern) nicht zweckgebunden, kommen also nicht unbedingt dem Ausbau von Mobilitäts-Infrastruktur zugute (was wir an dieser Stelle auch ausdrücklich nicht fordern). Außerdem besteht die Gefahr, dass umweltschonendes Autofahren immer mehr zu einem Luxusgut wird. Dort, wo kurz- und mittelfristig das Auto noch immer unabdingbar sein wird, um Mobilität zu realisieren, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass umweltschonendes Fahren nicht nur Einkommensstarken möglich ist und damit zu einem Statussymbol heranreift. Die staatliche unterstütze Nachrüstung, wie beispielsweise bei Rußpartikelfiltern, reicht hier nicht aus. BesitzerInnen von Autos, die hohe externe Kosten verursachen, müssen diese auch stärker tragen als BesitzerInnen umweltschonender Fahrzeuge. Schon bei der Anschaffung muss ein Anreiz dahingehend gesetzt werden, das umweltschonendere Auto zu erwerben, so dass auch die Automobilindustrie stärker als bisher gezwungen ist, kostengünstig umweltschonendere Fahrzeuge zu entwickeln und allgemein zugänglich zu machen. Letztendlich ist der Staat auch Teilhaber an den verschiedensten Autoherstellern, jedoch ist es bis heute nicht gelungen diese zu einem wirklichen Umdenken in der Automobilherstellung zu bringen. Angesichts der auftretenden Kosten müssen wir uns jedoch durchaus die Frage stellen, ob individuelle Mobilität in unserer heutigen Form überhaupt noch (für das Individuum und die Gesellschaft) sinnvoll bezahlbar ist. Und falls nicht, stellt sich die Frage, ob wir überhaupt von tatsächlicher Mobilität sprechen sollten.

3 ÖPNV – DIE Alternative zum PIV

Mobilität wird in ihrem Standard stets am IPV gemessen. Eine wirkliche Alternative zum IPV stellt heute vor allem der ÖPNV dar, mit eventuellen kurz- und mittelfristigen Alternativen durch nahverkehrliche Mitfahrzentralen und Car-Sharing. Fraglich ist, ob der ÖPNV als Alternative zum IPV weniger kostenintensiv (für Individuum und Gesellschaft) ist und ob dieser in der Lage wäre, umfassende Mobilität zu garantieren. Entscheidender Vor teil des ÖPNV ist, dass dieser nicht nur Personen mit Führerschein, Fahrtüchtigkeit und Zugriff auf einen PKW zur Verfügung steht, sondern grundsätzlich allen.

3.1 ÖPNV ist und bleibt eine Aufgabe der Daseinsvorsorge

Wer jedoch finanziert den ÖPNV und gestaltet ihn als wirkliche Alternative zum PIV? Nach dem Regionalisierungsgesetz ist „[…] die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr […]eine Aufgabe der Daseinsvorsorge“. Bis auf das Landesgesetz zum ÖPNV in Mecklenburg-Vor pommern, wird der Begriffe der Daseinsvorsorge im Bezug auf den ÖPNV in allen Gesetzen der Bundesländer ausdrücklich genannt. In Baden- Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig- Holstein gehört die Bereitstellung des ÖPNV jedoch (nur) zu den freiwilligen Aufgaben im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung. Doch wie definiert sich eine „ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen“? Anhaltspunkte hierfür sind in dem Begriff der Daseinsvorsorge enthalten: Es existieren verschiedene Definitionen von Daseinsvorsorge, die zumeist folgende Elemente enthalten: a) den gleichberechtigten, diskriminierungsfreien Zugang aller Bürgerinnen und Bürger, b) ein flächendeckendes, an qualitativen Standards orientiertes, dauerhaftes und verlässliches Angebot zu angemessenen Preisen sowie c) die demokratische Kontrolle und öffentliche Verantwor tung. Dabei können Leistungen wir tschaftlicher wie nicht-wirtschaftlicher Arterbracht werden. In welcher Handlungsform „Staat“ öffentliche Aufgaben organisier t, ist offen, solange sie sich an den genannten Kriterien ausrichtet.

3.1.1 Finanzierung des ÖPNV

Am ÖPNV zeigt sich deutlich der Wandel vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat. Der ÖPNV wird zwar häufig noch als kommunaler Eigenbetrieb organisiert, doch vielerorts bestellt die Kommune bereits nur noch eine Leistung wie den ÖPNV und ein privates Unternehmen erbringt diese dann. Der ÖPNV arbeitet zu ca. 70 % gewinndeckend, im ländlichen Raum ist dieser Prozentsatz jedoch weitaus geringer. Insbesondere private AnbieterInnen sehen sich häufig vor der Aufgabe, dem Anspruch hohe Gewinne zu erwirtschaften gerecht zu werden und gleichzeitig ihren, am Gemeinwohl orientierten Aufgaben, wie dem Ausbau und der War tung von Schienen und Verkehrswegen nachzukommen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass dieser Zwiespalt häufig zu Lasten von Fahrgästen und Mobilität gelöst worden ist. Doch auch Kommunen sparen mit dem Argument der leeren Kassen immer mehr ein. Hinzu kommt der Druck von der EU-Ebene, die eine größere Eigenwirtschaftlichkeit des ÖPNV verlangt. Bisher wurde die Eigenwirtschaftlichkeit in gewissen Maßen durch eine Querfinanzierung gewährleistet. Die Einnahmen aus stark frequentierten Linien und Strecken wurden mit den Defiziten aus weniger stark frequentierten Linien und Strecken verrechnet. Eine Vergabe von Aufträgen oder ein Verkauf von Konzessionen allein für die lukrativeren Linien würde dem Prinzip folgen, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Dieser Weg ist falsch. Er ist für die Zukunft des ÖPNV eine Gefahr, weil er für die kommunalen Aufgabenträger die ohnehin schwierige Finanzierungssituation des ÖPNV noch verschärft. Ebenso falsch ist es, Kosteneinsparungen über Lohndumping zu betreiben. Selbst kommunale Unternehmen haben mittlerweile Tochterunternehmen gegründet, um darüber die Löhne und Gehälter zu drücken. Qualitativ hochwertiger und damit attraktiver Nahverkehr braucht aber motivierte Beschäftigte. Deshalb gilt auch für den ÖPNV: Guter Lohn für gute Arbeit. Und das heißt für die Aufgabenträger, soziale Standards für die Beschäftigten von den Verkehrsunternehmen einzufordern.“ Für uns Jusos ist klar, dass Eigenwirtschaftlichkeit nicht das entscheidende Kriterium sein darf! Weder müssen Beförderungsentgelte zwingend so hoch sein, dass sie kostendeckend sind, noch dürfen wenig gewinnbringende Strecken und Linien eingespar t werden. Im Bereich der Mobilität und des ÖPNV darf es nicht nur darum gehen, ein gewinnbringendes Verkehransgebot zu schaffen, sondern auch dort Mobilität zu gewährleisten, wo sie auf den ersten Blick nicht rentabel ist.

3.1.2 Daher fordern wir:

Grundsätzlich müssen die einzelnen Bundesländer und Kommunen Lösungen finden, wie sie einen ÖPNV organisieren, der Mobilität für alle gewährleistet. Doch zur grundsätzlich Finanzierung des ÖPNV fordern wir Jusos:
• die wichtigste Säule der Finanzierung des ÖPNV müssen Steuern und andere staatliche Abgaben bilden,
• darüber hinaus fordern wir eine stärkere Umlegung der externen Kosten, die durch den PIV entstehen, auf die Verursacherinnen und Verursacher, die vor allem in den Ausbau von Mobilität i.S.d. ÖPNV investiert werden muss,
• die Einführung einer Nahverkehrsabgabe von Unternehmen, die zweckgebunden in den ÖPNV investiert werden muss, ähnlich dem französischen Vorbild des „Versement transport“. Unternehmen profitieren vom ÖPNV dadurch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dank des ÖPNV zur Arbeit anreisen können und ggf. auch Kundinnen und Kunden den Weg zu dem Unternehmen finden können. In Frankreich ist der „Versement transport“ von allen ArbeitgeberInnen mit mehr als neun Beschäftigten zu zahlen und beträgt zwischen rund einem und zwei Prozent der Lohnsumme.

3.1.3 Mobilität für alle gewährleisten! – Attraktivitätssteigerung des ÖPNV

Eines der Hauptprobleme des ÖPNV ist sein schlechtes Image. Häufig ist er besser als sein Ruf. Dennoch sind verschiedene Maßnahmen nötig, um die allgemeine Zugänglichkeit zu gewährleisten und der ÖPNV damit eine wirkliche Alternative zum PIV darstellen kann. Wichtig hierfür sind klare Anforderung, die wir als Jusos an individuelle Mobilität stellen. Als Kriterien kommen für uns vor allem in Frage: die Erreichbarkeit, die Transportmöglichkeiten und die Kosten (nach allen drei oben genannten Punkten). Um diese Kriterien zu erfüllen, bedarf es Veränderungen bei der konkreten Ausgestaltung des ÖPNV, die wir jedoch nur bundesweit gültig in Ansätzen umreißen können.

4 Anforderungen an ÖPNV

4.1 Erreichbarkeit

Hier muss zuerst eine Unterscheidung nach urbanen und ländlichen Räumen gemacht werden. Grundsätzlich verursacht der IPV die meisten Kosten und Probleme in dicht besiedelten urbanen Räumen. Hier sind neue Lösungen notwendig. Die Erreichbarkeit des individuellen Fahrzeugs scheint klar : Bestenfalls steht es vor der Tür und wartet auf Nutzung. Jedoch ist auch dieses beileibe nicht immer der Fall- die Parkplatzsituation in vielen Städten zwingt häufig AnwohnerInnen zur Nutzung von Parkhäusern. Das ist mitweiteren Kosten verbunden und schränkt die Erreichbarkeit ein. Beim ÖPNV ist es anders- hier muss sich ein Fahrender/ eine Fahrende zu einer bestimmten Zeit an einer Haltestelle (oder Bahnhof) befinden. Dabei spielen zwei Wer te eine entscheidende Rolle: der Weg zur Haltestelle und die Ausgestaltung dieser sowie die Taktung des Verkehrs. Bei entsprechender Nähe und Taktung kann die Erreichbarkeit von IPV und ÖPNV annähernd gleich sein. Gleiches gilt natürlich auch bei der Ankunft.

4.1.1 Gender und ÖPNV

Die Mobilitätsbedürfnisse von Personen werden durch ihre jeweiligen Lebenssituation mit den daraus resultierenden Anforderungen geprägt. ÖPNV, der die Mobilität aller Menschen gewährleisten will, muss sich an den Bedürfnissen aller Geschlechter orientieren. Auf Grund der gesellschaftlichen Rollenverteilung unterscheiden sich die Mobilitätsbedürfnisse zwischen Männern und Frauen häufig gravierend. Noch immer arbeiten Frauen vermehrt in Teilzeitberufen und leisten einen Großteil der Reproduktionsarbeit Damit sind sie häufig vor andere Aufgaben, und damit verbunden auch vor andere Streckenbewältigungen, als viele Männer gestellt. Während vor allem Männer in der „klassischen Aufgabenverteilung“ den ÖPNV nutzen, um weite Strecken auf direktem Wege, beispielsweise von der Haustür zur Arbeit in der nächstgelegenen Stadt, zurückzulegen, kombinieren Frauen häufig Wege und Aufgaben miteinander. Daraus resultieren ganz andere Ansprüche an den ÖPNV, denen Rechnung getragen werden muss, insbesondere dann, wenn bedacht wird, dass zum einen Frauen insgesamt die Hauptnutzerinnen des ÖPNV sind und zum anderen diese Wege – wie einleitend erwähnt- den Großteil der täglich zurückgelegten Wege ausmachen. Dadurch dass der ÖPNV sich jedoch vor allem an dem Ideal des vollzeitbeschäftigten Mannes orientiert, dies wird unter anderem deutlich an der Taktung der Verkehrsmittel und dem Ausbau der Schnellfahrstrecken, entstehen Mobilitätszwänge. Der ÖPNV genügt nicht den alltagsweltlichen Ansprüchen und wird daher, sofern es finanziell leistbar ist, vermehrt von Frauen durch den PIV ersetzt. Die direkte Konkurrenz von ÖPNV und PIV zeigt sich auch hier deutlich. Wie oben aufgezeigt, ist die individuelle Mobilität in der heutigen Form, die vor allem durch den Einsatz von Autos bestimmt ist, für das Individuum ebenso wie für die Gesamtgesellschaft, eigentlich kaum noch bezahlbar und sinnvoll. Daher muss alles dafür getan werden, dass der ÖPNV eine ernsthafte Alternative zum Auto darstellt und durch ihn die vollständige Mobilität aller Menschen mit ihren verschiedensten Bedürfnissen gewährleistet wird. Unterschiedlichen Bedürfnisse, Geschwindigkeiten und Zeitrhythmen dürfen jedoch nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern müssen in einem Verkehrssystem berücksichtigt und integriert werden.

4.1.2 Daher fordern wir hier:
• der generelle Ausbau des ÖPNV, so dass der ÖPNV für alle und in angemessenen Abständen erreichbar ist,
• der weitere Ausbau, der am Arbeitsleben orientierten, Schnell- und Expressstrecken,
• eine stärkere Erschließung des Nahraumes, im urbanen Raum beispielsweise durch den Ausbau von Stadtteilbussen,
• eine vorausschauende Stadtplanung, die Verkehrsnetze und die Gewährleistung von Mobilität im Blick hat,
• eine auch am Freizeit- und Reproduktionsalltag orientierte Linien- und Streckenführung der Verkehrsmittel,
• eine Überprüfung und Änderung der Taktung der Verkehrsmittel, so dass sich diese nicht nur an dem Ideal der 40-Stunden-Woche orientiert und das Umsteigen von einem Verkehrsmittel in ein anderes ohne längere Wartezeiten möglich ist,
• eine Überprüfung und ggf. Veränderung der Verortung von Haltestellen, so dass mit ihnen leichter Ziele des Freizeit- und Reproduktionsalltags erreicht werden können,
• einen verstärkten Ausbau des Nachtverkehrs. Mobilität muss weitgehend Tageszeiten unabhängig realisiert werden können. So müssen beispielsweise auch nachts Ziele der Freizeitgestaltung durch den ÖPNV angemessen erreicht werden können. Aber auch das Erreichen anderer Ziele muss zu Fahrgast-schwächeren Zeiten gewährleistet werden. Beispielsweise durch den Einsatz von Kleinbussen, die, durch ihren geringeren Benzinverbrauch, auch häufiger und zwischen den Taktzeiten der anderen Verkehrsmittel eingesetzt werden können oder durch den Einsatz von Sammeltaxen im Nachtverkehr, die stets zu einer bestimmten Zeit, jedoch nur auf Bedarf fahren, ist ein flexibleres, schnelleres und sichereres Fortkommen auch nachts, früh morgens und feiertags möglich.

4.2 Transportmöglichkeiten

Hier kommt es sehr auf die Spontanität an. Grundsätzlich ist der Transport (von Gütern und Personen) durch den ÖPNV kostengünstiger und schneller. Bei kleinen und vor allem: spontanen Transpor ten (bsp. Einkauf) ist der Transpor t durch den IPV jedoch komfortabler. ÖPNV sollte sich daher immer am Komfortanspruch des IPV orientieren. Hier spielt die Erreichbarkeit die entscheidende Rolle. Haltestellen müssen so angelegt werden, dass beispielsweise der Weg zwischen Supermarkt, der Haustür und der Haltestelle gut für alle Menschen zu meistern ist. Gleichzeitig muss hier der Grundsatz der „Stadt der kleinen Wege“ berücksichtigt werden. So muss auch durch die Streckenführung der Verkehrsmittel von vornherein ein einfaches, unkompliziertes Umsteigen ohne lange Wartezeiten ermöglicht werden. Dazu kommt, dass Fahrzeuge und Haltestellen für alle Menschen erreichbar und nutzbar sein müssen. Haltestellen und Fahrzeuge müssen daher barrierefrei gestaltet sein.

4.2.1 Daher fordern wir hier:
• den vermehrten Einsatz von Niedrigflurbussen,
• die Ausstattung aller S- und U-Bahnhöfe mit Fahrstühlen,
• den Einsatz von Verkehrsmitteln, die genug Stauraum für Einkäufe, Kinderwagen usw. bieten,
Zusätzlich neben dem Zugang zu Verkehrsmitteln und Haltestellen müssen diese dem Sicherheitsempfinden der fahrenden Personen genüge leisten. Abgelegene oder einsame und schlecht beleuchtete Haltestellen, weite Wege zwischen Haustür und Haltestelle sowie als einsam empfundene Haltestellen mindern die Attraktivität des ÖPNV. Insbesondere im Nachtverkehr, sofern er denn angeboten wird, wird der ÖPNV häufig als unsicher und unkomfor tabel empfunden. Hier muss im ländlichen Raum, vor allem durch geschulte FahrerInnen, die Übergriffe und Belästigungen als solche erkennen und im Zweifelsfall eingreifen können und durch den Einsatz von qualifiziertem Wachpersonal (auf U- und S-Bahnhöfen) Abhilfe geschaffen werden. Des Weiteren kann hier ein vielfältiger und Varianten reich ausgestalteter ÖPNV, der aus Bahnen, Bussen, Sammeltaxen usw. besteht, Abhilfe schaffen und das subjektive Sicherheitsempfinden stärken.

5 Kosten des ÖPNV

Bei den Kosten gibt es erhebliche Unterschiede zum PIV. Zwar sieht es bei den öffentlichen Kosten (fast) ähnlich aus- auch hier muss eine Infrastruktur angeboten werden (unabhängig, ob sie jetzt teurer oder billiger wäre), diese muss überwacht und gesichert werden. Beim Schienenverkehr sind die Kosten für die Infrastruktur des PIV geringer, dahingegen reduzieren sich die Kosten für die Verkehrsüberwachung beim ÖPNV stark. Entscheidend sind jedoch die Individuellen Kosten- sie reduzieren sich auf eine Fahrkarte. Vor allem die Anschaffungskosten fallen weg, nicht unbeachtlich ist auch der Wegfall persönlicher Risiken im Straßenverkehr. Bei den externen Kosten haben wir bei der Umweltbelastung teilweise gleiche Probleme, jedoch ist der Transport von Gütern und Menschen durch den ÖPNV wesentlich energieeffizienter, dadurch reduzieren sich die externen Kosten erheblich. Dazu kommt der bessere Verkehrsdurchsatz- während man im Berufsverkehr regelmäßig im Stau steht, kann einem beim ÖPNV schlimmstenfalls eine Verspätung zusätzliche Kosten verursachen. Der Vorzug des ÖPNVs gegenüber des IPV ist daher langfristig kostengünstiger und ein zwingender Baustein eines umwelt- und sozialver träglichen Verkehrssystems. Um den Vorsprung des ÖPNV hier jedoch zu gewährleisten, sind weitere technische und organisatorische Verbesserungen zu fördern und zu realisieren. ÖPNV kann also in vielen Bereichen den IPV ersetzten. Hinsichtlich der Kosten ist es sowieso nicht sicher, ob wir z.Zt. noch von unbegrenzter Mobilität sprechen können. Zwar ist fraglich, ob sich eine Gesellschaft von „ihren“ Autos trennen will, jedoch haben ebenso viele Leute begriffen, dass sie auch ohne Auto mobil sein können; langfristig sogar mobiler.

6 Die Zukunft – neue Urbanität

Der Ausbau und die Optimierung des ÖPNV können aber bei der Debatte um eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik in den Städten nur die Spitze des Eisberges darstellen. Die Umsetzung der Mobilität für alle ist eine übergreifende Aufgabe, die auch die Stadtplanung und Raumordnung mit einbeziehen muss. So muss auf langer Sicht das Konzept der Städte mit verändert werden. Verkehrsvermeindende Siedlungsstrukturen wurden bereits auf der HABITAT II-Konferenz der Vereinten Nationen im Juni 1996 gefordert. Die Zersiedelung des Raumes und die fortschreitenden Suburbanisierungsprozesse machen die Mobilität immer schwerer umsetzbar, sodass man das Auflösen der Stadtstrukturen, auch im Hinblick auf die Umsetzbarkeit öffentlicher Daseinsvorsorge, entgegenwirken muss. Es muss eine Abkehr erfolgen von Versorgungseinrichtungen auf der „grünen Wiese“, wie sie im Besonderen in den neuen Bundesländern erfolgen bzw. erfolgt sind. Städte müssen zudem vermehrt das bereits angesprochene Konzept „Stadt der kurzen Wege“ verfolgen, die eine Nutzungsmischung in den Quartieren einbezieht. Hierdurch können Konzentrationen des Verkehrs auf Tageszeiten und Richtungen entgegen gewirkt werden.