Digitalisierung feministisch denken!

Digitalisierung feministisch denken!

Digitale Themen füllen heute Zeitungen, Diskussionen und Wahlprogramme. Der digitale Wandel umfasst eine Vielzahl an Veränderungen, die auf der breiten Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in Gesellschaft und Wirtschaft beruhen. Er strukturiert das Politische und Soziale neu.
Es ist wichtig, darüber zu diskutieren, wie und wo genau sich Digitalisierung auswirken wird und wie wir damit in Zukunft leben wollen. Ein blinder Fleck sind dabei jedoch zumeist die Geschlechteraspekte des Wandels. Wir müssen uns fragen, welche neuen Herausforderungen für die Gleichstellung der Geschlechter entstehen werden und welche Chancen sich auf der anderen Seite für diese auftun. Wie können wir jene Chancen nutzen und mit den Herausforderungen umgehen? Sicher ist nur, dass die spezifischen Interessen von Frauen* in puncto Digitalisierung bisher kaum diskutiert werden und das gilt es zu ändern. Es ist Zeit, Digitalisierung feministisch zu denken.
Frauen* in Internet und digitalen Medien
Neue digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie wir lernen und kommunizieren. Politischer Aktivismus sieht heute wesentlich anders aus, als noch vor 50 Jahren. Die Digitalisierung hat neue Möglichkeiten des Handelns und Gestaltens eröffnet, von denen auch feministische Politik profitiert hat. Soziale Medien bieten neue Räume grenzübergreifender Vernetzung, Mobilisierung und Organisation. Das Empowerment von Frauen* findet online wie offline statt, Blogs wie auch Onlinemagazine machen Wissen und Debatten öffentlich zugänglich. Internetseiten wie speakerinnen.org[1] sind dabei ein gutes Beispiel dafür, wie die Sichtbarkeit von Frauen* mithilfe des world wide web gestärkt werden kann.
Mit #aufschrei und #ausnahmslos haben wir feministische Netzbewegungen erlebt, die eine enorme mediale Reichweite und Aufmerksamkeit zur Folge hatten. Sie stellen einen Erfolg darin dar, eine „Gegenöffentlichkeit“ zu schaffen, einen Raum für feministische Debatten, die ansonsten oftmals nicht geführt werden würden, zu erkämpfen.
Ebenso wie das Internet eine Plattform für feministischen Aktivismus bietet, ist es ein Ort der Konfrontationen. Auch maskulinistische, antifeministische Bewegungen erkennen darin einen Raum für das eigene politische Handeln.
Übergriffe im Netz und gewaltförmige Sprache, sogenannte „Hate Speech“, gehören leider ebenfalls zum Alltag von politisch Aktiven und insbesondere von politisch aktiven Frauen*, die sich feministisch äußern. Diese Art und Weise von Übergriffigkeit, die verschiedenen Formen von (sexualisierter) Gewalt dürfen auch im Netz keinen Raum haben.
Das Digitale ist außerdem nicht frei von Geschlechterkonstruktionen. Im Netz und in digitalen Medien werden Geschlechterstereotype, die längst in die Tonne gehören, nicht bloß fortgeschrieben, sondern erfahren häufig eine besondere Intensivierung. Ein treffendes Beispiel stellt die überwiegende Mehrheit der Computer- und Konsolenspiele dar. Meist werden hier keine neuen Welten angeboten, sondern bestehende geschlechtsspezifische Ungleichverhältnisse reproduziert und verfestigt. Weibliche Charaktere in Spielen folgen zwar unterschiedlichen Mustern, aber doch immer wieder den gleichen Rollen: sie werden gerettet, sind nicht spielbar oder sie sind stark sexualisiert und erfüllen die sexistischen Rollenerwartungen die männliche Spieler häufig vorgeben. Frauen in der Gamingindustrie arbeiten häufig in den spieleunabhängigen Bereichen. So werden Frauen in Spielen von Männern gedacht, entwickelt und zum Leben erweckt. Videospiele sind eine Kunst- und Unterhaltungsform die das Rollenverständnis in der Gesellschaft wiederspiegelt. Dass 2015 erstmals auch mit weiblichen Figuren bei FIFA Tore geschossen werden konnten, zeigt, dass hier mittlerweile eine gewisse Sensibilität anzutreffen ist. Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gaming Branche, also die Industrie, die Fachpresse und nicht zuletzt die Community, ein massives Sexismusproblem haben. Für die Sichtbarkeit von Frauen* jenseits von verkrusteten Stereotypen und absurden Körperidealen muss auch in der digitalen Welt eingetreten werden. Im Zuge des Fortschritts im Bereich des „Machine Learnings“ werden immer mehr Daten in Algorithmen eingespeist. Die Selektion dieser soll, soweit diese Menschenbezogen sind und in einem öffentlichen oder öffentlich finanzierten Kontext eingesetzt werden, keine diskriminierenden Inhalte enthalten, damit diese im Nachhinein nicht durch den Algorithmus zurückgegeben werden können und so Stereotypen und Rollenbilder fördern. Des Weiteren muss das sogenannte „Overlearning“ verhindert werden, da dies sonst dazu führt, dass Algorithmen, die Muster, die sie suchen, sonst überall erkennen.
Digitalisierung und Vereinbarkeit
Arbeit und Industrie 4.0. sind Begriffe, die seit Jahren in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft diskutiert werden. Dahinter steckt der grundlegende Wandel der Arbeitswelt durch zunehmend digitalisierte und vernetzte Produktionsabläufe. Dieser Wandel eröffnet neue Risiken wie auch Gestaltungschancen.
Wir wissen, dass strukturelle geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt bestehen. Wir wissen und kämpfen dagegen, dass Frauen* schlechter bezahlt werden und weiblich dominierte Branchen häufig unter einer (finanziellen) Abwertung leiden. Auch die ungleiche Verteilung von Reproduktionsarbeit und Erwerbstätigkeit zwischen den Geschlechtern trifft verstärkt Frauen*. Sie sind es, die Carearbeit zum Großteil ausüben und dabei nicht finanziell entlohnt werden. Frauen*, die gleichzeitig erwerbstätig sein und Carearbeit ausüben oder gerne ausüben würden, leiden meist unter erheblichen Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Technische Innovationen wie mobile Geräte und Netzausbau bieten Arbeitnehmer*innen die Chance, familiäre Belange und individuelle Bedürfnisse mit ihrem Berufsleben besser abzustimmen. Gleichzeitig erleichtern Automatisierungen gewisse Arbeitsabläufe bei der Carearbeit. Durch die räumliche Dezentralisierung, der Möglichkeit mobilen Arbeitens und mehr Flexibilität bei der Ausübung von Arbeit kann die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie verbessert werden. Beispielsweise durch die Möglichkeit des Arbeitens im „Homeoffice“ lassen sich Erwerbstätigkeit und Familie unter einen Hut, sogar unter ein Dach bringen. Hier gilt es aber aufzupassen, dass die zunehmende Flexibilisierung nicht zur Manifestation der ungleichen Verteilung von Care-Arbeit führt. Nur weil es möglicherweise einfacher wird, Erwerbsarbeit und Care-Arbeit zu vereinbaren, ist es nicht hinnehmbar, dass Frauen* dadurch einer erhöhten Belastung ausgesetzt sind. Gleichstellung bedeutet für uns nicht, dass Frauen* neben der Familie auch noch arbeiten können, sondern dass alle Menschen den gleichen Zugang zu Erwerbsarbeit haben und Care-Arbeit gerecht verteilt und wertgeschätzt wird
Zu beachten ist aber, dass nicht jeder Beruf zeitlich oder örtlich flexibel ausgeübt werden kann. Wenn dies aber möglich ist, muss diese Flexibilität von den Arbeitgeber*innen zunächst ermöglicht werden. Wir brauchen arbeitnehmer*innenfreundliche und praktikable Alternativen zum „Präsenzdenken“, also zur Annahme, Arbeit sei nur anhand der Anwesenheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz messbar.
Es darf jedoch nicht zu einer zeitlichen und räumlichen „Entgrenzung“ von Arbeit kommen, also zu einer ständigen Erreichbarkeit und Einsatzbereitschaft während der Freizeit, die die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verwischen lassen. Gerade für das Homeoffice müssen also Regeln getroffen werden, die verhindern, dass Arbeitnehmer*innen gänzlich ausgebeutet und Ruhezeiten dagegen eingehalten werden. Die Möglichkeiten des „Home Office“ entbinden den*die Arbeitgeber*in nicht von der Verpflichtung, dem*der Arbeitnehmer*in eine Arbeitsstätte zur Verfügung zu stellen. Weiterhin muss dem Ideal des männlichen Beschäftigten in Vollzeit ohne Verpflichtungen außer jenen am Arbeitsplatz entgegengewirkt und weibliche Rollenbilder gestärkt werden.
Digitalisierung und Prekarisierung
Der digitale Wandel bringt weitere gleichstellungspolitische Herausforderungen mit sich: Es ist absehbar, dass durch die Veränderungen in der Arbeitswelt die Nachfrage nach Arbeitskraft zum Teil sinken und bestimmte Branchen Rationalisierungen erleben werden, während neue Arbeitsformen und Berufe entstehen. Darüber, wie und wo genau in welchem Maße diese Prozesse stattfinden werden, lässt sich nur spekulieren.
Nichtsdestotrotz kann davon ausgegangen werden, dass Arbeitsplätze, vor allem solche mit einfachen, reproduzierbaren Aufgaben, die in kürzerer Zeit und mit weniger Aufwand durch technische Vorgänge erledigt werden können, wegfallen können. Es lässt sich von Berufen sprechen, die stärker von Automatisierung und Rationalisierung bedroht sind. Dies gilt beispielsweise für Tätigkeiten in Bankfilialen und im Einzelhandel, die mehrheitlich von Frauen* ausgeübt werden. Die Einkommenslücke zwischen Männern* und Frauen* könnte durch die Digitalisierung also künftig noch größer werden.
Auf der anderen Seite werden infolge der Neustrukturierung der Arbeitswelt voraussichtlich insbesondere im Bereich der Qualifizierten und Hochqualifizierten neue Tätigkeitsfelder entstehen. Diese bringen jedoch schnellerwechselnde Qualifikationsanforderungen mit sich. Qualifikationen, die Frauen* aus gefährdeten Berufsfeldern oftmals nicht aufbieten können, da ihnen schlichtweg die finanziellen und zeitlichen Ressourcen hierzu fehlen. Dieses Problem könnte sich bei Frauen durch die durchschnittlich höhere Belastung mit außerberuflicher Carearbeit nochmals verschärfen. Gerade den in Teilzeit arbeitenden Frauen* wird der Wiedereinstieg in eine Vollzeitstelle erschwert, sodass sie an beruflicher Erfahrung einbüßen. Der erhöhte Anpassungsbedarf durch berufliche Qualifikationen und Weiterbildung stellt ein insbesondere für geringqualifizierte und geringverdienende Frauen* erhöhtes Rationalisierungsrisiko dar.
Durch die Digitalisierung werden demnach geschlechtsspezifische Verteilungseffekte ausgelöst. Wahrscheinlich ist, dass prekäre Arbeitsverhältnisse sich so ausbreiten, dass vor allem Frauen* stärker von ihnen betroffen sein werden.
Der Wandel der Arbeitswelt kann sowohl Vor- als auch Nachteile für die Gleichstellung mit sich bringen. Sicher ist aber, dass eine genderneutrale Auseinandersetzung mit den Veränderungen von Arbeit dazu führt, dass die Ungleichheiten, die bereits bestehen und die wir bemängeln, sich in neuen Strukturen fortsetzen und im schlimmsten Fall verschärfen.
Fazit
Im Ergebnis bedingt der digitale Wandel eine Vielzahl von gleichstellungspolitischen Chancen und Herausforderungen. Hier müssen wir Veränderungen progressiv mitgestalten auf eine Art und Weise, die der Gesellschaft zugutekommt und uns in Zukunft besser leben lässt.
„Gesellschaft“, das meint eben auch Frauen*, für die Digitalisierung wie dargestellt spezifische Konsequenzen hat. Der Antrag kann nur einen Ausschnitt dieser Auswirkungen darstellen. Es geht vielmehr darum, Denkanstöße für eine feministische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Digitalisierung zu geben und zentrale Problemfelder zu beleuchten. Zusammenfassend lassen sich folgende Forderungen aufstellen:

 

    • Auch im digitalen Raum darf es keinen Platz für (sexualisierte) Gewalt geben. Die verschiedenen Formen von Gewalt im Netz müssen verhindert und unterbunden werden.

 

    • Wir betrachten den digitalen Raum nicht als einen, der losgelöst von der analogen Welt existiert. Auch hier müssen Schutz- und Handlungsräume für Frauen* sowie ihre Sichtbarkeit jenseits von Geschlechterstereotypen und Sexualisierung garantiert sein.

 

    • Die räumliche und zeitliche Flexibilisierung von Arbeit muss so gefördert werden, dass sie den Arbeitnehmer*innen im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Carearbeit zugutekommt. Dabei muss jedoch eine Entgrenzung von Arbeit vermieden und Flexibilisierung arbeitnehmer*innenfreundlich gestaltet werden.

 

    • Es soll auf den erhöhten Bedarf beruflicher Qualifizierungen reagiert und ein breites Angebot an Weiterbildungen geschaffen werden. Insbesondere Frauen* müssen in dieses Angebot eingebunden werden. Weiterbildungen und lebenslanges Lernen sollen gerade bei Frauen* gefördert und individuell auf die persönliche Berufsbiografie angepasst werden. Dabei muss jedoch auch gewährleistet sein, dass diese Formen von Qualifizierung finanziell und zeitlich vereinbar sind und nicht zu einer doppelten Belastung führen.

 

    • Technologische Innovationen, die Vereinbarkeit unterstützen, sollen gefördert und für alle Einkommensschichten zugänglich gemacht werden.

 

    • Es soll der Schulterschluss mit den Gewerkschaften gesucht werden. Diese Zusammenarbeit ist Voraussetzung einer effektiven Gleichstellungspolitik im Bereich der Arbeit.

 

    • Wir Jusos prangern sexistische Stereotypen in Spielen, sprechen sie an und wollen User*innen sensibilisieren. Wir unterstützen Bestrebungen in der Gaming-Szene, feministische Strukturen zu etablieren. Wir unterstützen Spieleentwickler*innen, die aufgrund feministischer Spieleentwicklung immer wieder Hate-Speech ausgesetzt sind.

 

    • Frauen die Sexismus in der Gaming Szene ansprechen werden im Internet mit Androhungen sexueller Gewalt, sexualisierten Beleidigungen und Bedrohungen überzogen. Wir stellen uns entschlossen dagegen und solidarisch an ihrer Seite.

 

    • Wir bekämpfen die wieder zunehmenden Tendenzen in Spielen, Grenzen durch möglich gemachte, (sexuelle) Gewalt zu verschieben.

 

    • Wir setzen uns dafür ein die USK Prüfkriterien auch auf sexistische und misogyne Inhalte zu erweitern. Wir sind überzeugt das auch das Medium Videospiele eine Vorbildfunktion hat die es erfüllen muss.

 

Die Debatte um und die Prozesse von Digitalisierung dürfen nicht nur von Männern* geführt werden. MINT-Fächer sind weiterhin stark männlich dominiert. Schülerinnen* sollen ermutigt werden, sich mit diesen Bereichen auseinanderzusetzen und möglicherweise hier eigene Interessen und Fähigkeiten zu entdecken. Es gilt die Repräsentation von Frauen* in technischen Berufen zu fördern. Auch die politische Diskussion soll von Frauen* mitgeführt werden und unter einer gleichstellungspolitischen Perspektive stattfinden.
[1] https://speakerinnen.org ist eine Datenbank von Expertinnen*, die zu bestimmten Themen referieren können und wollen. Ziel der Speakerinnen*-Liste ist es, die Sichtbarkeit von Frauen* überall da zu steigern, wo öffentlich gesprochen wird. Mit Hilfe der Liste wird es für Veranstalter*innen leichter, Expertinnen* für ihre Events zu finden. Gleichzeitig lädt sie Frauen* aktiv dazu ein, häufiger und öffentlich über ihre Themen zu sprechen.