Erst kommt die Technik, dann die Moral

Einleitung

Für uns als sozialistische Bewegung ist das ständige Ringen um das Verhältnis von Technik und Moral von Beginn an eine unserer zentralen Aufgaben. Tatsächlich liegen unsere Wurzeln als Bewegung in dem Kampf für eine Humanisierung der industriellen Revolution und für eine Befreiung des Menschen durch Fortschritt. Und trotz der beachtlichen Erfolge, die wir auf dem bisherigen Weg errungen haben, ist diese Rolle nicht obsolet geworden, sondern sie bleibt im Gegenteil unsere ständige Begleiterin. Gerade in dieser unsrigen Zeit, in der wir mitten in einer weiteren technischen Revolution sind, ist es an uns, dafür zu sorgen, dass der technische Fortschritt nicht dem Kapital, sondern den Menschen dient. Niemand sonst stellt die Frage so klar: Wie wird aus technischem auch sozialer Fortschritt?

Während Konservative auf der einen Seite ideenlos wie der Ochs vorm Berg die technischen Innovationen verfolgen, beschwören Neoliberale auch noch Jahre nach dem Scheitern ihrer Ideologie den Markt, der angeblich alles regelt, und sind mit ihrer „anything goes“-Haltung dabei in Wahrheit nicht minder ideenlos. Als jungsozialistischer Verband muten wir uns hingegen eine komplexere Position zu, die weder hilflos versucht technische Entwicklungen irgendwie aufzuhalten noch daneben zu stehen und alles zu bejubeln, was so des Weges kommt. Wir haben den Anspruch, den technischen Fortschritt zu gestalten, ihn zu einem sozialen Fortschritt zu machen und wir sind uns dabei unserer handlungsleitenden Fragen bewusst: Welche Folgen gehen mit einzelnen technischen Innovationen einher? Worin besteht eine mögliche Verantwortung verschiedenen Gruppen (z.B. nichtmenschliche Lebewesen, zukünftige Generationen etc.) gegenüber? Wie steht es um die Zumutbarkeit von Risiken?. Letztlich muss die Frage lauten: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Und welche Technik ist dafür wünschenswert? Und da wir die erste Frage für uns beantwortet haben, geht es vor allem darum, wie eine adäquate Governance von Technik aussieht, um zu einer befreiten, sozialistischen Gesellschaft zu kommen.

Diese Frage ist nicht einmal beantwortet und dann für immer geklärt, sondern wir müssen diese für die einzelnen Techniken, mit denen wir konfrontiert sind, immer wieder neu stellen und zeitgemäße Antworten für selbige finden.

Grundsätzlich stehen dem Staat unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Von eher sanften Mitteln wie Appellen, Warnhinweisen oder Aufklärung für Verbraucher*innen über mittelschwere Eingriffe wie einer Erfassung, Registrierung oder Kontrolle von technischen oder forschenden Projekten bis hin zu starken Regulationen in Form von (befristeten) Genehmigungen, Moratorien oder sogar Verboten von Forschung oder Produktion ist die Palette an Handlungsmöglichkeiten sehr groß und muss sorgsam abgewogen werden. Manchmal für eine Reihe von Projekten, manchmal auch im Einzelfall. Wie immer bei staatlichem Handeln können so kleinere oder größere Spannungsfelder entstehen, es können Konflikte um die Wissenschaftsfreiheit oder um die der Freiheit von Menschen und Unternehmen auftreten. Gerade deshalb ist es so wichtig auszuformulieren und zu erklären, weshalb an welcher Stelle mit welcher Begründung Eingriffe vorgenommen werden sollen.

Genau dies tut dieses Papier für einige aktuelle technische Innovationen und ist damit im besten Sinne ein Zeitgeist-Dokument, weil zumeist erst die Technik und dann die Moral kommt. Zu guter Technik-Governance gehört, dieses Verhältnis umzukehren.

Gaming

Games sind sehr vielschichtig. Sie werden genutzt zur Unterhaltung oder bieten im Multiplayer soziale Interaktionen, Wettkampf und (weltweite) Vernetzung. Während einige (meist ältere) Menschen sie für banal und verzichtbar halten, werten Andere sie als Kulturgut, das ebenso anerkennt werden sollte wie Filme, Musik oder Malerei. Generell unterschätzt wird ihr Potential für zukunftsfähige Arbeitsplätze und Unternehmen als Teil der Kreativwirtschaft.

Ebenso außer Acht gelassen wird, dass Games pädagogischen Charakter haben können und zur Bildungsarbeit genutzt werden können. Sei es in Bezug auf Alltagsentscheidungen oder auf Utopien/ Dystopien, mit denen ein Blick in eine mögliche Zukunft geworfen werden kann. Ethische Fragestellungen können praktisch erfahrbar gemacht werden. So ist es beispielsweise möglich über den Einsatz von Technik zu diskutieren, bevor diese in der Gesellschaft allgegenwärtig wird.

Deshalb fordern wir, dass in der Bildungs- und Erziehungsarbeit Games häufiger zum Einsatz kommen sollen. In welchen Bereichen dies sinnvoll ist, kann nur fallspezifisch und eher dezentral entschieden werden, da eine allgemein gültige Antwort aufgrund der breiten Palette und starken Ausdifferenzierung von Games nicht gegeben werden kann. Ebenfalls darf es keine Unterschiede in der rechtlichen Stellung zwischen Games einerseits und Filmen, Musik oder Malerei andererseits geben, was beispielsweise die Kunstfreiheit anbelangt. Des Weiteren soll analog zur deutschen und europäischen Filmförderung eine nachhaltige Games-Förderung aufgebaut werden, um zukunftsfeste Arbeitsplätze zu schaffen, die Kreativwirtschaft zu stärken und vor allem zu ermöglichen, dass Games entwickelt werden können, die sich nicht nur an Kriterien von Vermarktung und Massentauglichkeit orientieren müssen.

Linksautonome Autos

Teilautonomes Fahren ist eine Entwicklung, die nicht in der Zukunft liegt, sondern seit mehreren Jahren vollzogen und weiter anhalten wird. Weil sich aus ihr unterschiedliche Folgeentwicklungen ableiten lassen, ist es wichtig, sich auch aus jungsozialistischer Perspektive damit zu beschäftigen. Auch hier gilt es wie anfangs erwähnt, sich mit den moralischen Implikationen technischen Fortschritts zu beschäftigen, anstatt diesen einfach passieren zu lassen.

Auch wenn autonomes Fahren, also der komplette Wegfall von Lenkrad und Pedalen, noch in der Ferne liegt, so ist die maschinelle Entscheidung über Bremsen, Beschleunigen und Lenken längst Realität in vielen neueren Automodellen. „Maschinelle Entscheidungen“ liegen hier allerdings nur in der Form vor, dass jede Aktion aus ursprünglich von Menschen geschriebenen Algorithmen resultiert und es keine „eigene“ Abwägung des Bordcomputers oder ähnlichen Instanzen gibt. Für diese Algorithmen braucht es neue Regeln, die über das hinausgehen, was die StVO bislang für den menschengesteuerten Straßenverkehr vorschreibt.

Für uns stehen folgende Punkte fest:

Hauptaufgabe (teil-)autonomen Fahrens ist die Erhöhung der Sicherheit von menschlichen Verkehrsteilnehmer*innen, die nicht gegen andere Aspekte wie Bequemlichkeit oder Sachschäden aufgewogen werden kann und Voraussetzung für die Zulassung solcher Systeme ist. Dies sollte unter anderem durch eine vorausschauende Fahrweise, die in ein sicheres System von vernetztem Fahren eingebettet ist, ermöglicht werden. Im Falle einer dennoch auftretenden Gefahrensituation mit nicht vermeidbaren Schäden an Menschen dürfen diese nicht nach äußeren Kriterien wie Alter, Geschlecht oder Herkunft bewertet werden und der Schutz an der Entstehung der Unfallgefahr Unbeteiligter muss gewährleistet sein. In jedem Moment des Fahrens muss eindeutig erkennbar sein, wer gerade die Verantwortung für Entscheidungen innehat und damit auch für entstehende Schäden haftet – also die fahrende Person oder der Hersteller, der die Algorithmen, die zur Entscheidungsfindung und damit zur Unfallsituation geführt haben, programmiert hat.

Für diesen Prozess der Entwicklung und Umsetzung braucht es eine gesellschaftliche Debatte, wie mit der beschriebenen Entwicklung und ihren Folgen umgegangen werden soll. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit teilautonome Fahrelemente wie Spur- und Abstandhalteassistenten zukünftig verpflichtend für Neuzulassungen sein sollten oder ob es dauerhaft die Möglichkeit geben sollte, bewusst auf diese Ausstattung zu verzichten. Diese und andere Diskussionen sollten nicht nur national, sondern auch im Austausch mit unseren europäischen Partner*innen geführt werden, um am Ende nicht einen europäischen Flickenteppich von Regelungen und Verboten zu erhalten. In einem so sensiblen, sicherheitsrelevanten Bereich ist es zudem besonders wichtig, wirtschaftliche Interessen transparent zu machen und eine davon unabhängige Regelfestlegung zu treffen.

Wenn Waffen willkürlich walten

Nach wie vor steht für uns als antimilitaristischer Jugendverband fest, dass wir eine Welt erstreiten möchten, in der Armeen nicht mehr notwendig sind. Trotzdem müssen wir uns zu den aktuellen Entwicklungen verhalten: Seit mehreren Jahrzehnten werden (teil-) autonome Waffensysteme entwickelt, die in Form von Drohnen, Robotern oder anderen Flugsystemen gezielt Menschen töten und dabei intelligenter und zielgenauer vorgehen können als Menschen – weil sie Maschinen sind. An vielen Orten in der Welt herrscht Krieg, daher ist das wirtschaftliche Interesse für die Entwicklung möglichst effizient arbeitender Waffen enorm hoch. Tatsächlich werden diese Waffensysteme auch unter dem Aspekt diskutiert, ob durch sie nicht Menschenleben gerettet werden, weil dann weniger oder keine Soldat*innen in Kriegen mehr notwendig wären. Für uns ist das eine falsche Herangehensweise an das Thema. Verglichen mit anderen Waffen, ergeben sich bei (teil-) autonomen Waffen zusätzliche Probleme: Es ist unklar, wer die Verantwortung für diese Waffen trägt. Kann eine Waffe für den Tod von Menschen verantwortlich gemacht werden? Auch senken autonome Waffen die Hemmschwelle für einen Kriegseintritt: Ferngesteuerten Waffen ist ein Spielcharakter immanent. Und generell werden weniger Soldat*innen des eigenen Landes gefährdet. Beides bedingt auch ein geringeres Risiko für die kriegsführende Partei. Insgesamt steigt das wirtschaftliche Interesse, Kriege zu führen, weil zunehmend mehr Unternehmen an der Waffenherstellung beteiligt sind.

Auch diese Waffensysteme sind technischer Fortschritt. Jedoch keiner, der für uns erstrebenswert ist. Wir sprechen uns generell dagegen aus, Gelder für die Rüstungsindustrie auszugeben. Insbesondere bei autonomen Waffensystemen kritisieren wir, dass dort viel Energie und technisches Know-How für etwas gesellschaftlich Sinnloses verschwendet wird. Technische Entwicklungen müssen für gesellschaftlich sinnvolle Dinge eingesetzt werden und dürfen nicht für etwas Menschenverachtendes wie Krieg missbraucht werden. Nur dann kann aus technischem Fortschritt auch ein sozialer werden.

Some bits about bots

Die Konstruktion und die Einsetzbarkeit von technischen Hilfsgeräten in jeglichen Lebensbereichen, von der Wissenschaft bis zum Alltag wird besonders von einem Aspekt geprägt: Den Roboter so human wie möglich wirken zu lassen.

Doch nützt ein menschlicheres Aussehen des Roboters in der Praxis wirklich mehr und kann das noch unseren moralischen Vorstellungen von zukunftsfähiger Robotik gerecht werden?

Ein humanoider Roboter zeichnet sich dadurch aus, dass er in seinem Äußeren einem Menschen nachempfunden ist. Dies setzt nicht notwendigerweise eine hautartige Oberfläche voraus, sondern kann sich schon durch den menschlichen Körperbau mit Armen und Beinen auszeichnen. Um den Verstand eines Menschen nachahmen zu können, sind sie häufig mit künstlicher Intelligenz ausgestattet.

In der Theorie können diese Roboter dann überall dort eingesetzt werden, wo die Arbeit sich vor allem durch menschliche körperliche Arbeit ausgezeichnet hat.

In der Praxis werden die meisten humanoiden Roboter im Gesundheitssektor, wie Pflege- und Altenheimen getestet. Dort unterstützen die Roboter das Personal in Aufgabenbereichen im Umgang mit den Patient*innen. Vor allem in diesen Pflegebereichen, wo die Arbeit mit dem Menschen im Vordergrund steht, können sich die Roboter durch die künstliche Intelligenz, je länger diese mit den Patient*innen zusammenarbeiten immer besser auf diese Einstellen. Bisher werden diese Roboter eher dafür genutzt, das Personal bei praktischen Aufgaben zu entlasten, wie hinter den Patient*innen her zu räumen, oder diese durch Vorlesen zu unterhalten, wobei diese Aufgabenfelder immer weiter ausgebaut werden sollen. Doch wo werden hier menschliche, aber auch moralische Grenzen gezogen?

Hemmschwellen im Pflegebereich sind etwas höchstpersönliches und während es manche Menschen gerade als angenehm empfinde, bei manchen persönlichen Behandlungen nicht von einem Menschen betreut zu werden, können andere die Präsenz eines Roboters als weitaus störender empfinden und wünschen sich eine für sie mehr greifbare menschliche Hand zurück.

Aber auch bei anderen Arbeitsplätzen müssen wir uns immer der Wechselwirkung der Arbeitsbeziehung zwischen Mensch und humanoidem Roboter gewahr sein.

In welchen Berufen können diese humanoiden Roboter Menschen noch explizit entlasten? Welche Aufgabenfelder können Sie vielleicht ganz übernehmen oder auch für Menschen völlig neue Arbeitsfelder schaffen?

Je menschenähnlicher das Verhalten und Aussehen von Robotern wird, desto dringender wird auch die Debatte nach Umgangsregelungen für diese. Deswegen sind Debatten, wie die des EU-Parlaments zu Roboter-Rechten und elektronischen Personen wichtig. Entscheidungen sollten allerdings nicht zu schnell getroffen werden, da man sich oft noch am Anfang von Entwicklungen befindet. Zudem sollten moralische und ethische Ansprüche im Vordergrund solcher Debatten stehen.

Mini-Me ohne Moral?

Seit der Entdeckung von CRISPR/CAS 9 und der damit einhergehenden Möglichkeit der gezielten Zellveränderung überschlagen sich die Errungenschaften im Bereich der Genforschung. CRISPR/CAS 9 ist eine Genschere, mit deren Hilfe DNA-Stränge zerteilt und ersetzt werden können. Bestimmte Zellfragmente können durch neue Fragmente ersetzt werden, um das Genmaterial der Zelle insgesamt anzupassen. Durch Zellteilung sind dann auch die Folgegenerationen der Zellen verändert. Konnten so einerseits bereits bei an Krebs erkrankten Menschen einige Zellen soweit verändert werden, dass Tumorzellen abgebaut wurden, gibt es andererseits auch die Suche nach „perfekten Designerbabys“ in der Stammzellenforschung.

Aber welche dieser Ideen sind moralisch eigentlich vertretbar? Ist es okay, bereits präventiv eine Erkrankung auszuschließen?

Es gilt festzustellen, ob und wie weit Manipulationen des Genmaterials unserem moralischen Verständnis entsprechen – und ob wir es überholen müssen. In der Debatte der Wissenschaft klaffen die Meinungen auseinander. Veränderte Stammzellen bringen häufig auch ungeplante, weitere Veränderungen im gesamten Organismus mit sich, deren Folgen derzeit noch nicht genau erkennbar sind. Ob eine einmalige Zellveränderung beim Menschen und anderen Lebewesen noch Generationen später beeinflusst, muss also noch weiter erforscht werden.

Ebenjene medizinische Forschung ist ein wichtiges Element gesellschaftlichen Fortschritts, wie aktuell auch die Corona-Pandemie zeigt. Ein Impfstoff kann tausende Menschenleben retten. Doch wir müssen wachsam sein und alle Prozesse, vor allem im Bereich der Stammzellenforschung, politisch kritisch bewerten. Wir dürfen nicht zulassen, dass Genmaterial optimiert wird, um gesellschaftliche Normen zu erfüllen, etwa wie ein Mensch auszusehen hat. Medizinische Forschung darf nicht Mittel zum Zwecke sein, um Individuen für das kapitalistische System zu perfektionieren. Die Vielfalt der Menschen ist ein wichtiges und schützenswertes Gut! Da sich der Forschungsstand stetig verändert, müssen wir unsere politischen Positionen regelmäßig überprüfen. So wie die Forschung müssen wir uns weiterentwickeln, um auf solche fundamentalen ethischen Fragen eine zeitgemäße Antwort zu haben.

Let’s talk about Sex and Fortpflanzung

Der technische Fortschritt schreitet auch im Gebiet der menschlichen Sexualität und Fortpflanzung voran, mit potenziell enormen gesellschaftlichen Folgen. So hat vor einigen Jahren beispielsweise Carl Djerassi, Mit-Erfinder der Pille, das Szenario entworfen, dass es in naher Zukunft gesellschaftliche Norm sein könnte, Sex und Fortpflanzung vollständig voneinander zu trennen. Das Szenario sähe dann ungefähr wie folgt aus: Anfang 20 würden Menschen ihre Samen- oder Eizellen, die zu diesem Zeitpunkt biologisch eine hohe Qualität aufweisen, einfrieren lassen, damit diese zu einem späteren Zeitpunkt für eine künstliche Befruchtung zur Verfügung stehen. Nach dem Einfrieren könnte man sich sterilisieren lassen und Geschlechtsverkehr würde ausschließlich zum Vergnügen stattfinden, während die Fortpflanzung auf künstlichem Wege vollzogen würde.

Was für die eine oder den anderen vielleicht ein bisschen dystopisch nach „Brave New World“ klingt, ist technisch längst möglich. Die Fortschritte im Bereich der künstlichen Befruchtung und hier besonders die Methode der Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (kurz: ICSI) haben schon vielen Menschen, die auf dem Wege des Geschlechtsverkehrs vergeblich versucht haben, ein Kind zu bekommen, ihren Kinderwunsch erfüllt. Mit dieser Methode könnte auch das oben entworfene Szenario von Djerassi problemlos Realität werden.

Tatsächlich wirft es aber eine ganze Reihe von Fragen auf, die zuvor breit gesellschaftlich diskutiert werden müssten. Aus jungsozialistischer Perspektive sind das zuallererst diese zwei: 1. Liegt in dem Szenario vielleicht ein progressives Potential, wenn Frauen* dadurch unabhängiger von der sog. „biologischen Uhr“ wären und autonomer über ihre Lebensplanung verfügen könnten? Oder aber erhöht dieses Szenario den Druck auf Frauen*, möglichst lang dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, wenn es möglicherweise neue Norm wird, Kinder mit Ende 30 oder Anfang 40 zu bekommen? Die ersten Debatten, die rund um das Thema Social Freezing geführt wurden, müssen unter diesen Voraussetzungen nochmal intensiviert werden. 2. Wenn Fortpflanzung ausschließlich über den Weg der künstlichen Befruchtung stattfinden würde, müssen auch nochmal die Debatten rund um Samen- und Eizellenspende, Leihmutterschaft und sogar um Eingriffe ins Erbgut durch die CRISPR/Cas-Methode neu diskutiert werden. Auch hier ist einerseits zu fragen, inwiefern progressives Potential darin liegt, wenn stereotype Familienkonzepte aufgeweicht werden und es weniger relevant wird, mit wem Kinder ihre DNA teilen und wichtiger ist, wer tatsächlich Elternschaft übernimmt. In diesem Zusammenhang werden die emotionalen Verhältnisse, die moralischen Verpflichtungen und das Verantwortungsbewusstsein zwischen Kindern und Eltern zu diskutieren sein. Andererseits birgt das Szenario allerdings auch die Gefahr, dass Keimzellen zur durchkapitalisierten Ware werden und Fortpflanzung mehr denn je eine Frage des Geldes wird. Viele weitere Fragen, u.a. zur juristischen Verantwortung von Keimzellen-Spender*innen oder die „Designer-Baby“-Diskussion schließen sich an und können an dieser Stelle nicht ausreichend ausführlich beantwortet werden. Wichtig ist aber, sich die Szenarien, die der technische Fortschritt auch auf dem Gebiet der menschlichen Sexualität und Fortpflanzung ermöglicht, konkret vor Augen zu führen, um die politischen Konsequenzen im Sinne der Technik-Governance abschätzen zu können. In vielerlei Hinsicht sind wir noch am Beginn der Diskussion, lasst sie uns in der nötigen Breite führen.