SOZIALE DIMENSION DES BOLOGNA-PROZESSES ENDLICH UMSETZEN!

Wir NRW Jusos fordern, dass in Nordrhein-Westfalen und im gesamten Bundesgebiet der Bologna-Prozess endlich vernünftig umgesetzt wird, sowohl im Bezug auf die Studierbarkeit von Bachelor und Master, als auch bei der sozialen Dimension von Bologna. Auf der Ministerkonferenz in London (Mai 2007) wurde folgende Definition der Sozialen Dimension verabschiedet: „We share the societal aspiration that the student body entering, participating in and completing higher education at all levels should reflect the diversity of our populations. We reaffirm the importance of students being able to complete their studies without obstacles related to their social and economic background.”1 In der Pressekonferenz vom 3. Mai 2011 bewertet Bundesbildungsministerin Schavan selbst die Umsetzung des Bologna-Prozesses als durchweg positive, bemängelt allerdings trotzdem die fehlende soziale Dimension: „Dennoch gibt es sowohl für Länder, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt dem Bologna-Prozess angeschlossen haben, als auch für langjährige Mitgliedsländer noch Umsetzungsaufgaben. Dies betrifft etwa die Anerkennung von Qualifikationen, Studienleistungen und außerhalb der Hochschulen erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten, die Steigerung der Mobilität oder die Verbesserung der Berufsqualifizierung (Employability). Des Weiteren muss in Zukunft auch verstärkt den geänderten Rahmenbedingungen insbesondere in Bezug auf Demographie und Globalisierung Rechnung getragen werden. Chancengerechtigkeit und Durchlässigkeit des Hochschulsystems – die soziale Dimension des Bologna-Prozesses – müssen weiter verbessert werden.“2 Schavan beschreibt dies, als ob sie nicht eine derjenigen wäre, die einen großen Beitrag dazu leisten könnte, was unter einer sozialen Dimension bei der Studienreform berücksichtigt werden müsste und wie diese umgesetzt werden soll. Dabei ist sie ein großer Teil des Problems, warum die soziale Dimension bisher ungenügend beachtet wurde. Deutschland wollte einer der – wenn nicht DER – Vorreiter bei der schnellen Umsetzung der Studienreform sein. Mindestens eine komplette Studierendengeneration leidet bzw. litt unter der überhasteten Einführung mit den dementsprechenden Problemen.

WAS IST DIE SOZIALE DIMENSION?
Bildungspolitik muss gleichzeitig auch immer eine gute Sozialpolitik sein oder umgekehrt Sozialpolitik muss immer auch eine bildungspolitische Dimension beinhalten. Eines der sehr erfolgreichen Instrumente, auf die dieses Kriterium zutrifft ist das BAföG (weil es Generationen von Studierenden ein Studium ermöglicht hat, auch wenn es bzgl. einer elternunabhängigen Förderung und der Rückzahlbedingungen inzwischen reformbedürftig ist), das in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert. Im Grunde genommen besteht die soziale Dimension in nicht mehr als dem Abbau von Hürden im europäischen Bildungssystem – eben aber auch nicht weniger. Dieser Logik folgt im Übrigen auch der Ansatz unserer Ministerpräsidentin, die die „Reparaturkosten“ im sozialen Bereich durch gezielte Investitionen im Bildungsbereich senken will. Je mehr sozial Benachteiligte erfolgreich ein Bildungssystem mit dem selbst erwählten Abschlussziel durchlaufen können, umso weniger muss die Sozialpolitik im Nachhinein im engeren Sinne „reparieren“.
Dabei sollte der Begriff „sozial“ nicht missverstanden werden: Es geht bei der sozialen Dimension des Bologna-Prozesses nicht generell um Fürsorge oder möglichst großzügiger finanzieller Ausstattung, sondern vielmehr um allgemein gesellschaftliche Belange.

WAS IST ALSO KONKRET ZU TUN?
Es wäre vermessen, mit diesem Antrag ein allgemein gültiges Konzept für eine europaweit umsetzbare soziale Dimension des Bologna-Prozesses vorlegen zu wollen. Es wurden bereits in einigen Arbeitsgruppen auf nationaler und europäischer Ebene Aktionslinien identifiziert, die unbezweifelbar Teil einer sozialen Dimension sind, wie beispielsweise Mobilität, Studienfinanzierung oder Qualitätssicherung. Dennoch sehen wir NRW Jusos einige neuralgische Punkte, deren Klärung wesentlich zur Verwirklichung einer sozialen Dimension beitragen könnten:

Lebenslanges Lernen
Nicht einmal auf der nationalen Ebene existiert eine Kultur des lebenslangen Lernens. Der Quereinstieg oder eine mehrdimensionale Bildungsbiographie werden weder gewürdigt, noch besonders durch das Bildungssystem gefördert. Da die Zweistufigkeit der universitären Bildung prinzipiell ermöglichen soll, einen weitergehenden Studienabschluss auch noch einige Jahre nach dem ersten berufsqualifizierenden Hochschulabschluss zu absolvieren oder auch das studieren während der Berufstätigkeit, müssen die Hochschulen dabei unterstützt werden, entsprechende Strukturen zu entwickeln. Eine große Bedeutung haben hierbei Teilzeitstudiengänge. Schließlich verzeichnet die einzige staatliche Fernuniversität in Hagen nicht zufällig stetig steigende Studierendenzahlen. Ziel sollte es allerdings sein, dass möglichst viele Hochschulen Modelle für Teilzeitstudiengänge entwickeln und dafür gefördert werden.

Versorgungs- und Versicherungsansprüche
Eines der größten Mobilitätshindernisse (so auch im Londoner Communiqué festgestellt) sind die unterschiedlichen Versorgungs- und Versicherungsansprüche, die nicht ins Ausland „mitgenommen“ werden können. Zwar tauscht man sich bereits seit 2008 im europäischen Raum über Lösungsansätze aus, konkrete Lösungen fehlen bislang aber. Hier wäre eine kurzfristige Übergangslösung nicht nur wünschenswert sondern auch machbar. Schließlich können auch Rentenansprüche ins Ausland übertragen werden und auch eine Basisversorgung gefördert durch die EU wäre denkbar.

Integration von Incoming Students
Die Rate der sogenannten Outgoing Students, also der deutschen Studierenden, die einen Teil ihrer Studienzeit im Ausland verbringen ist höher als die Zahl derjenigen ausländischen Studierenden, die einen Teil ihres Studiums in der Bundesrepublik verbringen. Dies liegt nicht zuletzt an den skandalösen finanziellen Bedingungen, die durch Nicht-EU-angehörige Studierende erfüllt werden müssen, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Zumindest bestehen hier noch ein paar Möglichkeiten zur Erlangung eines Stipendiums. Hart trifft es auch Studierende aus osteuropäischen Ländern, deren nationales durchschnittliches Einkommen weit unter dem deutschen liegt, die allerdings auch aufgrund ihrer EU-Bürgerschaft keinerlei eigene Förderformate haben. Hier ist dringender Handlungsbedarf auf europäischer Ebene gegeben, schließlich nützt eine gute nationale Umsetzung des Bologna-Prozesses nichts, wenn nicht auch ein regelmäßiger, hürdenfreier Studierendenaustausch mit solchen Ländern stattfindet, die aus unterschiedlichen Gründen noch einen längeren Weg zur tatsächlichen Umsetzung des Bologna-Prozesses zurücklegen müssen.

GELD IST NICHT ALLES, ABER ALLES IST NICHTS OHNE GELD
Schließlich möchten wir NRW Jusos betonen, dass zwar nicht immer nur Aufwendungen im materiellen Bereich der Weisheit letzter Schluss ist, aber dennoch dringend notwendig, um Studierende, Hochschulen und Studentenwerke handlungsfähig zu machen. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass das Bildungssystem bestenfalls auskömmlich unterfinanziert ist. Da bislang kaum konkrete Budgets zur Umsetzung des Bologna-Prozesses zur Verfügung gestellt wurden, ist es überfällig, im Bereich der Studien- und Hochschulfinanzierung neue tragfähige Konzepte mit entsprechender finanzieller Ausstattung aufzulegen.

1 http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/education/bologna_process
2 http://www.bmbf.de/de/3336.php