Gute Ausbildung

Die betriebliche Ausbildung ist für die meisten jungen Menschen der erste Schritt ins Berufsleben. Sie bildet das Fundament für eine berufliche Karriere. Umgekehrt ist das Bestehen auf dem Arbeitsmarkt ohne Ausbildung heute nicht mehr möglich. Gesellschaftlicher Aufstieg hängt mehr denn je von guter Ausbildung ab. Das duale Ausbildungssystem hat sich im internationalen Vergleich bewährt. Die fachliche Qualität der Ausbildung in Deutschland wird im Ausland sehr geschätzt. Ein hohes Qualifikationsniveau der Fachkräfte ist wiederum der zentrale Wettbewerbsfaktor für Deutschland, das in einem Wettbewerb um die niedrigsten Löhne nicht konkurrenzfähig sein kann. Deshalb muss das duale System beibehalten und gestützt werden. Dies wird allerdings zum Problem, wenn die Betriebe ihren Beitrag zum Ausbildungssystem aufkündigen. Die sinkenden Zahlen von Ausbildungsstellen lassen darauf schließen, dass sich die Unternehmen sich immer mehr aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zurückziehen. Nur knapp ein Viertel der Betriebe in Deutschland bildet aus.

1. Der Ausbildungsmarkt

2008 wurde als ein gutes Jahr auf dem Arbeitsmarkt gefeiert; jedenfalls bis zum Durchschlagen der Auswirkungen der weltweiten Finanzmarktkrise auf den Arbeitsmarkt im vierten Quartal. Das Ausbildungsjahr 2008 war hiervon nicht betroffen und so konnte der Ausbildungsmarkt von der vorausgegangenen guten wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. Als Ergebnis stellte die Bundesagentur für Arbeit für NRW fest: Die Zahl der unversorgten Bewerber, die weder einen Ausbildungsplatz antreten noch eine Alternative in Anspruch nehmen konnten, sank im Ausbildungsjahr 2008 gegenüber 2007 erneut ab. Etwa 4500 junge Menschen sind in NRW zurzeit noch unversorgt. (2007: mehr als 8000) Deren Zahl lag im September in NRW auf dem geringsten Stand seit Beginn der 90er Jahre. Es ist zu erwarten, dass in einem befürchteten schlechten Wirtschaftsjahr 2009 auch die vermeintliche Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt hin zu bessere Vermittlungszahlen sich nicht bestätigt. Neben LeiharbeiterInnen, die bereits unmittelbar nach den ersten Auswirkungen der Krise auf die Realwirtschaft deren Folgen zu spüren bekommen haben, werden AusbildungsplatzanwärterInnen in 2009 erneut die Gruppe sein, die auf dem Arbeitsmarkt in erhebliche Schwierigkeiten kommt. Es zeigt sich, dass trotz der wachsenden Bedeutung von Fachkräften für den Standort Deutschland, die Unternehmen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Ausbildung in den Betrieben scheuen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Zahl der von den Betrieben gemeldeten Ausbildungsstellen wieder sinken wird. Nachdem im Jahr 2007 der Negativtrend gebrochen schien und die Zahl der Ausbildungsstellen in NRW erstmals seit dem Jahrtausendwechsel wieder anstieg, konnten die Zahlen für 2008 eine Fortsetzung der positiven Entwicklung nicht bestätigen. Auch für 2009 ist keine entgegengesetzte Entwicklung zu erwarten. Sowohl die Zahl der außerbetrieblichen als auch die der betrieblichen Ausbildungsplätze nimmt im Langzeittrend ab. Der Ausbildungsbonus zeigt nicht die erhoffte Anreizwirkung. Zudem konnten die so genannten AltbewerberInnnen von der Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt nicht in nennenswertem Umfang profitieren. Sie stellen immer noch mehr als 50% der erfolglosen BewerberInnen und diese Gruppe wächst sogar entgegen den besseren Vermittlungszahlen noch an.

Defizite bei der Ausbildungsqualität

Für uns ist mit dem Abschluss eines Ausbildungsvertrages nicht die Forderung nach guter Ausbildung erfüllt. Bei der ohne Zweifel wichtigen Diskussion um junge Menschen, die sich vergeblich um eine Ausbildungsstelle bemühen, darf die Politik auch diejenigen nicht aus dem Blick verlieren, die den Sprung in die Ausbildung geschafft haben. Nicht selten sehen sich gerade Auszubildende schlechten Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Eine mangelhafte Qualität der Ausbildung erschwert den jungen Männern und Frauen den Start in das Berufsleben. Hier muss die Politik eingreifen, damit aus allen Ausbildungsverhältnissen gute Ausbildung wird. Der DGB-Ausbildungsreport 2008 liefert Zahlen zur Ausbildungsqualität. Er besagt, dass die Mehrheit der Azubis mit ihrer Ausbildung zufrieden sei, benennt aber auch die Problembereiche, die von Auszubildenden kritisiert werden.

Mehrarbeit

Ein enger Zusammenhang besteht zwischen guter Ausbildung und der Anzahl und Häufigkeit von zu leistenden Überstunden. 40% der Auszubildenden leisten regelmäßig Überstunden. In manchen Branchen, insbesondere im Dienstleistungssektor, gehört die Bereitschaft Überstunden zu leisten zum Ausbildungsprofil fast schon dazu. Mit steigender Überstundenzahl sinkt die Zufriedenheit der Azubis mit ihrer  Ausbildungssituation, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber keinen Überstundenausgleich ermöglicht.

Vergütung

Von einer Ausbildungsvergütung muss ein selbstbestimmtes Leben möglich sein. Dies ist häufig nicht der Fall. Mit dem Argument, Azubis kosteten die Betriebe letztlich noch Geld, wird die Ausbildungsvergütung auf geringem Niveau festgelegt. An ein selbstbestimmtes Leben ohne finanzielle Hilfe von Staat oder Eltern ist für die meisten Auszubildenden nicht zu denken. So ist es häufig der Fall, dass Volljährige (der Beginn der Ausbildung verschiebt sich in der Biografie immer weiter nach hinten) in der Ausbildungszeit auf Unterstützung angewiesen sind.

Fachliche Anleitung

Im Zentrum der Ausbildung muss der Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen zur Ausübung eines Berufes stehen. Im Klartext: Azubis sind keine billigen Arbeitskräfte. Dieser Grundsatz wird allerdings nicht in allen Ausbildungsbetrieben beherzigt. Insbesondere dort, wo das Verhältnis von Azubis und Ausbildern unausgewogen ist, Azubis monatelang zu Routineaufgaben eingeteilt werden oder aber als AlleinverantwortlicheR im Betrieb zurückgelassen werden, muss von mangelnder Ausbildungsqualität durch ausbildungsfremde Tätigkeiten ausgegangen werden. Dies entspricht nicht den Anforderungen an gute Ausbildung und geht häufig einher mit der Verletzung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe werden Azubis häufig für ausbildungsfremde Tätigkeiten eingesetzt und erfahren nur unzureichende fachliche Anleitung. Das Aussetzen der Ausbildereignungsverordnung (AEVO) unter Rot-Grün sollte die Einrichtung von Ausbildungsplätzen für die Betriebe vereinfachen, indem nun eine abgeschlossene Berufsausbildung schon zur Ausbildertätigkeit qualifizieren sollte. Das Ziel, mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen, hat diese Deregulierungsmaßnahme allerdings verfehlt. Sowohl Ausbilder als auch Auszubildende sahen sich mit dem Problem konfrontiert, für die Anforderungen der Ausbildertätigkeit nicht geschult zu sein, bzw. die Ausbildung unter mangelhafter fachlicher Anleitung durchlaufen zu müssen.

Mitbestimmung

Maßgeblich mitentscheidend für die Zufriedenheit mit der Ausbildungssituation ist die Möglichkeit der betrieblichen Mitbestimmung und Interessenvertretung für Auszubildende. In Betrieben, in denen Jugend- und Auszubildendenvertretungen bzw. Betriebs- und Personalrat vorhanden sind, bewerten 85% der Azubis ihre Ausbildungssituation als zufrieden stellend. In Betrieben ohne Interessenvertretung behaupten dies nur zwei Drittel der Azubis.

Übernahme

Nach den Schwierigkeiten der Ausbildungsplatzsuche geraten Auszubildende am Ende ihrer Ausbildung erneut unter Druck, denn die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis durch den Ausbildungsbetrieb ist eher die Ausnahme als die die Regel. Nur etwa 20 % der Azubis können sich ihrer Übernahme sicher sein, wobei diese dann in der Regel in befristete Arbeitsverträge erfolgt. 80% der Azubis müssen nach Ende der Ausbildung den Betrieb wechseln. Problematisch wirkt sich dabei häufig für die jungen Frauen und Männer aus, dass sie vor potenziellen neuen Arbeitgebern unter Druck geraten, ihre nicht erfolgte Übernahme zu rechtfertigen.

Berufsschulen

Die Situation der Berufsschulen unterscheidet sich nicht von der der allgemein bildenden Schulen in staatlicher Hand: Sie sind chronisch unterfinanziert. Nicht nur befinden sich Gebäude und Einrichtung häufig in beklagenswertem Zustand, auch sind Lehrmaterialien und -inhalte gegenüber der Ausbildung im Betrieb häufig hoffnungslos veraltet und Unterrichtsausfall an der Tagesordnung. Sowohl der Kenntnisstand der Lehrer als auch die eingesetzten Bücher und Werkstoffe hängen der Entwicklung der betrieblichen Realität nicht selten Jahre hinterher. Der Wandel von Berufsbildern und Arbeitstechniken kommt in der Berufsschule häufig zu spät an, was bedeutet, dass den Auszubildenden im schulischen Teil der Ausbildung unaktuelles Wissen und Können vermittelt wird. Dort wo Lehrmaterialien auf Grund der Unterfinanzierung nicht von der Schule gestellt werden können, werden die Auszubildenden als Mitfinanzierer von Schulausstattung und Lehrmaterial zur Kasse gebeten. Ein anderes Modell der Finanzierung bezieht Unternehmen als Sponsoren mit ein.

2. Was gute Ausbildung für uns bedeutet

Natürlich ist es erstrebenswert, die AnwärterInnen in Ausbildung zu bekommen, jedoch darf die Ausbildungsquantität nicht gegen die -qualität ausgespielt werden. Denn für uns gilt als Maßstab gute Ausbildung für alle zu ermöglichen. Wir Jusos sehen diese Forderung in zweierlei Hinsicht nicht verwirklicht. Deshalb setzen wir uns weiter dafür ein, dass allen jungen Menschen die betriebliche Ausbildung offen steht, und gleichzeitig die Qualität der Ausbildung, dort wo Probleme festgestellt wurden, verbessert wird. Wir machen uns weiterhin dafür stark, dass die Unternehmen in die Pflicht genommen werden, ihrer Ausbildungsverantwortung nachzukommen. Eine Ausbildungsplatzumlage ist dafür das Richtige Instrument, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft hingegen haben sich als wenig wirksam erwiesen. Ein sinnvoll gestaltetes Umlagemodell, das die spezifischen Gegebenheiten in einzelnen Branchen berücksichtigt, macht es möglich, die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze von konjunkturellen Schwankungen einerseits und dem Gutdünken der Unternehmen andererseits unabhängig zu machen. Auszubildende befinden sich gegenüber den Ausbildungsbetrieben in einer äußerst schwachen Verhandlungsposition. Sie sehen sich durch viele unversorgte Bewerber auf dem Ausbildungsmarkt unter Druck gesetzt. Unrecht im Arbeitsalltag von Auszubildenden wird daher nur in den seltensten Fällen angezeigt, denn die Angst vor dem Verlust der Ausbildungsstelle ist groß. Zwar registrieren Gewerkschaften einige Beschwerden von Auszubildenden, doch dürfte die Dunkelziffer der Verstöße noch erheblich höher liegen, zumal gerade im wachsenden Dienstleistungssektor der Zugang zu gewerkschaftlichen Beschwerdestellen durch den geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad erheblich eingeschränkt ist. Sprich: Verstöße gegen das Recht von Auszubildenden werden zu wenig wahrgenommen und Azubis haben geringe Chancen ihr Recht gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Dies muss sich ändern. Die Zufriedenheit mit der Ausbildungssituation hängt eng zusammen mit dem Vorhandensein einer Interessenvertretung im Betrieb. Die Bedeutung der gewerkschaftlichen Arbeit in den Betrieben wir hier deutlich. Mit sinkendem gewerkschaftlichem Organisationsgrad wird dies aber schwerer und schwerer. Gerade im Dienstleistungssektor schlägt sich diese strukturelle Schwäche in schlechten Ausbildungsbedingungen nieder. Für uns ist daher zentral, die Gewerkschaften zu stärken. Eine Zusammenarbeit mit dem DGB soll auf allen Ebenen angestrebt und ausgebaut werden. Einen Eingriff in die Autonomie der Tarifpartner durch die Politik lehnen wir ab.

Die Qualität der Ausbildung bedarf Verbesserungen. Die NRW Jusos fordern:

Der Ausgleich von Überstunden muss für alle Azubis gewährleistet werden. Dafür ist die Kontrolle durch Behörden und Kammern erforderlich. Auch muss gewährleistet sein, dass die Ausbildungsbetriebe die Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes einhalten. Die Unterrichtszeit in der Berufsschule gehört zur Ausbildung dazu und ist demnach auf die Wochenarbeitszeit anzurechnen. An vollen Unterrichtstagen ist die Anwesenheit im Betrieb nicht erforderlich. Betriebe, die wiederholt geleistete Mehrarbeit ihrer Auszubildenden nicht ausgleichen, sind mit Sanktionen zu belegen. Hier sind beispielsweise Strafzahlungen denkbar. Eine Mindestausbildungsvergütung ist notwendig, damit Azubis während ihrer Ausbildungszeit nicht auf die Hilfe von Eltern und Staat angewiesen sind. Die Unternehmen profitieren von ihren Azubis nicht nur in dem Sinne, dass diese einen Beitrag zur Wertschöpfung im Betrieb erbringen, sondern auch als Investition in die Zukunft des Unternehmens. Dieses wird in Zukunft noch stärker auf gut ausgebildete Facharbeiter angewiesen sein als bisher. Die wachsende Bedeutung von Facharbeitern kommt allerdings nicht in den Vergütungen der Auszubildenden zum Ausdruck. Diese stagnieren in vielen Branchen auf niedrigem Niveau. Mit einer Mindestausbildungsvergütung wollen wir dieser Entwicklung entgegenhalten. Die Höhe der Mindestausbildungsvergütung orientiert sich dabei am BAföG-Höchstsatz. Ein Modell für die Verbesserung der Ausbildungsqualität ist die Vernetzung aller Interessengruppen rund um die Ausbildung: Von diesem Netzwerk können Ausbildungsbetriebe in die Pflicht genommen werden ein faires Arbeitsverhältnis für die Auszubildenden herzustellen. Nicht länger sollen allein die Kammern über die Qualität der Ausbildung urteilen, denn diese sind nicht neutral, verstehen sie sich als Dienstleister für die Wirtschaft. Eine unabhängige Kontrolle der Ausbildungsqualität muss daher durch eine solche Institution erfolgen, die nicht primär die Interessen der Unternehmen im Blick hat. Durch ein Zertifizierungssystem können Betriebe und Unternehmen für gute Ausbildungsbedingungen ausgezeichnet werden. So erhält die Stimme der Auszubildenden entsprechendes Gewicht und das ungleiche Kräfteverhältnis von Ausbildungsbetrieb und Azubis verschiebt sich zu Gunsten der Schwächeren. Die Ausstattung der Berufsschulen muss umgehend verbessert werden. Um das Lernen in einem angenehmen Umfeld zu ermöglichen und die Lehrmaterialien auf den neuesten Stand zu bringen, brauchen die Berufsschulen schnellstens finanzielle Mittel. Wir geben uns nicht damit zufrieden, die Schulen auf das Einsammeln von Sponsoringgeldern aus der Wirtschaft zu verweisen, denn wir lehnen jegliche Einflussnahme der Unternehmen auf die berufsschulische Ausbildung ab und wollen die beste Ausstattung für alle Schulen, nicht nur für die, die für unternehmerisches Sponsoring attraktiv sind. LehrerInnen in den Berufsschulen müssen die Anforderungen der Betriebe an die Auszubildenden kennen. Hier kann ein Netzwerk Ausbildung, bestehend aus Kammern, Gewerkschaften, Unternehmen und Lehrenden für den notwendigen Dialog sorgen.