MINDESTLOHNPOLITIK UND PRAKTIKA: ERFOLGE ZEIGEN UND ALS BEISPIEL VORANGEHEN

Im Juli 2014 ist das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns im Rahmen des Gesetzeszur Stärkung der Tarifautonomie von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. Wir begrüßen die darin bereits erreichten Fortschritte. So erstreckt sich die Geltung des Mindestlohns im Sinne des Gesetzes auch auf Praktikantinnen und Praktikanten, die ein Praktikum nach dem Berufsbildungsgesetzes (§26 BBiG) absolvieren, da sie im Rahmen dessen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten (§22 MiLoG).

GERECHTE BEZAHLUNG IN PRAKTIKA VOLLSTÄNDIG UMSETZEN

Jedoch: Pflichtpraktika in Schule und wissenschaftlicher Ausbildung sind nicht vom Mindestlohn betroffen, weil sie im Berufsbildungsgesetz ausgenommen sind. Gleichermaßen werden im Ausnahmekatalog des Mindestlohngesetzes so genannte „Orientierungspraktika“, also freiwillige Praktika von bis zu drei Monaten, von der Mindestlohnverpflichtung ausgenommen. Wobei hier als völlig unerheblich betrachtet wird, ob dieses freiwillige Praktikum begleitend zu Ausbildungs- oder Studienzeit oder zum Zweck der Berufsorientierung belegt wird. Hier wird verkannt, dass gerade in bestimmten Fächern nicht nur ein Praktikum – eben jenes in den hochschulrechtlichen Bedingungen nach dem Mindestlohngesetz benannte Pflichtpraktikum – ausreicht, um etwa bei eine Bewerbung für ein Aufbaustudium oder bei einem Start in das Berufsleben bestehen zu können.

Allen Praktika während der Studien- und Berufsorientierungsphase oder begleitend zu Berufsausbildung oder Studium ist allerdings eine schwerwiegende Problematik gemein: Weil Beschäftigte in Vollzeitpraktika nebenbei nicht auch noch einer Arbeit nachgehen können und somit die Finanzierung des Studiums oder der Ausbildung bzw. des dafür nötigen Lebensunterhaltes nicht möglich ist, begrenzen wir die Ausbildungschancen von jungen Menschen – insbesondere von denen, deren Portemonnaie nicht die Chance offen lässt – Praktika selbst zu finanzieren. Praktika nach Abschluss des Studiums oder der Ausbildung werden nach dem neuen Gesetz in Zukunft vom ersten Tag an mit mindestens 8,50 Euro vergütet. Dennoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass nachweisbar der so genannte Klebeffekt von Praktika nur im geringen Maße zum Tragen kommt – zumal eine Vergütung in dieser Höhe für Akademikerinnen und Akademiker oder für Absolventinnen und Absolventen einer Fachausbildung immer noch gering ist. Der 2012 auf dem Parteikonvent beschlossenen Forderung nach der Abschaffung dieser Praktika1 sollte daher noch einmal Gewicht verschafft werden. Stattdessen sollten Trainee- und Berufseinstiegsprogramme eingeführt werden, die klare Perspektiven für die angehenden Berufstätigen eröffnen. Es sollten die so genannten Pflichtpraktika im Rahmen einer Reform des Berufsbildungsgesetzes in die Gültigkeit dessen aufgenommen werden. Gleichzeitig muss in einem reformierten Berufsbildungsgesetz eine Mindestpraktikumsvergütung in Höhe des zutreffenden Satzes nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG) verankert werden, die für die Pflichtpraktika während der Ausbildung sowie für freiwillige Praktika während der Phasen von Studienorientierung oder Berufsorientierung, gelten. Dies ersetzt die bisherige Regelung einer so genannten „angemessenen Vergütung“ (§17 i.V.m. §26 BBiG). Die entsprechenden Ausnahmebestände im Mindestlohngesetz sollen entfallen (§22 MiLoG, Absatz 1, Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3). Von den Reformvorschlägen bezüglich der Praktikumsvergütung sollen auch in Zukunft jene Praktika ausgenommen bleiben, welche sich aus den schulrechtlichen Bestimmungen ergeben. Bei etwaigen Anrechnungen auf ein bestehendes reguläres BaföG müssen erhöhte Lebenshaltungskosten, die durch ein Praktikum verursacht sind, berücksichtigt sein. So wird gewährleistet, dass Praktikantinnen und Praktikanten sich auch während des Praktikums ausreichend und selbstständig finanzieren können.

Gleichzeitig sind auch die Schwierigkeiten für bestimmte Branchen, Zweige und Institutionen – wie etwa im Kulturbereich – zu sehen, vergütete Praktika anzubieten. Dennoch muss unsere Haltung bleiben, dass strukturelle Probleme, wie etwa eine fehlende Ausfinanzierung von staatlichen Einrichtungen, nicht auf die junge Generation zurückfallen dürfen. Auftrag ist es daher, zumindest für diese staatlichen Praktikumsplätze zeitnah feste Budgets einzurichten, um eine faire Bezahlung auch für alle dort beschäftigten Praktikantinnen und Praktikanten zu ermöglichen. Ziel muss allerdings die    faire Gestaltung der Ausbildungs- und Arbeitswelt für alle Beteiligten sein. Auch für die Privatwirtschaft werden die neuen Regeln Anwendung finden müssen und es liegt dabei in der Verantwortung der Unternehmen, diese umzusetzen. Denn auch sie müssen ein Interesse daran haben, dass sie gut ausgebildete und motivierte Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen einstellen können. Dafür in einer Übergangszeit staatliche Subventionierung bereitzustellen kann nicht die mittelfristige Lösung des Problems darstellen, sondern nur die Übergangszeit ermöglichen, in der alternative Finanzierungswege eingeführt werden. Ein solidarisches Querfinanzierungssystem nach dem Vorbild der Ausbildungsumlage, welches ermöglicht in der Breite Praktikumsplätze zu garantieren und den Bedarf an diesen Lernmöglichkeiten durchzusetzen, wäre dafür eine Möglichkeit. Unternehmensmodelle, welche die Ausnutzung von Praktikantinnen und Praktikanten als Ersatzarbeitskräfte zu ihrer Grundlage gemacht haben, haben jedoch nach wie vor kein Anrecht – weder durch staatliche Übergangsfinanzierung, noch durch ein Solidarsystem innerhalb der Wirtschaft – dauerhaft erhalten zu werden.

PRAKTIKA ALS LERNVERHÄLTNISSE WEITER PRÄZISIEREN

Auf der einen Seite beinhalten die durch das Mindestlohngesetz hervorgebrachten Reformen auch, dass Praktikantinnen und Praktikanten – wie es die SPD-Bundestagsfraktion 2010 von der schwarzgelben Bundesregierung forderte – nicht mehr ohne schriftliche Verträge beschäftigt werden dürfen, wie es das überarbeitete Nachweisgesetz vorsieht. Hier werden unter anderem die mit dem Praktikum verfolgten Lern- und Ausbildungsziele, der Beginn und die Dauer des Praktikums, Dauer der regelmäßigen täglichen Praktikumszeit, die Höhe der gewährten Praktikumsvergütung und auch die vereinbarte Urlaubsdauer als Mindestbestandteile genannt, womit eine deutliche Verbesserung durch diese Umsetzung der Empfehlungen aus dem Qualitätsrahmen für Praktika des Europäischen Rates erzielt wurde. Die Ausnahmeregelung im Berufsbildungsgesetz (§26 BBiG) kommt damit nicht mehr zum Tragen. Das Nachweisgesetz (§1 NachwG) verweist an dieser Stelle jedoch auf das Mindestlohngesetz (§22 MiLoG). Damit sind nicht nur Pflichtpraktika von diesen Reglungen ausgenommen, sondern auch alle weiteren im Mindestlohngesetz benannten Ausnahmen, wie etwa die Orientierungspraktika von maximal drei Monaten. Es besteht hier also weitergehender Handlungsbedarf. Dieser Umstand kann im Zuge der Aufnahme von Pflichtpraktika in ein novelliertes Berufsbildungsgesetz bzw. der Streichung von Ausnahmebeständen im Mindestlohngesetz behoben werden. Gleiches betrifft den im Berufsbildungsgesetz garantierten Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis.

Praktika in ihrer Funktion als Lern- statt Arbeitsverhältnisse müssen präzise definiert und von regulären Arbeitsverhältnissen abgegrenzt werden. Dafür fehlt es ebenso noch immer einer eindeutigen Maßgabe von der Politik. Eine Aufgabe gezeigt zu bekommen und diese auszuführen, kann nicht Kriterium einer akzeptablen Praktikumsstelle sein. Praktikantinnen und Praktikanten wollen und sollen auch den Arbeitsalltag kennenlernen – es darf nur nicht zur Regel werden. Was darüber hinaus auch noch an Klarstellung bedarf, ist eine Regelung über Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Praktikantinnen und Praktikanten bei den Praktikumsstellen. Diese sollte nicht nur während der gesamten Praktikumszeit mit der Aufgabe betraut sein, die Einhaltung des Ausbildungsplans und der Ausbildungsziele zu überwachen, sondern auch entsprechend dafür qualifiziert sein. Nicht allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist es zuzutrauen und auch nicht zuzumuten, ohne entsprechende Vorbereitung diese wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe auszuüben.

DIE SPD ALS VORREITERIN FÜR MINDESTLOHN UND FAIRE PRAKTIKABEDINGUNGEN

Im Weiteren ist es gerade auch Aufgabe der SPD als gutes Beispiel voranzugehen. Die SPD muss in allen Untergliederungen, in denen befristete und unbefristete Beschäftigungsverhältnisse angeboten werden – unerheblich ob versicherungspflichtig oder nicht – in ihrem Handeln als Arbeitgeberin den von ihr selbst auf dem Parteitag in Berlin im Dezember 2011 mit dem Leitantrag „Neuer Fortschritt: Wert der Arbeit und ein besseres Leben“ geforderten gesetzlichen, allgemein gültigen und flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro umsetzen. Sofort und ohne Ausnahmen. Darüber hinaus sollte sich die SPD selbst verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass in Unternehmen, mit der sie indirekt oder direkt über Beteiligungen, Holding-Anteile oder Sub-Unternehmen in Verbindung steht, unsere Politik eines Mindestlohns von 8,50 Euro ebenfalls durchgesetzt wird – und zwar nicht unter Ausnutzung der eingeräumten gesetzlichen Übergangsfristen und Ausnahmebestände. Das sollte gelten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch für die Praktikantinnen und Praktikanten. Daher darf sich die SPD dort, wo sie sich aus rechtlichen, betrieblichen oder anderen Gründen nicht durchsetzen kann, in Zukunft nicht mehr unternehmerisch engagieren. Die entsprechenden Anteile oder Beteiligungen müssen abgestoßen werden. Ebenso müssen die Gliederungen, Fraktionen sowie die einzelnen Abgeordneten auf allen Ebenen, die ihrerseits Angestellte oder Praktikantinnen und Praktikanten beschäftigen, in die Pflicht genommen werden. Das muss rund um das Jahr gelten – auch in Zeiten des Wahlkampfes. Damit die Regulierung der Bedingungen, zu denen Praktika angeboten werden, nicht dazu führt, dass die Zahl der Praktikumsstellen drastisch sinkt, ist vom Parteivorstand eine Quote für die Zahl der Praktikantinnen und Praktikanten in den Einrichtungen der SPD festzulegen. Eine entsprechende Finanzierungssicherung für alle Gliederungen muss hierfür fest in den Haushaltsplan der Partei eingestellt werden.

UNSERE NÄCHSTEN SCHRITTE IM ÜBERBLICK

  1. Für eine sinnvolle Zusammenführung aller Formen von Praktika unter einem rechtlichen Dach – wie etwa einem novellierten Berufsbildungsgesetz – müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden. Dort wo dies aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, ist die Bundesregierung dazu aufgefordert, enger mit den Landesregierungen und Hochschulen zu kooperieren. Die Landesregierungen ihrerseits sind aufgefordert in ihrem Zuständigkeitsbereich, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
  1. Praktika nach dem Abschluss von Ausbildung oder Studium müssen durch Berufseinstiegsund Traineeprogramme ersetzt werden.
  1. Neben den Mindestlohnanspruch soll für Praktika zukünftig zusätzlich eine Mindestvergütung in Höhe des entsprechenden BAföG-Anspruchs treten. Dafür muss es staatliche Finanzierung und unternehmerische Eigeninitiative, beispielsweise durch eine Praktika-Umlage, geben.
  1. Praktika müssen in ihrer Funktion als Lernverhältnisse hinsichtlich von Verträgen, Zeugnissen und der Begleitung im Praktikum noch weiter geschärft werden.
  1. Die SPD begreift sich und ihren historischen Erfolg in der Mindestlohnpolitik als Auftrag und als gutes Beispiel. Sie setzt sich für die konsequente Umsetzung dieser Politik und der weiteren Schritte, die gegangen werden müssen, auch für alle Praktikantinnen und Praktikanten in ihrem eigenen Umfeld

1 http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/73374/20120616_konvent_beschluss_jugend.html